BFH, Beschluss vom 15.10.2009 - III B 57/08
Fundstelle
openJur 2011, 87507
  • Rkr:
Tatbestand

I. Der zu 100 % schwerbehinderte Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhielt im Streitzeitraum August 2003 bis einschließlich März 2007 Hilfe zum Lebensunterhalt von der Stadt S, Fachbereich Soziales (Stadt S).

Im August 2006 beantragte die Mutter des Klägers für diesen Kindergeld. Im Oktober 2006 beantragte der Kläger die Auszahlung des Kindergeldes an sich. Im Januar 2007 stellte die Stadt S einen Antrag auf Erstattung nach den §§ 102 ff. des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 74 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Mit Bescheid vom März 2007 entsprach die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) dem Antrag des Klägers auf Abzweigung des Kindergeldes. Sie führte aus, dem Kläger stehe ab April 2007 ein Abzweigungsbetrag in Höhe von 154 EUR monatlich aus dem Kindergeldanspruch der Mutter zu. Der Anspruch gelte dem Kläger gegenüber für den Zeitraum von August 2003 bis März 2007 in Höhe von ... EUR nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 107 SGB X als erfüllt; insoweit habe die Stadt S einen Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. §§ 103, 104 SGB X geltend gemacht, da für diesen Zeitraum Sozialleistungen ohne Anrechnung von Kindergeld gewährt worden seien.

Einspruch und Klage des Klägers blieben erfolglos.

Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).

Kindergeld sei zwar sozialhilferechtlich grundsätzlich Einkommen dessen, an den es als Leistungs- oder Abzweigungsberechtigten ausgezahlt werde. Das bedeute aber nicht, dass jedes an sich zu berücksichtigende Einkommen Einfluss auf die Höhe der zu bewilligenden Leistungen habe. Vielmehr müsse es sich um sog. "bereites Einkommen" handeln, d.h. um Einkommen, das dem Bedürftigen auch tatsächlich und nicht nur normativ zur Verfügung stehe. Das sei hier nicht der Fall. Er, der Kläger, habe erstmals im Oktober 2007 die Auszahlung des Kindergeldes an sich beantragt. Für den vorangehenden Zeitraum habe ihm zwar normativ das Kindergeld zugestanden, faktisch sei es jedoch nicht zur Auszahlung gelangt. Eine Berücksichtigung als Einkommen des Kindergeldberechtigten entspreche daher nicht der Sach- und Rechtslage. Eine Berücksichtigung als Einkommen sei auch bereits vom Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 11. Dezember 2007 B 8/9b SO 23/06 R (BSGE 99, 262, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht --FamRZ-- 2008, 1068) verneint worden.

Hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde beantragt der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Gründe

II. Dahinstehen kann, ob dem Kläger hinsichtlich der versäumten Frist zur Beschwerdebegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Denn die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und daher durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO).

1. Die Beschwerde ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, Alternative 2 FGO) zuzulassen. Das angegriffene Urteil des Finanzgerichts weicht nicht von dem Urteil des BSG in BSGE 99, 262, FamRZ 2008, 1068 ab, denn jenes Urteil betraf einen anderen Fall. In dem der Entscheidung des BSG zugrunde liegenden Fall ging es um die Frage, ob das zugunsten der Mutter festgesetzte und an sie auch ausgezahlte Kindergeld ihr sozialhilferechtlich gleichwohl nicht als eigenes Einkommen zuzurechnen war, weil sie es an ihren in einem eigenen Haushalt lebenden volljährigen Sohn weitergeleitet hatte und es sich deshalb möglicherweise nicht mehr um "bereites Einkommen" der Mutter handelte. Demgegenüber war das Kindergeld im vorliegenden Fall nicht an die Mutter des Klägers ausgezahlt worden, weil es an den Kläger abgezweigt worden war. Für diesen Fall einer Abzweigung an das Kind nach § 74 Abs. 1 EStG ist Kindergeld auch nach der zitierten Entscheidung des BSG sozialhilferechtlich dem Kind und nicht dem Kindergeldberechtigten als eigenes Einkommen zuzurechnen.

2. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) wurde nicht in einer den Voraussetzungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Art und Weise dargelegt, denn es fehlt schon an der Bezeichnung einer klärbaren Rechtsfrage. Abgesehen davon ist in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bereits geklärt, dass das Kindergeld dann als Einkommen des im eigenen Haushalt lebenden, Hilfe zum Lebensunterhalt erhaltenden Kindes anzusehen ist, wenn es --wie hier-- nach § 74 Abs. 1 EStG an das Kind abgezweigt wird (vgl. BFH-Urteile vom 17. April 2008 III R 33/05, BFHE 221, 47, BFH/NV 2008, 1577, und vom 17. Juli 2008 III R 87/06, BFH/NV 2008, 1833).