BFH, Beschluss vom 18.11.2010 - XI B 28/10
Fundstelle
openJur 2011, 88832
  • Rkr:
Gründe

Die Beschwerde des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) wegen Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.

1. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) noch erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Streitfall eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO). Ebenso wenig liegt ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann, vor (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

a) Die Revision ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn die für ihre Beurteilung maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Dies ist nur der Fall, wenn die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist.

Die vom Kläger für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Rechtsfrage, ob ein Steuerpflichtiger als Geschäftsführer einer GmbH für deren Umsatzsteuerschulden in Haftung genommen werden könne, wenn die zugrunde liegende Umsatzsteuerschuld aufgrund eines kollusiven Zusammenwirkens zwischen dem Vertragspartner der GmbH und den Finanzbehörden entstanden sei, ist im Streitfall nicht klärbar. Denn dass ein derartiges kollusives Zusammenwirken vorliegt, hat das Finanzgericht (FG) nicht festgestellt. Rechtsfragen, die von einem Sachverhalt ausgehen, den das FG nicht festgestellt hat, können eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht rechtfertigen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 15. Dezember 2006 V B 58/06, BFH/NV 2007, 743, m.w.N.; vom 22. April 2009 I B 196/08, BFH/NV 2009, 1588).

b) Im Streitfall erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH weder unter dem Gesichtspunkt der Divergenz noch zur Korrektur einer greifbaren Gesetzeswidrigkeit.

aa) Eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung wegen Divergenz setzt eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung der angefochtenen Entscheidung voraus. Diese ist dann gegeben, wenn das FG bei vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Rechtsauffassung vertritt als der BFH oder ein anderes FG (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 30. Oktober 2009 III B 6/08, BFH/NV 2010, 176, m.w.N.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 53, m.w.N.). Das FG muss seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt.

(1) Wie der Kläger unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des BFH vorbringt, ist die nach den Grundsätzen der anteiligen Tilgung zu ermittelnde Haftungsquote unter Berücksichtigung der Mittelverwendung während des gesamten Haftungszeitraums überschlägig zu ermitteln (vgl. Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 69 Rz 63, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Von diesem Rechtsgrundsatz weicht das FG in der angefochtenen Entscheidung nicht ab. Es bezieht sich zur Ermittlung der Haftungsquote des Klägers auf die bei der Gesellschaft, für deren Umsatzsteuerschulden er in Haftung genommen wurde, gegenüber dem Vater des Klägers bilanziell ausgewiesenen Forderungen und hält den Einwand, ein Vorgehen gegen diesen sei nicht möglich gewesen, für nicht überzeugend. Der Kläger mag die Feststellung des FG, dass diese Forderungen werthaltig gewesen seien und dem Kläger somit ausreichend Mittel zur Verfügung gestanden hätten, die Umsatzsteuer der Gesellschaft aus den von ihm verwalteten Mitteln zu entrichten, für rechtsfehlerhaft halten. Die Rechtseinheit wird jedoch nicht schon durch jede rechtsfehlerhafte Entscheidung eines Einzelfalls gefährdet, sondern nur durch die Nichtübereinstimmung verschiedener Gerichte im Grundsätzlichen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 30. Mai 2008 III B 37/07, BFH/NV 2008, 1533, m.w.N.; vom 17. Februar 2005 X B 185/03, BFH/NV 2005, 1060, m.w.N.).

(2) Mit dem angefochtenen Urteil weicht das FG ferner nicht in einer identischen Rechtsfrage von dem vom Kläger bezeichneten Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 26. März 2009 I ZR 42/06 (nicht veröffentlicht, juris) ab. Der BGH hatte dort über die Schadensberechnung nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie zu entscheiden. Das FG hatte demgegenüber die umsatzsteuerrechtliche Einordnung der Zahlung an die GmbH zu prüfen, um im Streitfall nicht steuerbaren Schadensersatz von steuerbaren Umsätzen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) abzugrenzen. Die Beurteilung, ob nicht steuerbarer Schadensersatz oder steuerbarer Leistungsaustausch vorliegt, ist ausschließlich nach umsatzsteuerrechtlichen Maßstäben zu bestimmen (vgl. BFH-Urteil vom 6. Mai 2004 V R 40/02, BFHE 205, 535, BStBl II 2004, 854, m.w.N.; Schlosser-Zeuner in Bunjes/Geist, UStG, 9. Aufl., § 1 Rz 28, m.w.N.). Eine Divergenz zu der Entscheidung des BGH, auf die der Kläger in seiner Beschwerdebegründung abstellt, liegt demnach nicht vor.

(3) Soweit der Kläger vorbringt, das FG prüfe trotz ausdrücklichen Hinweises im Klageverfahren nicht, ob die Voraussetzungen eines Steuersatzes in Höhe von 7 % gegeben seien, und hierdurch das BFH-Urteil vom 25. November 2004 V R 25, 26/04 (BFHE 208, 479, BStBl II 2005, 419) nicht anwende, ist dies nicht zutreffend. Das FG hatte in Bezug auf den angewandten Steuersatz keine Zweifel. Nach seiner Feststellung bestand nach der getroffenen Vereinbarung unter anderem die Verpflichtung, das ausschließliche Vertriebsrecht für die Softwareprogramme zu übertragen. Die Würdigung, was Hauptbestandteil der Gesamtleistung und mithin bestimmend für den Steuersatz ist, ist eine Einzelfallentscheidung, die selbst dann nicht die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO rechtfertigt, wenn sie, wie der Kläger meint, unzutreffend sein sollte.

(4) Auch das Vorbringen des Klägers hinsichtlich der Berücksichtigung eines möglichen Mitverschuldens des Steuergläubigers vermag die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann die Berücksichtigung eines etwaigen finanzbehördlichen Fehlverhaltens nur in den Fällen überhaupt in Betracht kommen, in denen es ein solch erhebliches Ausmaß annimmt, dass demgegenüber das Verschulden des Haftungsschuldners nicht entscheidend ins Gewicht fällt (vgl. BFH-Urteil vom 30. August 2005 VII R 61/04, BFH/NV 2006, 232, m.w.N.). Es stellt keine Abweichung von der Rechtsprechung des BFH dar, wenn das FG die Auszahlung von Steuerguthaben nicht als ein nach § 191 der Abgabenordnung bei der Bemessung der Haftungsquote zu berücksichtigendes Mitverschulden des Steuergläubigers wertet.

bb) Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zur Sicherung der Rechtseinheit auch zuzulassen, wenn das angefochtene Urteil an einem Rechtsfehler leidet, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 43, m.w.N.). Dies ist bei einem offensichtlichen materiellen oder formellen Rechtsfehler von erheblichem Gewicht, der die Entscheidung der Vorinstanz als willkürlich oder greifbar gesetzwidrig erscheinen lässt, der Fall (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Februar 2005 IX B 169/03, BFH/NV 2005, 1057, m.w.N.).

Dem Vorbringen des Klägers, ein gravierender Rechtsfehler sei darin zu sehen, dass das FG nicht den Unterschied zwischen Beleihung und Besicherung kenne, vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Selbst wenn das FG, wie der Kläger meint, zwischen Besicherung und Beleihung rechtsfehlerhaft nicht differenziert, wäre dies als bloßer Fehler der Rechtsanwendung, nicht aber als offensichtlicher Rechtsfehler von erheblichem Gewicht zu würdigen, der die angegriffene Entscheidung als willkürlich oder greifbar gesetzwidrig erscheinen lassen würde und geeignet wäre, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO rechtfertigt dies jedenfalls nicht.

c) Der vom Kläger geltend gemachte Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.

Der Kläger beanstandet, das FG habe die angebotenen Zeugen nicht gehört. Mit diesem Vorbringen rügt er einen Verstoß des FG gegen die Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts nach § 76 Abs. 1 FGO (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Oktober 2008 VIII B 20-22/08, BFH/NV 2009, 183).

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH setzt die Rüge der mangelnden Sachaufklärung wegen übergangener entscheidungserheblicher Beweisanträge voraus, dass der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdeschrift i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO darlegt, (1.) die ermittlungsbedürftigen Tatsachen, (2.) die angebotenen Beweismittel und die dazu angegebenen Beweisthemen, (3.) die genauen Fundstellen, in denen die Beweisthemen angeführt worden sind, (4.) das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme und (5.) inwiefern das angefochtene Urteil des FG aufgrund dessen materiell-rechtlicher Auffassung auf der unterbliebenen Beweisaufnahme beruhen kann (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 183, m.w.N.).

Im Streitfall genügt die Beschwerdeschrift diesen Anforderungen nicht. Es fehlt bereits an der Darlegung der ermittlungsbedürftigen Tatsachen und der Bezeichnung des Beweisthemas. Der Kläger führt in seiner Beschwerdeschrift unter dem Punkt "Beweisthema" jeweils auf, was die Zeugen voraussichtlich ausgesagt hätten, ohne jedoch die ermittlungsbedürftige Tatsache oder das Beweisthema selbst zu bezeichnen. Das jeweilige Vorbringen unter dem Punkt "Entscheidungserheblichkeit" bezeichnet ebenso wenig weder eine ermittlungsbedürftige Tatsache noch ein Beweisthema.

bb) Die Revision ist darüber hinaus nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Möglichkeit besteht, dass das Urteil bei richtigem Verfahren anders ausgefallen wäre. Dabei kommt es auf den materiell-rechtlichen Standpunkt des FG an (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 8. April 2010 V B 20/08, BFH/NV 2010, 1616, m.w.N.; vom 7. Februar 1995 V B 62/94, BFH/NV 1995, 861, m.w.N.).

Das angefochtene Urteil kann aber nicht auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler der mangelnden Sachaufklärung i.S. des § 76 Abs. 1 FGO beruhen. Die übergangenen Beweisangebote waren nach der materiell-rechtlichen Auffassung des FG nicht entscheidungserheblich.

Eine Einvernahme von Zeugen zur Frage der Abgrenzung eines steuerfreien Schadensersatzes von einem nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbaren Leistungsaustausch war nicht erforderlich. Der vereinnahmte Betrag war, was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, in Erfüllung der dem FG vorliegenden Vereinbarung geleistet worden. Die Würdigung dieser Vereinbarung ist Sache des Gerichts. Nach Würdigung des FG im Streitfall war Gegenstand dieser Vereinbarung, auf deren Grundlage die Zahlung erfolgte, ein Leistungsaustausch, kein Schadensersatz.

Das FG ist zutreffend der Auffassung, die Beurteilung der Umsatzsteuerpflicht des leistenden Unternehmers hänge nicht davon ab, ob der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug zu Recht in Anspruch genommen habe. Auf eine Befragung von Zeugen konnte es daher insoweit verzichten.

Auch auf die Befragung von Zeugen hinsichtlich einer etwaigen Tilgungsquote konnte das FG verzichten. Im Haftungszeitraum standen der Gesellschaft, für deren Umsatzsteuerschulden der Kläger in Haftung genommen wird, nach den Feststellungen des FG gegenüber dem Vater des Klägers Forderungen in einer Höhe zu, die die Steuerschulden weit überstiegen. Auf die Einvernahme von Zeugen wie etwa zum Umsatzrückgang und der betriebswirtschaftlichen Lage der Gesellschaft konnte das FG daher verzichten. Ob der Vater des Klägers im Haftungszeitraum an die Gesellschaft freiwillig Zahlungen geleistet hätte und die Beleihung seiner Grundstückshälfte zur Rückführung seiner Verbindlichkeiten möglich gewesen wäre, ist für die Entscheidung des FG nicht erheblich. Zeugen waren hierzu nicht zu vernehmen. Der Kläger hätte gegen seinen Vater und Vorgängergeschäftsführer gerichtlich vorgehen und notfalls aus einem vollstreckbaren Titel auch vollstrecken müssen.

d) Soweit der Kläger mit seinem Vorbringen die materielle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung in Frage stellt, rügt er die aus seiner Sicht fehlerhafte Rechtsanwendung, also materiell-rechtliche Fehler. Einen Revisionszulassungsgrund begründet dies jedoch nicht (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 5. Juni 2008 IX B 249/07, BFH/NV 2008, 1512, m.w.N.).

2. Die vom Kläger beantragte Anordnung des Ruhens des Verfahrens nach § 155 FGO i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung kommt nicht in Betracht. Weder liegen hierzu übereinstimmende Anträge der Beteiligten vor, da der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) dem Antrag des Klägers nicht zugestimmt hat, noch erscheint die Anordnung der Verfahrensruhe zweckmäßig, da nach Mitteilung des FA keine weiteren Verhandlungen über eine außergerichtliche Einigung stattfinden.

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).