VG Düsseldorf, Urteil vom 17.06.1999 - 9 K 12887/96
Fundstelle
openJur 2011, 83322
  • Rkr:
Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Versagungsbescheides vom 12. September 1996 und des Widerspruchsbescheides des Oberkreisdirektors des Kreises N vom 21. November 1996 verpflichtet, der Klägerin nach Maßgabe ihres Bauantrages vom 14. Oktober 1995 die Errichtung eines Satteldaches mit Dachausbau auf dem Grundstück I1-Straße 32 in S zu genehmigen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kostenschuldner bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kostengläubiger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Gemarkung G1 mit der postalischen Bezeichnung >I1-Straße 32< in S.

Das Grundstück ist genehmigterweise mit einem eingeschossigen, unterkellerten und mit einem Flachdach eingedeckten freistehenden Einfamilienhaus nebst grenzständig errichteter Garage bebaut. Entlang der südlichen Grenze des klägerischen Grundstücks verläuft die >I1-StraßeI1-Straße 30, 28, 26, 24 und 22< an, die gleichfalls mit freistehenden, eingeschossigen Einfamilienhäusern bebaut sind. Während die Häuser Nr. 22 und 30 ebenfalls Flachdächer tragen, weisen die Häuser Nr. 24, 26 und 28 genehmigterweise jeweils unter Erteilung einer Befreiung durch den Beklagten traufständige Satteldächer auf, wobei sich bei den Häusern 24 und 26 Dachgauben gegenüberliegen. Alle Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplanes E 145b 1. Änderung der Stadt S vom 30. April 1973, der für diese Grundstücke eine Geschoßflächenzahl von 0,4 und gestalterisch Flachdach - >FD< - festsetzt.

Wegen fortschreitender Undichtigkeit des Flachdaches beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 14. Oktober 1995 beim Beklagten, ihr die Baugenehmigung zur Aufstockung ihres Hauses um ein - traufständiges - Satteldach und zum Ausbau dieses Daches zu einer abgeschlossenen Wohnung nebst Anlegung eines Stellplatzes auf dem Grundstück zu erteilen. Unter dem 2. Juli 1996 beantragte die Klägerin weiterhin die Erteilung einer Abweichung von der Festsetzung >FD< des oben genannten Bebauungsplanes.

Den Bauantrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 12. September 1996 ab mit der sinngemäßen Begründung, die beabsichtigte Aufstockung mit einem Satteldach widerspreche der Festsetzung >FD< des Bebauungsplanes; außerdem werde die zulässige Geschoßflächenzahl um 0,08 überschritten. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung oder einer Abweichung lägen nicht vor. Wegen der Begründung im übrigen wird auf die Gründe des Bescheides Bezug genommen.

Den hiergegen unter Hinweis der Klägerin auf die mit Satteldächern versehenen Häuser >I1-Straße 24, 26, 28 sowie 19 und 27< erhobenen Widerspruch vom 19. September 1996 wies der Oberkreisdirektor des Kreises N mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 1996 im wesentlichen aus den Gründen des Ausgangsbescheides zurück und beanstandete mit an den Beklagten gerichtetem Schreiben vom 3. Dezember 1996 die seiner Auffassung nach rechtswidrigerweise erteilten Genehmigungen für die Häuser Nr. 19, 24, 26 und 28.

Am 17. Dezember 1996 hat die Klägerin Klage erhoben mit der Begründung, sie habe einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung, weil die entgegenstehende Festsetzung >FD< des Bebauungsplanes letztlich unwirksam sei und sich das beabsichtigte Bauvorhaben in die nähere Umgebung einfüge. Wegen der Klagebegründung im einzelnen wird auf die klägerischen Schriftsätze Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides des Beklagten vom 12.09.1996 sowie des Widerspruchsbescheides des Oberkreisdirektors N vom 21.11.1996 den Beklagten zu verpflichten, ihr auf ihren Bauantrag vom 14.10.1995 die Errichtung eines Satteldaches mit Dachausbau auf dem Grundstück I1-Straße 32 in 0000 S zu genehmigen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und bezieht sich insoweit im wesentlichen auf die Begründung der angegriffenen Bescheide.

Der Berichterstatter hat am 20. April 1999 einen Erörterungstermin vor Ort durchgeführt. Wegen der dort getroffenen Feststellungen wird auf das Protokoll vom 20. April 1999 Bezug genommen. Wegen des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der zu diesem Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist begründet.

Die Ablehnung des Bauantrages ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Erteilung der beantragten Baugenehmigung, weil dem genehmigungspflichtigen Bauvorhaben keine öffentlich- rechtlichen Vorschriften entgegenstehen (§§ 63 Abs. 1, 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NW).

Seine Zulässigkeit beurteilt sich nach § 34 BauGB, weil sich der hier in Rede stehende Bebauungsplan E 145b als unwirksam erweist.

Es kann dahinstehen, ob der Bebauungsplan in seiner Ursprungsfassung bereits wegen mangelnder Dokumentenbeständigkeit -

vgl dazu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen - OVG NW -, Urteil vom 10. Oktober 1994 - 7a D 101/92.NE - -

unwirksam ist, weil - von den Aufstellungsvorgängen abgesehen - die Ursprungsfassung des Bebauungsplanes dem Gericht nur unvollständig in Gestalt einer schlecht lesbaren Fotokopie von Blatt 2 des Planes hat vorgelegt werden können; das Original des Planes und auch eine Kopie seines Blattes 1 sind derzeit nicht auffindbar.

Der Bebauungsplan leidet jedenfalls an einem anderen Mangel, der seine Unwirksamkeit nach sich zieht. Der Rat der Stadt S hat den Plan am 29. August 1969 als Satzung beschlossen. Wie aus der in den Aufstellungsvorgängen befindlichen Begründung des Bebauungsplanes vom 3. Juni 1969 hervorgeht, enthielt er für >höhere Wohnbauten (dreigeschossig und mehr)< die gestalterische Festsetzung >Flachdachum eine einheitliche Gesamterscheinung der im wesentlichen das dortige Ortsbild prägenden größeren Blöcke zu erreichen Eine derartige Genehmigung läßt sich den vorgelegten Aufstellungsakten des Bebauungsplans nicht entnehmen. Die Genehmigung des Regierungspräsidenten E ist ausdrücklich nur nach § 11 BBauG erfolgt. Sie kann nicht gleichzeitig auch als Genehmigung im Sinne von § 103 BauO NW 1970 ausgelegt werden. Inhalt und Begründung der Genehmigungsverfügung lassen in keiner Weise erkennen, daß sich der Regierungspräsident E auf der Grundlage landesrechtlicher Vorschriften inhaltlich auch mit den gestalterischen Festsetzungen befaßt hat. Dies ist aber Voraussetzung dafür, die Genehmigung nach § 11 BBauG auch als solche nach § 103 BauO NW 1970 aufzufassen. ... Hinzu kommt, daß hier der Antrag des Beklagten an den Regierungspräsidenten E, den Bebauungsplan zu genehmigen, sich ausdrücklich nur auf die Genehmigung nach § 11 BBauG bezog. Dies belegt, daß sich weder die Stadt S noch der Regierungspräsident bewußt waren, daß zusätzlich zu der Genehmigung nach § 11 BBauG auch im Hinblick auf die allein nach Landesrecht zu beurteilenden gestalterischen Festsetzungen eine Genehmigung nach § 103 BauO NW 1970 erforderlich war. Mangels Genehmigung sind folglich die gestalterischen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. E 145b - erste Änderung - unwirksam.I1-Straße 24, 26, 28< ebenfalls in diesem Rahmen bewegen.

Auch mit der an der rückwärtigen Giebelwand des klägerischen Hauses projektierten Außentreppe als Zugang zu der im Dachgeschoß geplanten Wohnung überschreitet das Vorhaben schon deshalb nicht den nach der Umgebungsbebauung beachtlichen Rahmen der überbaubaren Grundstücksfläche, weil es sich dabei um einen untergeordneten Bauteil handelt.

Schließlich widerspricht das Bauvorhaben der Klägerin auch nicht dem nachbarrechtlichen Rücksichtnahmegebot aus §§ 34 BauGB, 15 BauNVO. Soweit die abstandrechtlichen Vorschriften von § 6 BauO NW - wie hier - eingehalten sind, scheidet eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes ohnehin aus, weil § 6 BauO NW innerhalb seines Sachbereichs abschließend regelt, welches Maß an Rücksichtnahme der Bauherr seinem Nachbarn schuldet und was diesem zugemutet werden kann,

vgl. OVG NW, Beschluß vom 24. Januar 1996 - 10 A 4825/95 -.

Auch die Möglichkeit, von den Fenstern im geplanten Dachgeschoß des klägerischen Hauses das Nachbargrundstück >I1-Straße 30< einsehen zu können, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Das Gebot der Rücksichtnahme gewährt vom Grundsatz her keinen Schutz vor Einsichtnahme in das eigene Grundstück,

vgl. BVerwG, Urteil vom 26. September 1991 - 4 C 5.87 -, BRS 52 Nr. 5, Beschluß vom 24. April 1989 - 4 B 72.89 -, BRS 49 Nr. 85 und Beschluß vom 3. Januar 1983 - 4 B 224.82 -, BRS 40 Nr. 192.

Davon wird nur dann eine Ausnahme zugelassen, wenn die im Bebauungsplan festgesetzte oder vorhandene Nachbarbebauung wie etwa bei der sogenannten Gartenhof- oder Atriumhausbebauung gerade auf gegenseitigen Sichtschutz ausgerichtet ist -

vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 11. Juli 1980 - 10 B 240/80 -, BRS 36 Nr. 51, vom 5. und 20. Oktober 1993 - 10 B 1639/93 - und vom 18. Januar 1994 - 7 B 3277/93 -,

was hier in Ermangelung einer solchen besonderen Charakteristik der Bebauung nicht der Fall ist.

Der Klage war daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.

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