LAG Düsseldorf, Urteil vom 27.04.2011 - 7 Sa 1418/10
Fundstelle
openJur 2011, 92650
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 13 Ca 3479/10

Wird dem Arbeitnehmer in erster Linie außerordentlich und nur hilfsweise ordentlich gekündigt, liegt nur eine Kündigungserklärung vor. Ein auf die fristlose Kündigung gerichteter Feststellungsantrag des Arbeitnehmers wahrt daher die Drei-Wochen-Frist auch für die ordentliche Kündigung, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende der mündlichen Verhandlung erklärt, auch diese angreifen zu wollen.

Kündigung wegen eines bewussten Hinwegsetzens über eine Urlaubsablehnung trotz "Vertrauensguthabens".

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 10.09.2010, 13 Ca 3479/10, teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung vom 21.05.2010, sondern durch fristgerechte Kündigung zum 30.09.2010 sein Ende gefunden hat.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien jeweils zu 50 %.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass die von der Beklagten ausgesprochene fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat.

Der am 25.08.1956 geborene, geschiedene Kläger, Vater eines Kindes, ist seit dem 04.07.1999 als gewerblicher Arbeitnehmer in der Produktionsvorbereitung zu einem Bruttomonatslohn in Höhe von zuletzt ca. 1.800,00 € beschäftigt.

Am 17.05.2010 erklärte der Kläger seinem Vorgesetzten, dem Zeugen H., dass er am nächsten Tag etwas später zur Arbeit erscheinen werde, weil er etwas Dringendes zu erledigen habe. Der Zeuge H. war damit einverstanden.

Am Dienstag, dem 18.05.2010 meldete der Kläger sich in der Frühstückspause telefonisch bei dem Zeugen H. und teilte ihm mit, er könne nicht zur Arbeit erscheinen, er müsse drei Tage Urlaub haben, es sei etwas mit seinem Auto und einer gefälschten TÜV-Plakett. Hierum müsse er sich kümmern. Der Zeuge H. entgegnete, dass der Kläger dringend im Betrieb benötigt werde und er auf ihn in der Produktion nicht verzichten könne. Er könne ihm nicht einfach vier Tage Urlaub geben.

Der weitere Verlauf des Gesprächs, insbesondere die Frage, ob der Zeuge H. dem Kläger sodann doch Urlaub gewährt hat, ist zwischen den Parteien streitig.

Der Zeuge H. hat die Geschäftsleitung der Beklagten sodann über dieses Telefongespräch informiert.

In der Zeit vom 19.05. bis 24.05.2010 (Pfingstmontag) ist der Kläger nicht zur Arbeit erschienen.

Mit Schreiben vom 21.05.2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos, hilfsweise ordentlich. Der Ausspruch der Kündigung war dem Zeugen H. nicht bekannt.

Am 25.05.2010 erschien der Kläger um ca. 6.40 Uhr zur Arbeit und meldet sich im Büro des Zeugen H., damit dieser ihm seinen Arbeitsplatz in der Produktion, der je nach Arbeitsanfall wechselte, zuwies. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger die Arbeit auch aufgenommen hat, bevor er vom Geschäftsführer der Beklagten gegen 7.00 Uhr nach Hause geschickt wurde. Seit dem 25.05.2010 ist der Kläger arbeitsunfähig erkrankt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die verhaltensbedingte Kündigung sei unwirksam und hat dazu behauptet, der Zeuge H. habe ihm im Telefongespräch vom 18.05.2010 Urlaub gewährt. Zwar habe der Zeuge H. sich zunächst über den kurzfristigen Urlaubsantrag beschwert. Nachdem er - der Kläger - ihm aber erklärt habe, dass es für ihn unglaublich wichtig sei, nach Italien zu fahren, und ihn weiterhin um Urlaubsgewährung gebeten habe, habe der Zeuge H. ihn schließlich mit einem "OK, ich seh dich dann am Dienstag wieder" in den Urlaub entlassen. Bei Arbeitsbeginn am 25.05.2010 habe er sich sodann noch einmal bei dem Zeugen H. erkundigt, ob mit dem Urlaub alles OK gegangen sei, worauf der Zeuge erwidert habe "Ich habe wegen des Urlaubs Ärger bekommen". Sodann habe der Zeuge ihn zur Arbeit eingeteilt. Er habe bestimmte Spülkästen zur Montage vorbereiten sollen. Auf dem Weg zu den Spülkästen gegen 7.00 Uhr traf er auf den Zeugen H. und den Geschäftsführer der Beklagten, der ihm erklärt habe, er solle nach Hause gehen, ob er nicht in seinen Briefkasten geschaut habe. Zuhause habe er dann im Briefkasten die streitgegenständliche Kündigung gefunden. Da er sich ordnungsgemäß verhalten habe, sei die Kündigung unberechtigt. Zumindest sei die Kündigung bei Durchführung einer Interessenabwägung unverhältnismäßig. Es sei nicht zu erwarten, dass ein Fehler, wie die Beklagte ihn sehe, noch einmal passieren werde. Das Arbeitsverhältnis habe zudem 11 Jahre lang unbeanstandet bestanden.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 21.05.2010, zugegangen am 22.05.2010, nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, der Zeuge H. habe den telefonischen Urlaubsantrag des Klägers eindeutig und mehrfach in dem Telefongespräch vom 18.05.2010 abgelehnt und den Kläger darauf hingewiesen, wegen termingebundener Produktionen, Krankheit, Urlaub eines weiteren Mitarbeiters sowie der erforderlichen Einarbeitung eines neuen Kollegen, der erst am Montag angefangenen habe, müsse er umgehend zur Arbeit erscheinen. Urlaub könne auf keinen Fall bewilligt werden. Der Kläger habe erwidert, er könne auf keinen Fall kommen. Er werde nach Italien fahren. Sodann habe der Kläger das Telefongespräch beendet und sei tatsächlich erst am 25.05.2010 wieder im Betrieb erschienen. Diese eigenmächtige Selbstbeurlaubung, zudem in Kenntnis des entgegenstehenden Willens des Arbeitgebers, sei geeignet, die fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Bereits seit November 1995 hänge zudem ca. 7,5 cm neben der Stempeluhr ein Aushang am "Schwarzen Brett", mit dem die Arbeitnehmer darauf hingewiesen worden seien, dass Urlaub nur noch als genehmigt gelte, wenn er beantragt und schriftlich genehmigt worden sei. Wenn der Urlaub eigenmächtig früher angetreten oder überzogen werde, sei dies ein fristloser Kündigungsgrund. Ausnahmen davon seien nur bei einer plötzlich eintretenden kurzzeitigen Verhinderung von 1 bis maximal 2 Tagen - zum Beispiel wegen der Erkrankung eines Angehörigen - gemacht worden. Der Kläger könne sich nicht darauf berufen, dass sie - die Beklagte - verpflichtet gewesen wäre, ihm Urlaub zu gewähren. Anlässlich des Gütetermins habe er selbst erklärt, er habe sich um TÜV-Plaketten für sein Auto kümmern müssen, das sich in Italien befunden habe. Es sei nicht ansatzweise erkennbar, warum dies ausgerechnet an den in Rede stehenden Tagen habe erfolgen müssen oder warum der Kläger sich dabei nicht habe vertreten lassen können. Wegen der "dünnen" Personaldecke sei der Kläger zudem im Betrieb dringend benötig worden. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei ihr nicht zuzumuten.

Der Kläger hat darauf erwidert, den zur Akte gereichten Aushang (Bl. 29 der Akte) hinsichtlich der schriftlichen Urlaubsbeantragung habe er im vorliegenden Verfahren erstmalig gesehen. Jedenfalls könne er sich an eine derartige Anweisung nicht erinnern. Richtig sei zwar, dass längere Urlaube immer schriftlich beantragt oder genehmigt worden seien, kurze seien hingegen immer mündlich mit den entsprechenden Meistern abgesprochen worden. Allerdings habe sich diese Praxis nach seiner Entlassung geändert.

Das Arbeitsgericht hat über den Inhalt des Telefongesprächs vom 18.05.2010 Beweis durch Vernehmung des Zeugen H. erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 48 - 49 der Akte Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und dazu im Wesentlichen ausgeführt, zwar stehe nach Durchführung der Beweisaufnahme fest, dass der Zeuge H. dem Kläger keinen Urlaub gewährt, sondern ihm ausdrücklich erklärt habe, dass er ihm keinen Urlaub gewähren könne. Die Kündigung sei jedoch unter Abwägung der Interessen der Parteien nicht gerechtfertigt. Insbesondere habe die Beklagte nach Auffassung der Kammer nicht bewiesen, dass der Kläger sich vorsätzlich vertragswidrig verhalten habe. Auch nach Durchführung der Beweisaufnahme stehe nicht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger die Äußerungen des Zeugen H. als Ablehnung seines Urlaubsgesuchs verstanden habe. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger, insbesondere wegen seiner eingeschränkten Deutschkenntnisse, die Äußerung nicht als Ablehnung verstanden habe. Zudem habe der Kläger sich in einer angespannten Situation befunden. Ein vorsätzliches Handeln liege somit nicht vor. Eine selbst grob fahrlässig begangene Selbstbeurlaubung rechtfertige ohne vorangegangene Abmahnung nicht die Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Zudem habe das Arbeitsverhältnis 11 Jahre lang unbeanstandet bestanden. Aufgrund seines Alters und seiner Unterhaltspflichten würde er durch eine Kündigung schwer getroffen. Zwar sei auf Seiten der Beklagten beachtlich, dass das Fehlen des Klägers zu Samstagsarbeit bzw. Überarbeit geführt habe. Die angefallene Mehrarbeit sei jedoch nicht allein auf das Fehlen des Klägers zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund sei eine Abmahnung ausreichend, um den weiteren störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu gewährleisten. Da eine solche nicht vorliege, sei auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung unwirksam. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger sich mit seinem Klageantrag ausdrücklich nur gegen die fristlose Kündigung gerichtet habe. Der Antrag sei unter Berücksichtigung der Klageschrift und des ursprünglichen Zusatzes im Klageantrag "noch durch irgendeine andere Kündigung" so auszulegen, dass damit auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung angegriffen worden sei.

Gegen das ihr am 04.11.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem bereits am 13.10.2010 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 22.12.2010 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Mit ihrer Berufung rügt die Beklagte unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen, die Bewertung der Aussage des Zeugen H. durch das Arbeitsgericht sei nicht nachvollziehbar und rechtsfehlerhaft. Der Zeuge habe den Inhalt des Telefongesprächs eingehend geschildert und auf Nachfrage des Gerichts ausdrücklich bestätigt, er habe nicht den Eindruck gehabt, dass der Kläger ihn nicht verstanden habe. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts gebe es auch keine "eingeschränkten Deutschkenntnisse" des Klägers. Der Kläger lebe seit mehr als 20 Jahren in Deutschland und spreche ausreichend Deutsch. Auch die Interessenabwägung könne nicht zu Gunsten des Klägers ausgehen. Der Kläger habe nicht ansatzweise dargelegt, dass er den von ihm beantragten Urlaub genau zu diesem Zeitpunkt benötigt habe. Er habe es sich schlichtweg "in den Kopf gesetzt", seine Dinge zu einem bestimmten Zeitpunkt in Italien zu erledigen, sich vorsätzlich über die Interessen der Beklagten hinweggesetzt und eine äußerst schwere arbeitsvertragliche Pflichtverletzung begangen. Zumindest sei die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung berechtigt.

Die Beklagte beantragt,

das am 10.09.2010 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf, 13 Ca 3479/10 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und trägt ergänzend vor, er lebe zwar schon einige Zeit in Deutschland, spreche und verstehe allerdings nur eingeschränkt die deutsche Sprache. Der Zeuge H. sei ebenfalls nicht in Deutschland geboren und spreche mit einem nicht unerheblichen Akzent. Dies lege nahe, dass er tatsächlich aus dem Telefonat eine Zustimmung zum Urlaubsgesuch verstanden habe. Zudem habe er sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden. Der TÜV habe festgestellt, dass an seinem Fahrzeug angeblich eine TÜV-Plakette gefälscht worden sei. Die zuständigen Fachbeamten hätten "Druck gemacht" und ihm mitgeteilt, dass er mit polizeilichen Ermittlungen rechnen müsse, wenn er nicht schnellstmöglich die Situation bereinigen könne. Dies habe seine - des Klägers - Nervosität, der ohnehin zu Angstzuständen neige, ganz erheblich verstärkt. Insoweit habe das Arbeitsgericht zu Recht die bestehende Ausnahmesituation gewürdigt und ein vorsätzliches vertragswidriges Verhalten nicht festgestellt. Auch die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts sei zutreffend. Aufgrund des Lebensalters und der fehlenden Berufsausbildung käme der Verlust des Arbeitsplatzes einer Existenzvernichtung gleich und würde nicht nur ihn, sondern auch seine minderjährige Tochter treffen, da er dann nicht mehr in der Lage wäre, Unterhaltszahlungen zu leisten. Wie das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 10.06.2010, 2 AZR 541/09 (Fall "Emmely") zum Ausdruck gebracht habe, müsse auf jeden Fall ein erworbenes "Vertrauensguthaben" vor Ausspruch einer Kündigung berücksichtigt werden. Dies sei auch bei dem Kläger zu berücksichtigen.

Auf Befragen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer erklärt, dass er am 19.05.2010 Behördengänge erledigt habe und erst am 20.05.2010 nach Italien geflogen sei.

Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Parteien wird auf ihre in zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Die Berufungskammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen H.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 89 - 92 der Akte Bezug genommen.

Gründe

I.

Die statthafte (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässige (§ 64 Abs. 2 ArbGG), form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO) ist zulässig.

II.

Die Berufung ist auch teilweise begründet. Sie ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Feststellung des Arbeitsgerichts richtet, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung nicht beendet worden ist, allerdings begründet, soweit sie sich gegen die Feststellung richtet, das Arbeitsverhältnis sei auch nicht durch die ordentliche Kündigung beendet worden. Das Urteil des Arbeitsgerichts war daher teilweise abzuändern.

1.

In Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht geht auch die Berufungskammer davon aus, dass eine Auslegung des Klageantrags ergibt, dass der Kläger mit seiner Klage innerhalb der Klagefrist des § 4 KSchG nicht nur die fristlose, sondern auch die fristgerechte Kündigung angegriffen hat. Insoweit macht die Berufungskammer sich die Ausführungen des Arbeitsgerichts auf S. 8 des Urteils (Bl. 59 der Akte) - auch zur Vermeidung von Wiederholungen - ausdrücklich zu eigen.

Ergänzend ist auszuführen, dass in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem dem Kläger in erster Linie außerordentlich und nur hilfsweise ordentlich gekündigt worden ist, nur eine Kündigungserklärung vorliegt. Ein auf die fristlose Kündigung gerichteter Feststellungsantrag des Arbeitnehmers wahrt daher die Drei-Wochen-Frist auch für die ordentliche Kündigung, wenn der Kläger bis zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung erklärt, auch die hilfsweise ordentliche Kündigung angreifen zu wollen (vgl. ErfK, 10. Aufl., § 4 KSchG, Rn. 20).

Vorliegend hat der Kläger sich bereits in der Klageschrift auch gegen die ausgesprochene ordentliche Kündigung gewehrt. Außerdem hat er im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht am 10.09.2010 nach den unbestrittenen Ausführungen des Arbeitsgerichts auf S. 9 des Urteils (Bl. 60 der Akte) klargestellt, dass er sich insgesamt gegen die Kündigung vom 21.05.2010 wehre.

In der Berufungsinstanz hat die Beklagte sich mit den Ausführungen des Arbeitsgerichts diesbezüglich auch nicht weiter auseinander gesetzt.

2.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme unter Berücksichtigung der eigenen Einlassung des Klägers steht zur Überzeugung der Berufungskammer fest, dass der Kläger sich in Kenntnis der Ablehnung seines Urlaubsantrags und damit vorsätzlich über die Urlaubsablehnung hinweggesetzt und durch die Selbstbeurlaubung eine schwerwiegende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung begangen hat, die an sich geeignet ist, grundsätzlich auch den Ausspruch einer fristlosen Kündigung zu rechtfertigen. Im Rahmen der in jedem Fall gebotenen Interessenabwägung hält die Berufungskammer allerdings den Ausspruch einer fristlosen Kündigung für unverhältnismäßig. Die Schwere der Pflichtverletzung rechtfertigt aber unter Berücksichtigung der Gesamtumstände den Ausspruch der ordentlichen Kündigung.

Eine Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG ist sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht - in der Regel schuldhaft - erheblich verletzt, das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint.

Diese Voraussetzungen sind nach Auffassung der Berufungskammer vorliegend erfüllt.

a)

Zur Überzeugung der Berufungskammer steht fest, dass der Kläger mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten schuldhaft eine Vertragspflicht erheblich verletzt hat, weil er sich vorsätzlich und in Kenntnis der Urlaubsablehnung selbst beurlaubt hat.

Im Berufungsverfahren hat der Kläger - jedenfalls in der Berufungserwiderung - die Feststellung des Arbeitsgerichts, dass der Zeuge H. seinen Urlaubsantrag nicht genehmigt hat, nicht mehr in Abrede gestellt. In seiner persönlichen Befragung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer am 02.03.2011 ist der Kläger allerdings dabei geblieben, der Zeuge habe sich bei ihm "bis Dienstag" verabschiedet und er hat bestritten, dass der Urlaub abgelehnt worden sei. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat dazu - wie bereits schriftsätzlich in der Berufungserwiderung - erklärt, es solle nicht unterstellt werden, dass der Zeuge hinsichtlich der Ablehnung des Urlaubsantrages die Unwahrheit sage. Vielmehr sei aufgrund der Sprachschwierigkeiten des Klägers und des Zeugen H. ein sprachliches Missverständnis nicht auszuschließen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bestehen bei der Berufungskammer zunächst keine Zweifel, dass der Zeuge H. den Urlaubsantrag des Klägers eindeutig abgelehnt hat. Der Zeuge hat auch auf mehrfaches Befragen erklärt, trotz der wiederholten Fragen des Klägers den Urlaub abgelehnt zu haben. Er hat ausgeführt, dem Kläger gesagt zu haben, dass er ihm aufgrund der im Einzelnen dargestellten Personalsituation keinen Urlaub genehmigen könne, dass er auf seine Verantwortung handeln würde und mit Konsequenzen rechnen müsse.

In Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht hat auch die Berufungskammer keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieser Aussage. Die Aussage des Zeugen ist in sich schlüssig und stimmt mit seiner erstinstanzlichen Aussage im Wesentlichen überein. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, warum sie nicht glaubhaft sein sollte. Den Vortrag der Beklagten, dass der Kläger wegen Urlaubs und Krankheit anderer Mitarbeiter dringend im Betrieb der Beklagten benötigt wurde, hat der Kläger nicht bestritten. Es liegt nahe, dass in einem solchen Fall ein telefonisch gestellter Urlaubsantrag für einen Zeitraum von vier Tagen abgelehnt wird, insbesondere dann, wenn - wie sich aus der Aussage des Zeugen ergibt - die Dringlichkeit eines solchen Antrags schon deshalb nicht erkannt werden konnte, weil der Zeuge die Erklärung des Klägers, er müsse nach Italien fahren, weil er eine falsche TÜV-Plakette am Auto habe, nicht nachvollziehen konnte. Die Glaubwürdigkeit des Zeugen hat der Kläger nicht angegriffen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat vielmehr ausdrücklich erklärt, dem Zeugen solle nicht unterstellt werden, dass er die Unwahrheit sage.

Im Gegensatz zum Arbeitsgericht geht die Berufungskammer allerdings davon aus, dass der Kläger in Kenntnis der Urlaubsablehnung und damit vorsätzlich von der Arbeit fern geblieben ist. Die Annahme eines vorsätzlichen Handelns ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Zunächst ist für die Berufungskammer nicht nachvollziehbar, wie das Arbeitsgericht zu der Feststellung gelangt ist, der Kläger habe eingeschränkte Deutschkenntnisse. Diesen Eindruck kann die Berufungskammer, die den Kläger persönlich befragt hat, nicht bestätigen. Der Kläger hat die Fragen der Berufungskammer ohne Schwierigkeiten verstanden und auch beantworten können. Die Berufungskammer hatte auch keine Schwierigkeiten, den Ausführungen des Klägers zu folgen. Der Kläger hat zudem weder erst- noch zweitinstanzlich die Hinzuziehung eines Dolmetschers beantragt. Er ist danach selbst - zu Recht - davon ausgegangen, dem Gang der Verhandlung aufgrund seiner eigenen Sprachkenntnisse folgen zu können. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es in dem Telefongespräch mit dem Zeugen H. nicht um einen hochkomplizierten Sachverhalt ging, sondern um eine "alltägliche" Angelegenheit, nämlich um die Frage, ob der kurzfristige Urlaubsantrag des Klägers bewillig wird oder nicht. Es steht zur Überzeugung der Berufungskammer fest, dass der Kläger sprachlich dazu in der Lage war, den Inhalt eines derartigen Telefongesprächs zu verstehen.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch der Zeuge H. der deutschen Sprache zweifellos mächtig. Auch davon konnte die Berufungskammer sich in der Vernehmung des Zeugen überzeugen. Es gab keine einzige Situation, in der der Zeuge aufgrund von Sprachschwierigkeiten eine Frage der Berufungskammer hinterfragen musste. Auch die Berufungskammer hatte keinen Anlass, eine Frage erneut zu stellen, weil die Befürchtung bestanden hätte, der Zeuge habe die Frage nicht verstanden. Zwar ist dem Kläger zuzugestehen, dass der Zeuge nicht akzentfrei deutsch spricht. Sein Akzent ist aber nicht dergestalt, dass die Verständlichkeit seiner Ausführungen darunter leiden könnten. Der Zeuge hat sich für die Berufungskammer klar und verständlich artikuliert.

Schließlich ist nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund das Arbeitsgericht zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, die Beklagte habe keine Umstände vorgetragen, aus denen sich erkennen ließe, dass der Kläger in Kenntnis der Ablehnung seines Urlaubsgesuchs gehandelt habe, zudem unter Berücksichtigung der Aussage des Zeugen H., er habe nicht den Eindruck gehabt, dass der Kläger ihn nicht verstanden habe. Für die Beklagte bestand überhaupt kein Anlass, derartige Umstände vorzutragen, denn der erstinstanzliche Vortrag des Klägers gab keinen Anlass zu der Annahme, er habe die Ablehnung seines Urlaubsgesuchs aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten nicht verstanden. Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, der Zeuge H. habe den Urlaub bewilligt und sich mit den Worten "OK, ich seh dich dann am Dienstag" von ihm verabschiedet. Diese Behauptung gibt gerade keinen Anlass für die Annahme von Sprachschwierigkeiten, sondern bestätigt allenfalls, dass der Kläger über in jeder Hinsicht ausreichende Sprachkenntnisse verfügt, wenn er dazu in der Lage ist, eine angeblich seitens des Zeugen erfolgte Äußerung wörtlich wiederzugeben.

Gerade diese Behauptung des Klägers, der Zeuge habe sich von ihm "bis Dienstag" verabschiedet, worin eine Urlaubsgewährung gesehen werden könnte, hat sich weder in der erst- noch in der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme bestätigt. Bereits in der erstinstanzlichen Beweisaufnahme hat der Zeuge erklärt, das Wort "Dienstag" sei in dem Gespräch überhaupt nicht gefallen. Diesen Umstand hat das Arbeitsgericht in seinen Entscheidungsgründen überhaupt nicht gewürdigt. Auch in der Beweisaufnahme vor der Berufungskammer hat der Zeuge erneut bestätigt, er habe weder wörtlich noch sinngemäß "bis Dienstag" gesagt. Der Zeuge hat erneut ausgesagt, der Kläger könne ihn nicht missverstanden haben. Er sei sich zu 100 % sicher, dass der Kläger ihn richtig verstanden habe. Zur Begründung hat er nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass er den Kläger - wenn dies nicht der Fall gewesen wäre - nicht auf etwaige Konsequenzen hingewiesen hätte. Der Kläger habe ausdrücklich gesagt, dass er doch nach Italien fahre.

Letztlich ist für die Annahme eines vorsätzlichen Handelns des Klägers entscheidend zu berücksichtigen, dass er sich auf irgendwie geartete Sprachschwierigkeiten oder Missverständnisse zunächst selbst nicht berufen hat. Erstmalig nachdem das Arbeitsgericht in seinem Urteil ausgeführt hat, aufgrund der Sprachschwierigkeiten des Klägers könne nicht zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden, dass der Kläger die Äußerung des Zeugen als Ablehnung des Urlaubsgesuchs verstanden habe mit der Folge, dass keine vorsätzliche Vertragsverletzung vorliege, hat der Kläger sich auf Sprachschwierigkeiten berufen. Angesichts der vorstehend geschilderten Umstände, insbesondere im Hinblick auf die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme unrichtige Behauptung des Klägers, der Zeuge habe sich "bis Dienstag" von ihm verabschiedet, muss die Behauptung des Klägers, er habe die Ablehnung des Urlaubs aufgrund von Sprachschwierigkeiten nicht verstanden, als Schutzbehauptung gewertet werden.

Unter Berücksichtigung vorstehender Ausführungen steht zur Überzeugung der Berufungskammer fest, dass der Kläger in Kenntnis der Urlaubsablehnung und damit vorsätzlich durch Selbstbeurlaubung eine schwerwiegende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung begangen hat.

Wie bereits das Arbeitsgericht insoweit zutreffend ausgeführt hat, kann die Selbstbeurlaubung eines Arbeitnehmers nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in der Regel eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 BGB rechtfertigt (vgl. BAG, Urteil vom 16.03.2000, 2 AZR 75/99, zitiert nach juris). Ein Arbeitnehmer, der eigenmächtig Urlaub nimmt, entfernt sich unbefugt vom Arbeitsplatz und hat die sich aus dieser Arbeitsvertragsverletzung ergebenden Folgen zu tragen (vgl. BAG, Urteil vom 09.07.1981, 2 AZR 342/79, zitiert nach juris).

Unter Berücksichtigung vorstehender Ausführungen ist vorliegend ein Grund gegeben, der an sich geeignet ist, den Ausspruch einer fristlosen Kündigung zu rechtfertigen.

b)

Unter Berücksichtigung der in jeden Fall gebotenen Interessenabwägung ist die Berufungskammer der Auffassung, dass im vorliegenden Fall aufgrund der vorsätzlichen arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung zwar keine fristlose, aufgrund der überwiegenden Interessen der Beklagten jedoch eine fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt ist. Die Lösung des Arbeitsverhältnisses erscheint in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen.

Wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist auf Seiten des Klägers zunächst das seit 11 Jahren unbeanstandet bestehende Arbeitsverhältnis zu berücksichtigen. Damit hat der Kläger sich unbestreitbar ein "Vertrauensguthaben" erworben, weil er sich als pflichtbewusster Arbeitnehmer erwiesen hat. Entgegen der Auffassung der Beklagten geht auch die Berufungskammer in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht davon aus, dass der Kläger aufgrund seines Alters und der fehlenden Berufsausbildung erhebliche Schwierigkeiten haben wird, eine neue Stelle zu finden. Schließlich hat der Kläger nach seinem unbestrittenen Vortrag gegenüber seinem minderjährigen Kind Unterhaltspflichten zu erfüllen. Auf Seiten des Klägers sind danach erhebliche Umstände gegeben, die für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sprechen.

Dennoch ist die Berufungskammer der Auffassung, dass die Interessen der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Interessen des Klägers an dessen Fortsetzung - auch ohne vorhergehende Abmahnung - überwiegen. Dabei ist zunächst festzustellen, dass eine Abmahnung nach ihrem Sinn und Zweck dazu dienen soll, den Arbeitnehmer darauf hinzuweisen, dass sein Verhalten vom Arbeitgeber als arbeitsvertragliche Pflichtverletzung angesehen wird und im Wiederholungsfall den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet. Ausgehend davon, dass zur Überzeugung der Berufungskammer feststeht, dass der Kläger sich bewusst über die Urlaubsablehnung der Beklagten hinweggesetzt hat, konnte der Kläger nicht ernsthaft erwarten, dass die Beklagte ihn zunächst durch eine Abmahnung darauf hinweist, dass er durch sein Verhalten eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung verwirklicht, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen kann. Der Kläger konnte die Pflichtwidrigkeit seines Handelns selbst erkennen und war nicht darauf angewiesen, durch eine Abmahnung auf die Pflichtwidrigkeit seines Handelns aufmerksam gemacht zu werden.

Zu Recht hat die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer darauf hingewiesen, sie müsse im Falle eines Obsiegens des Klägers befürchten, dass sich auch andere Arbeitnehmer in ihrem Betrieb aufgrund der "Vorbildfunktion" des Klägers einer Urlaubsablehnung widersetzen könnten, weil sie als arbeitsrechtliche Konsequenz allenfalls eine Abmahnung befürchten müssten, jedenfalls dann, wenn sie sich durch ein mehrjährig unbeanstandetes Arbeitsverhältnis ein "Vertrauensguthaben" erworben hätten. Der Beklagten ist darüber hinaus zuzugestehen, dass dadurch erhebliche betriebliche Störungen entstehen können, die der Kläger vorliegend auch in seinem Fall nicht bestritten hat. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Beklagten ein milderes oder anderes Mittel zur Verfügung steht, derartige arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen anderer Arbeitnehmer in der Zukunft zu vermeiden. Als ein solches milderes Mittel kann nicht angesehen werden, dass die Beklagte nach der Entlassung des Klägers ihre bisherige betriebliche Praxis, in "Notlagen" auch mündlich gestellte Urlaubsanträge positiv zu bescheiden, umgestellt hat und jetzt in jedem Fall auf einer schriftlichen Urlaubsbeantragung besteht. In dieser Umstellung kann deshalb kein milderes oder anderes Mittel gesehen werden, zukünftig zu vermeiden, dass Arbeitnehmer sich über eine Urlaubsablehnung hinwegsetzen, weil es an dem Gewicht der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung nichts ändert, ob ein Urlaubsantrag - nachgewiesen - mündlich oder schriftlich abgelehnt wird. Die Umstellung auf Schriftform in jedem Fall führt lediglich dazu, die Möglichkeit auszuschließen, dass ein Arbeitnehmer sich auf ein sprachliches Missverständnis beruft. Ist - wie vorliegend - nachgewiesen, dass der Urlaubsantrag abgelehnt wurde und der Arbeitnehmer auch Kenntnis von der Ablehnung hatte, ist die Einführung der Schriftform kein geeignetes Mittel, zukünftige Vertragsverletzungen des Klägers oder anderer Arbeitnehmer auszuschließen. Unabhängig von der Form der Ablehnung - mündlich oder schriftlich - könnte der Arbeitnehmer sich darauf berufen, er habe ein "Vertrauensguthaben", das sowohl eine fristlose als auch eine fristgemäße Kündigung ausschließe.

Erschwerend kommt vorliegend zu Lasten des Klägers hinzu, dass aufgrund des Sachvortrages des Klägers nicht festgestellt werden kann, dass er sich in einer derartigen "Ausnahmesituation" befunden hat, dass die Ablehnung des Urlaubs durch die Beklagte nicht gerechtfertigt gewesen wäre. Ein derartiger Umstand wäre im Rahmen der Interessenabwägung durchaus zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen. Der Kläger hat allerdings nicht nachvollziehbar darlegen können, dass er sich in einer von der Beklagten zu berücksichtigenden Zwangslage befunden hat, die eine Urlaubsgewährung zwingend geboten hätte. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger darauf angewiesen war, zwingend ab dem 18.05.2010 zu klären, ob sein Auto nach Angaben der zuständigen Behörde - den Vortrag des Klägers als richtig unterstellt - eine gefälschte TÜV-Plakette erhalten hat. Selbst wenn die zuständige Behörde ihm erklärt haben sollte, er solle die Angelegenheit zur Vermeidung polizeilicher Ermittlungen "schnellstmöglich" klären, ist nicht nachvollziehbar, dass er sich über die Urlaubsablehnung durch seinen Vorgesetzten hinweggesetzt hat. "Schnellstmöglich" heißt nicht "sofort". Dass überhaupt und wenn ja welche Konsequenzen dem Kläger gedroht hätten, hat er auch im Berufungsverfahren nicht substantiiert vorgetragen. Danach kann nicht davon ausgegangen werden, dass er aus objektiv nachvollziehbaren Gründen auf die sofortige Urlaubsgewährung angewiesen war.

Auch in der Person des Klägers liegende Gründe können zu seinen Gunsten nicht berücksichtigt werden. Seine Behauptung, er neige zu Depressionen und Angstzuständen, hat er erstmalig und ohne diese Behauptung zu substantiieren im Berufungsverfahren vorgetragen. Dabei kann die Behauptung des Klägers, er habe sich nach seiner am 25.05.2010 beginnenden Arbeitsunfähigkeit in stationärer psychischer Behandlung befunden, als richtig unterstellt werden, ohne dass dies zu einer Berücksichtigung im Rahmen der Interessenabwägung führen kann. Bei einer als richtig unterstellten psychischen Labilität des Klägers kann der stationäre Krankenhausaufenthalt aufgrund psychischer Probleme nämlich auch darauf zurückzuführen sein, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits die streitgegenständliche Kündigung erhalten hatte. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Krankenhausaufenthalt - dessen Richtigkeit unterstellt - auf den Zugang der streitgegenständlichen Kündigung zurückzuführen ist, kann dieser Umstand im Rahmen der Interessenabwägung mangels substantiierten Vortrags des Klägers keine Berücksichtigung finden. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Kläger erstinstanzlich derartige Gründe nicht geltend gemacht hat, obwohl sie ihm zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt gewesen sein müssen. Letztlich können die psychischen Probleme des Klägers jedoch dahinstehen, da er nach seinen Angaben im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer erklärt hat, er habe am 19.05.2010 Behördengänge erledigt und sei erst am 20.05.2010 nach Italien geflogen. Nach seinem eigenen Vorbringen hat danach hinreichend Zeit bestanden, die Frage der Urlaubsgewährung - ausgehend davon, dass er die Ablehnung seines Urlaubsgesuchs verstanden hat - bei der Beklagten zu klären. Bei dieser Sachlage hätte der Kläger sich vergewissern müssen und zeitlich auch können, ob seinem Wunsch auf Freistellung von der Arbeit entsprochen wird oder nicht. Dies hat der Kläger nicht getan. Er hat sich nach seinem eigenen Vortrag erstmalig bei seiner Arbeitsaufnahme am 25.05.2010 bei dem Zeugen H. erkundigt, ob mit dem Urlaub "alles OK gegangen sei". Dieser Vortrag ist schon auf dem Hintergrund der Behauptung des Klägers, der Urlaub sei ihm seiner Ansicht nach bewilligt worden, nicht nachvollziehbar, denn wenn der Urlaub bewilligt worden wäre, hätte es einer derartigen Nachfrage nicht bedurft. Der diesbezügliche Vortrag des Klägers zeigt vielmehr, dass er selbst nicht davon ausgegangen ist, dass die Urlaubsbewilligung "OK" war.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht zwar darauf hingewiesen, dass eine Kündigung niemals eine Bestrafung für ein Verhalten des Arbeitnehmers in der Vergangenheit sein darf, sondern nur das letzte zu Geboten stehende Mittel, zukünftige Vertragspflichtverletzungen zu verhindern. Angesichts des bewussten und vorsätzlichen Verhaltens des Klägers, sich ohne feststellbaren zwingenden Grund über eine Urlaubsablehnung hinwegzusetzen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger sich durch eine Abmahnung in Zukunft vertragstreu verhalten wird. Vielmehr ist aus dem Verhalten des Klägers zu schließen, dass er seine Interessen - selbst wenn sie nicht dringlich sind - über die Interessen der Beklagten setzt. Jedenfalls ist nach dem Vortrag des Klägers keine andere Bewertung feststellbar.

Unter Berücksichtigung vorstehender Umstände überwiegt das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch unter Berücksichtigung des "Vertrauensguthabens" des Klägers das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Die Beklagte muss im Hinblick auf die betrieblichen Auswirkungen ein derartiges Verhalten des Klägers nicht hinnehmen.

Die im Rahmen der Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers aufgeführten Umstände führen jedoch dazu, dass nach Auffassung der Berufungskammer als milderes Mittel im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der Ausspruch einer ordentlichen Kündigung ausreicht. Es stand nicht zu erwarten, dass sich innerhalb der Frist für den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung ein erneutes Fehlverhalten des Klägers in einschlägiger Weise hätte wiederholen können. Hätte sich innerhalb der Kündigungsfrist tatsächlich ein einschlägiges Fehlverhalten des Klägers wiederholt, hätte die Beklagte immer noch zu dem schärfsten arbeitsrechtlichen Mittel der fristlosen Kündigung greifen können. Es wäre ihr danach zuzumuten gewesen, den Kläger während der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen.

Unter Berücksichtigung vorstehender Ausführungen war der Berufung nur teilweise stattzugeben. Im Übrigen war sie zurückzuweisen.

III.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien gemäß § 92 Abs. 1 ZPO jeweils zur Hälfte zu tragen.

IV.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen dieses Urteil kann von beiden Parteien

R E V I S I O N

eingelegt werden.

Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich beim

Bundesarbeitsgericht

Hugo-Preuß-Platz 1

99084 Erfurt

Fax: 0361-2636 2000

eingelegt werden.

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:

1.Rechtsanwälte,

2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.

Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.

* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.

Paßlick Raufeisen Flack