BVerwG, Urteil vom 29.09.2010 - 5 C 20.09
Fundstelle
openJur 2011, 89551
  • Rkr:

1. Für die Anforderungen, die im Einzelnen an die Kenntnis der deutschen Staatsangehörigkeit als Voraussetzung für ihren Verlust nach § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. (§ 25 Abs. 1 Satz 1 StAG) zu stellen sind, kommt es maßgeblich auf das (wie auch immer erlangte) Bewusstsein der deutschen Staatsangehörigkeit an.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Oktober 2009 geändert.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 12. August 2008 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.

Gründe

I.

Die Parteien streiten im Revisionsverfahren, in dem die Klägerin weiterhin eine Spätaussiedlerbescheinigung begehrt, um Rechtsfragen des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit beim Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit.

Die am 21. Oktober 1957 in der Tschechoslowakei geborene Klägerin erhielt am 20. August 1969 eine vertriebenenrechtliche Übernahmegenehmigung, reiste aber erst im Jahre 2000 ins Bundesgebiet ein und beantragte am 30. Mai 2003 die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG. Zur Begründung berief sie sich unter anderem darauf, dass ihr am 22. Juni 1925 in W. geborener Vater Josef R. die deutsche Staatsangehörigkeit im Oktober 1938 durch Sammeleinbürgerung erworben habe und sie als dessen eheliche Tochter ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Ihr Vater habe während des Zweiten Weltkriegs in der deutschen Wehrmacht als Soldat gedient. Zum Nachweis legte die Klägerin Kopien des Arbeitsbuchs ihres Vaters vom 14. Juni 1940, in dem unter Staatsangehörigkeit "Deutsches Reich" vermerkt ist, und seines Soldbuches der Kriegsmarine, das zugleich als Personalausweis diente, vor. Auf Aufforderung legte die Klägerin auch einen Erlass des Bezirksnationalausschusses Liberec (Reichenberg) vom 13. April 1950 nebst Übersetzung vor. Darin wird ihrem Vater gemäß § 3 des Dekrets Nr. 33/1945 Sb. und § 1 der Anordnung Nr. 252/1949 Sb. die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft zurückgegeben.

Mit Bescheid vom 28. März 2007 lehnte die Beklagte die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung ab, weil die Klägerin weder eine deutsche Volkszugehörige sei noch die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Durch den antragsgemäßen Erwerb der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft im Jahre 1950 habe ihr Vater die deutsche Staatsangehörigkeit verloren. Folglich habe er der 1957 geborenen Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit nicht mehr vermitteln können. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2007 zurück.

Die von der Klägerin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat dagegen die Beklagte verpflichtet, der Klägerin eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 BVFG zu erteilen. Die Klägerin falle unter die Übergangsregelung des § 100 Abs. 4 BVFG und könne nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a.F. anerkannt werden. Sie habe als deutsche Staatsangehörige Tschechien verlassen. Ihr Vater sei als Sudetendeutscher im Jahr 1938 rechtswirksam eingebürgert worden und habe die deutsche Staatsangehörigkeit beim Erwerb der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft im Jahr 1950 nicht verloren. Zwar beruhe der Erwerb der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft auf einem Antrag, weil nach § 2 der Regierungsverordnung vom 29. November 1949 über die Rückgabe der Tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft an Personen Deutscher Nationalität (Nr. 252/1949 Sb.) ein "Gesuch" zwingend erforderlich gewesen sei. Für eine willentliche Entscheidung des Vaters über die Annahme der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit spreche auch der Vermerk auf dem Erlass vom 13. April 1950, wonach er den vorgeschriebenen staatsbürgerlichen Eid abgelegt habe. Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit trete bei Annahme einer ausländischen Staatsbürgerschaft aber nur ein, wenn der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit dem Betreffenden bekannt war oder bekannt sein musste, was nur bei grober Fahrlässigkeit anzunehmen sei. Hierfür genüge die bloße Kenntnis der die Staatsangehörigkeit begründenden Tatsachen nicht. Erforderlich sei auch eine gewisse Rechtskenntnis, die das Niveau einer "Parallelwertung in der Laiensphäre" nicht unterschreiten dürfe. Da keinerlei Nachforschungsobliegenheit bestehe, wirke sich jede Unkenntnis der deutschen Rechtslage zugunsten des Betroffenen aus. Der Vater der Klägerin habe jedoch im Jahr 1950 nicht mit Sicherheit wissen können, ob er die deutsche Staatsangehörigkeit noch besitze. Denn bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit am 26. Februar 1955 sei die Wirksamkeit der unter der nationalsozialistischen Herrschaft angeordneten Sammeleinbürgerungen umstritten gewesen. Es habe hinsichtlich der Anerkennung dieser Sammeleinbürgerungen eine unterschiedliche Behörden- und Gerichtspraxis gegeben. Deshalb sei auch der Gesetzgeber von einer unklaren Rechtslage ausgegangen (BTDrucks 2/44 S. 6, BTDrucks 2/849 S. 1). Daher habe sich dem Vater der Klägerin die Fortgeltung seiner deutschen Staatsangehörigkeit im Jahr 1950 nicht aufdrängen müssen.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 25 RuStAG (a.F.). Das Oberverwaltungsgericht habe sowohl an die Kenntnis als auch an das Kennenmüssen der deutschen Staatsangehörigkeit überzogene Anforderungen gestellt. Hinsichtlich der Kenntnis könne nicht gefordert werden, dass der Betroffene im Besitz einer Staatsangehörigkeitsurkunde der Bundesrepublik Deutschland sei oder über Rechtskenntnisse verfüge. Vielmehr müsse es genügen, wenn der Betreffende um die Tatsachen wisse, aus denen sich für ihn die Bewusstseinslage ergebe, deutscher Staatsangehöriger zu sein.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht nicht im Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Es beruht auf einer unrichtigen Auslegung und Anwendung des § 25 Abs. 1 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes in der Fassung vom 22. Juli 1913 (RGBl I S. 583; im Folgenden: RuStAG a.F.), der im vorliegenden Zusammenhang mit § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG übereinstimmt.

Das Oberverwaltungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin die begehrte Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 BVFG beanspruchen könnte, wenn sie bei ihrer Übersiedlung im Jahr 2000 als deutsche Staatsangehörige Aufnahme im Bundesgebiet gefunden hätte (§ 100 Abs. 4 BVFG i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a.F.). Die Klägerin ist jedoch nicht mit ihrer Geburt im Jahr 1957 deutsche Staatsangehörige geworden, weil ihr Vater durch den antragsgemäßen Erwerb der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft bereits im Jahr 1950 seine deutsche Staatsangehörigkeit verloren hatte. Er konnte ihr damit die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 1 RuStAG a.F. nicht mehr vermitteln.

1. Nach § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. verlor ein Deutscher, der im Inland weder einen Wohnsitz noch einen ständigen Aufenthalt hatte, seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit.

a) Dieser allgemeine Verlusttatbestand fand auch bei Sudetendeutschen Anwendung, die - wie der Vater der Klägerin - im Wege der Sammeleinbürgerung nach dem "Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Tschechoslowakischen Republik über Staatsangehörigkeits- und Optionsfragen" vom 20. November 1938 (RGBl II S. 896) die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hatten. Im Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit (StARegG) vom 22. Februar 1955 (BGBl I S. 65) wurde nicht nur die Rechtswirksamkeit dieses Staatsangehörigkeitserwerbs bestätigt. In § 2 StARegG wurde auch die Möglichkeit des zwischenzeitlichen Verlustes der Staatsangehörigkeit klargestellt. Der Gesetzgeber hielt insbesondere den Verlust nach § 25 RuStAG a.F. beim antragsgemäßen Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit für möglich (BTDrucks 2/44 S. 8). In diesem Punkt sollte keinerlei unterschiedliche Behandlung der kollektiv eingebürgerten Personen gegenüber anderen deutschen Staatsangehörigen erfolgen (vgl. BTDrucks 2/982 S. 2; Makarov, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, 2. Aufl. 1971, S. 334 m.w.N.)

b) Der Vater der Klägerin hat die Tatbestandsmerkmale des § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. erfüllt. Er hatte seinen Wohnsitz und ständigen Aufenthalt nicht in Deutschland. Ferner hat das Oberverwaltungsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO in tatsächlicher Hinsicht bindend festgestellt, dass der Erwerb der tschechischen Staatsangehörigkeit auf einem Antrag des Vaters der Klägerin beruhte und auch freiwillig erfolgt ist.

2. Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit scheidet auch nicht deshalb aus, weil der Vater der Klägerin beim Antragserwerb der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit nicht die erforderliche Kenntnis vom Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit hatte. Die vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Tatsachen lassen einen solchen Schluss nicht zu.

Das Oberverwaltungsgericht ist zwar im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass ein Deutscher seine Staatsangehörigkeit nur verliert, wenn ihm im Zeitpunkt des Antragserwerbs der ausländischen Staatsbürgerschaft der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit bekannt war oder hätte bekannt sein müssen (Urteil vom 10. April 2008 - BVerwG 5 C 28.07 - BVerwGE 131, 121 Rn. 25). Diese Einschränkung gilt bei § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. ebenso wie bei der derzeit geltenden Regelung des § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG. Das Berufungsgericht hat allerdings die bei der Prüfung dieser Kriterien anzulegenden Maßstäbe nicht richtig erfasst.

a) Die den Anwendungsbereich des § 25 Abs. 1 Satz 1 RuStAG/StAG einschränkende Auslegung, nach der bei Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit auf Antrag die deutsche Staatsangehörigkeit nur verloren geht, wenn der Erwerber seine deutsche Staatsangehörigkeit kannte oder sie hätte kennen müssen, ergibt sich nicht nur aus der Vorschrift selbst, sondern ist zugleich mit Rücksicht auf den grundrechtlichen Schutz der Staatsangehörigkeit nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG geboten (Urteil vom 10. April 2008 a.a.O.). Der mit § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. verbundene Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ist verfassungsrechtlich nur unbedenklich, wenn der deutsche Staatsangehörige den Eintritt der gesetzlichen Rechtsfolge in zumutbarer Weise beeinflussen kann (s.a. BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 - BVerfGE 116, 24 <44>). Hierfür muss er auf der Grundlage eines freien Willensentschlusses selbstverantwortlich auch darüber bestimmen können, dass mit der Entscheidung für den antragsabhängigen Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit die daran geknüpfte gesetzliche Rechtsfolge des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit eintritt. Nur dann bringt der Antrag auf Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit objektiv die - die gesetzliche Verlustfolge legitimierende - selbstverantwortliche Entscheidung für die Hinwendung zu einer fremden Staatsangehörigkeit zum Ausdruck. Mit Rücksicht darauf ist die Kenntnis von der deutschen Staatsangehörigkeit grundsätzlich Voraussetzung dafür, dass ein den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit beantragender deutscher Staatsangehöriger auf den Verlust seiner Staatsangehörigkeit Einfluss nehmen kann. Das Wissen um die deutsche Staatsangehörigkeit setzt ihn in die Lage, von der ihm in § 25 Abs. 2 Satz 1 RuStAG a.F. (= § 25 Abs. 2 Satz 1 StAG) eingeräumten Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Erteilung einer Beibehaltungsgenehmigung zu beantragen und bis zu deren Erhalt auf den Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit zu verzichten oder im Falle der Ablehnung der Beibehaltungsgenehmigung seinen Schritt noch einmal zu überdenken (zuletzt Urteile vom 29. April 2010 - BVerwG 5 C 5.09 - NVwZ-RR 2010, 658 und - BVerwG 5 C 4.09 - juris Rn. 9).

b) Für die Anforderungen, die im Einzelnen an die Kenntnis der deutschen Staatsangehörigkeit im Rahmen des § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. zu stellen sind, kommt es maßgeblich auf das (wie auch immer erlangte) Bewusstsein der deutschen Staatsangehörigkeit an. Für die Entscheidung des Betroffenen ist wesentlich, dass er um seine deutsche Staatsangehörigkeit weiß, nicht wie er zu dieser Erkenntnis gelangt ist. Es kommt folglich nicht darauf an, dass der Antragsteller über ein vertieftes Wissen im Staatsangehörigkeitsrecht verfügt und zutreffend die rechtlichen Gründe für den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit aufgrund einer juristischen Subsumtion oder Parallelwertung in der Laiensphäre darlegen kann. Es genügt das aufgrund von Erfahrungs- oder Indiztatsachen gewonnene Bewusstsein der staatsbürgerlichen Zugehörigkeit zum deutschen Staat. Denn die meisten Menschen gelangen zu der Überzeugung, die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen, nicht aufgrund rechtlicher Kenntnisse und Überlegungen. Der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit wird vielmehr regelmäßig aus Tatsachen gefolgert, wie vor allem aus dem Erhalt von amtlichen deutschen Urkunden und Ausweispapieren, die eine Person als deutschen Staatsangehörigen bezeichnen, oder z.B. aus Auskünften von Behörden, aber auch aus entsprechenden Belehrungen im Elternhaus und in der Schule, aus der Zugehörigkeit zu einer Familie mit deutscher Staatsangehörigkeit oder aus der Zugehörigkeit zu einer Gruppe von kollektiv eingebürgerten Personen.

Das Bewusstsein, deutscher Staatsangehöriger zu sein, erfordert als Voraussetzung dafür, auf den Verlust der Staatsangehörigkeit bei Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit Einfluss nehmen zu können, eine hinreichende Überzeugungsgewissheit. Das Bewusstsein der bloßen Möglichkeit oder einer geringen Wahrscheinlichkeit, im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit zu sein, reicht nicht aus. Absolute Gewissheit hingegen muss nicht vorliegen. Gewisse Zweifel sind unschädlich. So bestanden zwar an der Rechtsgültigkeit der vom Staatsangehörigkeitsregelungsgesetz erfassten Sammeleinbürgerungen in der Nachkriegszeit objektiv rechtliche Zweifel. § 2 StARegG ist aber - wie gezeigt - gleichwohl von der Möglichkeit des Verlusts nach § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. durch Antragserwerb ausgegangen. Dementsprechend wollte der Gesetzgeber für die zurechenbare Kenntnis der deutschen Staatsangehörigkeit das Bewusstsein des Betroffenen ausreichen lassen, dass die durch eine Sammeleinbürgerung vermittelte deutsche Staatsangehörigkeit fortbesteht. Rechtliche oder tatsächliche Zweifel am (Fort-)Bestand der deutschen Staatsangehörigkeit berühren die erforderliche zurechenbare Kenntnis der deutschen Staatsangehörigkeit nur und erst dann, wenn sie dem Betroffenen auch bekannt und bei einer objektiven Betrachtung geeignet sind, sich auf sein Bewusstsein, dass die deutsche Staatsangehörigkeit (fort-)besteht, auszuwirken.

c) Diesen Maßstäben entspricht das Berufungsurteil nicht, soweit es im Hinblick auf denkbare Zweifel an der Rechtswirksamkeit der Sammeleinbürgerung des Vaters der Klägerin allein darauf abgestellt hat, dass die Rechtslage im Jahr 1950 in der Bundesrepublik Deutschland noch ungeklärt und in der Rechtsprechung und Rechtspraxis der Besatzungszonen zwischen 1945 und 1955 umstritten war. Das Oberverwaltungsgericht hat damit allein objektive rechtliche Zweifel ausreichen lassen, ohne deren Eignung in den Blick zu nehmen, das subjektive Staatsangehörigkeitsbewusstsein des Vaters der Klägerin zu berühren.

d) Auch die Annahme des Berufungsgerichts, dem Vater der Klägerin hätte sich die Fortgeltung seiner deutschen Staatsangehörigkeit im Jahr 1950 nicht aufdrängen müssen, beruht auf diesem rechtlich unzutreffenden Ansatz. Die Bewertung des Oberverwaltungsgerichts, der Vater der Klägerin habe bei Erwerb der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit keine Kenntnis seiner deutschen Staatsangehörigkeit gehabt, erweist sich auch nicht aus einem anderen Grund als zutreffend. Vielmehr lassen die vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen nur den Schluss zu, dass der Vater der Klägerin bei der Beantragung der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit in dem Bewusstsein gehandelt hat, noch die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen.

aa) Der Vater der Klägerin war nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ein deutscher Volkszugehöriger, der ausweislich der vorgelegten Schulzeugnisse die deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrschte. Ob er im Jahr 1938 als Dreizehnjähriger die Annexion des Sudetenlands bewusst miterlebt hat und ob ihm bereits in der deutschen Schule das Bewusstsein vermittelt worden ist, nunmehr zum Deutschen Reich zu gehören und die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen, ist nicht festgestellt. Der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit musste sich dem Vater der Klägerin jedenfalls als Fünfzehnjährigem nach Abschluss des Schulbesuches aufdrängen, weil in seinem Arbeitsbuch unter Staatsangehörigkeit "Deutsches Reich" vermerkt war. Die Einberufung zur Deutschen Wehrmacht war ein weiteres Indiz. Schließlich wurde ihm in seinem Soldbuch, das als Personalausweis diente, der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit bescheinigt. Ist aber ein deutscher Volkszugehöriger - wie der Vater der Klägerin - im Besitz von Dokumenten, die ihn als deutschen Staatsangehörigen ausweisen, dann lässt dies regelmäßig den Schluss zu, dass er das Bewusstsein hat, deutscher Staatsangehöriger zu sein. Auch das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Vater des Klägers während des Zweiten Weltkrieges um seine deutsche Staatsangehörigkeit wusste.

bb) Bei dieser Sachlage, die mit den vom Senat bislang entschiedenen Sachverhalten nicht vergleichbar ist, kann die nach den Umständen anzunehmende Kenntnis des Vaters der Klägerin, deutscher Staatsangehöriger zu sein, nur dann in einer für die Anwendung des § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. beachtlichen Weise berührt werden, wenn sich aus anderen Tatsachen nicht nur objektiv, sondern auch aus Sicht des Betroffenen hinreichend gewichtige Zweifel am Fortbestand der bisherigen (deutschen) Staatsangehörigkeit ergeben. Solche Zweifel sind hier aber weder geltend gemacht noch erkennbar. Insbesondere musste sich bei deutschen Staatsangehörigen, die - wie der Vater der Klägerin - nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Tschechoslowakei verblieben sind, die Frage nach dem Fortbestand der deutschen Staatsangehörigkeit nicht ernsthaft stellen. Die Tschechoslowakei ging nämlich, wie das Oberverwaltungsgericht festgestellt hat, selbst von der Wirksamkeit der deutschen Sammeleinbürgerungen aus und betrachtete die verbliebenen Deutschen nicht als tschechoslowakische Staatsbürger. Aus dem Verhalten der tschechoslowakischen Behörden kann sich daher gegenüber dem Vater der Klägerin kein Indiz für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ergeben haben.

Auch aus den Zweifeln, die sich vor allem in der amerikanischen Besatzungszone am Fortbestand der deutschen Staatsangehörigkeit ergeben hatten, die aber z.B. in der britischen Besatzungszone nicht geteilt wurden (s. etwa Schätzel, AöR 74, 273 <299 f.>; s.a. Makarov, JZ 1952, 403 <405>; Augst, NJW 1950, 98), lässt sich entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht herleiten, dass der Vater der Klägerin hiervon Kenntnis hatte und dass dies sein Bewusstsein, Deutscher zu sein, erschüttert haben könnte.

Die Klägerin hat auch selbst keine Umstände vorgetragen, die darauf schließen ließen, dass ihr Vater im Jahr 1950 das Bewusstsein verloren hätte, die deutsche Staatsangehörigkeit wahrscheinlich noch zu besitzen. Weder sie noch das Berufungsgericht haben behauptet oder gar belegt, dass der Vater der Klägerin im Jahr 1950 von der rechtlichen Diskussion in Deutschland über die generelle Rechtmäßigkeit der Sammeleinbürgerungen Kenntnis gehabt und sich die umstrittene Auffassung von der Völkerrechtswidrigkeit der Sammeleinbürgerungen zu eigen gemacht hätte.

cc) Selbst wenn aufgrund von - von dem Oberverwaltungsgericht nicht angenommenen und auch sonst nicht ersichtlichen - besonderen Umständen Rechtskenntnisse dahin unterstellt werden könnten, dass eine nach Besatzungszonen divergierende rechtliche Bewertung der auf einer Sammeleinbürgerung im Sudetenland gründenden deutschen Staatsangehörigkeit in der Nachkriegszeit bekannt gewesen ist, reichte dies für sich allein nicht aus. Denn dann wäre für den Regelfall davon auszugehen, dass eine Person, die aufgrund der Sammeleinbürgerung in der amerikanischen Zone mit Schwierigkeiten bei der Anerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit rechnete, auch darum wusste, dass z.B. in der britischen Besatzungszone ihre Anerkennung als deutscher Staatsangehöriger ohne weiteres zu erwarten war.

e) Im Übrigen ginge es hier ausnahmsweise nicht zu Lasten der Beklagten, wenn insoweit nicht ausräumbare Unklarheiten bestünden. Zwar gilt im Staatsangehörigkeitsrecht, dass der Bürger grundsätzlich für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit beweispflichtig ist, während die Behörde in der Regel die objektive Beweislast für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit trägt (Beschluss vom 16. Januar 1992 - BVerwG 9 B 192.91 - NVwZ-RR 1992, 439 <441>; BayVGH, Urteil vom 22. März 1999 - 11 B 96.2183 - DVBl 1999, 1218). Diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ist allerdings in Bezug auf Tatsachen, die sich in der für behördliche Ermittlungen nur schwer zugänglichen Sphäre des Einzelnen bewegen, jedenfalls dann nicht sachgerecht, wenn dem Erwerber positiv bekannt gewesen ist, die deutsche Staatsangehörigkeit besessen zu haben, und nur zu beurteilen ist, ob er in der Folgezeit aufgrund objektiv feststellbarer Umstände an deren Fortbestand beachtliche Zweifel gehabt hat. Zumindest in dieser besonderen Fallkonstellation kann der Behörde die Darlegungs- und Beweislast für den Nachweis der Kenntnis vom Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit allenfalls dann auferlegt werden, wenn bereits beachtliche Zweifel des Erwerbers an deren Fortbestand dargelegt und bewiesen sind. Letzteres wäre aber hier - wie dargelegt - nicht der Fall.

f) Auf die nur im Fall der fehlenden Kenntnis zu prüfende Frage, ob der Vater der Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit hätte kennen müssen (vgl. dazu Urteil vom 29. April 2010 a.a.O.), kommt es nicht mehr an.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.