OLG Nürnberg, Beschluss vom 31.05.2011 - 2 Ws 238/11
Fundstelle
openJur 2011, 94134
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 3 Ls 750 Js 66619/09

Setzt das Jugendgericht die Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt zur Bewährung aus (§ 7 JGG, §§ 63, 64, 67b StGB), so ist für Folgeentscheidungen § 58 JGG entsprechend anwendbar.

Dies gilt auch für die Möglichkeit, Folgeentscheidungen auf den Jugendrichter zu übertragen, in dessen Bezirk sich der Jugendliche aufhält (§ 58 Abs. 3 Satz 2 JGG).

Die Abgabe an diesen Jugendrichter ist nicht zu beanstanden, wenn sie nach pflichtgemäßem Ermessen zweckmäßig ist und aus beachtlichen Gründen erfolgt. Bei der zu treffenden Einzelfallentscheidung kommt neben der Kenntnis der Persönlichkeit des Verurteilten dem Gesichtspunkt der Entscheidungsnähe besondere Bedeutung zu.

Tenor

Für die Entscheidungen, die in Folge der Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aus dem Urteil des Amtsgerichts – Jugendschöffengericht – Erlangen vom 17. August 2010 erforderlich werden, ist das Amtsgericht – Jugendrichterin – Straubing zuständig.

Gründe

I.

Mit Urteil des Amtsgerichts – Jugendschöffengericht – Erlangen vom 17.8.2010 (Az.: 3 Ls 750 Js 66619/09), rechtskräftig seit dem selben Tage, wurde der Verurteilte A... K... der Brandstiftung in drei Fällen, des Diebstahls in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei sachlich zusammentreffenden Fällen schuldig gesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Vollstreckung der Unterbringung wurde zur Bewährung ausgesetzt und festgestellt, dass Führungsaufsicht eintritt.

Mit Beschluss vom selben Tage wurde die Dauer der Führungsaufsicht und die der Bewährungszeit auf drei Jahre ab Rechtskraft des Urteils festgesetzt, der Verurteilte für die Dauer von drei Jahren der Aufsicht und Leitung eines hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt sowie die Vollstreckung der Unterbringung unter der Voraussetzung ausgesetzt, dass der Verurteilte den Weisungen des Bewährungshelfers nachkommt, jeden Wohnsitz- und Arbeitsplatzwechsel dem Gericht unverzüglich mitteilt, die Kostenzusage zusammen mit seinem Betreuer einholt, sich dann in die geschlossene Einrichtung in N... der Dr. L... S... E... begibt, dort an der Therapie teilnimmt, und diese nicht ohne Zustimmung der zuständigen Therapeuten, Ärzte und seines Betreuers eigenmächtig verlässt.

Seit dem 18.8.2010 befindet sich der Verurteilte in der Einrichtung N... der L... S... D... G..., die im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Straubing liegt.

Mit Beschluss vom 20.10.2010 hat das Amtsgericht Erlangen das Verfahren hinsichtlich der nachträglichen Entscheidungen, welche sich auf die durch das Urteil des Amtsgerichts Erlangen vom 17.8.2010 bewilligte Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung beziehen, gemäß § 58 Abs. 3 JGG dem Jugendrichter bei dem Amtsgericht Straubing übertragen.

Mit Verfügung vom 11.4.2011 lehnte die Jugendrichterin des Amtsgerichts Straubing die Übernahme mit dem Hinweis ab, es sei keine, wie in § 58 Abs. 3 Satz 2 JGG vorausgesetzt, Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden.

Mit Verfügung vom 20.4.2011 übersandte das Amtsgericht Erlangen die Akten nochmals an die Jugendrichterin des Amtsgerichts Straubing mit der Bitte um nochmalige Überprüfung, da im Hinblick auf die Vollzugsnähe auch für die Überwachung der zur Bewährung ausgesprochenen Unterbringung eine Übertragung gemäß § 58 Abs. 3 JGG auf den Jugendrichter vor Ort angezeigt sei. Zudem werde auch die Bewährungshilfe vom Landgericht Regensburg geführt.

Mit Verfügung vom 3.5.2011 hat die Jugendrichterin des Amtsgerichts Straubing die Akten an das Amtsgericht Erlangen zurückgereicht mit dem Bemerken, in dem Beschluss vom 20.10.2010 seien keine Entscheidungen bezüglich der Aussetzung der Maßregel übertragen worden. Außerdem sei eine analoge Anwendung des § 58 Abs. 3 JGG für solche Fälle fraglich. Eine Übernahme werde deshalb nach wie vor abgelehnt.

Mit Beschluss vom 18.5.2011 hat das Amtsgericht Erlangen das Verfahren zur Entscheidung über die Zuständigkeit zur Überwachung der ausgesetzten Maßregel nach § 63 StGB dem Oberlandesgericht Nürnberg vorgelegt.

Zur Begründung führte das Amtsgericht im Wesentlichen aus, § 58 JGG gelte auch für eine zur Bewährung ausgesetzte Maßregel. Im Hinblick auf die Vollzugsnähe sei es auch bei einer ausgesetzten Maßregel sachdienlich, dass der Jugendrichter des Aufenthaltsortes die Überwachung der zur Bewährung ausgesprochenen Unterbringung übernehme.

II.

Das Oberlandesgericht ist nach §§ 58 Abs. 3 Satz 2, 42 Abs. 3 Satz 2 JGG, 14 StPO als gemeinschaftliches oberes Gericht berufen, den Streit um die Zuständigkeit zu entscheiden. Zuständig ist derzeit das Amtsgericht – Jugendrichterin – Straubing. Dies ergibt sich aus § 58 Abs. 3 Satz 2 JGG.

Nach § 58 Abs.1 JGG obliegen Entscheidungen, die infolge einer Aussetzung erforderlich werden, dem erkennenden Jugendgericht. Wegen der in § 58 Abs. 1 Satz 1 JGG enthaltenen Verweisung gilt dies zunächst für zur Bewährung ausgesetzte Jugendstrafen.

Die Zuständigkeitsregelung in § 58 JGG ist aber entsprechend auch in den Fällen von Bewährungsentscheidungen anzuwenden, die nicht ausdrücklich in §  58 Abs. 1 Satz 1 JGG genannt werden und für die nicht spezielle Regelungen, wie zum Beispiel in §  30 JGG, vorgesehen sind. Dies trifft insbesondere auf die zur Bewährung ausgesetzte Unterbringung nach § 63 StGB oder §  64 StGB zu. Nur so kann zuverlässig ein Auseinanderfallen der Zuständigkeit vermieden werden, wenn jeweils unter Aussetzung zur Bewährung sowohl eine Jugendstrafe verhängt, wie auch eine Unterbringung (§ 7 JGG) angeordnet wurde und Entscheidungen hierzu anstehen (OLG Thüringen NStZ 2010, 283 m.w.N.)

Es ist daher folgerichtig, die nach § 58 Abs. 3 Satz 2 JGG vorgesehene Möglichkeit der Übertragung auf den Jugendrichter, in dessen Bezirk sich der Jugendliche aufhält, auch für Entscheidungen zu bejahen, die in Folge der Aussetzung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung anstehen.

Dies lässt sich auch aus dem Zweck dieser Vorschrift ableiten. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass der Jugendrichter, in dessen Zuständigkeitsbereich sich der Verurteilte aufhält, leichter mit diesem Kontakt halten kann, mit den für die Bewährungsüberwachung relevanten Stellen vor Ort besser bekannt ist und deshalb zeitnah unter Zuhilfenahme der auch sonst mit ihm zusammenarbeitenden und vertrauten Institutionen optimaler die konkret angezeigten Maßnahmen im Zusammenhang mit der Aussetzung der Strafe zur Bewährung treffen kann. Leitender Gedanke ist also die Entscheidungs- und Vollzugsnähe des Richters am Aufenthaltsort des Verurteilten.

Diese Gesichtspunkte gelten uneingeschränkt auch bei der zur Bewährung ausgesetzten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 7 JGG, § 63 StGB.

Die hier vorgenommene Auslegung wird auch durch § 65 Abs. 1 Satz 4 JGG gestützt. Nach dieser Norm kann der erkennende Richter nachträgliche Entscheidungen über Weisungen und Auflagen an den Jugendrichter abgeben, in dessen Bezirk sich der Jugendliche aufhält, wenn dieser seinen Aufenthalt gewechselt hat. Der Gesetzgeber zeigt damit, dass er grundsätzlich für nachträgliche Entscheidungen im Zusammenhang mit einer Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen die Möglichkeit eröffnen wollte, die Zuständigkeit für weitere Entscheidungen an den Jugendrichter mit der besseren Entscheidungs- und Vollzugsnähe abzugeben.

Anderes könnte nur dann gelten, wenn der Gesetzgeber in dem konkret vorliegenden Fall ausdrücklich eine andere Regelung getroffen hätte, was aber für den Fall der Aussetzung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung nicht zutrifft.

Die Übertragung der Zuständigkeit auf die Jugendrichterin des Amtsgerichts Straubing ist zweckmäßig, weshalb sie zu Recht gemäß § 58 Abs. 3 Satz 2 JGG erfolgt ist.

Der Übertragungsbeschluss bindet zwar die Jugendrichterin nicht dahingehend, dass es zur Wirksamkeit der Übertragung deren Übernahme der Sache nicht bedürfte (OLG Stuttgart NStZ 1990, 358), jedoch ist die Übertragung wirksam, wenn sie nicht willkürlich erfolgt, sondern nach pflichtgemäßen Ermessen und aus beachtlichen Gründen vorgenommen wird (OLG Stuttgart a.a.O.). Die Entscheidung über die Zweckmäßigkeit einer Zuständigkeitsübertragung nach § 58 Abs. 3 Satz 2 JGG hat nach den Besonderheiten des Einzelfalles unter Abwägung der Gesichtpunkte der Entscheidungsnähe und der Kenntnis der Persönlichkeit des Verurteilten zu erfolgen. Hält sich der Verurteilte längerfristig und dauernd in erheblicher Entfernung vom Bezirk des erkennenden Gerichts auf und ist nicht nur die Überwachung erteilter Auflagen, sondern auch deren Anpassung an die Entwicklung des Jugendlichen geboten, so ist der Jugendrichter am Wohnort mit seinen ständigen Verbindungen zum Bewährungshelfer, Jugendgerichtshilfe und mit dem Verurteilten sonst befassten Institutionen für die Bewährungsüberwachung und die in deren Rahmen zu treffenden Entscheidungen eher berufen (OLG Frankfurt NStZ – RR 2005, 60 m.w.N.).

So liegt die Sache hier.

Der Umstand, dass der erkennende Richter im Gegensatz zur Jugendrichterin in Straubing den Verurteilten persönlich kennt, muss hinter den anderen Gründen, die für eine Zuständigkeitsübertragung sprechen, zurücktreten. Der Verurteilte wird sich längere Zeit in der Einrichtung der Dr. L... S... D... G... in N..., weit ab vom Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Erlangen, aufhalten. Sein Bewährungshelfer hat seinen Sitz im Bezirk des Landgerichts Regensburg, nicht im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Erlangen. Der Jugendrichterin in Straubing wird es daher im Vergleich zu dem erkennenden Richter in Erlangen leichter fallen, mit der Institution, in der der Verurteilte verweilt, und mit dem Bewährungshelfer Kontakt zu halten sowie unter Einbeziehung der örtlichen Fachstellen richtige Entscheidungen über Fragen der Bewährungsaufsicht zu treffen. Die Abgabe an die Jugendrichterin des Amtsgerichts Straubing war daher zweckmäßig.