BSG, Urteil vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 16/07 R
Fundstelle
openJur 2011, 95959
  • Rkr:

Eine stationäre Einrichtung iS des § 7 Abs 4 SGB 2 liegt dann vor, wenn die objektive Struktur der Einrichtung es nicht zulässt, dass ein Hilfebedürftiger 3 Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Erwerbstätigkeit nachgeht (Abgrenzung zu BVerwG vom 24.2.1994 - 5 C 24/92 = BVerwGE 95, 149 = NDV 1994, 431).

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 14. Juni 2006. Streitig ist die Frage, ob die Klägerin sich in diesem Zeitraum in einer die Leistungen nach dem SGB II ausschließenden stationären Einrichtung gemäß § 7 Abs 4 SGB II aufgehalten hat.

Die im April 1980 geborene Klägerin wurde am 2. August 2004 in das H-Haus in O aufgenommen. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war die Klägerin wohnungslos. Sie verblieb dort bis zum 14. Juni 2006. Zum 15. Juni 2006 bezog die Klägerin eine eigene Wohnung. Träger des H-Hauses ist die Katholische Kirche. Ziel des Hilfeangebotes des H-Hauses ist es, Frauen zu einer selbständigen und eigenverantwortlichen Lebensführung zu befähigen, die der Würde des Menschen entspricht. Die Frauen leben in einer Wohngemeinschaft in Einzelzimmern, verteilt auf drei Etagen. Insgesamt sind in dem Haus zwölf Plätze vorhanden. Weiterhin gibt es Gemeinschaftsräume, Küche, Sanitärbereich, Waschraum mit Waschmaschine und Trockner.

Das H-Haus ist als stationäre Einrichtung für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten anerkannt. Dementsprechend wurde der Klägerin nach ihrer Aufnahme in die Einrichtung Sozialhilfe - Hilfe in besonderen Lebenslagen - nach § 72 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gewährt (Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten). Ab 1. Januar 2005 wurde diese Hilfe nach §§ 67 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) fortgesetzt. Zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts erhielt die Klägerin Leistungen nach § 35 SGB XII (ab 1. Januar 2005 einen Barbetrag von 89,70 Euro monatlich sowie einen Dispositionsbetrag von 282 Euro pro Jahr für Bekleidung). Nach Aufnahme der Klägerin in das H-Haus wurde ein Gesamtplan erstellt. Als Hilfeziele im Gesamtplan wurden angegeben: Verhütung einer Wohnungslosigkeit und Vermittlung in angemessene Wohnform, Klärung der Bezüge und Stabilisierung der Persönlichkeit, um ein Leben in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen zu ermöglichen, Überprüfung der Arbeitsfähigkeit und Motivation zur Arbeitsaufnahme mit Erarbeitung von realistischen, umsetzbaren, den Fähigkeiten entsprechenden Beschäftigungsmöglichkeiten, Aufbau tragfähiger sozialer Beziehungen, Stärkung der Frustrationstoleranz und Dialogfähigkeit etc. Körperliche bzw gesundheitliche Beeinträchtigungen der Klägerin wurden nicht festgestellt, ebenso keine massive oder exzessive Einnahme von Drogen oder anderen Suchtmitteln. Der Gesamtplan sah eine Betreuungszeit von bis zu neun Monaten und darüber hinaus vor.

Die Klägerin beantragte am 19. August 2004 Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 10. Dezember 2004 lehnte die Stadt Osnabrück den Antrag ab, weil der Bezug von Arbeitslosengeld II (Alg II) für die Klägerin wegen der Unterbringung in einer stationären Einrichtung gemäß § 7 Abs 4 SGB II ausgeschlossen sei. Den Widerspruch wies die Beklagte durch Bescheid vom 16. Februar 2005 zurück. Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Osnabrück durch Urteil vom 21. November 2005 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Leistungen nach dem SGB II zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, das H-Haus stelle keine Einrichtung iS des § 7 Abs 4 SGB II dar, weil es der Klägerin nicht die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung abgenommen habe. Die Klägerin könne selbst darüber entscheiden, welche Hilfe sie in Anspruch nehmen wolle. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen durch Urteil vom 22. Februar 2007 das Urteil des SG Osnabrück aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, es sei bereits fraglich, ob dem Anspruch der Klägerin nicht die Erfüllungsfiktion der §§ 104, 107 Sozialgesetzbuch Zehntes Buches - Verwaltungsverfahren (SGB X) entgegenstünde. Letztlich könne dies jedoch dahinstehen, weil der anspruchsausschließende Tatbestand des § 7 Abs 4 SGB II vorliege. Diese Regelung schließe Leistungen dann aus, wenn nach einer Prognose zu Beginn des Aufenthalts in der stationären Einrichtung erwartet werden könne, dass der Aufenthalt aller Voraussicht nach länger als sechs Monate dauern werde. Es bestünden keine Zweifel, dass der Aufenthalt der Klägerin im H-Haus von vorneherein auf einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten angelegt gewesen sei. Zur Bestimmung des Begriffs der Einrichtung sei auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu §§ 97, 100 BSHG zurückzugreifen. Hiernach liege eine Einrichtung vor, wenn neben der Vollunterbringung der Einrichtungsträger von der Aufnahme des Hilfeempfängers bis zu dessen Entlassung nach Maßgabe des angewandten Therapiekonzepts die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Hilfeempfängers übernehme und Gemeinschaftseinrichtungen vorhanden seien (Hinweis auf BVerwGE 95, 149). Bei Zugrundelegung dieses Einrichtungsbegriffs des BVerwG sei das H-Haus als stationäre Einrichtung anzusehen, denn die Entscheidung des BVerwG sei gerade für einen Hilfesuchenden in einer sozial-therapeutischen Außenwohngruppe ergangen. Die Klägerin werde hier in ähnlicher Weise wie im Fall des BVerwG in ihrer Einrichtung betreut. Der Begriff der stationären Einrichtung habe durch die Einführung des § 7 Abs 4 SGB II auch keinen Bedeutungswandel erfahren. Insbesondere sei Meinungen in der Literatur entgegenzutreten, nach denen der Begriff der Einrichtung wesentlich danach zu bestimmen sei, ob von dieser Einrichtung aus einer Erwerbstätigkeit iS des § 8 SGB II nachgegangen werden könne. Dieser Ansicht könne nicht gefolgt werden, weil auf Grund der Verschränkungen zwischen den Rechtsgebieten des SGB II und des SGB XII der Begriff der Einrichtung in beiden Rechtsgebieten inhaltlich übereinstimmend auszulegen und anzuwenden sei. Unterschiedliche Begriffsinhalte würden zudem zu unnötigen praktischen Schwierigkeiten führen, wie die vorliegende Fallgestaltung anschaulich belege. Würde man im Rahmen des SGB II einen abweichenden Einrichtungsbegriff vertreten, so wäre dieselbe Einrichtung je nach Rechtsgebiet einmal als stationäre Einrichtung (nach dem SGB XII) und einmal nicht als stationäre Einrichtung (nach dem SGB II) anzusehen. Eine derartige Aufspaltung sei lebensfremd und führe zu praktischen Schwierigkeiten in der Betreuung der Hilfebedürftigen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 7 Abs 4 SGB II. Sie sei nicht in einer stationären Einrichtung untergebracht gewesen, die zum Ausschluss des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II führe. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Zielsetzungen des SGB II und des SGB XII müsse der Begriff der stationären Einrichtung jeweils eigenständig ausgelegt werden. Für Leistungsempfänger nach dem SGB XII sei darauf abzustellen, dass die Einrichtung praktisch damit verbunden sei, dass der Leistungsempfänger dort eine Vollversorgung erhalte und ihm die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung abgenommen werde. Diese Betrachtungsweise könne für erwerbsfähige Hilfebedürftige iS des SGB II nicht einfach übernommen werden. Diese Personen seien gerade in der Lage, selbst Einkommen zu erzielen und ihren Alltag zeitlich dementsprechend zu planen und zu gestalten. Folglich liege eine stationäre Unterbringung iS von § 7 Abs 4 SGB II nur dann vor, wenn der in der Einrichtung untergebrachten Person die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht möglich sei. Dass die Definition des LSG zu kurz greife, zeige sich schon daran, dass sie - die Klägerin - während des Aufenthalts im H-Haus einen sog Ein-Euro-Job ausgeübt habe. Auch stehe ihr ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage zu. Beispielsweise sichere ihr der Bezug von Alg II die Erfüllung rentenrechtlicher Wartezeiten und trage - wenn auch nur in geringem Maße - zum Aufbau einer Alterssicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung bei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. Februar 2007 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 21. November 2005 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Auch die Tatsache, dass die Klägerin während ihres Aufenthalts in der stationären Einrichtung an einer Arbeitsgelegenheit iS des § 16 SGB II teilgenommen habe, führe zu keiner anderen Betrachtungsweise.

Der Senat hat es durch Beschluss vom 19. Juli 2007 abgelehnt, den zuständigen Sozialhilfeträger zum Rechtsstreit beizuladen, weil es sich insoweit nicht um eine notwendige Beiladung iS des § 75 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 168 Satz 2 SGG handelt.

Gründe

Die Revision der Klägerin ist iS der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) begründet. Auf Grund der Feststellungen des LSG kann nicht entschieden werden, ob die Klägerin im streitigen Zeitraum in einer (Leistungen nach dem SGB II ausschließenden) Einrichtung iS des § 7 Abs 4 SGB II untergebracht war. Der Begriff der Einrichtung iS des § 7 Abs 4 SGB II ist objektiv zu bestimmen. Maßgebend ist, ob es dem Hilfebedürftigen auf Grund der Struktur der Einrichtung möglich ist, drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit (bzw 15 Stunden wöchentlich) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen.

Die Klägerin begehrt Leistungen für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 14. August 2006. Da die Beklagte eine Gewährung von Leistungen abgelehnt hat, kommt eine Begrenzung des Streitgegenstands auf den Sechs-Monats-Zeitraum des § 41 Abs 2 SGB II nicht in Betracht (vgl bereits Urteil des 11b. Senats des Bundessozialgerichts <BSG> vom 23. November 2006 - B 11b AS 1/06 R = SozR 4-4200 § 20 Nr 3, RdNr 19 und Urteil vom 16. Mai 2007 - B 11b AS 37/06 R -). Das LSG hat zu Recht erörtert, inwieweit die Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte durch die Leistungserbringung des Sozialhilfeträgers bereits (teilweise) als erfüllt gelten können iS des § 107 Abs 1 SGB X. Insofern wird das LSG das prozessuale Begehren der Klägerin noch genauer zu erfragen haben. Allerdings hat das BSG bereits klargestellt, dass einer Klage auf Feststellung der Zuständigkeit eines Leistungsträgers (auch bei gleich hohen Leistungen) ein Rechtsschutzbedürfnis nicht abgesprochen werden kann (vgl BSGE 90, 72, 73). Hier ist zudem zu berücksichtigen, dass das SGB II mit den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit (§ 1 Abs 2 Nr 1 SGB II iVm §§ 14 ff SGB II) den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ein über die Sozialhilfe hinausgehendes Leistungsspektrum eröffnet, zu dem die Klägerin offensichtlich auch Zugang begehrt. Weiterhin ist mit der Versicherungspflicht der Alg II-Empfänger in den anderen Zweigen der Sozialversicherung (§ 3 Satz 1 Nr 3a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung <SGB VI>, § 5 Abs 1 Nr 2a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung <SGB V> und § 20 Abs 1 Satz 2 Nr 2a Elftes Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung <SGB XI>) ein rechtliches Interesse berührt, das ein Feststellungsinteresse für eine Feststellungsklage gemäß § 55 Abs 1 Nr 1 SGG begründen kann, obwohl es sich bei der Versicherungspflicht im eigentlichen Sinne nicht um eine Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts iS der §§ 19 ff SGB II handelt.

Die Klägerin war dem Grunde nach Leistungsberechtigte iS des § 7 Abs 1 SGB II. Nach den Feststellungen des LSG war sie hilfebedürftig iS des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II iVm §§ 9, 11, 12 SGB II. Auch die (individuelle) Erwerbsfähigkeit der Klägerin iS des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II iVm § 8 SGB II hat das LSG ausdrücklich bejaht. Eine psychische Beeinträchtigung der Klägerin, die eine Erwerbstätigkeit von drei Stunden täglich ausgeschlossen hätte, lag nicht vor. Wäre das LSG bereits zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin (subjektiv) nicht erwerbsfähig iS des § 8 SGB II ist, so wäre schon hieran ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen nach dem SGB II gescheitert. Einer weiteren Prüfung des objektiven Charakters der Einrichtung hätte es dann nicht bedurft. Das LSG ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass § 7 Abs 4 SGB II die Fiktion enthält, iS des § 7 Abs 1 SGB II an sich erwerbsfähige Hilfebedürftige als erwerbsunfähig anzusehen und vom Leistungsbezug nach dem SGB II auszuschließen (gesetzliche Fiktion der Erwerbsunfähigkeit vgl Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II 2005, § 7 RdNr 33). Das LSG ist allerdings bei der Frage, wann iS des § 7 Abs 4 SGB II eine Unterbringung in einer stationären Einrichtung vorliegt, von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen.

§ 7 Abs 4 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl I 2954) lautete: "Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer für länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht ist oder Rente wegen Alters bezieht." Fragen des Prognosezeitpunkts und des Prognosezeitraums (vgl hierzu Urteil des Senats vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 60/06 R) stellen sich hier nicht. Die Klägerin wurde am 2. August 2004 in das H-Haus in O aufgenommen und hat bereits am 19. August 2004 Leistungen nach dem SGB II beantragt. Sowohl zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung als auch zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB II war nach den Feststellungen des LSG prognostisch davon auszugehen, dass der Aufenthalt länger als sechs Monate dauern werde. Maßgebend ist daher ausschließlich, ob es sich bei dem H-Haus um eine stationäre Einrichtung iS des § 7 Abs 4 SGB II gehandelt hat.

Entgegen der Rechtsansicht des LSG kann der Begriff der Einrichtung iS des § 7 Abs 4 SGB II nicht durch einen Rückgriff auf das Sozialhilferecht bestimmt werden. Eine Bezugnahme auf § 13 Abs 1 Satz 2 SGB XII (in seiner ursprünglichen Fassung, so etwa Valgolio in Hauck/Noftz, § 7 RdNr 59, Stand 2/2007) scheidet aus, weil diese Vorschrift durch das Gesetz zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze (vom 2. Dezember 2006, BGBl I, 2670) ausdrücklich mit der Begründung aufgehoben worden ist, durch die Aufhebung solle klargestellt werden, dass es sich beim bisherigen § 13 Abs 1 Satz 2 SGB XII nicht um eine Definition des Begriffs "Einrichtung" gehandelt habe (vgl BR-Drucks 617/06 S 14 mwN). Auch eine Übernahme der Kriterien aus der Rechtsprechung des BVerwG zu §§ 97, 100 BSHG kommt nicht in Betracht (so allerdings insbesondere auf Grund des Fehlens einer Definition der Einrichtung in § 7 Abs 4 SGB II: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. März 2006 - L 7 AS 1128/06 ER B; Adolph in Linhart/Adolph, SGB XII und Asylbewerberleistungsgesetz, § 7 SGB II RdNr 93; Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 7 RdNr 74). Nach der Rechtsprechung des BVerwG zu § 100 BSHG (auf die sich auch die Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 7 SGB II, 7.35 beziehen), ist für die stationäre Einrichtung neben der "auf Dauer angelegten Kombination von sächlichen und personellen Mitteln, die zu einem besonderen Zweck und unter der Verantwortung eines Trägers zusammengefasst wird und die für einen größeren wechselnden Personenkreis bestimmt ist", ua maßgeblich, dass "der Träger der Einrichtung von der Aufnahme bis zur Entlassung im Rahmen eines fachlich begründeten Hilfekonzepts die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung übernimmt" (vgl BVerwGE 95, 149, 153; vgl bereits BVerwG Urteil vom 24. Februar 1994 - 5 C 42/91 - FEVS 45, 52; sowie Urteil vom 24. Februar 1994 - 5 C 17/91 - ZFSH/SGb 1995, 535). Abgesehen davon, dass der Begriff der "Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung" unbestimmt ist und in der praktischen Rechtsanwendung wenig handhabbar erscheint, berücksichtigt dieses Abgrenzungskriterium nicht hinreichend, welche Funktion dem Einrichtungsbegriff im SGB II zukommt (grundlegend hierzu Münder/Geiger, SGb 2007, 1). Soweit von Befürwortern einer Übernahme des sozialhilferechtlichen Einrichtungsbegriffs darauf verwiesen wird, der Gesetzgeber habe in den Gesetzesmaterialien selbst davon gesprochen, dass eine sprachliche Harmonisierung mit der Vorschrift des § 36 Abs 1 SGB XII erreicht werden solle (vgl insbesondere BT-Drucks 15/1749 S 35; dieses Argument verwenden: Peters in Estelmann, SGB II, § 7 RdNr 64, Stand 10/2006; Hackethal in JurisPK-SGB II 2. Aufl 2007, § 7 RdNr 51), so wird übersehen, dass der Hinweis auf § 36 SGB XII im Rahmen der Regelungsabsicht des Gesetzgebers zu verstehen ist, Personen von Leistungen des SGB II dann generell auszuschließen, wenn für diese anderweitig eine volle Bedarfsdeckung gewährleistet ist. Hierfür spricht insbesondere auch § 7 Abs 4 SGB II in seiner ursprünglichen Fassung in dem ersten Gesetzentwurf des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 5. September 2003 (BT-Drucks 15/1516 S 10). Dort lautete § 7 Abs 4 SGB II noch: "Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die sich in Ausbildung an einer Schule oder Hochschule befinden oder stationär untergebracht sind, erhalten keine Leistungen nach diesem Buch." Der Leistungsausschluss beruhte damit zunächst offenbar auf der Annahme fehlender Hilfebedürftigkeit kraft stationärer Unterbringung (ebenso Münder/Geiger, SGb 2007, 1, 4). § 36 Abs 1 SGB XII hatte in der Fassung des Entwurfs, auf den in BT-Drucks 15/1749 S 35 Bezug genommen wird, lediglich den Inhalt, dass der notwendige Lebensunterhalt in stationären Einrichtungen auch den zusätzlichen Lebensunterhalt umfasst (BT-Drucks 15/1514 S 14). Insofern kann hieraus nicht der Wille des Gesetzgebers abgeleitet werden, in § 7 Abs 4 SGB II auf den Einrichtungsbegriff des SGB XII bzw BSHG zu verweisen.

Durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl I 1706) wurde § 7 Abs 4 SGB II in erheblichem Umfang geändert. In § 7 Abs 4 Satz 1 SGB II entfällt nunmehr die Prognoseentscheidung gänzlich (hierzu BSG, Urteil vom 6. September 2007, B 14/7b AS 60/06 R), sodass der Leistungsausschluss vom ersten Tag der Aufnahme in eine Einrichtung an eingreift (zur Kritik hieran vgl Hammel, ZFSH/SGB 2006, 707, 714 ff). Aus der Gesetzesbegründung zum Fortentwicklungsgesetz ergibt sich, dass der Gesetzgeber explizit an den Begriff der Erwerbsfähigkeit anknüpfen will. Zur Begründung der Änderung des § 7 Abs 4 SGB II führt er ausdrücklich aus, dass dadurch die häufig langwierige und schwierige Feststellung, ob im Einzelfall Erwerbsfähigkeit vorliegt, entfallen solle (BT-Drucks 16/1410 S 20). In § 7 Abs 4 Satz 3 Nr 2 SGB II hat der Gesetzgeber des Fortentwicklungsgesetzes (vom 20. Juli 2006, BGBl I 1706) zudem eine Ausnahme von dem grundsätzlichen Leistungsausschluss des § 7 Abs 4 Satz 1 SGB II dann vorgesehen, wenn derjenige, der in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, tatsächlich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist. Damit ist die Unterbringung in einer stationären Einrichtung iS des § 7 Abs 4 SGB II noch deutlicher als gesetzliche Fiktion der Erwerbsunfähigkeit ausgestaltet worden. Diese Fiktion kann nur mit der Aufnahme einer mindestens 15 Wochenstunden umfassenden Erwerbsarbeit zu regulären Arbeitsmarktbedingungen widerlegt werden (ebenso Münder/Geiger, SGb 2007, 1, 4). Dadurch, dass der Gesetzgeber den in der Einrichtung Untergebrachten als erwerbsunfähig fingiert, vermeidet er zugleich den Leistungsausschluss gemäß § 5 Abs 2 SGB II iVm § 21 SGB XII des Untergebrachten im Rahmen der Sozialhilfe (vgl Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 7 RdNr 33). Die Zuweisung von Hilfebedürftigen zum System SGB II oder System SGB XII entscheidet sich im Rahmen des § 7 Abs 4 SGB II mithin nicht anhand der individuellen Leistungsfähigkeit bzw Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen. Es kommt ausschließlich auf die objektive Struktur und Art der Einrichtung an. Ist die Einrichtung so strukturiert und gestaltet, dass es dem dort Untergebrachten nicht möglich ist, aus der Einrichtung heraus eine Erwerbstätigkeit auszuüben, die den zeitlichen Kriterien des § 8 SGB II genügt, so ist der Hilfebedürftige dem SGB XII zugewiesen. Tragender Gesichtspunkt für eine solche Systementscheidung ist damit die Annahme, dass der in einer Einrichtung Verweilende auf Grund der Vollversorgung und auf Grund seiner Einbindung in die Tagesabläufe der Einrichtung räumlich und zeitlich so weitgehend fremdbestimmt ist, dass er für die für das SGB II im Vordergrund stehenden Integrationsbemühungen zur Eingliederung in Arbeit (§§ 14 ff SGB II) nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung steht. Im Kontext der Abgrenzung von SGB II und SGB XII ist der Begriff der Einrichtung iS des § 7 Abs 4 SGB II mithin danach zu bestimmen, ob durch die Unterbringung in der Einrichtung die Fähigkeit zur Aufnahme einer mindestens dreistündigen täglichen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist.

Diese Definition des Begriffs der Einrichtung iS des § 7 Abs 4 SGB II ist auch mit der Neufassung des § 7 Abs 4 Satz 3 Nr 2 SGB II durch das Fortentwicklungsgesetz (aaO) vereinbar. Nach der dort normierten Rückausnahme kann abweichend von § 7 Abs 4 Satz 1 SGB II (der den grundsätzlichen Leistungsausschluss bei Unterbringung in einer stationären Einrichtung enthält) Leistungen nach diesem Buch auch erhalten, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist. Damit wird dem Hilfebedürftigen nunmehr die Möglichkeit eröffnet, einen Gegenbeweis anzutreten, selbst wenn die objektive Struktur der Anstalt bzw Einrichtung eine Erwerbstätigkeit im Grundsatz als unmöglich erscheinen lässt. Es bleibt dem SGB II-Antragsteller dann immer noch die Möglichkeit, durch tatsächliche Erwerbstätigkeit im Umfang des § 7 Abs 4 Satz 3 Nr 2 SGB II nachzuweisen, dass er weiterhin dem Geltungsbereich des SGB II als Anspruchsinhaber zuzuordnen ist. Im Übrigen kann auch aus dem Wortlaut des § 7 Abs 4 Satz 3 Nr 2 SGB II ein weiteres Argument dafür gefunden werden, dass in der abstrakten Anstaltsdefinition iS des § 7 Abs 4 SGB II (aF und nF) auf eine dreistündige Erwerbstätigkeit pro Tag bzw 15-stündiger Erwerbstätigkeit pro Woche abgestellt wird.

Der Senat betrachtet die von ihm aufgestellten Kriterien als Weiterentwicklung und Konkretisierung der Rechtsprechung des BVerwG (BVerwGE 95, 149, 153) zum Einrichtungsbegriff im Rahmen des SGB II. In diesem Gesetz ist maßgeblich, ob die "Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung" so weit an die Einrichtung abgegeben wurde, dass der Hilfebedürftige nicht mehr drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein kann. Insofern wird im Rahmen des § 7 Abs 4 SGB II der sozialhilferechtliche Einrichtungsbegriff unter dem Gesichtspunkt der Erwerbsfähigkeit zeitlich objektiviert. Deshalb ist unter Zugrundelegung dieses Einrichtungsbegriffs im Regelfall davon auszugehen, dass der Aufenthalt in einer Justizvollzugsanstalt <JVA> (jedenfalls im sog Regelvollzug) auch nach dem Rechtszustand vor dem 1. August 2006 (zu diesem Zeitpunkt erfolgte die Gleichstellung der JVA mit der stationären Einrichtung durch § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II nF) eine (Leistungen nach dem SGB II ausschließende) Unterbringung in einer stationären Einrichtung war (vgl hierzu auch BSG Urteil vom 6. September 2007, B 14/7b AS 60/06 R; zum streitigen Einrichtungscharakter der JVA vgl nur Peters NDV 2006, 222, 223 mwN).

Von daher wird das LSG im Einzelnen noch festzustellen haben, ob die objektive Struktur des H-Hauses in O die Ausübung einer 15-stündigen Erwerbstätigkeit durch die Klägerin in der Woche zuließ. Hierfür ist beispielsweise festzustellen, welche festen Termine im Tagesablauf eine Anwesenheit der Klägerin im Haus erforderten, wie dicht diese Termine gelegt waren, wie stark die Kontrolle über den Tagesablauf tatsächlich institutionalisiert war (Meldetermine, Zeitpläne etc), welche festen Verpflichtungen die Bewohner eingehen mussten und wie stark das "Freizeitverhalten" der Bewohner kontrolliert wurde. Dabei mag das LSG auch dem Vortrag der Klägerin nachgehen, sie sei aus der Einrichtung heraus einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung (Ein-Euro-Job) gemäß § 16 Abs 3 Satz 2 SGB II nachgegangen. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass es sich gerade nicht um eine Einrichtung iS des § 7 Abs 4 SGB II gehandelt hat.

Das LSG hat zudem die Rechtsansicht vertreten, dass die Entwicklung eines eigenständigen, erwerbszentrierten Einrichtungsbegriffs iS des § 7 Abs 4 SGB II zu Schwierigkeiten in der Verwaltungspraxis führen könne. Zum Teil würden die bestehenden Leistungsvereinbarungen zwischen Sozialhilfeträgern und Einrichtungsträgern hinfällig, denn diese Vereinbarungen enthielten auch Pauschalen für Unterkunft und Verpflegung gemäß § 76 Abs 2 Satz 1 SGB XII, die auch Bestandteil der Regelungen in § 19 Satz 1 Nr 1 SGB II seien. Auch würde die wünschenswerte Betreuung der in stationären Einrichtungen Untergebrachten aus einer Hand entfallen. Der Senat sieht diese Schwierigkeiten ebenfalls, hält sie jedoch nicht für unüberwindlich bzw betrachtet sie als notwendige Konsequenz des Regelungskonzepts des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ("Hartz 4"). Mit dem SGB II wurde für erwerbsfähige Hilfebedürftige ein weiteres steuerfinanziertes Leistungssystem geschaffen, das alle Hilfebedürftigen zusammenfassen soll, die noch erwerbsfähig sind. Geht man davon aus, dass es Ziel der sog Hartz-Reformen war, möglichst jeden Erwerbsfähigen noch in Erwerbsarbeit zu integrieren (vgl hierzu Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 1 RdNr 9 ff), so kann lediglich mit dem Argument der Existenz einer etablierten Struktur von stationären Einrichtungen keine Zuweisung von individuell erwerbsfähigen Hilfebedürftigen an das System Sozialhilfe begründet werden. Die Sozialhilfe soll vielmehr das letzte soziale Netz gerade für individuell nicht mehr erwerbsfähige Hilfebedürftige sein. Wie der vorliegende Fall zeigt, ging es der Klägerin gerade darum, Leistungen zur Eingliederung in Arbeit gemäß §§ 14 ff SGB II nach dem SGB II erhalten zu können. Sie macht insbesondere geltend, aus der Einrichtung heraus eine Arbeitsgelegenheit gemäß § 16 Abs 3 Satz 2 SGB II wahrgenommen zu haben. Von daher entspricht es dem Grundanliegen der Reformgesetze am Arbeitsmarkt, diesen Personenkreis nicht in die Zuständigkeit des SGB XII zu überstellen, solange objektiv die Möglichkeit besteht, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in den zeitlichen Grenzen des § 8 SGB II erwerbstätig sein zu können.

Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 193 Abs 1 SGG zu entscheiden haben.