OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.06.1999 - 8 A 4522/98
Fundstelle
openJur 2011, 83032
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 10 K 6013/95
Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 22. Juli 1998 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Bundesverwaltungsamtes vom 10. Februar 1995 und des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1995 verpflichtet, die Kläger in den deutschen Staatsverband einzubürgern.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der 1965 in T. A. geborene Kläger zu 1. und seine 1990 in R. G., Israel, geborene Tochter, die Klägerin zu 2., sind israelische Staatsangehörige jüdischen Glaubens. Sie leben in Israel. Der Kläger zu 1. ist Sohn des 1936 in D. geborenen G. G.. G. G. wurde im Jahr 1988 in den deutschen Staatsverband eingebürgert. Die Eltern des G. G., Dr. L. E. G., geboren 1902 in D., und S. G., geb. B., geboren 1911 in K./O., heirateten 1935 und lebten zunächst in D.. Dr. L. E. G. war im Oktober 1926 in den Freistaat Danzig. eingebürgert worden. S. B. war deutsche Reichsangehörige, bis sie mit Wirkung zum 12. Dezember 1933 als Jüdin ausgebürgert wurde. Im September 1938 verließen Dr. L. E. G. und S. G. gemeinsam mit dem Sohn G. D. und gingen nach Palästina. Dort erwarben sie zunächst die palästinensische Mandatszugehörigkeit und später die israelische Staatsangehörigkeit. Dr. L. E. G. wurde - wie sein Sohn G. - im Jahre 1988 in den deutschen Staatsverband eingebürgert. Die Großeltern des G. G. väterlicherseits, S. G., geboren in Rußland, und P. G. wurden am 7. Oktober 1943 in das Konzentrationslager Auschwitz verbracht und sind dort zu Tode gekommen.

Am 20. Dezember 1993 beantragten die Kläger die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Zur Begründung trugen sie u.a. vor: Sie wären Deutsche geworden, wenn nicht ihr Vater bzw. Großvater von der Sammeleinbürgerung der Danziger Staatsangehörigen als Jude ausgeschlossen gewesen wäre. Dieser hätte die deutsche Staatsangehörigkeit auch durch den Erwerb der palästinensischen Mandatszugehörigkeit nicht wieder verloren. Unter diesen Gesichtspunkten sei die Einbürgerung ein Gebot der Wiedergutmachung. Ihr könne nicht entgegenstehen, daß die Eltern des G. G. nicht bis zum 1. September 1939 in Danzig verblieben seien, sondern bereits im Jahre 1938 - nachdem sie aufgefordert worden seien, Danzig binnen 24 Stunden zu verlassen - geflohen seien.

Mit Bescheid vom 10. Februar 1995 lehnte das Bundesverwaltungsamt die Einbürgerungsanträge ab. Ein Einbürgerungsanspruch nach Art. 116 Abs. 2 Satz 1 GG scheide aus, weil lediglich S. G., geb. B., die deutsche Reichsangehörigkeit durch Ausbürgerung verloren habe, G. G. und seine Nachfahren von dieser die deutsche Staatsangehörigkeit aber nicht hätten erwerben können. Dr. L. E. G. habe die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erworben, da er als Jude vom Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit gemäß § 4 Abs. 2 der Verordnung über die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen gewesen sei. Auch eine Einbürgerung im Ermessenswege scheide aus. Die Kläger gehörten nicht zur Erlebnisgeneration, die nationalsozialistisches Unrecht selbst erfahren habe. Sie gehörten auch nicht dem deutschen Kulturkreis an, da sie in Israel geboren und ausschließlich dort gelebt hätten.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies das Bundesverwaltungsamt mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 1995 zurück. Zur Begründung führte es u.a. aus: Der Gesetzgeber habe Einbürgerungsansprüche zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts abschließend geregelt und auch den Ausschluß von Sammeleinbürgerungen aus "rassischen" Gründen in § 11 1. Staatsangehörigkeitsregelungsgesetz - StAngRegG - berücksichtigt. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift hätten jedoch schon bei Dr. L. E. G. und G. G. nicht vorgelegen. Zudem lasse diese Regelung die Einbürgerung von Abkömmlingen nicht zu. Ebensowenig ergebe sich ein Einbürgerungsanspruch aus § 12 1. StAngRegG. Ein darüber hinausgehender Einbürgerungsanspruch scheide mangels Zugehörigkeit der Kläger zur Erlebnisgeneration aus.

Mit ihrer am 22. August 1995 erhobenen Klage haben die Kläger vorgetragen: Die Annahme des Bundesverwaltungsamtes, G. G. sei gemäß § 4 Abs. 2 der Volkslistenverordnung wirksam vom Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen gewesen, bedeute ein Verhöhnung der Überlebenden der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und sei weder mit Art. 1 GG noch mit Art. 3 GG vereinbar. Soweit der Gesetzgeber die Sammeleinbürgerung als wirksam betrachte, dürfte ein Ausschluß bestimmter Personen aus "rassischen" Gründen auch nicht teilweise aufrechterhalten bleiben. Dies belege auch die in Art. 116 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommende Wertung.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesverwaltungsamtes vom 10. Februar 1995 und des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1995 zu verpflichten, sie in den deutschen Staatsverband einzubürgern.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie auf die Ausführungen in den ergangenen Bescheiden verwiesen und diese wiederholt.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen des Art. 116 Abs. 2 GG sowie der §§ 11 und 12 1. StAngRegG seien nicht erfüllt. Gemessen an den §§ 8, 13 RuStAG sei das Einbürgerungsbegehren der Kläger ermessensfehlerfrei abgelehnt worden. Bei den von Art. 116 Abs. 2 GG erfaßten Ausbürgerungsfällen und dem hier geltend gemachten Ausschluß von einer Sammeleinbürgerung handele es sich um verschiedene Sachverhalte. Vor diesem Hintergrund und mit Blick darauf, daß die Sammeleinbürgerungen auf polnischem bzw. Danziger Gebiet völkerrechtlich ohnehin fragwürdig gewesen seien, sei der Gesetzgeber nicht verpflichtet gewesen, einen größeren Personenkreis nachträglich in die Sammeleinbürgerungen einzubeziehen, als er dies mit § 11 1. StAngRegG getan habe. Vor diesem Hintergrund seien die Erwägungen des Bundesverwaltungsamtes sachgerecht. Dem Staatsangehörigkeitserwerb der Kläger stehe zunächst die im Fall ihrer Einbürgerung entstehende Mehrstaatigkeit entgegen. Auch die Beschränkung von Ermessenseinbürgerungen zum Zwecke der Wiedergutmachung auf die Erlebnisgeneration sei nicht zu beanstanden.

Mit Beschluß vom 26. März 1999 - den Klägern zugestellt am 31. März 1999 - hat der Senat die Berufung der Kläger zugelassen.

Mit ihrer am 30. April 1999 eingegangenen Berufungsbegründung machen die Kläger im wesentlichen geltend: Sie hätten einen Anspruch auf Einbürgerung nach den §§ 8, 13 RuStAG. Das grundsätzlich weite Ermessen der Einbürgerungsbehörde sei zu ihren Gunsten auf Null reduziert. Die Beklagte sei mit Blick auf den in Art. 116 Abs. 2 GG und in den §§ 11, 12 1. StAngRegG normierten Grundsatz der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts sowie unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgebotes zur Vornahme der Einbürgerung verpflichtet. § 11 1. StAngRegG führe zu einer Ungleichbehandlung der Kläger wegen ihrer jüdischen Abstammung. Jene, die von der Sammeleinbürgerung aus "rassischen" Gründen ausgeschlossen gewesen seien, dürften nicht schlechter gestellt sein, als diejenigen, die nach den Vorschriften über die Sammeleinbürgerung wirksam die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hätten. Eine aus "rassischen" Gründen erfolgte Diskriminierung könne unter Geltung des Grundgesetzes nicht wirksam bleiben. Wiedergutmachung müsse in dem Rahmen gewährt werden, der auch durch Art. 116 Abs. 2 GG vorgegeben sei. Die in § 11 1. StAngRegG getroffene Bestimmung verkenne das historische Schicksal der vor dem Nationalsozialismus geflohenen Juden. Auch wegen der restriktiven Einwanderungspolitik anderer Staaten sei die Mehrzahl der überlebenden Juden nach Palästina geflohen und habe dort zunächst die Mandatsangehörigkeit und schließlich die israelische Staatsangehörigkeit erworben. Auch in anderen Ländern sei es zum fluchtbedingten Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit gekommen. Vor diesem Hintergrund widerspreche § 11 1. StAngRegG auch Art. 1 GG. Die Bescheide des Bundesverwaltungsamtes seien im übrigen ermessensfehlerhaft. Das Bundesverwaltungsamt habe fehlerhafterweise aus dem Wortlaut des § 11 1. StAngRegG eine Ermessensgrenze mit dem Inhalt abgeleitet, eine Ermessenseinbürgerung komme nur zugunsten Angehöriger der Erlebnisgeneration in Betracht. Andere Gesichtspunkte habe es unberücksichtigt gelassen. So sei etwa der aus Art. 6 Abs. 1 GG abzuleitende Grundsatz der einheitlichen Staatsangehörigkeit innerhalb der Familie einschlägig, weil der Großvater wie der Vater des Klägers zu 1. inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hätten.

Die Kläger beantragen,

das angefochtene Urteil zu ändern und nach ihrem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens, die dazu übersandten Verwaltungsvorgänge des Bundesverwaltungsamtes (3 Hefte) sowie auf die beigezogenen Gerichtsakten des Verfahrens 10 K 7594/95 (VG Köln) nebst dem dazu vom Bundesverwaltungsamt überreichten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Gründe

Die vom Senat zugelassene und auch im übrigen zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die zulässige Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 2. Alternative VwGO) ist begründet.

Der Bescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 10. Februar 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1995 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger besitzen einen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Dieser Anspruch folgt jedenfalls aus den §§ 8, 13 RuStAG.

I. Nach § 13 Satz 1 RuStAG kann ein ehemaliger Deutscher, der sich nicht im Inland niedergelassen hat, auf seinen Antrag eingebürgert werden, wenn er den Erfordernissen des § 8 Abs. 1 Nrn. 1, 2 RuStAG entspricht; dem ehemaligen Deutschen steht gleich, wer von einem solchen abstammt oder als Kind angenommen ist. Die Voraussetzungen der 1. Alternative des 2. Halbsatzes des § 13 Satz 1 RuStAG liegen im Fall der Kläger vor. Diese Vorschrift erfaßt jedes Abstammungsverhältnis im Rechtssinne.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1983 - 1 C 122.80 -, BVerwGE 68, 220 (238).

Gleichgültig ist der Grad der Abstammung. Ebensowenig kommt es darauf an, ob die Abstammung von einem ehemaligen Deutschen väterlicherseits oder mütterlicherseits besteht.

Vgl. etwa: Makarov/von Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht , Kommentar, Stand: Juni 1998, § 13-RuStAG Rdn. 9 m.w.N.

Die Kläger stammen in diesem Sinne von S. G., geb. B., ab, die bis zu ihrer Ausbürgerung im Dezember 1933 die deutsche Staatsangehörigkeit besaß und mithin ehemalige Deutsche i.S.v. § 13 Satz 1 1. Halbsatz RuStAG war.

Auf eine Anwendung des vom Bundesverwaltungsamt in Erwägung gezogenen § 1 der Verordnung zur Regelung von Staatsangehörigkeitsfragen vom 20. Januar 1942 (RGBl. I S. 40/ BGBl. III 102-4) kommt es demnach nicht an.

Vgl. zur Anwendung dieser Vorschrift zu dem Zweck, Folgen nationalsozialistischen Unrechts zu beseitigen: BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1983 - 1 C 122.80 -, a.a.O., S. 237 f.

II. Die mithin einschlägigen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 RuStAG - unbeschränkte Geschäftsfähigkeit des Antragstellers nach Heimatrecht oder deutschen Gesetzen bzw. Antragstellung durch seinen gesetzlichen Vertreter entsprechend § 7 Abs. 2 Satz 2 RuStAG oder mit dessen Zustimmung (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 RuStAG), kein Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 1 - 4, § 47 Abs. 1 oder 2 des Ausländergesetzes - AuslG - (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG) - sind erfüllt.

III. Das infolgedessen eröffnete Einbürgerungsermessen der Beklagten ist zugunsten der Kläger auf Null reduziert. Eine andere Entscheidung als die Vornahme der beantragten Einbürgerung ist von Rechts wegen nicht zulässig.

§ 8 Abs. 1 RuStAG eröffnet der Einbürgerungsbehörde einen weiten Ermessensspielraum, der in erster Linie dazu dient, eine flexible, den jeweiligen staatlichen Bedürfnissen und bevölkerungspolitischen Vorstellungen entsprechende Einbürgerungspolitik zu ermöglichen. Bei der Ausübung des Einbürgerungsermessens ist allein darauf abzustellen, ob ein staatliches Interesse an der beantragten Einbürgerung besteht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1986 - 1 C 44/84 -, BVerwGE 75, 86, 88, sowie Beschluß vom 23. Dezember 1993 - 1 B 61/93 -, NVwZ- RR 1994, 544; Senatsurteil vom 23. Februar 1996 - 25 A 2570/94 -, S. 17 der Urteilsabschrift; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht , Kommentar, 2. Aufl., § 8 RuStAG Rdn. 39.

Auch wenn der Ermessensspielraum der Behörde sehr weit gefaßt ist, findet er doch seine Schranken in den Normen der "umgebenden Rechtsordnung",

Makarov/von Mangoldt, a.a.O., § 8 RuStAG Rdn. 45,

vor allem in den Grundentscheidungen der Verfassung einschließlich der Grundrechte und der sich aus ihnen ergebenden Wertordnung.

Vgl. BVerfG, Beschluß vom 21. Mai 1974 - 1 BvL 22/71 und 21/72 -, BVerfGE 37, 217 (239); BVerwG, Beschluß vom 11. Oktober 1985 - 1 B 102.85 -, Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 26, S. 46; vgl. ferner: Deibel, Deutsche Staatsangehörigkeit und Grundrechte, DÖV 1984, 322.

Hiervon ausgehend ist das Einbürgerungsermessen der Beklagten ausnahmsweise im Sinne der von den Klägern begehrten Entscheidung verdichtet.

Die Kläger wären in Ableitung von ihrem Vater bzw. Großvater G. G. gemäß § 4 Abs. 1 RuStAG deutsche Staatsangehörige geworden, falls dieser seinerzeit nicht als Jude von dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. März 1941 in der Fassung der Verordnung vom 31. Januar 1942 - Volkslistenverordnung - (RGBl. 1941 I, S. 118, 1942 I, S. 51) ausgeschlossen gewesen wäre (1.). Dieser Ausschlußtatbestand war anfänglich nichtiger Bestandteil der im übrigen grundsätzlich wirksamen Regelungen der Volkslistenverordnung über den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch ehemalige Danziger Staatsangehörige (2.). Seit dem Inkraftreten der §§ 1 Abs. 1 d), 11 1. StAngRegG ist jedoch von der Rechtsgültigkeit des § 4 Abs. 2 Satz 1 Volkslistenverordnung auszugehen (3.). Diese bundesgesetzliche Regelung nimmt nicht an der (anfänglichen) Nichtigkeit des Ausschlußtatbestandes teil, begründet aber eine "Folgenbeseitigungslast" der Beklagten, der sie hier nur durch Vornahme der begehrten Einbürgerung entsprechen kann (4.).

1. Die Kläger hätten - § 4 Abs. 2 Satz 1 Volkslistenverordnung hinweggedacht - gemäß § 4 Abs. 1 RuStAG die deutsche Staatsangehörigkeit erworben.

a) Gemäß § 4 Abs. 1 Volkslistenverordnung erwarben die ehemaligen Danziger Staatsangehörigen ohne Aufnahme in die Deutsche Volksliste mit Wirkung vom 1. September 1939 die deutsche Staatsangehörigkeit, sofern nicht die beim Regierungspräsidenten in Danzig eingerichtete Bezirksstelle der Deutschen Volksliste oder in den Fällen des § 1 Abs. 4 Buchstabe d Volkslistenverordnung die für die Ausfertigung von Einbürgerungsurkunden zuständigen Behörden bis zum 30. September 1942 feststellten, daß sie die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Abteilung 1 oder 2 der Deutschen Volksliste nicht erfüllten. Der Regelung des § 4 Abs. 1 Volkslistenverordnung unterfielen als ehemalige Danziger Staatsangehörige gemäß § 1 Abs. 3 b) 1. Alternative Volkslistenverordnung unter anderem solche Personen, die am 1. September 1939 Danziger Staatsangehörige waren, ohne daß es auf den Aufenthalt der Betroffenen ankam. Die Abteilung 1 der Deutschen Volksliste umfaßte nach Abs. 4 des Runderlasses des RMI betreffend den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch ehemalige polnische und Danziger Staatsangehörige vom 13. März 1941 (I e 5125/4-5000 Ost),

abgedruckt bei: Maßfeller, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht , 2. Aufl., S. 244 ff.,

diejenigen Volksdeutschen (nebst den in Absatz 6 c) des Runderlasses bezeichneten Personen), die sich vor dem 1. September 1939 "im Volkstumskampf" aktiv für das Deutschtum eingesetzt hatten. Die Voraussetzungen der Abteilung 2 der Deutschen Volksliste erfüllte der vorgenannte Personenkreis nach Abs. 5 des Erlasses, soweit der Betroffene sich "in der polnischen Zeit zwar nicht aktiv für das Deutschtum eingesetzt" hatte, er sich aber gleichwohl sein "Deutschtum nachweislich bewahrt" hatte und nicht "Bindungen zum Polentum eingegangen" war, die dieser Annahme entgegenstanden. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 Volkslistenverordnung waren von dem Staatsangehörigkeitserwerb nach Abs. 1 der Vorschrift u.a. Juden ausgeschlossen, "ohne daß es einer besonderen Feststellung" bedurfte. Die letztgenannte Regelung entsprach der Sache nach Abs. 2 Satz 2 des Runderlasses des RMI vom 29. März 1939 (RMBliV, S. 783), wonach "Personen artfremden Blutes, insbesondere Juden, ... niemals deutsche Volkszugehörige" waren, "auch wenn sie sich bisher als solche bezeichnet" hatten.

Hiernach hätte G. G. die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, falls er nicht als Jude gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 Volklistenverordnung vom Staatsangehörigkeitserwerb ausgeschlossen gewesen wäre:

aa) G. G. war am 1. September 1939 Danziger Staatsangehöriger. Er hatte die Danziger Staatsangehörigkeit gemäß § 1 Abs. 1 des Danziger Gesetzes über den Erwerb oder Verlust der Danziger Staatsangehörigkeit vom 30. Mai 1922 - Danziger StAG -,

abgedruckt bei Maßfeller, a.a.O., S. 140 ff.,

von seinem im Jahre 1926 in den Danziger Staatsverband eingebürgerten Vater erworben. Er hatte diese Staatsangehörigkeit bis zum 1. September 1939 auch nicht wieder verloren, obgleich es der Senat nach dem Inhalt der Verwaltungsvorgänge, die zu dem Einbürgerungsverfahren des Dr. L. E. G. vorgelegt worden sind, als feststehend betrachtet, daß die Familie bereits im September 1938 aus Danzig geflohen ist. Auch unter dieser Voraussetzung ist nicht erkennbar, daß die Danziger Staatsangehörigkeit des G. G. gemäß § 16 Danziger StAG vor dem 1. September 1939 erloschen sein könnte. Nach dieser Vorschrift trat der Verlust der Danziger Staatsangehörigkeit ein, sobald auf Antrag eine ausländische Staatsangehörigkeit erworben wurde. Nach dem in Ablichtung bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen "Certificate of Naturalization" ist der Erwerb der palästinensischen Mandatszugehörigkeit durch G. G. und seine Eltern erst Anfang 1941 erfolgt. Gemäß Teil III Art. 7 Abs. 1 a) und Abs. 5 der "Königlichen Verordnung, wodurch die Verleihung und der Erwerb der palästinensischen Staatsangehörigkeit geregelt werden (Palästinensische Staatsangehörigkeitsverordnung 1925.)",

abgedruckt bei Pagener, Das Staatsangehörigkeitsrecht des Staates Israel und des ehemaligen Mandatsgebietes Palästina, 1. Aufl., S. 11 ff.,

war der Erwerb der palästinensischen Mandatszugehörigkeit erst nach zweijähriger Ansässigkeit in Palästina möglich. Ein Erwerb der palästinensischen Mandatszugehörigkeit bis zum 1. September 1939 durch G. G. und seine Eltern und ein damit verbundener Verlust der Danziger Staatsangehörigkeit war daher rechtlich ausgeschlossen. Unabhängig davon handelte es sich bei der palästinensischen Mandatszugehörigkeit nicht um eine Staatsangehörigkeit, da das palästinensische Mandatsgebiet mangels eigener Staatsgewalt keinen Staat im Sinne des Völkerrechts bildete. Dies ist zu § 25 Abs. 1 RuStAG durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. September 1993 - 1 B 25/92 -, NVwZ 1994, 387.

Daß § 16 Danziger StAG, der - wie die Gesetzgebung der Freien Stadt Danzig überhaupt - in einer deutschen Rechtstradition stand,

vgl. dazu auch Denne, Das Danzig-Problem in der deutschen Außenpolitik 1934 - 1939, 1959, S. 38,

ein insoweit anderer Staats- und Staatsangehörigkeitsbegriff zugrundelag, ist nicht erkennbar.

bb) Es ist ferner davon auszugehen, daß G. G. und seine Eltern zumindest die Voraussetzungen der Abteilung 2 der Deutschen Volksliste erfüllt hätten, falls sie nicht Juden gewesen wären. Dabei kann dahinstehen, ob und inwieweit den Klägern insoweit Beweiserleichterungen zugutekommen, weil ihre Vorfahren von dem nach § 4 Abs. 1 Volkslistenverordnung vorgesehenen Verfahren zur Prüfung der Voraussetzungen des Staatsangehörigkeitserwerbs faktisch (durch Vertreibung) sowie rechtlich (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Volkslistenverordnung) ausgeschlossen waren. Denn ungeachtet dessen muß es als feststehend betrachtet werden, daß Dr. L. E., S. und G. G. - wie die große Masse der in Danzig lebenden Bevölkerung -,

vgl. zu letzterem: Runderlaß des RMI vom 13. März 1941, Abs. 9; Stuckart, Die Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Gebieten, Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht 1941, 233 (237),

zumindest die Voraussetzungen der Abteilung 2 der Volksliste erfüllten. G. G. und seine Eltern waren Volksdeutsche. Mit dem Begriff des Volksdeutschen i.S.d. des Runderlasses des RMI vom 13. März 1941 waren deutsche Volkszugehörige ohne deutsche Staatsangehörigkeit gemeint, wie sich aus Abs. 1 des Runderlasses des RMI vom 29. März 1939 ergibt. Nach Abs. 2 des letztgenannten Runderlasses war deutscher Volkszugehöriger, wer sich als Angehöriger des deutschen Volkes bekannte, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Tatsachen, wie Sprache, Erziehung, Kultur u.s.w., bestätigt wurde. Dies traf auf die Eltern G. G. und - davon abgeleitet - auch auf ihn selbst als bekenntnisunfähiges Kind zu. Nach den Ermittlungen des Bundesverwaltungsamtes in dem Einbürgerungsverfahren des G. G. ist dieser in einer sich zum deutschen Volkstum bekennenden Familie aufgewachsen und erzogen worden, die ihm die deutsche Sprache als Muttersprache vermittelte. An der Richtigkeit dieser Feststellung zu zweifeln, hat der Senat keinen Anlaß. Hiervon ausgehend lag das geforderte subjektive Bekenntnis als deutscher Volksangehöriger vor, das zumindest durch die objektiven Merkmale Erziehung und Sprache bestätigt wurde. Die Feststellungen des Bundesverwaltungsamtes, die sich zuvorderst auf den Zeitraum nach der Geburt des G. G. im Jahre 1936 beziehen, belegen zugleich, daß sich die Eltern ihr Deutschtum in nichtdeutscher Zeit "nachweislich bewahrt" hatten (Absatz 5 Satz 1 des Runderlasses des RMI vom 13. März 1941). Ferner sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Eltern G. G. "Bindungen zum Polentum" i.S.v. Absatz 5 Satz 7 des vorbezeichneten Runderlasses eingegangen waren, die im "deutschen Mikrokosmos" Danzig,

Denne, a.a.O., S. 38,

im übrigen regelmäßig fernlagen.

vgl. zur Bevölkerungsstruktur Danzigs auch: Ruhnau, Danzig, Geschichte einer deutschen Stadt, 1971, S. 129, wonach am 1. September 1939 von den 403.000 Einwohnern Danzigs 380.000 "Deutsche" und lediglich 23.000 "Nichtdeutsche" waren.

Es kann auch nicht angenommen werden, daß die Herkunft des Großvaters des G. G. väterlicherseits aus Rußland den Staatsangehörigkeitserwerb nach § 4 Abs. 1 Volkslistenverordnung entgegengestanden hätte. Die Kategorie des deutschen Volkszugehörigen war ausweislich des Absatzes 2 des Runderlasses vom 29. März 1939 - mit Ausnahme des Ausschlusses der Personen "artfremden Bluts" - nicht ethnologischer oder "rassischer" Natur. Sie stellte in diesem Umfang vielmehr allein auf ein durch bestimmte Merkmale bestätigtes Bekenntis als deutscher Volksangehöriger ab, womit der Sache nach die subjektive wie objektive Zugehörigkeit zu einer national geprägten deutschen Kulturgemeinschaft gemeint war.

Vgl. dazu auch: BVerwG, Urteil vom 15. März 1994 - 9 C 340.93 -, DVBl. 1994, S. 924 (925).

Vor diesem Hintergrund sind auch die Ausführungen des Runderlasses des RMI vom 13. März 1941 zum Gewicht der Abstammung von deutschen Vorfahren zu sehen (Absatz 2 b)). Abstammung von deutschen Vorfahren bedeutete Abstammung von deutschen Volkszugehörigen im zuvor beschriebenen Sinne. Dies stellt der 1. Halbsatz des letzten Satzes des Absatzes 2 b) ausdrücklich heraus, nach dem nicht zu fordern war, daß alle Vorfahren deutsche Volkzugehörige waren. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem im 2. Halbsatz des vorgenannten Satzes benutzten Begriff des "deutschen Bluteinschlages". Das "deutsche Blut" (vgl. auch Absatz 2 Satz 1 des vorgenannten Runderlasses) war jenes des deutschen Volkes, das - wie dargetan - nicht ethnisch oder "rassisch", sondern als (nationale) Kulturgemeinschaft definiert war. Erst wenn eine deutsche Abstammung im zuvor beschriebenen Sinne nicht sicher nachweisbar war, war eine "rassische" Beurteilung vorzunehmen (vgl. Absatz 2 c) des Runderlasses des RMI vom 13. März 1941). Letzteres wird auf G. G. und seine Eltern indes nicht zugetroffen haben: Daß die deutsche Abstammung seiner Mutter im zuvor erörterten Sinne zweifelhaft gewesen sein könnte, ist nicht ersichtlich. Aber auch seine Großeltern väterlichseits haben sich offenbar als deutsche Volkszugehörige i.S.v. Absatz 2 Satz 1 des Runderlasses des RMI vom 29. März 1939 - den in Satz 2 bestimmten Ausschluß u.a. der Juden hinwegedacht - bekannt und dies durch objektive Merkmale bestätigt, wie dem vom Bundesverwaltungsamt festgestellten Umstand zu entnehmen ist, daß bereits der Vater G. G. die deutsche Sprache als Muttersprache erworben hatte.

b) Der nach alledem zu bejahende (hypothetische) Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit u.a. durch G. G. gemäß § 4 Abs. 1 Volkslistenverordnung wäre auch nach heutigem Recht als wirksam erfolgt zu beurteilen, wie sich aus § 1 Abs. 1 d) 1. StAngRegG ergibt. Danach sind die deutschen Volkszugehörigen, denen aufgrund der Volkslistenverordnung die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen worden ist, nach Maßgabe der in der Volkslistenverordnung enthaltenen Bestimmungen deutsche Staatsangehörige geworden, es sei denn, daß sie die deutsche Staatsangehörigkeit durch ausdrückliche Erklärung ausgeschlagen hatten oder binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des 1. StAngRegG (§ 5 Abs. 1 1. StAngRegG) ausschlugen. G. G. war - nach Maßgabe der oben bezüglich seiner Eltern festgestellten Bekenntnislage - deutscher Volkszugehöriger, wobei sich hier die deutsche Volkszugehörigkeit nach § 6 Abs. 1 Bundesvertriebenengesetz beurteilt, der im wesentlichen - mit Ausnahme der die Personen artfremden Blutes betreffenden Regelung - jener Bestimmung gleicht, die in Absatz 2 des Runderlasses des RMI vom 29. März 1939 getroffen worden war.

Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 15. März 1994 - 9 C 340.93 -, DVBl. 1994, 925 (926).

Dabei ist hier nicht auf den Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen abzustellen. Zugunsten von Angehörigen des jüdischen Glaubens ist für das Bekenntnis vielmehr die Zeit unmittelbar vor der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus maßgeblich, wobei auch ein späteres Bekenntnis zum deutschen Volkstum zugerechnet wird.

Vgl. BVerfG, Beschluß vom 16. Dezember 1981 - 1 BvR 898 u.a./79 und 603/80 -, BVerfGE 59, 128 (154).

Hiernach sind die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Bundesvertriebenengesetz erfüllt, weil das Bekenntnis der Eltern G. G. zum deutschen Volkstum und die dieses Bekenntnis bestätigenden Merkmale nach den erwähnten Feststellungen des Bundesverwaltungsamtes offenbar zumindest bis zur Flucht aus Danzig im Jahre 1938 vorgelegen haben.

Eine Ausschlagungserklärung für G. G. ist nicht abgegeben worden.

c) G. G. hätte die mithin rechtswirksam erworbene deutsche Staatsangehörigkeit durch den Erwerb der israelischen Staatsangehörigkeit, der nach § 2 Abs. a) und b) Nr. 1 des Israelischen Staatsbürgerschaftsgesetzes 1952,

abgedruckt bei Pagener, a.a.O., S. 33 ff.,

i.V.m. § 4 des Israelischen Rückkehrgesetzes 1950,

abgedruckt bei Pagener, a.a.O., S. 31 ff.,

rückwirkend zum Tage der Errichtung des israelischen Staates, dem 15. Mai 1948, erfolgt ist,

vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 23. Oktober 1963 - IV ZR 131/63 -, MDR 1964, 218,

nicht wieder verloren. Eine Anwendung der §§ 17 Nr. 2, 25 Abs. 1 RuStAG scheidet insoweit aus. Danach verliert ein Deutscher, der im Inland weder seinen Wohnsitz noch seinen dauernden Aufenthalt hat, seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, wenn dieser Erwerb auf seinen Antrag oder auf den Antrag des gesetzlichen Vertreters erfolgt, wobei im letzteren Falle diejenigen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, unter denen nach § 19 RuStAG die Entlassung aus der deutschen Staatsangehörigkeit beantragt werden kann. Zweck dieser Vorschrift ist zunächst, eine doppelte Staatsangehörigkeit auszuschließen. Weiter soll mit der Anknüpfung an den Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit bewirkt werden, daß Staatenlosigkeit vermieden wird, also der Verlust der Staatsangehörigkeit z.B. nicht allein durch die Auswanderung eintritt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. September 1993 - 1 C 25.92 -, NVwZ 1994, 387 m.w.N.

Vor diesem Hintergrund sieht das Gesetz in der freien und selbstverantwortlichen Entscheidung für die ausländische Staatsangehörigkeit zugleich eine solche gegen die deutsche Staatsangehörigkeit. § 25 Abs. 1 RuStAG knüpft damit an den erkennbar gewordenen Willen des Betroffenen an, der staatlichen Gemeinschaft Deutschlands nicht mehr anzugehören.

So zutreffend v. Keller/Trautmann, Kommentar zum Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht , 1914, S. 12, (zitiert nach Lichter, Die Staatsangehörigkeit nach deutschem und ausländischem Recht, 2. Aufl., S. 134) zu den Gründen der mit dem RuStAG neu geschaffenen Regelung des § 25 Abs. 1.

Die Norm setzt mithin voraus, daß es der Betroffene in der Hand hat, die deutsche Staatsangehörigkeit zu behalten, sich aber gleichwohl für die fremde Staatsangehörigkeit entscheidet. Hiervon ausgehend ordnet § 25 Abs. 1 RuStAG zulässigerweise den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit an.

Vgl. BVerfG, Beschluß vom 22. Juni 1990 - 2 BvR 116/90, NJW 1990, 2193; BVerwG, Beschluß vom 12. Januar 1995 - 1 B 118.94 -, InfAuslR 1995, 239 (240); Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht , 2. Aufl., § 25 RuStAG Rdn. 1.

Entsprechend verlangt der Tatbestand des § 25 Abs. 1 RuStAG zunächst, daß die fremde Staatsangehörigkeit auf Antrag, d.h. aufgrund einer freien, unmittelbar und in positiver Weise auf den Erwerb der Staatsangehörigkeit gerichteten Willensbetätigung erworben wird.

Vgl. Makarov/v. Mangoldt, a.a.O., § 25-RuStAG Rdn. 28; OVG NW, Urteil vom 28. April 1971 - IV A 1231/70 -, OVGE 26, 260 (263).

Dieses Merkmal betrifft die freiwillige Hinwendung zur fremden Staatsangehörigkeit. § 25 Abs. 1 RuStAG setzt nach den dargelegten Grundsätzen aber zugleich eine freiwillige Abwendung von der deutschen Staatsangehörigkeit voraus. Sein Tatbestand schließt daher mit ein, daß der Betreffende die deutsche Staatsangehörigkeit effektiv besitzt, sie also mit Erfolg gegenüber deutschen Behörden geltend machen und erwarten kann, daß er faktisch in den Schutz der staatlichen Gemeinschaft aufgenommen wird. Fehlt es daran und wendet sich der Betreffende lediglich notgedrungen einem fremden Staat zu, weil er andernfalls ohne den Schutz einer staatlichen Gemeinschaft wäre, liegt keine freie und selbstverantwortliche Entscheidung gegen die deutsche Staatsangehörigkeit vor.

Vgl. dazu: BVerfG, Beschluß vom 10. Juli 1958 - 1 BvR 532/56 -, BVerfGE 8, 81 (88); vgl. auch: Hessischer VGH, Urteil vom 11. November 1991 - UE 3389/90 -, InfAuslR 1992, 104(105); Hailbronner/Renner, a.a.O., § 25 Rdn. 18; a.A.: Makarov/von Mangoldt, a.a.O, GG-Art. 116 Abs. 2 Rdn. 82; der Sache nach offengelassen durch BVerwG, Urteil vom 28. September 1993 - 1 C 25.92 -, NVwZ 1994, 387 (389).

Nach diesen Grundsätzen sind die Anwendungsvoraussetzungen der §§ 17 Nr. 2, 25 Abs. 1 RuStAG in doppelter Hinsicht nicht erfüllt:

Zunächst hat G. G. die israelische Staatsangehörigkeit nach § 2 Abs. b) Nr. 1 des Israelischen Staatsbürgerschaftsgesetzes 1952 nicht auf Antrag im oben dargelegten Sinne erworben. Nach dieser Vorschrift erwarb u.a. derjenige die israelische Staatsbürgerschaft vom Tage der Errichtung des israelischen Staates ab, der vor der Errichtung in das Land eingewandert war. Die Vorschrift knüpfte damit nicht an die palästinensische Mandatsangehörigkeit, sondern an das tatsächliche Niederlassen im "Land" - gemeint ist Israel -,

vgl. zu letzterem: Pagener, a.a.O., S. 31 Fn. 6,

an. Ein Rückgriff auf die Beantragung der palästinensischen Mandatszugehörigkeit scheidet schon deshalb aus. Sie brachte im übrigen keinen auf den Erwerb der israelichen Staatsangehörigkeit gerichteten Willen zum Ausdruck, sondern richtete sich unmittelbar und abschließend auf eine - wie dargetan - andersartige rechtliche Bindung, die zudem einen anderen Bezugspunkt, nämlich das palästinensische Mandat, besaß. Die Einwanderung hatte indessen bis zum Inkrafttreten des Israelischen Staatsbürgerschaftsgesetzes von 1952 keinerlei staatsangehörigkeitsrechtlichen Erklärungswert. Dies gilt auch im Hinblick auf den Erwerb der palästinensischen Mandatsangehörigkeit und ungeachtet ihrer anderen rechtlichen Qualität sowie ihres anderen Gegenstandes. Denn die palästinensiche Mandatszugehörigkeit wurde nicht durch Einwanderung, sondern gemäß Teil III Art. 7 Abs. 1 Palästinensische Staatsangehörigkeitsverordnung 1925 auf Antrag erworben und setzte eine (zweijährige) Ansässigkeit in Palästina lediglich voraus. Die Einwanderung kann vor diesem Hintergrund schon im Ansatz nicht als schlüssig auf den Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit gerichtete Willensbetätigung aufgefaßt werden.

Ein Staatsangehörigkeitserwerb auf Antrag i.S.v. § 25 Abs. 1 RuStAG lag auch nicht deshalb vor, weil § 2 Abs. c) Nr. 2 Israelisches Staatsbürgerschaftsgesetz 1952 u.a. vorsah, daß ein vor Inkrafttreten des Staatsbürgerschaftsgesetzes eingewanderter Volljähriger - bei Minderjährigen kam es auf die ihr Kind einschließende Erklärung der Eltern an (§ 2 Abs. c) Nr. 3 Israelisches Staatsbürgerschaftsgesetz 1952) - die Staatsbürgerschaft nicht erwarb, wenn er am Vorabend des Inkrafttreten des Gesetzes ausländischer Staatsbürger war und am gleichen Tage oder vorher erklärte, nicht israelischer Staatsbürger sein zu wollen. Damit war lediglich ein Ausschlagungsrecht eingeräumt. Die Nichtausübung eines solchen Rechts erfüllt nicht das Merkmal der in positiver Weise auf den Erwerb der Staatsangehörigkeit gerichteten Willensbetätigung und ist nach den oben dargelegten Maßstäben mithin kein Antrag i.S.v. § 25 Abs. 1 RuStAG.

Vgl. Lichter, a.a.O., S. 135 f.

Ob und inwieweit G. G. und seine Eltern den Tatbestand des in Rede stehenden Ausschlagungsrechtes erfüllten und das Vorliegen seiner Voraussetzungen mit Aussicht auf Erfolg hätten geltend machen können, kann deshalb dahinstehen.

Überdies scheidet die Annahme eines (hypothetischen) Staatsangehörigkeitsverlusts nach § 25 Abs. 1 RuStAG deshalb aus, weil G. G. die deutsche Staatsangehörigkeit zu keinem der möglicherweise in Betracht zu ziehenden Zeitpunkte - Einwanderung, Beantragung der palästinensischen Mandatszugehörigkeit, Erwerb der israelischen Staatsangehörigkeit und Nichtausübung des Ausschlagungsrechts - effektiv besessen hätte: Jedenfalls bis zum 1. September 1939 war G. G. (allein) Danziger Staatsangehöriger. Danach hätte für G. G. als Juden - auch unter der hier zugrundezulegenden Prämisse, daß er nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Volklistenverordnung rechtlich nicht vom Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen gewesen wäre, und ungeachtet des exakten Zeitpunkts eines auf den 1. September 1939 zurückwirkenden Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit -,

vgl. zu letzterem auch Runderlaß des RMI betr. Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit in den in das Deutsche Reich eingegliederten Ostgebieten vom 25. November 1939 (RMBliV, S. 2385),

keine Möglichkeit bestanden, faktisch in die staatliche Schutzgemeinschaft des Deutschen Reiches aufgenommen zu werden. Schließlich wäre ein effektiver Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit weder im Jahre 1948 gegeben gewesen, als G. G. gemäß § 2 Abs. b) Nr. 1 Israelisches Staatsangehörigkeitsgesetz 1952 die israelische Staatsangehörigkeit erwarb, noch im Jahre 1952, in dem die Frist für die Ausschlagung der israelischen Staatsangehörigkeit gemäß Abs. c) Nr. 2 der letztgenannten Vorschrift endete: Die Wirksamkeit der Sammeleinbürgerung u.a. ehemaliger Danziger Staatsangehöriger nach der Volkslistenverordnung war zu diesen Zeitpunkten zumindest noch ungeklärt. In der amerikanischen und französischen Besatzungszone wurde den Sammeleinbürgerungen die Rechtswirksamkeit generell abgesprochen. In der sowjetisch besetzten Zone war die Praxis offenbar uneinheitlich. Lediglich in der britischen Besatzungszone wurden diejenigen, die im Wege der Sammeleinbürgerung die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hatten, als deutsche Staatsangehörige angesehen, es sei denn, sie wurden im Einzelfall von der Regierung eines anderen Staates als dessen Staatsangehörige anerkannt.

Vgl. dazu Makarov/von Mangoldt, a.a.O., StARegG-Vorgeschichte, Rdn. 2 ff.; Hailbronner/Renner, a.a.O., Einleitung B., Rdn. 29, jeweils m.w.N.

Die insoweit bestehende erhebliche Rechtsunsicherheit wurde in hier maßgeblicher Hinsicht erst mit Inkrafttreten des 1. StAngRegG im Jahre 1955 beseitigt. Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1952, die Einbürgerungsvorschriften für Böhmen und Mähren zum Gegenstand hatte, war zwar davon ausgehen, daß nicht alle mit den Annexionen zusammenhängenden Sammeleinbürgerungen als nichtig zu betrachten waren.

Vgl. BVerfG, Beschluß vom 28. Mai 1952 - 1 BvR 213/51 -, BVerfGE 1, 322 ff.

Welche Kollektiveinbürgerungen darüber hinaus im einzelnen den dadurch in den Grundzügen vorgebenen Maßstäben entsprachen, ist allerdings erst durch das 1. StAngRegG geklärt worden.

Vgl. dazu Hailbronner/Renner, a.a.O., StAngRegG § 1 Rdn. 5 f.

Dabei stellten sich die Verhältnisse hinsichtlich der ehemaligen Danziger Staatsangehörigen insoweit als besonders schwierig dar, als das Bundesverfassungsgericht die Wirksamkeit der Kollektiveinbürgerungen davon abhängig gemacht hatte, daß die betreffenden Personen von dem Staat, dessen Gebiet annektiert worden war, als seine Staatsangehörigen nicht mehr in Anspruch genommen wurden.

Vgl. BVerfG, Beschluß vom 28. Mai 1952 - 1 BvR 213/51 -, a.a.O., 331.

Dies war für Freie Stadt Danzig, deren völkerrechtliche Existenz einerseits nicht beendet war, die andererseits aber keine handlungsfähige Regierung besaß, nicht ohne weiteres zu beurteilen.

Vgl. dazu Maßfeller, a.a.O., S. 314, wo ausgeführt wird, die Danziger seien zur Zeit (1955) Doppelstaatler; vgl. ferner die bei Maßfeller, a.a.O., S. 368 ff., abgedruckte Begründung zu dem Entwurf des 1. StAngRegG, wo u.a. dargetan wird, für die Bevölkerung Danzigs könne die Vorfrage, ob sie von ihrem Heimatstaat in Anspruch genommen werde, zur Zeit nicht beantwortet werden, und schließlich darauf abgestellt wird, daß es nicht angängig sei, den Danzigern die deutsche Staatsangehörigkeit bis zu einer Inanspruchnahme vorzuenthalten (S. 369).

Danach hätte aus Sicht der Jahre 1948 und 1952 für G. G. ein nicht unbeträchtliches Risiko bestanden, ohne den Erwerb der israelischen Staatsangehörigkeit - ungeachtet des rechtlichen Schicksals der Danziger Staatsangehörigkeit - für absehbare Zeit keine tatsächlich staatlichen Schutz vermittelnde Staatsangehörigkeit zu besitzen. Jedenfalls deshalb hätte ein den tatbestandlichen Anforderungen des § 25 Abs. 1 RuStAG im übrigen entsprechender Erwerb der israelischen Staatsangehörigkeit in dem in Rede stehenden Zeitraum nicht als freiwillige Abwendung von der unterstellten deutschen Staatsangehörigkeit im oben beschriebenen Sinne beurteilt werden können.

2. Der in § 4 Abs. 2 Satz 1 Volkslistenverordnung normierte Ausschluß u.a. der Juden vom Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit war von Anfang nichtig, weil er als Element der auf die Vernichtung der Juden in Deutschland und Europa zielenden nationalsozialistischen Rassenpolitik offenbar gegen konstituierende Grundsätze des Rechts verstieß, die nicht zur Disposition des Gesetzgebers standen. § 4 Abs. 2 Satz 1 Volkslistenverordnung richtete sich der Sache nach auf den Ausschluß dieser Personengruppe aus der staatlichen Gemeinschaft, die dem Deutschen Reich noch nicht einmal als "Schutzangehörige" zugehören konnte (vgl. § 7 Abs 2 Volkslistenverordnung), und sollte - aus Sicht des Verordnungsgebers - eine formalrechtliche Voraussetzung für die Judenverfolgung schaffen.

Vgl. zu den einschlägigen Maßstäben: BVerfG, Beschluß vom 14. Februar 1968 - 2 BvR 557/62 -, BVerfGE 23, 99.

Insoweit lag eine Teilnichtigkeit des § 4 Volklistenverordnung vor, der im übrigen in dem durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,

vgl. BVerfG, Beschluß vom 28. Mai 1952 - 1 BvR 213/51 -, a.a.O.,

in Grundzügen vorgegebenen und durch § 1 Abs. 1 d) 1. StAngRegG endgültig abgesteckten Rahmen von Anfang an wirksames Recht war. Der letztgenannten Vorschrift kommt diesbezüglich nur deklaratorische Bedeutung zu.

Vgl. Hailbronner/Renner, a.a.O., § 1 StAngRegG Rdn. 5 f.; Marx, Kommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht , 1997, 1. StARegG § 1 Rdn. 9.

3. Die im 1. StAngRegG getroffenen Regelungen schließen aber ersichtlich auch die Rechtsgültigkeit des Ausschlusses unter anderem der Juden vom Erwerb der Staatsangehörigkeit im Wege der Sammeleinbürgerung, wie er in § 4 Abs. 2 Satz 1 Volkslistenverordnung vorgesehen war, mit ein. Dies legt bereits die in § 1 Abs. 1 1. StAngRegG gewählte Formulierung nahe, nach welcher der Staatsangehörigkeitserwerb "nach Maßgabe der genannten Bestimmungen" (lit. a)-f) der Vorschrift) erfolgte. Die Annahme, daß das 1. StAngRegG etwa § 4 Abs. 2 Satz 1 Volkslistenverordnung als rechtswirksam betrachtet, gebietet aber vor allem die Vorschrift des § 11 1. StAngRegG, die unter bestimmten Voraussetzungen solchen Personen einen Einbürgerungsanspruch gewährt, die aus rassischen Gründen von einer der in § 1 Abs. 1 1. StAngRegG genannten Sammeleinbürgerungen ausgeschlossen waren.

Vgl. zu den Motiven des Gesetzgebers: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (8. Ausschuß) über den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit, BT-Drs. 2/849, S. 5.

Hätte es der Gesetzgeber bei der anfänglichen Nichtigkeit der den Ausschluß von Personen "artfremden Blutes" betreffenden Regelungen in den Sammeleinbürgerungsvorschriften belassen wollen, hätte sich die Normierung eines - dann zwangsläufig ins Leere gehenden - Einbürgerungsrechts verboten. Folglich ist die der Volkslistenverordnung immanente Beschränkung auf deutsche Volkszugehörige nicht "artfremden Blutes" nach der Konzeption des 1. StAngRegG jedenfalls in der Weise als rechtswirksam zugrundezulegen, daß die Bundesrepublik Deutschland die von den Ausschlußtatbeständen Betroffenen nicht als ihre Staatsangehörigen betrachtet.

4. Hat der Gesetzgeber die Rechtsgültigkeit eines derartigen Ausschlußtatbestandes damit jedenfalls im Ansatz konstituiert, so ist die zugrundeliegende gesetzliche Regelung nicht ohne weiteres aus demselben Grunde nichtig wie der Ausschlußtatbestand selbst. Dies zeigt Art. 116 Abs. 2 GG. Auch hier sind Sachverhalte erfaßt, die auf von Anfang an nichtigen staatsangehörigkeitsrechtlichen Einzelmaßnahmen oder Normen aus der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft beruhen, wie etwa der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 (RGBl. I S. 722).

Vgl. dazu etwa BVerfG, Beschluß vom 14. Februar 1968 - 2 BvR 557/62 -, BVerfGE 23, 99.

Daraus hat und mußte der Verfassungsgeber indessen nicht die Konsequenz ziehen, die betreffenden Hoheitsakte (deklaratorisch) für nichtig zu erklären. Er hat vielmehr dem Gedanken Rechnung getragen, daß keinem der Verfolgten gegen seinen Willen die deutsche Staatsangehörigkeit aufgedrängt werden soll und dementsprechend in Art. 116 Abs. 2 Satz 1 GG einen Einbürgerungsanspruch normiert und den Erhalt der Staatsangehörigkeit nur für jene bestimmt, die nach dem 8. Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen und nicht einen entgegenstehenden Willen zum Ausdruck gebracht haben (Art. 116 Abs. 2 Satz 2 GG).

Vgl. dazu BVerfG, Beschluß vom 14. Februar 1968 - 2 BvR 557/62 -, BVerfGE 23, 99 (108 ff.).

Danach kann es auch dem einfachen Gesetzgeber grundsätzlich nicht verwehrt sein, den staatsangehörigkeitsrechtlichen Folgen nationalsozialistischer Rechtsvorschriften der hier in Rede stehenden Art durch Gewährung von Einbürgerungsansprüchen zu begegnen. Auch das an sich betroffene Verbot der Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG) wird insoweit durch die speziellere - vor allem im Interesse der Verfolgten vorgenommene - Wertung in Art. 116 Abs. 2 GG überlagert. Der Bestand darauf beruhender Regelungen setzt jedoch voraus, daß das eingetretene Unrecht im Wege des Einbürgerungsrechts in einem Maße beseitigt wird, das den in Bezug genommenen Grundsätzen des Rechts, die in hier maßgeblicher Hinsicht u.a. in Art. 3 Abs. 1 und 3 GG positivrechtlichen Ausdruck gefunden haben, entspricht. Anderenfalls nimmt jene den Geltungsanspruch des Ausschlußtatbestandes aufrechterhaltende gesetzliche Regelung an dessen Nichtigkeit notwendig teil.

Bei Sachverhalten, wie sie Art. 116 Abs. 2 GG und § 11 1. StAngRegG zum Gegenstand haben, steht dem Gesetzgeber nicht derjenige (weite) Gestaltungsspielraum zu, der bei der Wiedergutmachung von Unrecht gegeben ist, das von einer dem Grundgesetz nicht verpflichteten Staatsgewalt zu verantworten ist.

Vgl. zu letzterem: BVerfG, Beschluß vom 21. Oktober 1998 - 1 BvR 179/94 -, NJW 1999, 1460 (1463) m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1999 - 3 C 8/98 -, JURIS.

Für Fälle der vorliegenden Art stellt sich die Frage einer Wiedergutmachung in diesem Sinne weder begrifflich noch in der Sache: Der etwa durch § 4 Abs. 2 Satz 1 Volkslistenverordnung beabsichtigte Ausschluß von Personen "artfremden Blutes" ist bis zum Erlaß des 1. StAngRegG nicht eingetreten, weil die Vorschrift - wie dargetan - von Anfang an nichtig war. Ein im Nichterwerb der deutschen Staatsangehörigkeit liegender (rechtlicher) Nachteil, der wiedergutzumachen wäre, ist daher - ungeachtet der faktischen Auswirkungen eines solchen Ausschlußtatbestandes, deren Ausgleich hier aber nicht in Rede steht - nicht entstanden. Insoweit richtet sich § 11 1. StAngRegG nicht auf die Beseitigung der (rechtlichen) Folgen nationalsozialistischen Unrechts, sondern bezweckt die Bewältigung der Konsequenzen einer gesetzlichen Regelung des Bundesgesetzgebers, die Personen, die aus "rassischen" Gründen von einer der in § 1 Abs. 1 1. StAngRegG genannten Sammeleinbürgerungen ausgeschlossen waren, weiterhin nicht als deutsche Staatsangehörige betrachtet. Jedenfalls eine solche Regelung unterliegt den genannten rechtlichen Schranken strikt. Wenn der Gesetzgeber nicht verpflichtet ist, in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft stattgefundene Ungleichbehandlungen aus "rassischen" Gründen vollständig rückgängig zu machen oder auszugleichen und insoweit einen (weiten) Gestaltungsspielraum besitzt, kann daraus nicht abgeleitet werden, daß er kraft eines solchen Gestaltungsspielraums befugt wäre, von dem nationalsozialistischen Regime gewollte, rechtlich aber wirkungslos gebliebene Ungleichbehandlungen aus "rassischen" Gründen gleichsam rückwirkend zu begründen. Behandelt der Gesetzgeber durch nationalsozialistisches Unrecht vom Staatsangehörigkeitserwerb ausgeschlossene Personen nicht als deutsche Staatsangehörige, muß er ihnen jedenfalls im Wege des Einbürgerungsrechts den Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit eröffnen. Zumindest insoweit trifft ihn eine - der Haftung aus Ingerenz ähnliche - "Folgenbeseitigungslast" hinsichtlich jener Wirkungen der von ihm getroffenen gesetzlichen Regelung, die weder mit den unverfügbaren Grundsätzen des Rechts noch mit der Wertordnung der Verfassung in Einklang zu bringen sind.

Den hieraus folgenden Anforderungen hat der Gesetzgeber mit der Regelung des § 11 1. StAngRegG allein nicht genügt. Diese Norm gewährt nämlich nur demjenigen einen Einbürgerungsanspruch, der von einer der in § 1 Abs. 1 1. StAngRegG genannten Sammeleinbürgerungen aus "rassischen" Gründen ausgeschlossen war, einen dauernden Aufenthalt in Deutschland besitzt und zwischenzeitlich keine andere Staatsangehörigkeit erworben hat. Damit erfaßt die Vorschrift generell u.a. nicht Sachverhalte der hier streitigen Art, in denen die Staatsangehörigkeit von Abkömmlingen in Rede steht, die selbst dem Einbürgerungsausschluß nicht unterfielen und geboren worden sind, bevor der seinerzeit vom Ausschlußtatbestand Betroffene, der die deutsche Staatsangehörigkeit gemäß § 4 RuStAG hätte vermitteln können, eingebürgert worden ist.

Vgl. dazu etwa: Marx, a.a.O., 1. StAngRegG § 11 Rdn. 5.

Eine Begrenzung der in Rede stehenden "Folgenbeseitigungslast" auf die "Erlebnisgeneration" anzunehmen, muß auscheiden, weil die rechtlichen Auswirkungen eines Ausschlusses vom Staatsangehörigkeitserwerb aus "rassischen" Gründen auch für die nachfolgenden Generationen - jedenfalls für Kinder und Enkel der "Erlebnisgeneration" - den aufgezeigten Unrechtscharakter besitzen. Dies bestätigt auch die in Art. 116 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommende Wertung, nach der die dort erfaßten staatsangehörigkeitsrechtlichen Maßnahmen nationalsozialistischer Rassenpolitik - die wie etwa § 4 Abs. 2 Satz 1 Volkslistenverordnung gleichermaßen auf den Ausschluß u.a. der jüdischen Bevölkerung aus der staatlichen Gemeinschaft abzielten - auch im Verhältnis zu den Abkömmlingen der betroffenen Generation (unbeschränkt) rückgängig zu machen sind.

Eine insoweit andere Beurteilung kann nicht aus § 12 Abs. 2 1. StAngRegG hergeleitet werden, der Abkömmlingen jener früheren deutschen Staatsangehörigen, die im Zusammenhang mit Verfolgungsmaßnahmen aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 vor Inkrafttreten des 1. StAngRegG eine fremde Staatsangehörigkeit erworben haben, (§ 12 Abs. 1 1. StAngRegG) einen lediglich bis zum 31. Dezember 1970 befristeten Einbürgerungsanspruch gewährt. Neben dem Anwendungsbereich des Art. 116 Abs. 2 GG kann die vorbezeichnete Vorschrift lediglich in Fällen greifen, in denen der Staatsangehörigkeitsverlust auf einer freiwilligen Abwendung von der deutschen Staatsangehörigkeit (§ 17 Nr. 1 - 3 RuStAG) beruhte.

Vgl. dazu auch Hailbronner/Renner, a.a.O., § 12 StAngRegG Rdn. 2.

Dies ist bei Sachverhalten der vorliegenden Art - wie dargetan - nicht der Fall; positiv- rechtlicher Wertungsmaßstab kann insoweit allein Art. 116 Abs. 2 GG sein.

Greifen nicht sonstige Vorschriften ein, die einen Einbürgerungsanspruch gewähren - was hier offenbleiben kann -, muß die vorbezeichnete "Folgenbeseitigungslast" im Rahmen der Ermessensausübung nach § 8 RuStAG - über die die zuvor aufgezeigten Gesichtspunkte ersichtlich nicht in Rechnung stellenden Einbürgerungsrichtlinien des BMI (vgl. Nr. 6.3 des Rundschreibens vom 15. Dezember 1977 (GMBl. 16), zuletzt geändert durch Rundschreiben vom 7. März 1989 (GMB. 195) hinaus - Berücksichtigung finden. Sie führt regelmäßig zu einer Ermessensreduzierung auf Null zugunsten der Betroffenen, weil andernfalls mit der Rechtsordnung unvereinbare Wirkungen nationalsozialistischen Rassenunrechts durch die Vorschriften des 1. StAngRegG als positiv sanktioniert erschienen. Hinter diesen Gesichtspunkt muß das Anliegen, Mehrstaatigkeit zu vermeiden,- trotz seines erheblichen Gewichts,

vgl. dazu etwa Senatsurteil vom 23. Februar 1996 - 25 A 2570/94 -, S. 18 der Urteilsabschrift m.w.N.,

und entgegen der Wertung in § 11 1. StAngRegG - im Regelfall zurücktreten. Dies muß jedenfalls dann gelten, wenn der Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit durch das betroffene Mitglied der "Erlebnisgeneration" nicht die Voraussetzungen der §§ 17 Nr. 2, 25 Abs. 1 RuStAG erfüllte, die - wie dargetan - u.a. voraussetzen, daß man zum Zeitpunkt des Erwerbs der fremden Staatsangehörigkeit effektiv im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit ist und der staatliche Schutz auch nicht faktisch verweigert wird; andernfalls ergäbe sich eine - nach den dargelegten Grundsätzen - unzulässige Schlechterstellung der Verfolgten und ihrer Abkömmlinge im Verhältnis zu jenem Rechtszustand, der vor Inkrafttreten des 1. StAngRegG gegeben war. Daß die Verhinderung der Fortwirkung nationalsozialistischen Rassenunrechts der Vermeidung von Mehrstaatigkeit grundsätzlich vorgeht, bestätigt auch Art. 116 Abs. 2 Satz 1 GG, der einen Einbürgerungsanspruch ungeachtet einer eventuell eintretenden doppelten Staatsangehörigkeit gewährt.

Vgl. dazu etwa Hailbronner/Renner, a.a.O., Art. 116 GG Rdn. 96 m.w.N.

Ebensowenig kann dem Einbürgerungsbegehren des Betroffenen die fehlende Zugehörigkeit zum deutschen Kulturkreis vorgehalten werden, soweit sich dieser Umstand als Folge der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft darstellt. Ein fortdauernder Aufenthalt in dem Land, in dem der Einbürgerungsbewerber oder seine Vorfahren Schutz vor der Verfolgung gefunden haben, ist demgegenüber im Rahmen der Ermessensausübung nach § 8 Abs. 1 RuStAG regelmäßig von vornherein irrelevant. Er betrifft die Tatbestandseite des § 8 Abs. 1 RuStAG und ist entweder nach § 13 RustAG unbeachtlich oder muß im Rahmen der Ermessensausübung nach § 1 der Verordnung zur Regelung von Staatsangehörigkeitsfragen vom 20. Januar 1942 Berücksichtigung finden.

Nach diesen Grundsätzen ist das durch § 8 Abs. 1 RuStAG eingeräumte Ermessen auch vorliegend dahin reduziert, daß die Einbürgerung vorzunehmen ist: Insbesondere kann der Einbürgerung nicht die israelische Staatsangehörigkeit der Kläger entgegengehalten werden, die sich als Konsequenz der nationalsozialistischen Verfolgung ihres Vaters bzw. Großvaters darstellt und von diesem - wie ausgeführt - unter Voraussetzungen erworben worden ist, die nicht jenen der §§ 17 Nr. 2, 25 Abs. 1 RuStAG entsprachen. Da sich auch die Zugehörigkeit der Kläger zu einem fremden Kulturkreis als Verfolgungsresultat darstellt, vermag auch dieser Aspekt - entgegen der Ansicht der Beklagten - eine Ablehnung des Einbürgerungsbegehrens nicht zu rechtfertigen.

Der erforderliche Zusammenhang zwischen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland einerseits und dem Erwerb der israelischen Staatsangehörigkeit sowie der Ausgliederung aus dem deutschen Kulturkreis andererseits ist nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Flucht der Familie G. nach Palästina bereits im September 1938 erfolgt ist. Dabei kann dahinstehen, inwieweit eine Flucht zu diesem Zeitpunkt als "antezipierte Reaktion" auf die zum 1. September 1939 erfolgte "Eingliederung" Danzigs zu deuten sein könnte. Spätestens im Jahre 1938, nachdem bereits im Oktober 1937 erste Ausschreitungen erfolgt waren,

vgl. Denne, a.a.O., S. 123,

hatte nämlich auch in Danzig, in dessen Volkstag die NSDAP seit 1933 die absolute Mehrheit besaß,

vgl. Denne, a.a.O., S. 44, Ruhnau, a.a.O., S. 100 ff.,

die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung eingesetzt,

Vgl. Burckhardt, Meine Danziger Mission 1937 - 1939, 2. Aufl. (1960), S. 194 ff.; Ruhnau, a.a.O., S. 109,

die schon seit 1937 in größerer Zahl aus Danzig emigrierte.

Vgl. Burckhardt, a.a.O., S. 206.

Dabei sind auch jene in der Freien Stadt Danzig unternommenen Verfolgungsmaßnahmen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft im Deutschen Reich zuzurechnen gewesen. Der Gauleiter der NSDAP in Danzig unterstand der Parteiführung in Berlin,

vgl. van Dam/Loos, Bundesentschädigungsgeset z, Kommentar, 1957, S. 83; vgl. auch Denne, a.a.O., S. 41,

und war damit in jenen Befehlsstrang eingebunden, mittels dessen die Führung der NSDAP durch Partei und staatliche Organe einheitlich über die Gebiete des Deutschen Reiches und - de facto - auch über Danzig herrschte. Nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen in der Freien Stadt Danzig sind deshalb dem nationalsozialistischen Regime im Deutschen Reich grundsätzlich in derselben Weise zuzurechnen wie Verfolgungshandlungen im Reichsgebiet selbst. Dies ist im Wiedergutmachungsrecht anerkannt,

vgl. van Dam/Loos, a.a.O., S. 83; Blessin/Geissler, Bundesentschädigungsschlu ßgesetz, Kommentar, 1967, S. 238 m.w.N.; vgl. auch OLG Celle, Entscheidung vom 3. Juli 1956 - 2 UH 25/56 -, RzW 1956, 307,

und muß im vorliegenden Zusammenhang gleichermaßen gelten.

Besteht der geltend gemachte Einbürgerungsanspruch deshalb jedenfalls gemäß §§ 13, 8 RuStAG, kann dahinstehen, ob sich ein gleicher Anspruch auch aus anderen Rechtsvorschriften, namentlich aus Art. 116 Abs. 2 Satz 1 GG, ergeben könnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.