LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 08.12.1999 - L 12 (13) AL 7/97
Fundstelle
openJur 2011, 83762
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. S 10 Ar 141/95
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 5. Dezember 1996 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Umstritten ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit ab dem 23.06.1993 verbunden mit einer Rückforderung in Höhe von 16.265,80 DM.

Der am ...1942 geborene Kläger beantragte am 23.06.1993 im Anschluß an den Bezug von Arbeitslosengeld die Gewährung von Arbeitslosenhilfe. Zu diesem Zeitpunkt bezog er von der Verwaltungs- Berufsgenossenschaft eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsunfähigkeit in Höhe von 100 % von 5.626,60 DM, ab 01.07.1993 von monatlich 5.876,90 DM. Im Antrag auf Arbeitslosenhilfe verneinte der Kläger die Frage unter Ziffer 7 nach Einkommen aus Verletztenrente. Der Antrag auf Gewährung von Arbeitslosenhilfe enthält unmittelbar an der Stelle, bevor die Unterschrift zu leisten ist, den handschriftlichen Vermerk: "Anlagenzusatzblatt zum Antrag auf Arbeitslosenhilfe und Erklärungen vom heutigen Tage". Hinter dem Antrag befindet sich ein Zusatzblatt, welches der Kläger ebenfalls ausgefüllt und am 23.06.1993 unterschrieben hat. Weitere Vorgänge sind nicht aktenkundig.

Der Beklagten war der Bezug der Verletztenrente nicht bekannt. Mit Bescheid vom 13.08.1993 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosenhilfe in Höhe von anfangs 490,20 DM pro Woche.

Als die Beklagte von dem Bezug der Verletztenrente erfuhr, hob sie mit Bescheid vom 07.02.1994 die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zukunft auf, weil wegen der Verletztenrente kein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe wegen fehlender Bedürftigkeit mehr bestehe. Mit Schreiben vom gleichen Tag hörte sie den Kläger bezüglich der Überzahlung für die Vergangenheit vom 23.06.1993 bis 05.02.1994 an. Der Kläger äußerte sich und fügte Unterlagen bei, die er nach seinem Vorbringen bereits mit dem Antrag auf Arbeitslosenhilfe im Arbeitsamt abgegeben habe. Aus diesen Unterlagen sei der Rentenbezug ersichtlich. Der Kläger sei davon ausgegangen, daß die Bewilligung nach ordnungsgemäßer Überprüfung vorgenommen worden sei. Er habe die Leistungen verbraucht. Der Kläger wies darauf hin, daß die Berufsgenossenschaft die Rente unter Vorbehalt zahle, weil ein Rechtsstreit anhängig sei.

Mit Bescheid vom 10.03.1994 hob die Beklagte daraufhin die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Vergangenheit ab dem 23.06.1993 auf und führte zur Begründung aus, der Kläger habe sei ne Mitteilungspflichten verletzt. Er habe den Bezug der Verletztenrente nicht angegeben. Die Rückforderung betrug 16.265,80 DM. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.1995 als unbegründet zurück. Es wurde ausgeführt, die dem Widerspruch als Begründung beigefügte handschriftliche Erklärung zum Arbeitslosenhilfeantrag sei laut Aktenlage bei der Antragstellung nicht eingereicht worden. Es ergebe sich auch ein Widerspruch zu seinem Antrag auf Arbeitslosenhilfe, in dem der Bezug einer Verletztenrente ausdrücklich verneint worden sei. Im übrigen habe der Kläger sich verpflichtet, alle Änderungen mitzuteilen. Auch den Anpassungsbescheid vom 22.06.1993 habe der Kläger nicht vorgelegt. Als Rechtsgrund für die Rückforderung nannte die Beklagte § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zehnter Teil (SGB X).

Am 05.07.1995 hat der Kläger beim Sozialgericht in Köln Klage erhoben. Er hat vorgetragen: Bei seiner Antragsabgabe habe er ein Zusatzblatt mit abgegeben, aus dem sich der Bezug von Verletztenrente ergebe. Auch habe er die Dame, die seinen Antrag angenommen habe, eine Frau K ..., persönlich über den Bezug von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung informiert. Wenn ihm dann gleichwohl volle Arbeitslosenhilfe gewährt werde, so habe er die erbrachten Leistungen gutgläubig verbrauchen können.

Nach Anhörung der Verwaltungsangestellten der Beklagten K ... hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 05.12.1996 abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt: Der Kläger sei bereits ab Bewilligung der Arbeitslosenhilfe ab dem 23.06.1993 nicht bedürftig gewesen und habe keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe gehabt. Die Bewilligung habe gemäß § 45 Abs. 1 und 2 SGB X aufgehoben werden können, weil der Kläger falsche Angaben über den Bezug seiner Verletztenrente gemacht habe. In seinem Antrag habe er den Bezug von Verletztenrente ausdrücklich verneint. Die Beifügung von weiteren Unterlagen, aus denen sich die Verletztenrente hätte ergeben können, sei nicht erwiesen.

Gegen dieses ihm am 23.12.1996 zugestellte Urteil richtet sich die am 22.01.1997 eingelegte Berufung des Klägers. Der Kläger wieder holt sein Vorbringen aus erster Instanz und weist darauf hin, daß er die Rente, die ihm von der Berufsgenossenschaft gezahlt worden sei, möglicherweise zurückzahlen müsse. Dann aber könne sie nicht auf die Arbeitslosenhilfe angerechnet werden. Im übrigen habe er auf die Entscheidung des Arbeitsamtes vertraut und das Geld zum Leben verbraucht.

Die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft hat die Rücknahme der Rentenbewilligung an den Kläger betrieben, weil sie der Auffassung war, daß der Kläger sie arglistig getäuscht habe. Mit Urteil vom 27.08.1997 (L 17 U 103/96) hat das Landessozialgericht Nordrhein- Westfalen die Rücknahme der Unfallrentenbewilligung ab 1989 bestätigt. Die Rentenbewilligung beruhe auf einer arglistigen Täuschung durch den Kläger und könne gemäß § 45 SGB X zurückgenommen werden. Die Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht (BSG) war erfolglos, Beschluss vom 05.08.1998 - B 2 U 303/97 B -. Mit Bescheid vom 09.12.1998 hat die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft von dem Kläger gemäß § 50 SGB X Leistungen ab dem 01.06.1989 bis zum 31.05.1995 in Höhe von 454.987,60 DM zurückgefordert. Über den hiergegen eingelegten Widerspruch ist, soweit nach Aktenlage ersichtlich, bisher nicht entscheiden worden.

Zum Termin am 08.12.1999 ist der Kläger nicht erschienen. Er hat den Senat gebeten, ihn vom Erscheinen im Termin zu befreien, was sodann geschehen ist.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichtes Köln vom 05.12.1996 abzuändern und die Bescheide der Beklagten vom 07.02.1994 und 10.03.1994 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 16.06.1995 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Kläger habe bei der Abgabe des Antrages auf Arbeitslosenhilfe unrichtige Angaben gemacht. Der Bezug der Verletztenrente von der Berufsgenossenschaft schließe die Bedürftigkeit des Klägers und da mit einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe aus. An diesem Ergebnis ändere sich nichts dadurch, daß die Berufsgenossenschaft die Verletztenrente nachträglich aufgehoben habe. Tatsächlich habe der Kläger die Rente bis zum 31.05.1995 bezogen. Es sei bis zu diesem Datum von fehlender Bedürftigkeit des Klägers auszugehen. Lediglich wenn die Berufsgenossenschaft die Bewilligung der Verletztenrente für den hier streitigen Zeitraum rechtskräftig aufgehoben habe und den Betrag zurückfordern könne und vom Kläger dieser Betrag dann auch tatsächlich an die Berufsgenossenschaft zurückgezahlt werde, sei hinsichtlich der Aufhebung der Arbeitslosenhilfe durch die Beklagte neu zu entscheiden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten und der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Der Senat konnte über die zulässige Berufung auch in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden. Dem Kläger ist die Terminladung ordnungsgemäß zugestellt worden. Der Kläger hat selbst gebeten, ihn vom Erscheinen zum Termin zu entbinden. Dieser nach § 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässigen Bitte hat der Senat entsprochen.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 07.02.1994 und 10.03.1994 in der Gestalt des gemeinsamen Widerspruchsbescheides vom 16.06.1995 sind nicht rechtswidrig. Dem Kläger stand von Beginn an keine Arbeitslosenhilfe mangels Bedürftigkeit zu und muß den ihm zu Unrecht ausgezahlten Betrag in Höhe von 16.265,80 DM an die Beklagte zurückzahlen.

Der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe setzt nach § 134 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) neben Arbeitslosigkeit, Verfügbarkeit und Arbeitslosmeldung weiter voraus, daß der Antragsteller bedürftig ist, § 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AFG Bedürftigkeit in diesem Sinne liegt nach § 137 AFG vor, wenn der Arbeitslose seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreiten kann und das Einkommen, das nach § 138 zu berücksichtigen ist, die Arbeitslosenhilfe nach § 136 nicht erreicht. Hier hat der Kläger bereits zum Zeitpunkt der Beantragung von Arbeitslosenhilfe ein Einkommen gehabt, welches nach § 138 AFG zu berücksichtigen war und die Arbeitslosenhilfe der Höhe nach überstieg.

Der Kläger bezog im Juli 1993 eine Unfallrente von der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft in Höhe von 5.626,60 DM, ab Juli 1993 von 5.876,90 DM im Monat. Diese Rente ist nach § 138 Abs. 1 AFG als Einkommen auf die Arbeitslosenhilfe anzurechnen. Nach § 138 Abs. 4 AFG wird durch Anordnung bestimmt, welches Einkommen und Vermögen anzurechnen ist. Nach § 11 Nr. 2 der Arbeitslosenhilfeverordnung gilt die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung bis zur Höhe des Betrages, der in der Kriegsopferversorgung bei gleicher Minderung der Erwerbsfähigkeit als Grundrente und Schwerbeschädigtenzulage gewährt würde, nicht als Einkommen. Unter Berücksichtigung dieser Vorschrift mußte die Verletztenrente in Höhe von monatlich 1.028,-- DM im Juni 1993 und in Höhe von 1.075,-- DM ab Juli 1993 dem Kläger verbleiben. Der Restbetrag in Höhe von 4.802,90 DM monatlich, dies entspricht 1.108,36 DM wöchentlich, war auf die Arbeitslosenhilfe anzurechnen. Bei einem wöchentlichen Leistungsbetrag der Arbeitslosenhilfe von anfangs 490,20 DM pro Woche, später 513,-- DM pro Woche und ab 01.01.1994 von 493,80 DM pro Woche lag der Anrechnungssatz im gesamten hier streitigen Zeitraum vom 23.06.1993 bis 05.02.1994 erheblich über dem Leistungssatz der Arbeitslosenhilfe, so daß Bedürftigkeit von Anfang an nicht gegeben war.

Die Anrechnung wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß nunmehr feststeht, daß der Kläger sich die Bewilligung der Unfallrente arglistig erschlichen und die Rücknahme der Rentenbewilligung für die Zeit vom 01.06.1989 bis 31.05.1995 rechtskräftig ausgesprochen worden ist (vgl. Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27.08.1997 - L 17 U 103/96 -). Es bleibt der Umstand, daß der Kläger die Rente im hier fraglichen Zeitraum vom 23.06.1993 bis 05.02.1994 tatsächlich bezogen hat und diese für seinen Lebensunterhalt zur Verfügung stand. Selbst deliktisch erlangte Einkünfte gelten als Einkommen (vgl. BSG in SozR 4100 § 138 Nr. 11 am Ende). Auch der Umstand, daß die Berufsgenossenschaft versucht, die Rentenzahlungen nach § 50 SGB X vom Kläger zurückzufordern, ändert an diesem Ergebnis nichts. Zum einen ist der Bescheid vom 09.12.1998 über die Rückforderung von 454.987,60 DM bislang nicht rechtskräftig. Aber selbst wenn dieser Bescheid bestands- oder rechtskräftig werden sollte, bliebe es solange bei dem tatsächlichen Zufluß der Rente, bis der Kläger den geforderten Betrag auch tatsächlich zurückgezahlt hat. Allein der Umstand, daß er eine deliktisch erlangte Leistung zurückzahlen muß, ändert nichts an ihrer Anrechenbarkeit (BSG a.a.O.). Der Senat teilt daher die Rechtsauffassung der Beklagten, daß über den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe für den hier streitigen Zeitraum lediglich dann neu zu befinden wäre, wenn der Kläger die Unfallrente für den Aufhebungszeitraum vollständig der Berufsgenossenschaft erstattet hat, was bisher nicht der Fall ist. Jedes andere Ergebnis würde - was nicht hinzunehmen ist - Betrüger gegenüber ehrlichen Menschen bevorzugen.

Damit steht fest, daß die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe von Anfang an und für die gesamte hier streitige Zeit in Höhe von 16.265,80 DM rechtswidrig war. Die Bewilligung kann auch nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden, weil der Kläger im Antrag auf Arbeitslosenhilfe den Bezug der Verletztenrente ausdrücklich verneint und damit unrichtige Angaben gemacht hat. Dies folgt eindeutig aus Bl. 89 R der Leistungsakte der Beklagten. Ob diesem Antrag ein Zusatzblatt bei gefügt war, aus dem sich der Bezug der Verletztenrente ergab, hat sich nicht feststellen lassen. Der Senat nimmt Bezug auf die Beweiswürdigung des Sozialgerichtes auf S. 6 des angefochtenen Ur teils, der er sich nach eigener Prüfung anschließt und der nichts hinzuzufügen ist.

Der Senat weist im übrigen hilfsweise darauf hin, daß sich am Ergebnis selbst dann nichts ändern würde, wenn man einmal die Existenz des behaupteten Zusatzblattes unterstellen würde. Dann läge zwar auf Seiten der Beklagten ein Bearbeitungsfehler vor, der je doch die Aufhebung und Rückforderung nicht ausschließt. Wenn der Kläger nämlich die Information über die Verletztenrente ausführlich auf einem Zusatzblatt gemacht haben sollte, dann hat er die Bedeutung der Verletztenrente für die Arbeitslosenhilfe gekannt. Wenn er gleichwohl uneingeschränkt Arbeitslosenhilfe bewilligt erhält, dann konnte er nicht auf die Richtigkeit der Bewilligung vertrauen und das Geld verbrauchen. Insoweit wäre zumindest grobe Fahrlässigkeit anzunehmen, was selbst bei einem Bearbeitungsfehler der Beklagten - der wie oben festgestellt, nicht bewiesen ist - zur Aufhebung berechtigen würde.

Hat die Beklagte aber zu Recht die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe aufgehoben, dann war sie gemäß § 50 Abs. I SGB X auch berechtigt, die im streitigen Zeitraum erbrachten Leistungen in Höhe von 16.265,80 DM zurückzufordern. Der Rückforderungsbetrag ist von der Beklagten zutreffend berechnet worden. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf Bl. 205 Bd. 2 der Verwaltungsakten der Beklagten. Der Kläger selbst streitet auch nicht ab, Leistungen in dieser Höhe erhalten zu haben. Klage und Berufung konnten somit im Ergebnis keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die hierfür in § 160 Abs. 2 Ziffern 1 oder 2 SGG aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt sind.