BGH, Urteil vom 23.02.2011 - XII ZR 59/09
Fundstelle
openJur 2011, 94860
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 3. Senats für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 20. Februar 2009 aufgehoben.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Lübeck vom 3. März 2008 abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerinnen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Klägerinnen, die Bundesagentur für Arbeit und die Stadt L., machen gegen den Beklagten Ansprüche auf Trennungsunterhalt aus übergegangenem Recht für die Zeit von Juli bis November 2006 geltend.

Der Beklagte und seine Ehefrau leben seit November 2005 getrennt; die Scheidung erfolgte im November 2007. In der Zeit vom 7. Juni bis 1 30. November 2006 erhielt die Ehefrau von der ARGE L. Grundsicherungsleistungen (Arbeitslosengeld II) nach dem Sozialgesetzbuch II. Mit Schreiben der ARGE vom 26. Juni 2006, zugestellt am 28. Juni 2006, wurde der Beklagte hierüber informiert.

Die Klägerinnen sind der Auffassung, der Beklagte sei seiner Ehefrau für den Zeitraum der gewährten Arbeitslosengeld II-Leistungen zur Zahlung von Trennungsunterhalt verpflichtet.

Die ARGE hat den Erlass eines Mahnbescheids gegen den Beklagten beantragt und den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens gestellt. Die nach Einlegung des Widerspruchs eingereichte Anspruchsbegründung nennt als Klägerinnen die Bundesagentur für Arbeit und die Stadt L., beide vertreten durch die ARGE.

Das Amtsgericht hat den Beklagten im Umfang des Klagebegehrens zur Zahlung an "die Klägerin" verurteilt. Gegen das Urteil hat der Beklagte Berufung mit dem Ziel der Klageabweisung eingelegt. Im Berufungsverfahren ist eine Berichtigung des Rubrums bezüglich der Vertretung der Klägerinnen erfolgt; diese werden nicht mehr durch die ARGE, sondern die Klägerin zu 1 durch den Vorstand und die Klägerin zu 2 durch den Bürgermeister vertreten. Das Berufungsgericht hat die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte - entsprechend dem zuletzt gestellten Antrag der Klägerinnen - verurteilt wird, an diese als Gesamtgläubiger zu Händen der Arbeitsgemeinschaft L. rückständigen Unterhalt zu zahlen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.

Gründe

Die Revision ist begründet.

I.

Das Berufungsgericht hat die Klage für zulässig und begründet gehalten. Zur Zulässigkeit der Klage hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei zunächst in zulässiger Weise durch die ARGE L. erhoben worden. Diese sei selbst partei- und prozessfähig. Dafür spreche bereits die Regelung des § 44 b Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB II, wonach die Geschäfte der ARGE durch einen Geschäftsführer geführt würden, der die ARGE außergerichtlich und gerichtlich vertrete. Im Übrigen seien auf die ARGE die zur BGB-Außengesellschaft und zur Wohnungseigentümergemeinschaft entwickelten Grundsätze entsprechend anzuwenden.

Auf Klägerseite sei spätestens im Berufungsverfahren ein zulässiger Parteiwechsel von der ARGE auf die Bundesanstalt für Arbeit und die Stadt L. erfolgt. Dies sei seitens der Klägerin ausdrücklich mitgeteilt und in der mündlichen Verhandlung, auch durch die ARGE, bestätigt worden. Der Beklagte habe dem Klägerwechsel zugestimmt; jedenfalls habe er sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in der mündlichen Verhandlung auf die geänderte Klage eingelassen.

Das Berufungsgericht hat die Klage mit dem zuletzt gestellten Antrag auch für begründet gehalten. Die Unterhaltsansprüche der Ehefrau des Beklagten seien in vollem Umfang gemäß § 33 SGB II auf die Klägerinnen übergegangen. Die zum 1. August 2006 in Kraft getretene Regelung erfasse auch Ansprüche, die vor diesem Zeitpunkt fällig geworden seien, soweit - wie hier - noch 6 keine Überleitung erfolgt sei. Die Klägerinnen hätten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in einer die Klageforderung übersteigenden Höhe erbracht. Der Anspruchsübergang sei auf die jetzigen Klägerinnen als Leistungsträger und nicht auf die ARGE erfolgt. Dabei sei der Anspruch auf die Klägerinnen als Gesamtgläubiger im Sinne von § 428 BGB übergegangen. Eine Gesamtgläubigerschaft könne aus Gründen des Befreiungsinteresses des Schuldners zu bejahen sein, wenn das hierdurch entstehende Verteilungs- und Gesamtwirkungsrisiko den Gesamtgläubigern zuzumuten sei. Das sei hier aufgrund der einheitlichen, unaufgeteilten Leistungserbringung durch die ARGE der Fall. Den Klägerinnen sei das Verteilungs- und Gesamtwirkungsrisiko zuzumuten, nachdem sie gemäß § 15 Abs. 1 des abgeschlossenen öffentlichrechtlichen Vertrages die gesamte Abwicklung der Transferleistungen einschließlich der Einziehung aller damit zusammenhängenden Einnahmen auf die ARGE übertragen hätten, die auch für die interne Verteilung der eingezogenen Gelder zuständig sei. Auch die Voraussetzungen des § 33 Abs. 3 Satz 1 SGB II lägen für den streitgegenständlichen Zeitraum vor. Der Beklagte sei mit Schreiben vom 26. Juni 2006, zugestellt am 28. Juni 2006, von der Leistungserbringung an seine Ehefrau in Kenntnis gesetzt worden.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

II.

Das Berufungsgericht ist allerdings zu Recht von einem zulässigen Parteiwechsel auf der Klägerseite - von der ARGE auf die Klägerinnen - ausgegangen, der spätestens im Berufungsverfahren erfolgt ist.

1. Der Klägerwechsel in zweiter Instanz wird in Rechtsprechung und Schrifttum wie eine Klageänderung behandelt (BGHZ 16, 317, 321; 65, 264, 268; Zöller/Heßler ZPO 28. Aufl. § 531 Rn. 4) und setzt - ebenso wie diese (BGH Urteil vom 8. März 1988 - VI ZR 234/87 - NJW 1988, 2540, 2541) - eine zulässige Berufung voraus (BGH Urteile vom 24. März 1994 - VII ZR 159/92 - WM 1994, 1212 und vom 21. September 1994 - VIIIZR 22/94 - NJW 1994, 3358 f.). An einer solchen besteht vorliegend kein Zweifel.

2. Auch die in § 533 ZPO geregelten Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Klageänderung in der Berufungsinstanz sind erfüllt.

a) Eine Klageänderung ist gemäß § 533 Nr. 1 ZPO zulässig, wenn der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält. Wegen der Verweisung des § 525 ZPO auch auf § 267 ZPO kann die Einwilligung des Gegners stillschweigend erteilt werden, indem er sich rügelos auf die geänderte Klage einlässt (BGH Urteil vom 6. Dezember 2004 - II ZR 394/02 - NJW-RR 2005, 437 mwN). Ein solches Verhalten des Beklagten hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen.

b) Als weitere Voraussetzung darf die Klageänderung nur auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat (§ 533 Nr. 2 ZPO). Insofern ergeben sich im vorliegenden Fall ebenfalls keine Beden-11 ken; auch die Revision erhebt gegen die Annahme eines zulässigen Parteiwechsels an sich keine Einwendungen. Soweit sie die Auffassung vertritt, die Klage sei wegen fehlender Parteifähigkeit der ARGE unzulässig gewesen, ist dies unbehelflich (vgl. allerdings zur Rechts- und Parteifähigkeit einer ARGE Senatsurteil vom 1. Dezember 2010 - XII ZR 19/09 - FamRZ 2011, 197 Rn. 10 und BGH Urteil vom 22. Oktober 2009 - III ZR 295/08 - MDR 2010, 167 Rn. 10).

III.

Das Berufungsgericht hat die Klage aber zu Unrecht für begründet gehalten. Die Voraussetzungen, unter denen Unterhalt für die Vergangenheit geltend gemacht werden kann, liegen nicht vor.

1. Nach § 91 Abs. 1 des bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Bundessozialhilfegesetz gingen Unterhaltsansprüche kraft Gesetzes auf den Sozialhilfeträger über. Das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Sozialgesetzbuch II sah demgegenüber bis zum 31. Juli 2006 in § 33 die Überleitung von Unterhaltsansprüchen durch Verwaltungsakt (Überleitungsanzeige) vor. Durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl I 1706) ist der Anspruchsübergang mit Wirkung ab 1. August 2006 neu geregelt und in § 33 Abs. 1 SGB II die Legalzession eingeführt worden.

2. Das Berufungsgericht hat zur Beurteilung der Frage, ob der Unterhalt für die Vergangenheit geltend gemacht werden kann, auf § 33 Abs. 3 Satz 1 SGB II in der Fassung vom 20. Juli 2006 abgestellt. Danach können die Träger der Leistungen für die Vergangenheit außer unter den Voraussetzungen des bürgerlichen Rechts nur von der Zeit an den Anspruch geltend machen, zu wel-16 cher sie dem Verpflichteten die Erbringung der Leistung schriftlich mitgeteilt haben. Die bis zum 31. Juli 2006 geltende Ursprungsfassung besagte demgegenüber in § 33 Abs. 2 Satz 2, dass die Träger der Leistungen den Übergang eines Unterhaltsanspruchs für die Vergangenheit nur unter den Voraussetzungen des § 1613 BGB bewirken können.

3. Die zuletzt genannten Erfordernisse haben vor dem 1. August 2006 nicht vorgelegen. Ein Unterhaltsanspruch, der nach der früheren Rechtslage nicht kraft Gesetzes auf die Leistungsträger überging, konnte - auch für vergangene Zeiträume - bis zur Höhe der erbrachten Leistungen übergeleitet werden. Unterhalt für die Vergangenheit konnte aber, wenn nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen des § 1613 Abs. 2 BGB vorlagen, nach § 1613 Abs. 1 BGB nur von dem Zeitpunkt an gefordert werden, zu welchem der Verpflichtete zum Zweck der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs aufgefordert worden war, über sein Einkommen und sein Vermögen Auskunft zu erteilen, zu welchem der Verpflichtete in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden war. Vor Überleitung des Unterhaltsanspruchs war dessen Geltendmachung durch die Leistungsträger allerdings nicht möglich, weil sie noch nicht Gläubiger waren. Sowohl die Mahnung als auch die Aufforderung zur Auskunftserteilung können lediglich vom Berechtigten ausgesprochen werden. Nur wenn der Unterhaltsgläubiger diese Maßnahmen - gegebenfalls auf Aufforderung der Leistungsträger - veranlasst hatte, konnten Letztere den Unterhaltsanspruch für die Vergangenheit auf sich überleiten (so auch Scholz in Scholz/Stein Praxishandbuch Familienrecht [Stand: September 2005] Teil L Rn. 206; Klinkhammer FamRZ 2004, 1909, 1916).

Dass die Ehefrau des Beklagten Maßnahmen im Sinne des § 1613 Abs. 1 BGB ergriffen hätte, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Verfahrensfehler hat die Revisionserwiderung insofern nicht gerügt. Da auch die Vo-19 raussetzungen des § 1613 Abs. 2 BGB nicht festgestellt sind, ersichtlich aber auch nicht vorgelegen haben, scheidet jedenfalls bis zum Inkrafttreten des § 33 SGB II in der Fassung des Fortentwicklungsgesetzes am 1. August 2006 eine Inanspruchnahme des Beklagten aus. Die Leistungsträger haben den Übergang des Anspruchs nicht unter den Voraussetzungen des § 1613 BGB bewirkt.

4. a) Nach dem 31. Juli 2006 haben die Klägerinnen die Voraussetzungen für eine rückwirkende Inanspruchnahme des Beklagten nicht geschaffen. Ausweislich der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen des Amtsgerichts ist der Beklagte nach der Mitteilung der Leistungsgewährung durch Schreiben vom 26. Juni 2006 erst wieder am 25. Januar 2007 angeschrieben und zur Zahlung aufgefordert worden; mit Schreiben vom 7. März 2007 wurde er gemahnt. Da § 33 Abs. 2 Satz 2 SGB II eine Inanspruchnahme für die Vergangenheit erst von der Zeit an vorsieht, zu welcher dem Verpflichteten die Erbringung der Leistungen schriftlich mitgeteilt worden ist, ermöglichen die Schreiben vom 25. Januar 2007 und vom 7. März 2007 schon aus zeitlichen Gründen keinen Unterhaltsregress für die hier streitgegenständliche Zeit bis November 2006.

b) Das Schreiben vom 26. Juni 2006 vermag dies ebenfalls nicht.

Mit Wirkung ab 1. August 2006 ist, wie bereits dargestellt, auch § 33 Abs. 1 SGB II neu gefasst und die Anspruchsüberleitung durch eine cessio legis ersetzt worden. Eine Übergangsregelung enthält das Gesetz nicht. Nach wohl herrschender Meinung erfasst § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht nur Unterhaltsansprüche, die nach dem Inkrafttreten der Norm entstanden sind, sondern rückwirkend auch solche aus der Zeit zuvor (OLG Brandenburg FamRZ 2007, 2014, 2015; OLG Jena FamRZ 2009, 67, 70; Klinkhammer FamRZ 2006, 1171, 21 1173; Scholz FamRZ 2006, 1417, 1424; Grote-Seifert in jurisPK-SGB II 2. Aufl. § 33 Rn. 88; aA OLG Naumburg OLGR 2007, 485, 486).

Der Senat hat zu der entsprechenden Problematik bereits bei der Ersetzung der Überleitungsmöglichkeit durch einen gesetzlichen Forderungsübergang im damaligen Bundessozialhilfegesetz durch das Gesetz zur Umsetzung des föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23. Juni 1993 (BGBl. I S. 944, 952) entschieden, dass die Neufassung auch für Unterhaltsansprüche aus der Zeit vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes Geltung beanspruche, wenn die Voraussetzungen für eine Geltendmachung der Ansprüche für die Vergangenheit - sei es durch Verzug gemäß § 1613 BGB oder durch Rechtswahrungsanzeige - zwar gegeben waren, aber noch keine Überleitung auf den Sozialhilfeträger erfolgt war. Da das Gesetz keine Übergangsvorschrift für vor dem Inkrafttreten entstandene Unterhaltsansprüche enthalte, gelte die Neufassung nach allgemeinen Rückwirkungsregeln auch für diese Ansprüche. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine solche Rückwirkung bestünden nicht, weil es sich nicht um einen ändernden Eingriff in bereits abgeschlossene Sachverhalte handele, auf deren Bestand der Betroffene habe vertrauen dürfen, sondern um noch nicht abgewickelte Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten. Eine Benachteiligung des Unterhaltsschuldners sei nicht ersichtlich, da er auch nach der alten Regelung damit habe rechnen müssen, dass der Sozialhilfeträger den Unterhaltsanspruch rückwirkend durch Verwaltungsakt auf sich überleiten würde. Die Neuregelung habe nur insoweit eine Änderung gebracht, als dieses Ergebnis jetzt nicht mehr durch Überleitungsakt, sondern durch Legalzession herbeigeführt werde. Auch die Rechtsstellung des Unterhaltsbedürftigen bleibe unverändert, da sein Unterhaltsanspruch nur in derselben Höhe und für denselben Zeitraum übergehe, wie ihm Sozialhilfe gewährt werde (Senatsbeschluss vom 15. März 1995 - XII ZR 269/94 - FamRZ 1995, 871, 872). 24 Anders als bei der Ersetzung der Überleitungsmöglichkeit durch die cessio legis, bei der bereits eine Rechtsgrundlage für einen Anspruchsübergang bestand, gab es vor dem Inkrafttreten des § 33 SGB II in der Fassung des Fortentwicklungsgesetzes in diesem Bereich - im Gegensatz zu § 91 Abs. 2 BSHG in der Fassung vom 27. Juli 1992 - indessen keine Rechtsgrundlage für die seitdem eingeführte Rechtswahrungsanzeige. Die Rechtsfolgen der Neuregelung lassen sich deshalb insoweit nicht auf die Zeit vor dem 1. August 2006 zurückbeziehen mit der Konsequenz, dass das Schreiben vom 26. Juni 2006 nicht nachträglich als Rechtswahrungsanzeige im Sinne des § 33 Abs. 3 Satz 1 SGB II angesehen werden kann.

IV.

Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden, da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind. Die Klage ist abzuweisen.

Hahne Weber-Monecke Dose Klinkhammer Schilling Vorinstanzen:

AG Lübeck, Entscheidung vom 03.03.2008 - 127 F 85/07 -

OLG Schleswig, Entscheidung vom 20.02.2009 - 12 UF 61/08 -