OLG Nürnberg, Beschluss vom 09.06.2011 - 1 Ws 242/11
Fundstelle
openJur 2011, 94135
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. StVK 3/11
Strafvollzugsrecht
§§ 116 Abs. 2, 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG; Art. 161 BayStVollzG

Bei Prüfung der Frage, ob einem Sicherungsverwahrten von ihm beantragte elektronische Spielgeräte zu gewähren sind, ist insbesondere auch das Abstandsgebot zu beachten. Hieraus folgt u.a., dass jedenfalls in der Übergangszeit bis zur gesetzlichen Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung Beschränkungen nur insoweit zulässig sind, als sie unerlässlich sind, um die Sicherheit und Ordnung des betroffenen Lebensbereiches aufrechtzuerhalten.

Tenor

I. Auf die Rechtsbeschwerde vom 20. Mai 2011 wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing vom 13. April 2011 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing zurückverwiesen.

II. Dem Beschwerdeführer wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm Rechtsanwalt ..., ... beigeordnet.

III. Der Beschwerdewert wird auf 300,- € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist in der Justizvollzugsanstalt S... als Sicherungsverwahrter untergebracht. Mit Antrag vom 2.10.2010 begehrte er die Genehmigung, Annahme und Aushändigung einer Spielkonsole „...“ mit Zubehör. Dabei wies er darauf hin, dass derartige Geräte von der Fa. L..., A..., speziell für Insassen von Justizvollzugsanstalten hergerichtet würden, so dass Sicherheitsbedenken ausschieden. Auch sei er mit einer Versiegelung des Gerätes einverstanden.

Mit Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing vom 13.4.2010 wurde dieser Antrag zurückgewiesen. Gegen diesen, ihm am 20.4.2011 zugestellten Beschluss wendet sich der Untergebrachte mit seiner Rechtsbeschwerde im Schriftsatz seines Verteidigers vom 20.5.2011, eingegangen bei Gericht am selben Tage per Telefax. Zur Begründung derselben wurde vorgetragen, durch Modifizierung des Gerätes durch die Fa. L... und Versiegelung sei sowohl der Missbrauch als Versteck zum Einschleusen verbotener Gegenstände, als auch zur Verwendung als Speicher-, Übertragungs- oder Empfangsmedium für verbotene Zwecke in der Justizvollzugsanstalt ausgeschlossen. Die Versagung des Gerätes sei daher unverhältnismäßig, zumal beim Antragsteller im Unterschied zu Strafgefangenen die besonderen Bedürfnisse und Zielsetzungen der Sicherungsverwahrung zu beachten seien. Die Strafvollstreckungskammer habe zum Zustand und den Verwendungsmöglichkeiten der Spielkonsole zudem ungeprüft die Aussagen der Justizvollzugsanstalt übernommen ohne einen Sachverständigen zu hören oder die Expertise des Justizministeriums R...-P... hinsichtlich der Einzelheiten der Gerätemodifikation beizuziehen. Hierdurch wäre festzustellen gewesen, dass ein Missbrauch und auch Manipulationsmöglichkeiten nicht zu befürchten seien. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 20.5.2011, sowie auf die Schreiben des Untergebrachten vom 31.12.2010, 23.1.2011 und 4.4.2011 Bezug genommen.

II.

Auf die Rechtsbeschwerde vom 20.5.2011 war die Entscheidung der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing vom 13.4.2011 aufzuheben und die Sache an die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing gemäß Art. 208 BayStVollzG i.V.m. §§ 119 Abs. 4 Satz 3, 130 StVollzG zurückzuverweisen.

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist gemäß Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 116 Abs. 1 StVollzG statthaft und nach Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 118 Abs. 1, Abs. 3 StVollzG, die gemäß § 130 StVollzG für Sicherungsverwahrte entsprechend gelten, form- und fristgerecht eingelegt.

Es ist auch geboten, die Nachprüfung des Beschlusses zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Hierfür genügt, dass eine Strafvollstreckungskammer von der Rechtsprechung anderer Strafvollstreckungskammern oder eines Strafsenates abweicht. Der angefochtene Beschluss setzt sich ausdrücklich mit einer abweichenden Entscheidung des Strafsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg aus dem Jahre 2002 (Az.: Ws 62/09 – NStZ-RR 2002, 191) und der Zulassung von Geräten der beantragten Art in anderen Justizvollzugsanstalten außerhalb B... auseinander.

2. Der angefochtene Beschluss war bereits wegen Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes aufzuheben. Dieser gebietet, dass das zur Entscheidung berufene Gericht von Amts wegen den Sachverhalt aufklärt und die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Beweise erholt. Das Gericht darf dabei nicht ungeprüft den Sachvortrag einer Seite, insbesondere behördliche Tatsachenfeststellungen seiner Entscheidung zugrunde legen (vgl. Callies/Müller-Dietz StVollzG, 11. Aufl. § 115 Rdn. 3 m.w.N.), wenn und soweit es sich um neue, bisher noch nicht grundsätzlich geklärte Konstellationen handelt.

Im angefochtenen Beschluss geht die Strafvollstreckungskammer von einer Gefährdung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt aus, weil elektronische Unterhaltungsmedien vielfach Sicherheitsrisiken in sich trügen wie Versteckmöglichkeiten in Hohlräumen, Speichermöglichkeiten und Manipulationsmöglichkeiten, sie könnten zu subkulturellen Zwecken (Handeltreiben, Erpressen, Wetten) missbraucht werden. Ein Versiegeln genüge nicht, um diese Gefahren auszuschalten. Die Speichermöglichkeiten machten erhebliche und vielfache Kontrollen erforderlich. Selbst wenn das betreffende Gerät durch die Fa. L... präpariert werde, sei eine erneute (Rück-)Manipulation durch den Untergebrachten nicht auszuschließen.

Diese Argumente und tatsächlichen Behauptungen hatte bereits die Justizvollzugsanstalt in ihrer Stellungnahme vorgebracht. Der angefochtene Beschluss übernimmt diese Feststellungen ohne weiteres.

Zumindest die Anhörung eines Sachverständigen zu diesen getroffenen Feststellungen hätte sich hierzu aufgedrängt. Die Beschwerdebegründung weist auch hierauf hin und trägt vor, welches Ergebnis diese Beweisaufnahme gezeigt hätte (leichte Erkennbarkeit der Manipulation bei Versiegelung, Ausschluss des Ermöglichens weiterer Speicherung oder Rückmanipulation).

3. Die Rechtsbeschwerde ist auch mit der Sachrüge begründet. Die Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt durch Gewährung elektronischer Unterhaltungsmedien ist im Rahmen der Sicherungsverwahrung nicht – wie im angefochtenen Beschluss angenommen – der Regelfall. Nach der Verwaltungsvorschrift zu Art. 161 BayStVollzG in der Fassung der „Änderung der Verwaltungsvorschriften zum Bayerischen Strafvollzugsgesetz“ vom 11. Februar 2011, gültig ab 1.4.2011, heißt es:

„10

Ein geeignetes Freizeitangebot für Sicherungsverwahrte ist bereit zu stellen. Hierzu sollen neben Sportangeboten auch kulturelle Angebote sowie der therapeutisch begleitete Zugang zu elektronischen Unterhaltungsmedien, soweit dieser dem Erwerb von Medienkompetenz dient und die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt nicht entgegenstehen, vorgesehen werden.“

Wenngleich diese Verwaltungsvorschrift die Gerichte nicht unmittelbar bindet, ist sie doch im Rahmen der Einzelfallabwägung zur Gewährleistung der Gleichbehandlung im Auge zu behalten. Zudem zeigt sie, dass die Regelung des Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 BayStVollzG nicht über Art. 160 BayVollzG uneingeschränkt für die Sicherungsverwahrung Geltung beanspruchen kann, sondern in Art. 161 BayStVollzG i.V.m. der genannten Verwaltungsvorschrift besondere Regelungen getroffen wurden.

Entscheidend ist, dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung vom 4.5.2011 (2 BvR 2365/09 u.a.) auch während der Dauer der Weitergeltung der Vorschriften über die Sicherungsverwahrung der Tatsache Rechnung getragen werden muss, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung wegen Verletzung des Abstandsgebotes in ihrer derzeitigen Ausgestaltung um einen verfassungswidrigen Eingriff handelt, weshalb der Wert des betroffenen Freiheitsgrundrechts das übergangsweise zulässige Eingriffsspektrum einschränkt (BVerfG a.a.O. Rdn. 97, 115, 172). Hieraus ist u.a. abzuleiten, dass in der Übergangszeit Eingriffe nur insoweit zulässig sind, als sie unerlässlich sind, um die Sicherheit und Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrechtzuerhalten. Auch dies wird bei der erneuten Entscheidung zu beachten sein.

4. Ergänzend bemerkt der Senat, dass ein Abstellen darauf, die beantragte Spielekonsole diene lediglich der Freizeitbeschäftigung kein geeignetes Argument für deren Versagung ist. Wie das Oberlandesgericht bereits entschieden hat (Ws 62/02NStZ-RR 2002, 191), soll das Leben im Vollzug – umso mehr in der Sicherungsverwahrung – den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich angepasst werden. Der Gebrauch von elektronischen Spielgeräten ist aber zwischenzeitlich fester Bestandteil der allgemeinen Lebensverhältnisse geworden.

5. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen, da keine das Verfahren abschließende Entscheidung ergangen ist (Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 212 Abs. 1 StVollzG).

6. Der Beschwerdewert wurde gemäß §§ 60, 65, 52 GKG festgesetzt.

III.

Dem Beschwerdeführer war nach Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 120 Abs. 2 StVollzG, §§ 114, 121 ZOP Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwalts zu bewilligen, da seine Rechtsbeschwerde hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.