BVerwG, Urteil vom 17.12.2009 - 10 C 27.08
Fundstelle
openJur 2011, 89539
  • Rkr:

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist auch bei einer Einstellung des Verfahrens im Fall des Verzichts gemäß § 14a Abs. 3 AsylVfG berechtigt, eine Abschiebungsandrohung zu erlassen.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 17. Juni 2008 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I.

Die Klägerin, eine im März 1996 in Deutschland geborene Tochter abgelehnter Asylbewerber, wendet sich gegen die Androhung ihrer Abschiebung in die Russische Föderation.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (damals noch: Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge) - Bundesamt - hatte die Asylanträge der Eltern der Klägerin, die aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion stammen, 1999 unanfechtbar abgelehnt. Im April 2006 zeigte die Ausländerbehörde gemäß § 14a Abs. 2 AsylVfG dem Bundesamt die Geburt der Klägerin an. Daraufhin verzichteten die Eltern der Klägerin als ihre gesetzlichen Vertreter auf die Durchführung eines Asylverfahrens und erklärten, dass der Klägerin keine politische Verfolgung drohe.

Mit Bescheid vom 5. Mai 2006 stellte das Bundesamt das Asylverfahren gemäß § 32 AsylVfG ein (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Zugleich forderte es die Klägerin auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen und drohte ihr für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in die Russische Föderation an (Nr. 3).

Die auf Aufhebung des Bescheids gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zugelassen, soweit sich die Klägerin gegen Nr. 2 und 3 des Bescheids des Bundesamtes wendet. Im Juni 2008 änderte das Bundesamt den angefochtenen Bescheid dahin, dass es die Ausreisefrist nunmehr auf einen Monat festsetzte. Insoweit erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt und die Klägerin wandte sich nur noch gegen die Abweisung ihrer Klage betreffend die Androhung ihrer Abschiebung.

Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 17. Juni 2008 das Verfahren hinsichtlich des erledigten Teils eingestellt und die Berufung, soweit sie noch anhängig war, zurückgewiesen. Es hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Das Bundesamt habe der Klägerin auch im Fall des Verzichts auf die Durchführung eines Asylverfahrens die Abschiebung androhen dürfen. Die Vorschrift des § 34 AsylVfG sei entgegen der Auffassung der Klägerin auch in den Fällen des § 14a Abs. 3 AsylVfG anwendbar. Die Einstellung nach § 32 AsylVfG und die Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 AsylVfG seien selbstständige Entscheidungen, die nach § 34 Abs. 2 AsylVfG allerdings in einem Bescheid zusammengefasst werden sollen. Auch die Einstellung nach § 32 AsylVfG stelle eine Entscheidung im Sinne von § 34 Abs. 2 AsylVfG dar.

Die Klägerin stützt ihre hiergegen eingelegte Revision im Wesentlichen auf folgende Gründe: Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts sei § 34 AsylVfG in den Fällen des § 14a Abs. 3 AsylVfG nicht anwendbar. Die Einstellung des Verfahrens auf Grund der Verzichtserklärung nach § 32 Satz 1 AsylVfG stelle eine Spezialregelung für den Inhalt der zu treffenden Entscheidung dar. Es sei die Einstellung des Verfahrens festzustellen und die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 5 oder 7 AufenthG zu beantworten. Weitere Entscheidungen seien nicht vorgesehen und deswegen unzulässig. Ein Rückgriff auf allgemeine Regelungen wie § 34 AsylVfG sei neben der Spezialregelung des § 32 AsylVfG rechtssystematisch unzulässig. Eine derartige Beschränkung des Entscheidungsbereichs sei auch nach dem Sinn der Regelung des § 14a Abs. 2 AsylVfG sachgerecht. Diese Vorschrift bezwecke nämlich ausschließlich, zeitlich gestreckte Antragstellungen bei Kindern von (ehemaligen) Asylbewerbern zu verhindern. Dieses Ziel werde durch die Einleitung des Asylverfahrens nach § 14a Abs. 2 AsylVfG und die herbeizuführende Entscheidung, ob Flüchtlingsschutz zu gewähren ist oder nicht, erreicht. Eine Abschiebungsandrohung sei auch deswegen nicht veranlasst, weil in den in Betracht kommenden Fällen auch eine ausländerrechtlich vollziehbare Ausreisepflicht bestehe oder ohne Schwierigkeiten herbeigeführt werden könne.

Das Bundesamt verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich an dem Verfahren beteiligt.

II.

Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil steht, soweit es angefochten worden ist, in Übereinstimmung mit revisiblem Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO).

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur die in Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts vom 5. Mai 2006 ausgesprochene Abschiebungsandrohung. Diese findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 AsylVfG i.d.F. vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798). Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlässt das Bundesamt nach den §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG eine Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird und er keinen Aufenthaltstitel besitzt. Nach § 34 Abs. 2 AsylVfG soll die Abschiebungsandrohung mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden.

Mit Recht kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass das Bundesamt auch bei einer Einstellung des Verfahrens nach § 32 AsylVfG im Fall des Verzichts gemäß § 14a Abs. 3 AsylVfG zum Erlass einer Abschiebungsandrohung ermächtigt ist. Dafür spricht schon der Wortlaut des § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, der die Befugnis des Bundesamts zur Androhung der Abschiebung in allen Fällen begründet, in denen der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird und nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels ist. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist nicht auf die Fälle beschränkt, in denen eine ablehnende Sachentscheidung über den Asylantrag gefällt wird; er erfasst vielmehr auch die Fälle, in denen es einer solchen Entscheidung wegen der Rücknahme des Antrags nach § 32 Abs. 1 Alt. 1 AsylVfG oder des Verzichts nach § 14a Abs. 3 AsylVfG nicht mehr bedarf. § 32 AsylVfG ist - entgegen der Auffassung der Revision - auch keine Spezialvorschrift, die die Anwendung von § 34 AsylVfG ausschließt. Vielmehr steht § 32 AsylVfG im Dritten Unterabschnitt des Zweiten Abschnitts des Gesetzes, in dem das Verfahren beim Bundesamt mit den unterschiedlichen Entscheidungsvarianten (z.B. nach §§ 30 bis 32) geregelt wird. § 34 AsylVfG findet sich hingegen im nachfolgenden Vierten Unterabschnitt, der die Vorschriften über die Aufenthaltsbeendigung enthält. Bestimmungen über die Aufenthaltsbeendigung, zu denen die Androhung der Abschiebung zählt, sind dem Vierten Unterabschnitt vorbehalten. Die Regelungen in § 34 AsylVfG gelten mangels einschränkender Bestimmungen für alle Entscheidungen im Sinne des Dritten Unterabschnitts, durch die der Ausländer nicht als Asylberechtigter oder Flüchtling anerkannt wird, auch für Einstellungsentscheidungen nach § 32 AsylVfG. Dies wird durch die in § 38 Abs. 2 AsylVfG getroffene Regelung zur Ausreisefrist des Ausländers im Fall der Rücknahme seines Asylantrags bestätigt. Eine Ausreisefrist wird gemäß § 59 Abs. 1 AufenthG im Rahmen einer Abschiebungsandrohung gesetzt. Daraus folgt, dass eine Abschiebungsandrohung auch in Fällen einer Einstellungsentscheidung nach § 32 AsylVfG zu erlassen ist und nicht nur im Fall einer sachlichen Zurückweisung des Asylbegehrens. Hingegen kann aus der in § 38 Abs. 2 AsylVfG nur für den Fall der Rücknahme getroffenen Fristregelung nicht geschlossen werden, der Gesetzgeber habe im Fall des Verzichts nach § 14a Abs. 3 AsylVfG den Erlass einer Abschiebungsandrohung ausschließen wollen.

Die Anwendung des § 34 AsylVfG auf Entscheidungen nach § 32 AsylVfG entspricht auch dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung. §§ 32 und 34 AsylVfG wurden durch das Asylverfahrensgesetz 1992 (Gesetz vom 26. Juni 1992, BGBl I S. 1126) neu eingeführt. Die damalige Gesetzesnovelle diente der Beschleunigung der Asylverfahren, unter anderem durch Verlagerung bestimmter Zuständigkeiten von den Ausländerbehörden der Länder auf das Bundesamt (vgl. Gesetzesbegründung in BTDrucks 12/2062 vom 12. Februar 1992, S. 1). Zweck des seinerzeit neu eingeführten § 32 AsylVfG ist, eine Verzögerung der Aufenthaltsbeendigung bei Antragsrücknahme (seit 2005 auch bei Verzicht nach § 14a Abs. 3 AsylVfG) dadurch zu verhindern, dass das Bundesamt auch im Fall der freiwilligen Verfahrensbeendigung "die ausländerrechtlichen Entscheidungen" trifft (vgl. BTDrucks 12/2062, S. 33). Das bedeutet, dass das Bundesamt die Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylVfG, für deren Erlass bis 1992 die Ausländerbehörden zuständig waren, verfügen und die Entscheidung über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 5 und Abs. 7 AufenthG treffen soll (so zum Zweck der Regelung auch Marx, AsylVfG, 7. Aufl. 2009, § 32 Rn. 1). Das Asylverfahrensgesetz ist vom Grundsatz der Beschleunigung und Konzentration des Verfahrens geprägt (vgl. Urteil vom 21. März 2000 - BVerwG 9 C 41.99 - BVerwGE 111, 77 <79>). Der Gesetzgeber hat in der Verlagerung der Kompetenz zum Erlass der Abschiebungsandrohung auf das Bundesamt - also in dem zeitlichen Vorziehen dieser Entscheidung - ein Mittel zur Verfahrensbeschleunigung gesehen, unter anderem auch deshalb, weil Ausländer sich häufig erst durch die Androhung der Abschiebung für eine freiwillige Ausreise entscheiden (vgl. BTDrucks 12/2062, S. 44). Diesem Ziel der gesetzlichen Regelung würde es widersprechen, wenn der Ausländer durch Rücknahme des Asylantrags oder Verzicht auf die Durchführung des Verfahrens nach § 14a Abs. 3 AsylVfG den Erlass der Abschiebungsandrohung durch das Bundesamt bei Abschluss des dort geführten Verfahrens verhindern und auf eine spätere Entscheidung durch die Ausländerbehörde verlagern könnte. Daher hat das Bundesamt die Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylVfG auch im Fall der Verfahrenseinstellung nach § 32 AsylVfG zu erlassen (so im Ergebnis auch Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, Stand Oktober 2009, § 34 Rn. 48; Hailbronner, AsylVfG, Stand Juni 2009, § 34 Rn. 19).

Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.