LG Köln, Urteil vom 27.02.2000 - 90 O (Kart) 4/07
Fundstelle
openJur 2011, 83164
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleitung in Höhe von 110% des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin verfügte über die im streitgegenständlichen Zeitraum nach dem EnWG a.F. erforderliche bundesweite Genehmigung für den Handel mit elektrischer Energie. Sie handelt ohne eigenes Netz mit Strom.

Die Beklagte ist durch die Z Energie- und Wasser GmbH und die S AG mit Wirkung zum 01.01.2004 gegründet worden. Das Netz der Mittelspannungsebene war vor dem 01.01.2004 von der Z Energie- und Wasser GmbH an die S AG verpachtet worden. Seit der Gründung der Beklagten betreibt diese die Nieder- und Mittelspannungsebene in X2, I und X.

Die Klägerin nutzt das Netz der Beklagten seit dem Jahre 2004.

Am 16./20.07.2004 schlossen die Parteien erstmals einen Rahmenvertrag zur Belieferung von Kunden im Netz der Beklagten mit elektrischer Energie, welcher rückwirkend zum 01.01.2004 in Kraft trat. In § 9.1 des Rahmenvertrages schuldete die Klägerin Netznutzungsentgelte gemäß den jeweils gültigen Preisregelungen (Anlage 2 des Rahmenvertrages). In Ziffer 9.2 hat sich die Beklagte eine einseitige Anpassung der Netznutzungsentgelte ausdrücklich vorbehalten. Wegen des weiteren Inhalts der vertraglichen Vereinbarungen nimmt die Kammer auf das Anlagenkonvolut K 2 Bezug.

Die Klägerin hat den Rahmenvertrag jedoch nur unter dem Vorbehalt der energie- und kartellrechtlichen Überprüfung im ganzen und in ihren einzelnen Bestandteilen unterzeichnet (Anlage K 3).

Im Jahre 2004 zahlte die Klägerin an die Beklagte für die Netznutzung insgesamt 15.639,96 € netto. Die Klägerin hält die Netznutzungsentgelte für unbillig überhöht und begehrt mit der vorliegenden Klage die Festsetzung des billigen Entgeltes durch das Gericht gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB. Sodann begehrt die Klägerin von der Beklagten die Differenz zwischen den tatsächlich gezahlten Entgelten für die Netznutzung und dem vom Gericht bestimmten Entgelt für das Jahr 2004. Die unbillige Erhöhung beziffert sie mit ca. 30%.

Die Klägerin beantragt,

das Gericht möge das billige Netznutzungsentgelt einschließlich der Mess- und Verrechnungsentgelte für die Nutzung der Stromversorgungsnetze der Beklagten durch die Klägerin zur Energieversorgung ihrer Kunden, die sie im Jahre 2004 im Netzgebiet der Beklagten angemeldet und versorgt hat, einschließlich der Nutzung der vorgelagerten Netze, soweit berechnet bzw. überwälzt, bestimmen

sowie

die Beklagte verurteilen, die Differenz zwischen den ausweislich der Auflistung Anlage K 1 tatsächlich gezahlten Entgelten für die Netznutzung für das Jahr 2004 in Höhe von 15.639,96 € netto und dem vom Gericht bestimmten billigen Entgelt für das Jahr 2004 für die Netznutzung nebst gesetzlicher Rechtshängigkeitszinsen zzgl. Umsatzsteuer an die Klägerin zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, die von ihr geforderten Netznutzungsentgelte entsprächen der Billigkeit. Sie seien weder missbräuchlich noch behinderten diese die Klägerin unbillig. Die Netzgeltkalkulation sei nach der VV Strom II plus erfolgt.

Nachdem die Beklagte zunächst in der Klageerwiderung zu den Kalkulationsgrundlagen vorgetragen hat, hat sie nach dem Hinweisbeschluss der Kammer vom 16.05.2007 eine Nachkalkulation für das Geschäftsjahr 2004 erstellt und hierzu mit Schriftsatz vom 20.07.2007 im Einzelnen vorgetragen. Hierauf nimmt die Kammer Bezug.

Darüber hinaus hat die Beklagte den Netzentgeltbescheid der Landesregulierungsbehörde Nordrhein-Westfalen vom 29.01.2007 (Anlage B 16) vorgelegt und vorgetragen, die Landesregulierungsbehörde habe den im Rahmen des Netzentgeltgenehmigungsverfahren am 28.10.2005 beantragten Kostenblock nur um 5,82 % gekürzt. Bezogen auf die gesamten Netzentgelterlöse 2004 in Höhe von 19.994.000,00 € betrage die Kürzung lediglich 5,75 %. Wegen der Einzelheiten nimmt die Kammer auf S. 9 des Schriftsatzes der Beklagten vom 20.07.2007 Bezug.

Die Klägerin hält den Vortrag der Beklagten zur Kalkulation der Netznutzungsentgelte für völlig unzureichend.

Der Netzentgeltbescheid der Landesregulierungsbehörde Nordrhein-Westfalen vom 29.01.2007 (Anlage B 16) ist - nachdem sich die Klägerin und ihre Prozessbevollmächtigten zur Verschwiegenheit verpflichtet haben - im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 14.12.2007 übereicht worden. Mit nachgelassenem Schriftsatz vom 31.01.2008 hat die Klägerin auch hierzu Stellung genommen. Insoweit nimmt die Kammer auf die Seiten 26-33 des genannten Schriftsatzes Bezug.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

Die Kammer vermag nicht festzustellen, dass die von der Beklagten geforderten Netznutzungsentgelte für das Jahr 2004 unbillig überhöht i.S. des § 315 Abs. 3 BGB waren. Die Netznutzungsentgelte sind daher auch weder missbräuchlich im Sinne des § 19 Abs. 4 Nrn. 2, 4 GWB noch behindern diese die Klägerin unbillig im Sinne von §§ 19 Abs. 4, 20 Abs. 1 GWB.

Ihre grundsätzliche Rechtsauffassung hat die Kammer im Hinweisbeschluss vom 16.05.2007 dargelegt. Hierin hat die Kammer ausgeführt:

"Nach der bisher ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung, insbesondere des Urteils des BGH vom 18.10.2005 - KZR 36/04 - (Anlage K 5), geht die Kammer von folgender Rechtslage und folgenden Erwägungen aus:

1) Ziffern 9.1. und 9.2 des zwischen den Parteien geschlossenen Lieferanten-Rahmenvertrages (Anlage K 2), wonach sich die Entgelte für die Netznutzung nach der Anlage 2 zum Vertrag richten und von der Beklagten angepasst werden können, stellen ein Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB dar, das daher der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt.

2) Maßgeblich bei der Bestimmung der Billigkeit sind das Günstigkeitsprinzip und die Bedingungen guter fachlicher Praxis im Sinne des § 6 EnWG 2003.

3) Bis zum 31.12.2003 wurde nach § 6 EnWG 2003 die Erfüllung der Bedingungen guter fachlicher Praxis vermutet, wenn die Verbändevereinbarung über Kriterien zur Bestimmung von Netznutzungsentgelten für elektrische Energie und über Prinzipien der Netznutzung vom 13.12.2001 (VV Strom II plus) eingehalten wurden. Ab dem 01.01.2004 und damit auch für das hier streitgegenständliche Jahr gilt diese Vermutung nicht mehr.

4) Da hier das Jahr 2004 im Streit ist, sind das EnWG 2005 und insbesondere die Netzentgeltverordnung vom 28.07.2005 (StromNEV) nicht maßgeblich. Dass bestimmte Kosten nicht mehr in die Kalkulation aufgenommen werden dürfen, ist nach Auffassung der Kammer Folge der Regulierung des Strommarktes und der damit verbundenen politischen Entscheidungen. Auch das OLG Düsseldorf geht auf S. 28 seines Beschlusses vom 21.07.2006 - VI-3 Kart 289/06 (V) - (Anlage K 14), davon aus, dass das EnWG 2005 keinen Einfluss auf die bis zu dessen Inkrafttreten geforderten Entgelte hat.

5) Das EnWG 2005 und die StromNEV können allenfalls mittelbar auch für das Jahr 2004 Bedeutung erlangen.

Denn nach Auffassung der Kammer muss eine Überprüfung der Entgelte in nachstehenden Schritten erfolgen:

Auszugehen ist grundsätzlich von den Preisfindungsprinzipien der Anlage 3 zur VV Strom II plus; diese Preisfindungsprinzipien sind jedoch ihrerseits im Lichte der Zielsetzung des § 6 Abs. 1 S. 4 EnWG 2003 auszulegen und anzuwenden. Wo Preisfindungsprinzipien Bewertungsspielräume eröffnen, sind diese so zu nutzen, dass der Gesetzeszweck, eine möglichst sichere, preisgünstige und umweltverträgliche leitungsgebundene Stromversorgung und darüber hinaus auch einen wirksamen Wettbewerb zu gewährleisten, bestmöglich Rechnung getragen wird (BGH, Urteil vom 18.10.2005 - KZR 36/04 - dort S. 12 f.). Dabei sind - nach entsprechendem Vortrag der Klägerin - auch Einwendungen gegen die Eignung bestimmter Bestandteile der Preisfindungsprinzipien zur Erreichung des o.g. Gesetzeszwecks zu prüfen (BGH aaO.). Insoweit kann u.U. auch das EnWG 2005 und die Strom NEV Anhaltspunkte zur Eignung bestimmter Preisfindungsprinzipien bieten.

6) Die Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit der Entgelte trägt in vollem Umfang die Beklagte als Netzbetreiberin. Dies gilt auch für den Rückforderungsprozess uneingeschränkt.

7) Nach Ziffer 10.3 des Vertrages sind Einwendungen gegen die Rechnung grundsätzlich nur binnen 30 Tagen nach Rechnungsdatum möglich. Diese Klausel erfasst auch die Einrede des § 315 Abs. 3 BGB, da diese sämtliche Einwände gegen Grund und Höhe des Zahlungsanspruchs erfasst (BGH Urteil vom 05.07.2005 - X ZR 60/04 - Anlage K 7, dort S. 11 f.). § 315 Abs. 3 BGB kann jedoch durch AGB nicht formularmäßig abbedungen werden (BGH aaO. S 18).

8) Eine Verwirkung ist weder vom Zeit- noch vom Umstandsmoment anzunehmen.

Die Klägerin hat ihre Ansprüche nach ca. 2 ½ Jahre gerichtlich geltend gemacht, mithin innerhalb der Regelverjährung. Die Klägerin hat den Vertrag mit der Beklagten unter dem Vorbehalt der energie- und kartellrechtlichen Überprüfung geschlossen (Anlage K 3) und sich in den als Anlagen K 22 vorgelegten Schreiben vom 08.12.2005, 20.07.2006 und 05.10.2006 eine gerichtliche Überprüfung vorbehalten. Zudem war der Klägerin zumindest ein Zuwarten bis zur Grundsatzentscheidung des BGH vom 18.10.2005 zuzubilligen.

Darüber hinaus hat die Beklagte nicht dargelegt, dass ihr ein unzumutbarer Nachteil bei Unterliegen in dem vorliegenden Rechtsstreit entsteht (Streitwert 5.600,00 €).

9) Eine Genehmigung nach § 12 BTOElt steht der gerichtlichen Überprüfung nach vorstehenden Kriterien nicht entgegen (BGH, Urteil vom 18.10.2005 - KZR 36/04 -, S. 11).

10) Die Beklagte ist ihrer Darlegungslast hinsichtlich der Billigkeit der von ihr für das Jahr 2004 verlangten Entgelte bislang nicht ausreichend nachgekommen. Auch nach Ansicht der Kammer muss die Beklagte ihre gesamte Kalkulation geordnet und so detailliert offen legen, dass die Kammer diese mit Hilfe eines Sachverständigen nachvollziehen und überprüfen kann. Dazu gehört auch die Vorlage der der Kalkulation zugrunde liegenden Unterlagen."

Es kann dahin stehen, ob die Beklagte ihrer Darlegungslast hinsichtlich der Billigkeit der von ihr für das Jahr 2004 verlangten Netznutzungsentgelte (vgl. Hinweis zu Ziffer 10) nunmehr nachgekommen ist. Dass die Netznutzungsentgelte für das Jahr 2004 nicht unbillig überhöht waren, ergibt sich jedenfalls aus dem Netzentgeltbescheid der Landesregulierungsbehörde Nordrhein-Westfalen vom 29.01.2007 (Anlage B 16). Hierzu hat die Beklagte substantiiert vorgetragen, die Landesregulierungsbehörde habe den im Rahmen des Netzentgeltgenehmigungsverfahren am 28.10.2005 beantragten Kostenblock nur um 5,82% gekürzt. Bezogen auf die gesamten Netzentgeltkosten im Jahre 2004 in Höhe von 19.994.000,00 € betrage die Kürzung lediglich 5,75%. Sodann hat die Beklagte die einzelnen Kürzungspositionen dargelegt, die sich zudem auch aus dem Bescheid der Landesregulierungsbehörde ergeben.

Aufgrund dieser relativ geringfügigen Kürzung vermag die Kammer eine Unbilligkeit der Netznutzungsentgelte für das Jahr 2004 nicht festzustellen. Wie die Kammer bereits in ihrem Hinweisbeschluss vom 16.05.2007 unter Ziffer 4) sowie in ihrem Hinweis vom 13.11.2007 ausgeführt hat, sind das EnwG 2005 und die StromNEV vom 28.07.2005 für die Netznutzungsentgelte für das Jahr 2004 nicht maßgeblich. Vielmehr stellen diese gegenüber der für das Jahr 2004 geltenden VV Strom II plus hinsichtlich bestimmter Kostenpositionen eine "Verschärfung" zu Lasten der Netzbetreiber dar, die Folge der Regulierung des Strommarktes und der damit verbundenen politischen Entscheidungen ist. Auch das OLG Düsseldorf geht auf Seite 28 seines Beschlusses vom 21.07.2006 - VI-3 Kart 289/06 (V) - davon aus, dass das EnwG 2005 keinen Einfluss auf die bis zu dessen Inkrafttreten geforderten Entgelte hat.

Wenn die Landesregulierungsbehörde die Netznutzungsentgelte der Klägerin unter den verschärften Kriterien des EnWG und der StromNEV lediglich um 5,82% bzw. 5,75% gekürzt hat, können diese für das Jahr 2004 nicht unbillig gewesen sein. Die Klägerin trägt selbst vor, dass die Netzentgeltgenehmigungsbescheide nach StromNEV indizielle Aufschluss über die Erhöhung der Netznutzungsentgelte für das Jahr 2004 geben (S. 15 des Schriftsatzes vom 20.04.2007). Die Kammer hält daran fest, dass sie nicht ein gerechtes Netznutzungsentgelt zu ermitteln, sondern lediglich zu überprüfen hat, ob sich die Beklagte bei der Bestimmung des Netznutzungsentgeltes innerhalb der Grenzen ihres Entscheidungsspielraumes gehalten hat (BGH, Urteil vom 28.10.2005 - KZR 36/04 - Rz. 12; BGH NJW-RR 1991, 1248, 1249; Palandt-Grüneberg, BGB, 66. Aufl., § 315 Rn. 10).

Die Einwendungen der Klägerin in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht greifen nicht durch.

Soweit die Klägerin die Kürzung der Netznutzungsentgelte um lediglich 5,82% durch die Landesregulierungsbehörde bestritten hat, hat sie hieran im nachgelassenen Schriftsatz vom 31.01.2008 nicht mehr festgehalten, nachdem ihr der Bescheid vom 29.01.2007 zugänglich gemacht worden ist. Den Widerspruch zwischen den im Schriftsatz vom 20.07.2007 angebebenen Netzkosten von 19.994.000,00 € und den in der Klageerwiderung genannten 2.503.383,47 € hat die Beklagte auf Seite 3 ihres Schriftsatzes vom 07.12.2007 erklärt. Die Klägerin hat hiergegen nichts erinnert.

Die Kammer hat auch nicht verkannt, dass die Landesregulierungsbehörde keine vollständige Prüfung aller Kostenfaktoren durchgeführt hat, wie es auf Seite 3 des Bescheides vom 29.01.2007 auch zum Ausdruck kommt. Des weiteren wird es noch weitere Regulierungsrunden geben, bei denen mit einer weiteren Kürzung der Netznutzungsentgelte zu rechnen ist. Wie jedoch bereits mehrfach ausgeführt worden ist, galten die verschärften Kriterien des EnWG und der StromNEV für das Jahr 2004 noch nicht. Darüber hinaus hat die Beklagte unwidersprochen vorgetragen, dass die Landesregulierungsbehörde bei der Beklagten sogar eine Außenprüfung durchgeführt habe.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert: 5.600,00 €