Bayerischer VGH, Urteil vom 06.04.2011 - 11 B 08.1892
Fundstelle
openJur 2011, 91756
  • Rkr:
Verfahrensgang

Die Benutzungspflicht für einen nicht den Mindestanforderungen der VwV-StVO entsprechenden Radweg darf jedenfalls dann angeordnet werden, wenn die Mitbenutzung der Fahrbahn durch Radfahrer zu einer im Verhältnis zu der auf besonderen örtlichen Verhältnissen beruhenden Gefahr im Sinn von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO nochmals deutlich gesteigerten Gefährdung der Radfahrer selbst führen würde, ein Radweg vorhanden ist, dessen Benutzung zumutbar ist und ein Ausbau des vorhandenen Radwegs aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht ohne weiteres möglich ist.

Tenor

I. Die Berufung wird zuru?ckgewiesen.

II. Der Kla?ger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorla?ufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kla?ger wendet sich gegen eine durch (Verkehrs-)zeichen 241 angeordnete Radwegbenutzungspflicht.

Mit verkehrsrechtlicher Anordnung vom 17. Juni 1998 ordnete die Beklagte die Radwegbenutzungspflicht unter anderem auf der Rosenheimer Straße in dem hier streitgegensta?ndlichen Bereich zwischen der Kreuzung Friedenstraße und der Kreuzung Orleansstraße an. Die Kennzeichnung erfolgte durch die Aufstellung der Zeichen 241.

Der Kla?ger befa?hrt nach eigenem Vortrag den fraglichen Abschnitt als Fahrradfahrer seit etwa Mitte 2006. Am 21. April 2007 legte er Widerspruch gegen die Radwegbenutzungspflicht durch Zeichen 241 im streitgegensta?ndlichen Bereich (Richtung Innenstadt) ein. Der Radweg sei in diesem Bereich 300 m lang. Vor der Unterfu?hrung sei er 130 cm breit und werde in der Unterfu?hrung auf einer La?nge von 40 m auf eine Breite von 70 cm reduziert. Dies sei unzumutbar. Die Breite eines gewo?hnlichen Fahrradlenkers betrage 60 cm, der Radweg sei zur Fahrbahn hin mit einem Gela?nder abgesperrt, so dass Radfahrer einige Zentimeter Sicherheitsabstand einhalten mu?ssten. Damit komme ein Radfahrer zwangsla?ufig mit seiner rechten Lenkerseite auf den Gehweg. Ein Benutzen des Radwegs sei also vorgeschrieben, ein legales Benutzen jedoch tatsa?chlich u?berhaupt nicht mo?glich. Die komplette Rad- und Gehwegunterfu?hrung sei so eng, dass Fußga?nger in Gruppen oder bei Begegnungen gewohnheitsma?ßig den Radweg mit benutzten und einzelne Fußga?nger sehr nahe am Radweg gingen.

Mit Schreiben vom 22. Mai 2007 teilte die Beklagte dem Kla?ger mit, dass es sich bei der Rosenheimer Straße im fraglichen Bereich um eine klassische Hauptverkehrsstraße handle. Sie diene der Erschließung verschiedener Stadtteile und besitze einen hohen Anteil an Ziel- und Quellverkehr. Die Radwege seien im fraglichen Bereich als benutzungspflichtig eingestuft, da es sich hierbei um eine Straße handle, in der das Radfahren auf der Fahrbahn im Interesse der Sicherheit der Radfahrer und mit Ru?cksicht auf die Belange des fließenden Verkehrs nicht vorgesehen werden ko?nne. Nach der Empfehlung 95 fu?r Radverkehrsanlagen (ERA 95) ko?nnten Radfahrer in der Regel nur sicher im Mischverkehr auf der Fahrbahn mit verkehren, wenn die Geschwindigkeit des Verkehrs niedrig sei. Bei der Frage, ob auf Hauptverkehrsstraßen der Fahrradverkehr im Mischverkehr auf der Fahrbahn gefu?hrt werden solle, sei deshalb eine Interessenabwa?gung zwischen den Belangen des Kraftfahrzeugverkehrs und des Radverkehrs durchzufu?hren. Wegen der hohen verkehrlichen Bedeutung der Rosenheimer Straße und der Zuordnung dieser Straße entsprechend dem Vorentwurf des Verkehrsentwicklungsplans zum so genannten sekunda?ren Netz (Hauptverkehrsstraßen mit u?berwiegender Verbindungsfunktion) mu?ssten Maßnahmen, die letztlich die Leistungsfa?higkeit der Rosenheimer Straße einschra?nken wu?rden, abgelehnt werden. Die nicht vorhandene ausreichende Mindestbreite des Radwegs im fraglichen Bereich mu?sse deshalb hingenommen werden.

Der Kla?ger teilte der Beklagten daraufhin mit, dass er dennoch auf dem Erlass eines Widerspruchsbescheids bestehe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2007 wurde der Widerspruch als unzula?ssig zuru?ckgewiesen. Die Widerspruchsfrist beginne mit der Aufstellung der streitgegensta?ndlichen Verkehrszeichen zu laufen. Diese sei bereits 1998 erfolgt. Die Widerspruchsfrist sei daher abgelaufen.

Die hiergegen erhobene Klage des Kla?gers wies das Verwaltungsgericht Mu?nchen mit Urteil vom 18. Januar 2008 ab. Die Anfechtungsklage sei gegen einen bestandskra?ftigen Verwaltungsakt gerichtet und damit unzula?ssig.

Der Kla?ger beantragte die Zulassung der Berufung. Mit Beschluss vom 3. Juli 2008 ließ der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung zu, weil die Rechtssache besondere tatsa?chliche und rechtliche Schwierigkeiten aufweise (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

Der Kla?ger beantragt,

unter Aba?nderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Mu?nchen vom 8. Januar 2008 die Anordnung der Radwegbenutzungspflicht durch Zeichen 241 in der Rosenheimer Straße in Mu?nchen zwischen Friedenstraße und Orleansstraße stadteinwa?rts und den Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 4. Juli 2007 aufzuheben.

Zur Begru?ndung tra?gt er vor, das Verwaltungsgericht habe die Klage zu Unrecht als unzula?ssig abgewiesen. Die Widerspruchs- bzw. Klagefrist gegen ein Verkehrszeichen beginne erst mit der Kenntnisnahme des Verkehrszeichens durch den betroffenen Verkehrsteilnehmer zu laufen, wobei die Frist durch jedes Vorbeifahren an dem Verkehrszeichen und die damit verbundene Betroffenheit im konkreten Fall jeweils neu ausgelo?st werde, weil Verkehrszeichen Anordnungen von Polizeivollzugsbeamten gleich stu?nden. Die Klage sei auch begru?ndet. Die Voraussetzungen von § 45 Abs. 9 StVO la?gen nicht vor. Insbesondere habe die Beklagte keine Unfallha?ufungen auf dem streitgegensta?ndlichen Streckenabschnitt festgestellt. Sie habe ausschließlich auf eine hohe Verkehrsbelastung der Straße mit Kraftfahrzeugen abgestellt. Diese stelle jedoch keine o?rtliche Besonderheit im Sinne von § 45 Abs. 9 StVO dar, sondern sei vielmehr der Normalfall. Die Situation eines hohen Verkehrsaufkommens und eines mangelnden Raumangebots sei im Innenstadtgebiet geradezu charakteristisch und erlaube nicht, den Radfahrern die erho?hte Gefa?hrdung durch eine Radwegbenutzungspflicht aufzuerlegen. Auch seien die Vorgaben der VwV-StVO missachtet worden. Diese wu?rden fu?r eine Radwegbenutzungspflicht im streitgegensta?ndlichen Bereich einen Radweg mit einer Mindestbreite von 150 cm vorsehen. Tatsa?chlich unterschreite der Radweg in der Rosenheimer Straße aber auf einem la?ngeren Abschnitt diese Mindestbreite schon vor der Unterfu?hrung erheblich und in der gesamten Unterfu?hrung noch sta?rker. Zwar ko?nne nach der VwV-StVO ausnahmsweise und nach sorgfa?ltiger U?berpru?fung von den Mindestmaßen auf kurzen Abschnitten (z.B. kurzen Engstellen) unter Wahrung der Verkehrssicherheit dann abgewichen werden, wenn es aufgrund der o?rtlichen oder verkehrlichen Verha?ltnisse erforderlich und verha?ltnisma?ßig sei. Bei einem 300 m langen Streckenabschnitt handle es sich aber nicht mehr um einen kurzen Abschnitt im Sinne etwa einer Engstelle. Von der Rechtsprechung wu?rden bereits Strecken von 100 m nicht mehr als kurzer Abschnitt qualifiziert werden. Die einschla?gigen technischen Regelwerke wu?rden eine Engstelle im genannten Sinn nur bei einem Abschnitt von allenfalls 50 m La?nge annehmen. Der Gesetzgeber habe aus Jahrzehnten der Forschung den Schluss gezogen, dass die Benutzung von Radwegen, die nicht den festgeschriebenen Mindestvoraussetzungen genu?gten, zu unsicher sei. Auch sei die gesamte Unterfu?hrung so eng, dass Fußga?nger gewohnheitsma?ßig den Radweg mit benutzen wu?rden. Eine Verha?ltnisma?ßigkeitspru?fung sei nicht durchgefu?hrt worden. Das Regel-Ausnahme-Verha?ltnis, wonach Radfahrer regelma?ßig die Fahrbahn und nicht den Radweg benutzen sollten, sei umgekehrt worden. Die von der Beklagten angestrebte Vermeidung des Mischverkehrs auf der Fahrbahn sei kein Aspekt, der eine Radwegbenutzungspflicht rechtfertigen ko?nne. Der Leichtigkeit des motorisierten Verkehrs du?rfe gegenu?ber der Sicherheit von Radfahrern kein Vorrang eingera?umt werden. Die Radwegbenutzungspflicht fu?hre nach zahlreichen Untersuchungen allenfalls zu einer Verlagerung der Unfa?lle des La?ngsverkehrs zu Unfa?llen an den Knotenpunkten, bei der Unterschreitung von Mindestqualita?tsanforderungen steige die Unfallgefahr fu?r Radfahrer gerade durch die Radwegbenutzung. Schließlich sei das erstinstanzliche Urteil auch willku?rlich, nachdem es auf den hilfsweise gestellten Verbescheidungsantrag nicht eingegangen sei.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zuru?ckzuweisen und hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zuru?ckzuverweisen.

Zur Begru?ndung tra?gt sie vor, die Klage sei bereits aufgrund eingetretener Bestandskraft des angegriffenen Verwaltungsakts unzula?ssig. Falls der Verwaltungsgerichtshof dies anders sehen sollte, werde eine Zuru?ckverweisung an das Erstgericht nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO angeregt. Jedenfalls aber sei die Klage unbegru?ndet. Die Anordnung der Radwegbenutzungspflicht sei nicht allein auf die hohe Verkehrsbelastung der Straße gestu?tzt worden. Vielmehr sei die Anordnung ausdru?cklich auch im Interesse der Sicherheit der Radfahrer ergangen. Wu?rde man im streitgegensta?ndlichen Bereich von der Anordnung der Radwegbenutzungspflicht absehen, so wu?rde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sowohl die Verkehrssicherheit als auch die Flu?ssigkeit des Verkehrs beeintra?chtigt. Gerade im engen Unterfu?hrungsbereich sei es nicht zu verantworten, dass Radfahrer die Fahrbahn benutzen. Durch die baulichen Gegebenheiten sei der zur Verfu?gung stehende Verkehrsraum im Unterfu?hrungsbereich erheblich eingeschra?nkt. Die Fahrspuren seien lediglich 2,80 m breit und zudem abschu?ssig. Die Verkehrsbelastung sei mit 15.850 Kfz/24 h (Richtung Norden) und 29.180 Kfz/24 h (insgesamt) außergewo?hnlich hoch. Der Lkw-Anteil sei mit 720 Lkw/24 h ebenfalls außergewo?hnlich hoch. Dieses hohe Verkehrsaufkommen lasse sich nur u?ber jeweils zwei Fahrspuren abwickeln. Das tatsa?chliche Geschwindigkeitsniveau des motorisierten Verkehrs sei vergleichsweise hoch. Diese besonderen o?rtlichen Verha?ltnisse machten ein Einschreiten der Straßenverkehrsbeho?rde erforderlich. Es sei immer wieder zu beobachten, dass Kraftfahrzeugfu?hrer den gebotenen Sicherheitsabstand von mindestens 1,5 m beim U?berholen von Radfahrern nicht einhalten wu?rden, um nicht zu weit in die angrenzende Fahrspur zu gelangen. Durch die hohe Verkehrsdichte komme es insbesondere zu einer ho?heren Anzahl an gefa?hrlichen U?berholvorga?ngen als in weniger befahrenen Straßen. Aus diesem Grund werde unter Punkt 3.3 der Hinweise zur Beschilderung von Radverkehrsanlagen nach der VwV-StVO der Forschungsgesellschaft fu?r Straßen- und Verkehrswesen (FSGV) die Anordnung der Radwegbenutzungspflicht bei einer Verkehrssta?rke von u?ber 20.000 Kfz/24 h (insgesamt) aus Sicherheitsgru?nden fu?r unerla?sslich gehalten. Auf den zwei nebeneinander verlaufenden Fahrspuren werde ha?ufig parallel gefahren. Gerade deshalb wu?rden unverantwortliche Kraftfahrer besonders eng u?berholen, um das nebenan fahrende Fahrzeug nicht zu behindern. Wegen des hohen tatsa?chlichen Geschwindigkeitsniveaus des Kraftverkehrs vergro?- ßere sich der Geschwindigkeitsunterschied zwischen Radfahrer und Kfz. Je ho?her dieser Geschwindigkeitsunterschied sei, desto eher wu?rden sich Kraftfahrer zu U?berholmano?vern veranlasst sehen, um nicht bremsen zu mu?ssen. Die Abschu?ssigkeit der Fahrbahn sei ebenfalls zu beru?cksichtigen. Sobald der zu u?berholende Fahrradfahrer in den abschu?ssigen Bereich gelange, erho?he sich seine Geschwindigkeit. Dies fu?hre einerseits dazu, dass der u?berholende Kraftfahrer die Geschwindigkeit des Fahrradfahrers unterscha?tze und andererseits entweder zu einer Erho?hung der Dauer des U?berholvorganges oder zu einer zusa?tzlichen Beschleunigung des u?berholenden Kraftfahrers. Beides steigere die Unfallgefahr erheblich. Zudem sei zu beru?cksichtigen, dass Unfa?lle zwischen Fahrradfahrern und Kraftfahrzeugen regelma?- ßig zu erheblichen Verletzungen des verunglu?ckten Radfahrers fu?hrten. Unfa?lle mit

Lastkraftwagen fu?hrten sogar ha?ufig zum Tod von Radfahrern. Unmittelbar hinter der Unterfu?hrung wu?rde der geradeaus fahrende Radverkehr auf eine eigene 2 m breite Radspur auf der Straße geleitet. Der Radverkehr sei dort im direkten Blickbereich der Kraftfahrzeugfu?hrer bei der U?berquerung des Kreuzungsbereichs mit der Orleansstraße. Letztlich wu?rde eine Inanspruchnahme der Fahrbahn durch Radfahrer im streitgegensta?ndlichen Bereich zu erheblichen Beeintra?chtigungen der Flu?ssigkeit und Leichtigkeit des Verkehrs und damit zu Beeintra?chtigungen des Schutzguts der Ordnung des Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 1 StVO fu?hren. In Anbetracht der geschilderten Gefahrenlage wu?rden die Interessen an der Anordnung der Radwegbenutzungspflicht u?berwiegen. Mildere, zur Gefahrenabwehr gleichsam geeignete Mittel seien vorliegend nicht erkennbar. Zwar wu?rde die Anordnung der Radwegbenutzungspflicht zu Beru?hrungspunkten vom Radverkehr und Fußverkehr auf dem getrennten Rad- und Fußweg und dadurch zu einer gewissen Behinderung des Radverkehrs fu?hren. Die zu erwartende Ha?ufigkeit von Unfa?llen zwischen Radfahrern und Fußga?ngern im streitgegensta?ndlichen Bereich sei jedoch deutlich geringer einzuscha?tzen als die zu erwartende Ha?ufigkeit von Unfa?llen zwischen Radfahrern und Kraftfahrzeugen fu?r den Fall der Benutzung der Fahrbahn durch Radfahrer. In den Jahren 2006 und 2007 ha?tten sich nach Auskunft der zusta?ndigen Polizeiinspektion keine Unfa?lle zwischen Radfahrern und Fußga?ngern im Begegnungsverkehr ereignet. Unfa?lle zwischen Kraft- und Radfahrverkehr fu?hrten typischerweise zu erheblich gravierenderen Gesundheitsscha?den als Unfa?lle zwischen Radfahrern und Fußga?ngern. Bei dem streitgegensta?ndlichen Bereich handle es sich auch um eine kurze Engstelle. Hiervon seien jedenfalls solche Straßenabschnitte umfasst, die sich zwischen zwei innersta?dtischen Kreuzungen befa?nden. Die Anordnung einer Radwegbenutzungspflicht ko?nne nicht unmittelbar an der Engstelle selbst erfolgen, weil Verkehrszeichen so aufgestellt werden mu?ssten, dass sie vom Adressaten mit einem raschen und beila?ufigen Blick erfasst werden ko?nnten. Eine Anordnung erst an der Engstelle selbst wu?rde zwangsla?ufig ha?ufig u?bersehen. Im U?brigen sei die vom Kla?- ger behauptete tatsa?chlich vorhandene Breite des Radwegs in der Engstelle unzutreffend. Messungen ha?tten ergeben, das der Radweg nunmehr selbst an seiner engsten Stelle noch eine lichte Breite von 1,20 m besitze. Schließlich ko?nne sich der Kla?ger nicht darauf berufen, dass eine bloße Verwaltungsvorschrift mo?glicherweise nicht beachtet worden sei.

Die Landesanwaltschaft Bayern beteiligte sich als Vertreter des o?ffentlichen Interesses. Ohne einen Antrag zu stellen, ha?lt sie eine Zuru?ckweisung der Berufung jedenfalls aus materiell-rechtlichen Gru?nden fu?r rechtens. Pru?fungsmaßstab fu?r die Anordnung der gegensta?ndlichen Radwegbenutzungspflicht sei § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO. § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO sei auf Radwegbenutzungspflichten schlechthin nicht anwendbar. Es handle sich dabei nicht um eine Beschra?nkung oder ein Verbot des fließenden Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 2 StVO. Die Radwegbenutzungspflicht wu?rde keine Beschra?nkung oder Verbot, sondern vielmehr Sonderwege fu?r Radfahrer anordnen und damit ein Benutzungsgebot statuieren. Sie diene damit der Verkehrsfu?hrung. Anders als etwa bei der Anordnung und Kundmachung des Zeichens 254 (Verbot fu?r Radfahrer) werde dem Radverkehr bei Anordnung einer Radwegbenutzungspflicht in seiner Fahrtrichtung die Benutzung gerade nicht verboten und werde er in der Benutzung nicht beschra?nkt. Ihm werde vielmehr lediglich die Benutzung eines bestimmten Straßenteils, na?mlich des fu?r Radfahrer bestimmten Teils des getrennten Rad- und Gehwegs anstelle der Fahrbahn geboten. Der Radfahrer ko?nne bei Anordnung der Radwegbenutzungspflicht sein Ziel auf die gleiche geographische Weise, na?mlich u?ber die gleiche Straße, weiterhin erreichen. Die streitgegensta?ndliche Radwegbenutzungspflicht halte einer Pru?fung am Maßstab des § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO stand. Danach sei eine verkehrsrechtliche Anordnung bereits dann zwingend geboten, wenn die allen Verkehrsteilnehmern obliegende Verpflichtung, die allgemeinen und besonderen Verhaltensvorschriften der StVO eigenverantwortlich zu beachten, nicht ausreiche, um ein bestimmtes Verhalten herbeizufu?hren. Eingriffsschwelle seien damit lediglich die besonderen Umsta?nde im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO. Diese wu?rden durch die o?rtlichen Verha?ltnisse gekennzeichnet. Es sei bereits diskussionswu?rdig, ob es nicht schon pflichtgema?ßer Ermessensausu?bung entsprechen wu?rde, Radfahrer allein deshalb auf einen Radweg zu verweisen, weil ein solcher tatsa?chlich vorhanden sei. Es bedu?rfe keiner weiteren Darlegung oder Begru?ndung, dass Radfahrer besonders gering geschu?tzte Verkehrsteilnehmer seien. Die Entflechtung von Auto- und Radverkehr sei daher im Regelfall zwingend geboten. Jedenfalls aber unterstrichen die Gesetzesbegru?ndung und die in der Verwaltungsvorschrift erwa?hnten Beispiele die weite Anordnungsbefugnis der Straßenverkehrsbeho?rden. Die Verordnungsbegru?ndung lasse erkennen, dass außerhalb geschlossener Ortschaften generell und innerorts auf u?berdurchschnittlich belasteten Vorfahrtstraßen eine Radwegbenutzungspflicht angeordnet werden ko?nne.

Der Senat hat am 19. April 2010 Beweis erhoben durch die Inaugenscheinnahme des Radwegs im streitgegensta?ndlichen Bereich. Die Verwaltungsstreitsache wurde am gleichen Tag mu?ndlich verhandelt. Auf die Niederschriften wird Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 26. April 2010 gab der Senat den Beteiligten auf, bis zum 1. Juni 2010 schriftsa?tzlich Stellung dazu zu nehmen, welche verkehrsrechtliche Regelung nach ihrer Auffassung fu?r Radfahrer im streitgegensta?ndlichen Bereich ab Beginn der vom Radweg abzweigenden Radverkehrsfu?hrung gelte und ob alternativ zur Kennzeichnung eines vom Gehweg getrennten Radwegs mit Anordnung der Radwegbenutzungspflicht auch die Kennzeichnung eines Gehwegs, der fu?r Radfahrer freigegeben ist (Zeichen 239 mit Zusatzzeichen 1022 - 10 "Radfahrer frei"), in Frage ka?me.

Die Beteiligten haben hierzu jeweils schriftsa?tzliche Stellungnahmen abgegeben, auf deren Inhalt verwiesen wird, und auf weitere mu?ndliche Verhandlung verzichtet.

Mit Schreiben vom 14. Januar 2011 u?bermittelte die Beklagte ihre verkehrsrechtliche Anordnung vom 4. Juni 2010, nach der in der Rosenheimer Straße zwischen Friedenstraße und Orleansstraße im Bereich nach der Unterfu?hrung in der Aufweitung des baulichen Radwegs ein Geradeaus- und ein Rechtspfeil zu markieren ist. Die Ausfu?hrung sei am 5. Juli 2010 erfolgt.

Im U?brigen wird auf die Gerichts- und Beho?rdenakten Bezug genommen.

Gründe

Die zula?ssige Berufung ist unbegru?ndet.

1. Die erstinstanzliche Entscheidung beruht nicht - wie der Kla?ger in seinem Antrag auf Zulassung der Berufung behauptet - auf einem Verfahrensfehler. Der Kla?ger geht zu Unrecht davon aus, dass das Verwaltungsgericht seinen erstinstanzlich hilfsweise gestellten Verbescheidungsantrag ohne jede Begru?ndung abgewiesen habe, so dass das Urteil willku?rlich sei. Ausweislich der Niederschrift u?ber die mu?ndliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 18. Januar 2008 hat der Kla?ger ausdru?cklich erkla?rt, der schriftlich angeku?ndigte Hilfsantrag werde nicht aufrecht erhalten.

2. Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage des Kla?gers im Ergebnis zu Recht abgewiesen, weil die Klage jedenfalls unbegru?ndet ist. Die streitgegensta?ndliche verkehrsrechtliche Anordnung und ihre Umsetzung durch die entsprechenden Verkehrszeichen ist im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts (sta?ndige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, zuletzt vom 18.11.2010 VerkMitt 2011, Nr. 3) rechtma?ßig und verletzt den Kla?ger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

a) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die Klage zwar zula?ssig. Die Frist fu?r die Anfechtung eines Verkehrsverbotes, das durch Verkehrszeichen bekannt gegeben wird, beginnt fu?r einen Verkehrsteilnehmer zu laufen, wenn er zum ersten Mal auf das Verkehrszeichen trifft, hingegen wird die Frist fu?r ihn nicht erneut ausgelo?st, wenn er sich dem Verkehrszeichen spa?ter ein weiteres Mal gegenu?bersieht (BVerwG vom 23.9.2010 SVR 2010, 476). Der Kla?ger hat in der mu?ndlichen Verhandlung nachvollziehbar erkla?rt, er befahre den streitgegensta?ndlichen Abschnitt des Radwegs etwa seit Juni oder Juli 2006 mit dem Fahrrad. Damit kann der Kla?ger fru?hestens im Juni 2006 erstmals mit den streitgegensta?ndlichen Verkehrszeichen konfrontiert worden sein, so dass die Widerspruchseinlegung am 21. April 2007 rechtzeitig erfolgte und den Eintritt der Bestandskraft gegenu?ber dem Kla?ger verhinderte (§ 70 Abs. 1 Satz 1 , Abs. 2 i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO).

Der Klage fehlt auch nicht die erforderliche Klagebefugnis (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO). Bereits durch sein erstmaliges Befahren des Radwegs im streitgegensta?ndlichen Abschnitt mit dem Fahrrad war der Kla?ger Adressat des Verkehrsverbots geworden, wodurch er in rechtlich beachtlicher Weise belastet wurde. Insofern kommt zumindest eine Verletzung der allgemeinen Freiheitsgewa?hrleistung nach Art. 2 Abs. 1 GG in Betracht (BVerwG vom 21.08.2003 Buchholz 310 § 42 Abs. 2 VwGO Nr. 19).

b) Die Klage ist jedoch unbegru?ndet.

aa) Der rechtliche Maßstab fu?r die Rechtma?ßigkeit des angefochtenen Verkehrsverbots ergibt sich aus der Straßenverkehrs-Ordnung in der Fassung der Verordnung zur A?nderung der Straßenverkehrs-Ordnung und der Bußgeldkatalog-Verordnung vom 1. Dezember 2010 (BGBI I S. 1737). Es kann offen bleiben, ob hierbei die durch die 46. Verordnung zur A?nderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 5. August 2009 (BGBl. I 2631) eingefu?hrten A?nderungen außer Betracht zu bleiben haben und stattdessen auf die entsprechenden Vorschriften in der Fassung der Verordnung vom 26. Ma?rz 2009 (BGBl. I S. 734) abzustellen ist, weil jene wegen eines Verstoßes gegen das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG mo?glicherweise insgesamt nichtig ist (vgl. BVerwG vom 18.11.2010 a.a.O.). Zwar wurde mit der 46. A?nderungsverordnung auch die Vorschrift des § 9 Abs. 2 StVO gea?ndert, die sich mit der Benutzungspflicht von Radverkehrsfu?hrungen befasst. Jedoch ist die Benutzungspflicht der im fraglichen Bereich vorhandenen Radverkehrsfu?hrung selbst nicht streitgegensta?ndlich, nachdem der Kla?ger nur gegen die Benutzungspflicht des vorhandenen Radwegs nach Zeichen 241 vorgeht.

bb) Unter Anlegung der gesetzlichen Maßsta?be der StVO sowohl in der Fassung der Verordnung vom 26. Ma?rz 2009 als auch in derjenigen der Verordnung vom 5. August 2009 gilt fu?r Radfahrer im streitgegensta?ndlichen Bereich eine Pflicht zur Benutzung des getrennten Geh- und Radwegs mit folgender Ausnahme: Radfahrer, die von der Friedenstraße auf dem durch Zeichen 241 als benutzungspflichtig gekennzeichneten vom Gehweg getrennten Radweg her kommen, du?rfen diesen, soweit sie an der Kreuzung der Rosenheimer Straße mit der Orleansstraße nicht rechts abbiegen wollen, auf Ho?he der Aufweitung (nach rechts weiterhin benutzungspflichtiger vom Gehweg getrennter Radweg, geradeaus Radverkehrsfu?hrung) verlassen, was nunmehr nach tatsa?chlicher Anbringung von einem Geradeauspfeil und einem Rechtsabbiegerpfeil (Zeichen 297) nebeneinander klargestellt wird. Es besteht kein Anlass daran zu zweifeln, dass die Beklagte diese Pfeile, wie sie in ihrem Schreiben vom 14. Januar 2011 mitgeteilt hat, das den anderen Beteiligten u?bermittelt und dessen inhaltlicher Richtigkeit im U?brigen auch nicht entgegengetreten wurde, an der fraglichen Stelle mittlerweile auch tatsa?chlich angebracht hat.

cc) Diese Anordnung der Benutzungspflicht des vom Gehweg getrennten Radwegs im streitgegensta?ndlichen Bereich steht auch im Einklang mit dem Gesetz.

(1) Eine durch Zeichen 241 verlautbarte Radwegebenutzungspflicht ist an den in § 45 Abs. 9 Satz 2 und § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO genannten Voraussetzungen zu messen (BVerwG vom 18.11.2010 a.a.O.). Gema?ß § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO du?rfen - abgesehen von hier nicht einschla?gigen Ausnahmen - insbesondere Beschra?nkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen o?rtlichen Verha?ltnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeintra?chtigung der in den vorstehenden Absa?tzen genannten Rechtsgu?ter - also etwa der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs - erheblich u?bersteigt. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO, der durch die Anfu?gung von § 45 Abs. 9 StVO zwar modifiziert und erga?nzt, nicht aber ersetzt worden ist (vgl. BVerwG vom 5.4.2001 Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 41), ko?nnen die Straßenverkehrsbeho?rden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gru?nden der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschra?nken oder verbieten.

Die Radwegebenutzungspflicht nach Zeichen 241 (getrennter Rad- und Fußweg) ist eine Beschra?nkung des fließenden Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO und eine Beschra?nkung der Benutzung der Straße im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO (BVerwG vom 18.11.2010 a.a.O.). Nach § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO mu?ssen Radfahrer Radwege benutzen, wenn die jeweilige Fahrtrichtung mit Zeichen 237, 240 oder 241 gekennzeichnet ist. Kehrseite dieses Nutzungsgebotes ist das Verbot fu?r Radfahrer, auf den so gekennzeichneten Strecken die Fahrbahn zu benutzen. Das Verkehrszeichen begru?ndet zwar kein Verbot der Benutzung der Straße (zu der auch Radwege za?hlen), wohl aber einen Ausschluss der Fahrradfahrer von der Benutzung der Fahrbahn und damit eine Beschra?nkung in Bezug auf die allgemeine Verkehrsregel, dass Fahrzeuge einschließlich Fahrra?der die Fahrbahn benutzen (§ 2 Abs. 1 StVO).

Dass die eine Radwegebenutzungspflicht verlautbarenden Zeichen 237, 240 und 241 in § 41 Abs. 2 StVO a.F. nicht unter den "Verkehrsverboten" nach dessen Nummer 6 oder unter den "Streckenverboten" nach dessen Nummer 7, sondern gesondert unter Nummer 5 als Regelung von Sonderwegen aufgefu?hrt werden, belegt keineswegs, dass es sich dabei nicht um Beschra?nkungen oder Verbote des Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 und § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO handelt. Denn dort wird auf die reglementierende Wirkung der Verkehrsregelung abgestellt, nicht aber auf die innerhalb von § 41 StVO a.F. vorgenommene Einordnung. Ha?tte der Verordnungsgeber die Anwendung von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO auf Verkehrsverbote und Streckenverbote im Sinne von § 41 Abs. 2 Nr. 6 und 7 StVO a.F. begrenzen wollen, ha?tte er diese Begriffe in § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO u?bernehmen ko?nnen; stattdessen hat er dort jedoch eine allgemeinere Formulierung verwendet (BVerwG a.a.O.).

Auch sonst ergeben sich aus den Materialien zur Entstehung von § 2 Abs. 4 Satz 2 und § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO, die beide auf die 24. Verordnung zur A?nderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 7. August 1997 (BGBl I S. 2028, ber. BGBl I 1998 S. 515) zuru?ckgehen, keine Hinweise darauf, dass der Verordnungsgeber § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO nicht auf Radwegebenutzungspflichten angewendet wissen wollte. Allein aus dem Umstand, dass § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO auf eine Bundesratsinitiative zuru?ckgeht, wogegen § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO bereits im urspru?nglichen Verordnungsentwurf enthalten war (vgl. BRDrucks. 374/97 S. 1 und 374/1/97 S. 10), kann das nicht hergeleitet werden. Beide Regelungen zielen darauf ab, die Eigenverantwortung der Verkehrsteilnehmer zu sta?rken, § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO durch strengere Anforderungen an den Einsatz von Verkehrszeichen zum Zweck von Beschra?nkungen und Verboten des fließenden Verkehrs und § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO durch eine Begrenzung der Benutzungspflicht von Radwegen (BVerwG a.a.O.) Damit sind Radfahrer nicht bereits dann auf einen Radweg zu verweisen, wenn er vorhanden ist, den baulichen Anforderungen nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 2 Abs. 4 StVO genu?gt und keine im Einzelfall ungewo?hnlich niedrige Gefahrenschwelle besteht (BVerwG a.a.O.).

§ 45 Abs. 9 Satz 2 StVO setzt fu?r Verbote und Beschra?nkungen des fließenden Verkehrs eine Gefahrenlage voraus, die - erstens - auf besondere o?rtliche Verha?ltnisse zuru?ckzufu?hren ist und - zweitens - das allgemeine Risiko einer Beeintra?chtigung der relevanten Rechtsgu?ter (hier insbesondere: Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern sowie o?ffentliches und privates Sacheigentum) erheblich u?bersteigt (BVerwG vom 5. April 2001 a.a.O. und vom 23. September 2010 SVR 2010, 476). In solchen Fa?llen dient die Trennung von motor- und muskelbetriebenen Fahrzeugen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs (vgl. BVerwG vom 31. Mai 2001 Buchholz 442.151 § 2 StVO Nr. 2).

Besondere o?rtliche Verha?ltnisse im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO ko?nnen - wie das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit Geschwindigkeitsbeschra?nkungen und Lkw-U?berholverboten bereits entschieden hat - bei verkehrsbeho?rdlichen Maßnahmen insbesondere in der Streckenfu?hrung, dem Ausbauzustand der Strecke, witterungsbedingten Einflu?ssen (z.B. Nebel, Schnee- und Eisgla?tte), der dort anzutreffenden Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen begru?ndet sein (vgl. zuletzt vom 23. September 2010 a.a.O.). Diese Grundsa?tze sind auch in Bezug auf die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht anwendbar (BVerwG vom 18.11.2010 a.a.O.). Dass auch hier fu?r die Beurteilung ein ganzes Bu?ndel von Faktoren von Bedeutung ist, besta?tigt die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO). Danach kommt die Anlage von Radwegen im Allgemeinen dort in Betracht, wo es die Verkehrssicherheit, die Verkehrsbelastung und der Verkehrsablauf erfordern (vgl. VkBl 1997 S. 691).

(2) Eine auf besonderen o?rtlichen Verha?ltnissen beruhende Gefahrenlage im Sinne der genannten Vorschriften ergibt sich hier aus Folgendem: Im Bereich der vorhandenen Unterfu?hrung ist wegen der hierdurch bedingten verringerten Helligkeit von einer herabgesetzten Wahrnehmbarkeit von Radfahrern durch motorisierte Verkehrsteilnehmer auszugehen, auch wenn jene u?ber die vorgeschriebenen Beleuchtungs- und Ru?ckstrahleinrichtungen verfu?gen, weil es allgemein bekannt ist, dass sowohl Kraftfahrzeuge als auch Radfahrer in einem relativ kurzen Unterfu?hrungsbereich tagsu?ber ha?ufig nicht von den am Fahrzeug angebrachten Lichtquellen Gebrauch machen. Zudem ist die Fahrbahn abschu?ssig, was zu einer schwereren Beherrschbarkeit des Fahrrads jedenfalls fu?r ungeu?bte und/oder eher a?ngstliche Radfahrer fu?hrt. Eine u?berdurchschnittliche Gefa?hrlichkeit der Fahrbahnbenutzung im streitgegensta?ndlichen Bereich la?sst sich auch anhand der von der Forschungsgesellschaft fu?r Straßen- und Verkehrswesen herausgegebenen "Empfehlungen fu?r Radverkehrsanlagen" (Ausgabe 1995; "ERA 95") belegen. Bei der Heranziehung dieser Ausarbeitung muss zwar beru?cksichtigt werden, dass deren Verfasser nicht legitimiert sind, die Aussagen der Straßenverkehrs-Ordnung authentisch zu interpretieren. Auch wurden die ERA 95 noch zu einem Zeitpunkt erarbeitet, als die sich aus § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 9 StVO ergebenden verscha?rften Anforderungen noch nicht einmal im Entwurf vorlagen. Da die ERA 95 jedoch von der Beratungsstelle fu?r Schadensverhu?tung des Verbandes der Schadensversicherer e.V. und damit von einer Einrichtung erstellt wurden, die ein nachhaltiges Interesse daran besitzt, die Zahl und die Schwere von Unfa?llen mo?glichst gering zu halten, kann den darin enthaltenen Aussagen andererseits nicht jeder Erkenntniswert dafu?r abgesprochen werden, wie der Radverkehr gefu?hrt werden soll, um gefahrentra?chtige Situationen nach Mo?glichkeit zu vermeiden. Da der Entwurf der ERA 95 zudem mit der Arbeitsgruppe "Radverkehr" des Bund-La?nder-Fachausschusses fu?r den Straßenverkehr und die Verkehrspolizei abgestimmt wurde, kann davon ausgegangen werden, dass auch die Erfahrungen der Straßenverkehrsbeho?rden und der Polizei in diese Ausarbeitung eingegangen sind, so dass der Senat die dortigen Empfehlungen zumindest als Anhaltspunkt heranzieht. Mit einem Wert von anna?hernd 30.000 Kfz/Tag ist die von der ERA 95 angenommene Kraftfahrzeugsta?rke, ab der eine Trennung des Radverkehrs vom fließenden Kraftfahrzeugverkehr geboten ist, um nahezu das doppelte u?berschritten, zudem liegt die zula?ssige Ho?chstgeschwindigkeit im fraglichen Bereich u?ber 40 km/h (vgl. S. 31 der ERA 95). Nach den von der gleichen Gesellschaft herausgegebenen Hinweisen zur Beschilderung von Radverkehrsanlagen nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (Ausgabe 1998, Nr. 3.3) ist eine Radwegbenutzungspflicht unerla?sslich bei Kraftfahrzeugsta?rken von mehr als 20.000 Kfz/Tag. Schließlich weisen die Fahrspuren der Fahrbahnen im fraglichen Bereich eine Breite von jeweils 2,75 m - 2,80 m auf. Nach der ERA 95 (S. 33) ist bei einer Fahrspurbreite von 2,75 m kein gefahrloses U?berholen von Radfahrern mo?glich. Nachdem dieser Wert - wenn u?berhaupt - nur geringfu?gig u?berschritten wird, ist auch unter diesem Gesichtspunkt eine besondere Gefa?hrdung von Radfahrern gegeben. Hinzu kommt, dass im gesamten fraglichen Bereich ein Ausweichen von Radfahrern, die die Fahrbahn mitbenutzen, nach rechts u?ber den eigentlichen Fahrbahnbereich hinaus - etwa auf das Bankett o.a?. - nicht mo?glich ist, nachdem der getrennte Geh- und Radweg von der Fahrbahn mit einer erho?hten Bordsteinkante deutlich abgesetzt ist.

(3) Es ist auch unscha?dlich, dass der Radweg im streitgegensta?ndlichen Bereich nicht den Anforderungen der VwV-StVO entspricht. Nach Nr. II. 2 a) cc) der VwVStVO zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO betra?gt die Mindestbreite eines mit Zeichen 241 gekennzeichneten Radwegs 1,50 m. Diese wird im fraglichen Bereich, der eine La?nge von ca. 300 m aufweist, durchweg unterschritten. Die tatsa?chliche Breite bewegt sich zwischen 72 cm und 1,29 m (jeweils ohne die weiß gefa?rbte Fahrbahnmarkierung, die etwa 26 cm Breite hat). Hinzu kommt, dass die Fußga?nger, die aufgrund der nur schmalen Breite des Gehwegs und im Bereich der Bushaltestelle auf den Radweg ausweichen bzw. diesen benu?tzen (mu?ssen), ein vollkommen ungefa?hrliches oder gar zu?giges Vorankommen auf dem Radweg im fraglichen Bereich nicht zulassen.

Bei den Verwaltungsvorschriften zu den hier einschla?gigen Regelungen der StVO handelt es sich um ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften, die eine bundesweit einheitliche Anwendung des § 45 StVO sicherstellen sollen. Sie sind zwar fu?r die Beho?rde verbindlich, solange der zu entscheidende Sachverhalt sich nicht als atypisch darstellt, es handelt sich jedoch nicht um materielles Recht, welches auch das Gericht binden wu?rde. Die Straßenverkehrsbeho?rde darf bei atypischen Sachverhalten von den Vorgaben der VwV-StVO abweichen, so dass es im hier zu entscheidenden Fall auch nicht darauf ankommt, ob die Voraussetzungen fu?r eine ausnahmsweise Abweichung von der Mindestbreite, welche die VwV-StVO (vgl. nach Nr. II 2 a) cc) zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO) selbst vorsieht, eingehalten werden oder nicht. Deshalb kann es offen bleiben, ob es sich bei einer La?nge von 300 m noch um einen "kurzen Abschnitt" bzw. eine "kurze Engstelle" handelt oder nicht. Die Benutzungspflicht fu?r einen nicht den Mindestanforderungen entsprechenden Radweg darf nach Meinung des Senats jedenfalls dann angeordnet werden, wenn - wie hier - die Mitbenutzung der Fahrbahn durch Radfahrer zu einer im Verha?ltnis zu der auf besonderen o?rtlichen Verha?ltnissen beruhenden Gefahr im Sinn von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO nochmals deutlich gesteigerten Gefa?hrdung der Radfahrer selbst fu?hren wu?rde, ein Radweg vorhanden ist, dessen Benutzung zumutbar ist und ein Ausbau des vorhandenen Radwegs aufgrund der o?rtlichen Gegebenheiten nicht ohne weiteres mo?glich ist.

Die dabei vorausgesetzte deutlich gesteigerte Gefahr fu?r Radfahrer im fraglichen Bereich fu?r den Fall der Mitbenutzung der Fahrbahn ergibt sich daraus, dass die Parameter, ab deren Erreichung die Anordnung einer Radwegbenutzungspflicht als geboten bzw. unerla?sslich angesehen wird (vgl. oben (1.)) um nahezu das doppelte bzw. anderthalbfache u?berschritten werden und aufgrund der sehr schmalen Fahrbahnbreite ein gefahrlosen U?berholen von Radfahrern ohne Spurwechsel kaum mo?glich ist, aufgrund des hohen Kraftfahrzeugaufkommens aber ein solcher Spurwechsel ha?ufig entweder nicht stattfinden kann, was zu einer erheblichen Verlangsamung des Gesamtverkehrs jedenfalls auf der rechten Fahrbahn und/oder zu abrupten und fu?r den nachfolgenden Verkehr gefa?hrlichen Spurwechseln fu?hren wu?rde. Das Geschwindigkeitsniveau des Kraftfahrzeugverkehrs im fraglichen Bereich ist, wie die Beklagte unwidersprochen vorgetragen und der Ortstermin besta?tigt hat, vergleichsweise hoch und reicht nahe an die dort zula?ssige Ho?chstgeschwindigkeit von 50 km/h heran. Zwar erreichen Radfahrer im fraglichen Bereich mo?glicherweise ebenfalls eine ho?here Durchschnittsgeschwindigkeit als auf ebener Strecke, dennoch besteht nach wie vor ein erheblicher Geschwindigkeitsunterschied zwischen motorisiertem und nichtmotorisiertem Verkehr. Es ist allgemein bekannt, dass es zahlreiche Kraftfahrzeugfu?hrer gibt, die entgegen den ihnen durch die Straßenverkehrs-Ordnung auferlegten Sorgfalts- und Ru?cksichtnahmeverpflichtungen (vgl. insbesondere § 1 StVO) nicht die notwendige Geduld aufbringen, mit langsamer Geschwindigkeit hinter einem Radfahrer herzufahren, bis sich eine gefahrlose Mo?glichkeit zum regelkonformen U?berholen - beim U?berholen eines Radfahrers ist nach der Rechtsprechung ein Seitenabstand von 1,5 bis 2 m einzuhalten (Nachweise bei Hentschel/Ko?nig/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage 2010, § 5 StVO RdNr. 55) - ergibt, was angesichts der schmalen Fahrspurbreite nur durch einen Spurwechsel mo?glich ist. Vielmehr u?berholen solche Kraftfahrzeugfu?hrer den Radfahrer mit einem viel zu geringen Seitenabstand, was ohne weiteres zum Anfahren des Radfahrers und/oder zu dessen Sturz fu?hren kann. Dass im Fall eines Sturzes fu?r einen Radfahrer bei einem derart hohen Verkehrsaufkommen fu?r diesen die naheliegende Gefahr schwerster Verletzungen oder sogar des Todes besteht, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Vertiefung. Ebenso kann es zu Folgeunfa?llen kommen, die Gefahren auch fu?r andere Verkehrsteilnehmer beinhalten.

Die Benutzung des Radwegs im fraglichen Bereich ist Radfahrern auch zumutbar. Zwar fu?hrt seine relativ schmale Breite und das ha?ufigere Ausweichen von Fußga?ngern auf den Radweg dazu, dass der Radfahrer sich im streitgegensta?ndlichen Abschnitt nur mit geringer Geschwindigkeit fortbewegen kann, sta?ndig bremsbereit sein und gegebenenfalls sogar absteigen muss. Angesichts der auch fu?r ihn geltenden Grundregeln des § 1 StVO, wonach die Teilnahme am Straßenverkehr sta?ndige Vorsicht und gegenseitige Ru?cksicht erfordert und jeder Verkehrsteilnehmer sich so zu verhalten hat, dass kein Anderer gescha?digt und mehr als unvermeidbar beeintra?chtigt wird, ist das auf einem relativ kurzen Streckenabschnitt von ca. 300 m angesichts der deutlich gesteigerten Gefahr fu?r Radfahrer und andere Verkehrsteilnehmer im Fall der Mitbenutzung der Fahrbahn durch Radfahrer durchaus vertretbar.

Schließlich ist eine anderweitige sich aufdra?ngende Mo?glichkeit einer Trennung von Rad- und motorisiertem Verkehr, na?mlich eine Verbreiterung des vorhandenen Radwegs, aufgrund der baulichen Gegebenheiten im fraglichen Streckenabschnitt nicht ohne weiteres gegeben. Denn die Beteiligten gehen u?bereinstimmend davon aus, was der gerichtliche Augenschein besta?tigt hat, dass im fraglichen Bereich nicht ausreichend Platz fu?r zwei Fahrspuren von wenigstens 2,75 m Breite und einen Radweg von 1,50 m Breite ist. Angesichts des hohen Kraftfahrzeugaufkommens erscheinen zwei Fahrspuren unerla?sslich, um dieses u?berhaupt abwickeln zu ko?nnen. Eine Unterschreitung der Fahrspurbreite von 2,75 m kommt vor dem Hintergrund, dass Fahrzeuge eine Breite von bis zu 2,55 m erreichen du?rfen (vgl. § 22 Abs. 2 Satz 1 StVO) und damit die vorhandene Fahrspurbreite bereits nahezu ausfu?llen wu?rden, im Sinne eines sto?rungsfreien Verkehrsverlaufs ebenfalls nicht in Betracht.

Vor diesem Hintergrund kommt letztlich auch die Ausweisung eines fu?r Radfahrer freigegebenen Gehwegs (Zeichen 239 mit Zusatzzeichen 1011 - 10 "Radfahrer frei") nicht in Frage, weil in diesem Fall nicht sicher gestellt wa?re, dass die Radfahrer den freigegebenen Gehweg auch tatsa?chlich benu?tzen, so dass die dringende Gefahr im oben beschrieben Sinn in nahezu gleicher Weise bestu?nde.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung u?ber die vorla?ufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO. Von der Regelung der Abwendungsbefugnis wurde abgesehen, da von einer tatsa?chlichen vorla?ufigen Vollstreckung durch die Beklagte nicht auszugehen ist.

4. Die Revision wurde nicht zugelassen, da keiner der Zulassungsgru?nde des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt (vgl. die Empfehlung in Abschnitt II Nr. 46.14 des Streitwertkatalogs fu?r die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).

Vielen Dank für die Einsendung der Entscheidung gilt Jens Müller.