BFH, Urteil vom 10.07.2008 - IX R 4/08
Fundstelle
openJur 2011, 85203
  • Rkr:
Tatbestand

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eigentümer eines bebauten Grundstücks. In den Streitjahren (1999 bis 2002) vermieteten sie das Erd- und Obergeschoss des Hauses und nutzten das Dachgeschoss zu eigenen Wohnzwecken. Noch im Jahr 1998 nahmen die Kläger die große Übergangsregelung (§ 52 Abs. 21 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes 1997 --EStG 1997--) in Anspruch, erklärten also Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für die selbstgenutzte Wohnung.

In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre erklärten die Kläger für das gesamte Grundstück Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Im Jahr 2003 teilten sie dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) mit, in den von ihnen erklärten Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sei auch der Mietwert der eigengenutzten Wohnung enthalten. Sie beantragten insoweit, die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu ändern. Das lehnte das FA ab.

Auch die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 660, veröffentlichten Urteil zur Begründung aus, dem FA sei zwar die Tatsache, dass in den erklärten Mieteinnahmen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung der Mietwert der eigengenutzten Wohnung sowie die entsprechenden anteiligen Werbungskosten enthalten gewesen seien, erst nachträglich bekannt geworden. Diese Tatsache führe auch zu einer niedrigeren Steuer; indes treffe die Kläger ein grobes Verschulden daran, dass diese Tatsache nachträglich bekannt geworden sei. Sie hätten erkennen müssen, dass sie seit dem Jahr 1999 hinsichtlich der eigengenutzten Wohnung keine Einkünfte mehr erzielten und auch nicht erklären mussten. Dies ergebe sich bereits aus den Steuererklärungsvordrucken der Streitjahre, die hinsichtlich der eigengenutzten Wohnung gegenüber denjenigen für das Jahr 1998 keine eigenständige Zeile 8 ("Mietwert bei Nutzungswertbesteuerung") aufgewiesen hätten.

Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger, die sie auf Verletzung von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO stützen. Zunächst habe das FG die Anforderungen für ein grobes Verschulden der Kläger überspannt. Der Fehler hätte dem FA ebenso auffallen müssen. Den nicht steuerlich beratenen Klägern könne als steuerlichen Laien nicht ein Mehr an steuerrechtlichen Kenntnissen abverlangt werden. Überdies habe die Vorentscheidung die offensichtlich einschlägige Rechtsnorm des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO übersehen, so dass es auf ein Verschulden nicht ankomme.

Die Kläger beantragen,

das angefochtene Urteil aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Einkommensteuerbescheide für 1999 vom 14. September 2000, für 2000 vom 24. August 2001, für 2001 vom 31. August 2002 und für 2002 vom 16. Juni 2003 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für das Grundstück in X, Y-Straße im Jahr 1999 um 23 064 DM, im Jahr 2000 um 7 628 DM, im Jahr 2001 um 17 984 DM und im Jahr 2002 um 1 542 EUR gemindert werden.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

§ 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO sei nicht einschlägig; denn es handele sich nicht um zwei Tatsachen, die unter § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (ungekürzter Ansatz der Werbungskosten) und unter § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO (Mietwertansatz) fielen, sondern um eine Tatsache, die unter § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO falle.

Gründe

II. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Unzutreffend hat das FG das FA nicht dazu verpflichtet, die angefochtenen Steuerbescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern. Auf das diese Korrektur ausschließende grobe Verschulden der Kläger am nachträglichen Bekanntwerden im Hinblick auf den angesetzten Mietwert kommt es nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO nicht an.

a) Nach dieser Vorschrift ist das Verschulden unbeachtlich, wenn die Tatsachen in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit anderen Tatsachen stehen, die zu einer höheren Steuer führen und nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO eine Änderung des Steuerbescheids zum Nachteil des Steuerpflichtigen gestatten.

Die Kläger nehmen diese Vorschrift zu Recht für sich --mit der Folge eines Änderungsrechts-- in Anspruch, da der in Bezug auf die selbst genutzte Wohnung erklärte Mietwert zu höheren Steuern führte und in sachlichem Zusammenhang stünde zu den darauf entfallenden Werbungskosten, die zu einer geringeren Steuer führten.

Das FA hat erst nachträglich erkannt, dass die Kläger in die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung der Streitjahre nach wie vor einen (nun nicht mehr steuerbaren) Mietwert einbezogen haben (steuermindernde Tatsache). Damit im sachlichen Zusammenhang stehen die auf diese Wohnung entfallenden Aufwendungen, die von den Klägern ebenfalls geltend gemacht worden sind (steuererhöhende Tatsachen). Beide Tatsachen stehen ersichtlich im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang. Der steuererhöhende Vorgang ist nicht ohne den steuermindernden Vorgang denkbar (vgl. dazu die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--, z.B. BFH-Urteil vom 13. Januar 2005 II R 48/02, BFHE 208, 392, BStBl II 2005, 451, unter II. 2. b, m.w.N.).

b) Entgegen der Revisionserwiderung handelt es sich bei dem angesetzten Mietwert und den auf die eigengenutzte Wohnung entfallenden Aufwendungen nicht um   eine   Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO.

Zwar sind nach der Rechtsprechung   Einkünfte als eine Tatsache anzusehen und einheitliche Einkünfte nicht in Einnahmen und Ausgaben aufzuspalten (vgl. BFH-Urteile vom 24. April 1991 XI R 28/89, BFHE 164, 192, BStBl II 1991, 606, und vom 1. Oktober 1993 III R 58/92, BFHE 172, 397, BStBl II 1994, 346; wie die Rechtsprechung Pahlke/Koenig, Abgabenordnung § 173 Rz 132; kritisch von Groll in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, --HHSp--, § 173 AO Rz 304; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 173 AO Rz 87). Diese Grundsätze sind aber nur anwendbar, wenn sich nachträglich, z.B. nach einer Schätzung, ergibt, dass Einkünfte einer Einkunftsart als Unterschied zwischen steuerbaren Einnahmen und Erwerbsaufwand nicht oder nicht richtig erklärt und berücksichtigt wurden (eingehend BFH-Urteil in BFHE 172, 397, BStBl II 1994, 346).

Darum geht es im Streitfall aber nicht. Denn bei den von den Klägern in die Einkünfte einbezogenen Mietwerten handelt es sich nicht um steuerbare Einnahmen. Sie beruhen auf dem in den Streitjahren nicht (mehr) steuerbaren Vorgang des eigenen Wohnens. Folglich gibt es keine steuerbaren Einkünfte als Unterschied von Mietwert und Werbungskosten, die aufzuspalten wären. Die nachträglich bekanntgewordene Tatsache kann sich also bei den Besonderheiten des Streitfalls nicht auf das Ergebnis einer Saldierung von Aufwendungen und Erträgen beziehen, weil es ein solches Ergebnis nicht gibt. Erklärt worden sind zwei Tatsachen, einmal --integriert in die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung-- der Mietwert der eigengenutzten Wohnung und --ebenfalls eingeordnet in den gesamten gebäudebezogenen Aufwand-- die Aufwendungen, die auf die eigengenutzte Wohnung entfallen.

c) § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO ist auch nicht deshalb unanwendbar, weil es hier um eine Änderung der Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO und nicht um eine solche nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geht. Denn die Vorschrift ist nicht nur dann anwendbar, wenn ein auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO beruhender Änderungsbescheid vorliegt. Es genügt vielmehr, wenn für sich gesehen die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllt sind (so BFH-Urteil in BFHE 208, 392, BStBl II 2005, 451, unter II. 2. b, m.w.N.; siehe auch von Groll in HHSp, § 173 AO Rz 303).

2. Kommt es nach diesen Maßstäben gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO auf ein Verschulden der Kläger nicht an, muss das FA die Bescheide der Streitjahre nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO berichtigen. Die diese Verpflichtung ablehnende Vorentscheidung ist aufzuheben.

Die Sache ist aber nicht spruchreif. Das FG hat aus seiner Sicht folgerichtig noch nicht die geltend gemachten Beträge überprüft. Dies wird es in einer neuen Verhandlung und Entscheidung nachzuholen haben.