OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.11.1998 - 7 A 4640/97
Fundstelle
openJur 2011, 82790
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 11 K 2862/95
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die nicht erstattungsfähig sind.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 10.000,-- DM festgesetzt

Gründe

Der gemäß §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 VwGO statthafte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Aus dem Zulassungsantrag ergeben sich die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht. Die Rechtssache weist zudem auch nicht besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und hat auch nicht grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Zunächst begegnet das angegriffene Urteil nicht schon deshalb ernstlichen Rechtmäßigkeitszweifeln, weil das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung davon ausgegangen ist, daß der Kläger nicht - etwa durch Verzicht oder Verwirkung - daran gehindert ist, nachbarliche Abwehransprüche gegen die angefochtene Baugenehmigung vom 31. Juli 1992 geltend zu machen. Diese Bewertung erweist sich vielmehr im Ergebnis als zutreffend. Auch bei Zugrundelegung des Vorbringens des Beigeladenen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, welches im übrigen vom Kläger bestritten worden ist, will der Beigeladene im Rahmen der seinerzeitigen Verkaufsverhandlungen mit dem Kläger diesen lediglich auf seine Absicht der Errichtung eines Biergartens hingewiesen haben. Damit wäre dem Kläger diese geplante Nutzungsform bei Abschluß des Kaufvertrages über das maßgebliche Grundstück bekannt gewesen. Wenn ein solcher Hinweis seinerzeit tatsächlich vor Abschluß des Kaufvertrages erfolgt wäre, könnte dem zwar möglicherweise - was hier nicht weiter zu prüfen ist - eine rechtliche Bedeutung dahingehend zukommen, daß ein Verhalten des Klägers mit dem Ziel einer vollständigen Untersagung des Betriebes eines Biergartens auf dem streitigen Grundstück unter Umständen als Verstoß gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB zu bewerten sein könnte. Demgegenüber hat der bloße Hinweis auf bestimmte Nutzungsabsichten im Zusammenhang mit den dem Kaufabschluß vorangehenden Vorgesprächen nicht die Folge, daß der Verkäufer in der fehlenden Reaktion auf einen solchen Hinweis gleichzeitig zum Ausdruck bringt, damit die angesprochene Nutzung in jedweder Erscheinungsform akzeptieren zu wollen. Ein solches Verständnis ist, selbst wenn die fragliche Nutzung den Kaufpreis mit beeinflußt haben sollte, jedenfalls nach den hier vorliegenden Gegebenheiten nicht gerechtfertigt. Das in Rede stehende Gelände liegt in einem Bereich, der sehr weitgehend durch Wohnbebauung, also eine Nutzungsform, die gegen eine Biergartennutzung sehr empfindlich ist, charakterisiert wird. Eine uneingeschränkte Hinnahme einer solchen Nutzung durch den Verkäufer, dessen Wohnhaus unmittelbar angrenzend liegt, war deshalb aus der Sicht des Vertragspartners nicht als vom Verkäufer im Zweifel zugestanden einzukalkulieren. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, daß nach dem Vorbringen der Beteiligten die Biergartenfrage in dem notariellen Grundstückskaufvertrag nicht angesprochen wird. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, daß das Rechtsverhältnis zwischen Verkäufer und Käufer des Grundstücks heute nicht (mehr) dadurch bestimmt ist, daß der Verkäufer die Biergartenaktivitäten auf dem Nachbargrundstück zu akzeptieren hat. Unbeschadet dessen, ob diese Frage in Vorgesprächen thematisiert wurde, ist sie jedenfalls dann nicht mehr Gegenstand der rechtlichen Beziehungen der Beteiligten zueinander, wenn sie in der schriftlichen Vereinbarung, die diese Beziehungen sowohl nach der Rechtslage (§ 313 BGB) als auch nach dem im Zweifel anzunehmenden Willen der Vertragspartner abschließend und umfassend regeln soll, nicht auftaucht. In diesem Sinne trifft auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts zu, wonach ein Verzicht auf Abwehrrechte nicht erfolgt ist, weil ein solcher Verzicht nicht schriftlich fixiert wurde.

Das Verwaltungsgericht hat des weiteren auch zu Recht festgestellt, daß die Baugenehmigung vom 31. Juli 1992 zu Lasten des Klägers rechtswidrig ist, weil der Biergarten in der hier genehmigten Form gegen das nachbarschützende Rücksichtnahmegebot verstößt. Die Grundstücke des Klägers und des Beigeladenen liegen in einem unbeplanten Innenbereich gemäß § 34 BauGB, wobei gewichtige Anhaltspunkte dafür sprechen, daß der hier betroffene Bereich seiner Art nach einheitlich einem reinen Wohngebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 BauNVO entspricht. Denn nach der vom Beklagten vorgelegten Übersichtskarte über die bauliche Nutzung (Blatt 94 der Gerichtsakte) ist die nähere Umgebung ganz überwiegend durch Wohnbebauung gekennzeichnet und erhält von dieser Bebauung ihre Prägung. Soweit wenige vereinzelte andere Nutzungsarten in der näheren Umgebung vorhanden sind, handelt es sich insofern entweder um auch in einem reinen Wohngebiet gemäß § 13 BauNVO zulässige, auf bloße Räume von Gebäuden beschränkte Nutzungen durch Freiberufler oder aber nicht allzu gewichtige singuläre gewerbliche Nutzungen, die Fremdkörpercharakter haben und deshalb die Eigenart der Umgebung nicht zu prägen vermögen.

Letztlich brauchte die Frage nach dem konkreten Gebietscharakter indes nicht weiter aufgeklärt zu werden. Denn ungeachtet dessen verstößt die erteilte Baugenehmigung gegen das Rücksichtnahmegebot. Die in der Baugenehmigung enthaltenen Nebenbestimmungen sind, soweit sie sich auf den dem Schutz des Nachbarn dienenden Immissionsschutz beziehen - unabhängig von der Frage, welches genaue Maß der Schutzwürdigkeit der Kläger im Hinblick auf die maßgebende Gebietsart beanspruchen kann - schon von ihrer Ausgestaltung her grundsätzlich nicht geeignet, den nachbarlichen Interessen des Klägers gerecht zu werden.

Zwar enthält die Baugenehmigung die Auflage, den Biergarten in der zulässigen Betriebszeit von 11.00 bis 22.00 Uhr schalltechnisch so zu betreiben, daß der Luftschall den maximal zulässigen Immissionsrichtwert von tagsüber 50 dB(A) und nachts von 35 dB(A) gemessen 0,5 m vor dem geöffneten, am stärksten betroffenen Fenster der umliegenden Wohnhäuser - gemessen und bewertet nach der TA-Lärm - nicht überschreitet.

Diese Auflage führt jedoch nicht dazu, daß von dem täglich bis 22.00 Uhr im Freien zulässigen Betrieb keine unzumutbaren Beeinträchtigungen ausgehen können. Die Belastbarkeit von Menschen mit Lärm hängt von einem Bündel von Faktoren ab, die nur unvollkommen in einem einheitlichen Meßwert aggregierend erfaßt werden können.

Vgl. dazu Urteil des Senats vom 9. Juli 1992 - 7 A 158/91 -, BRS 54 Nr. 190 und Beschlüsse des Senats vom 16. November 1995 - 7 B 2482/95 - sowie vom 19. Januar 1996 - 7 B 3172/95 -; so auch Urteil des 10. Senats vom 5. Februar 1996 - 10 A 944/91 -.

Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - die in die Beurteilung einzustellenden Geräusche vornehmlich durch menschliches Verhalten verursacht werden, das von dem Beigeladenen bzw. den jeweiligen Pächtern anders als bei gewerblichem Lärm im herkömmlichen Sinne nicht gesteuert werden kann, selbst wenn mannigfaltige Hinweistafeln aufgestellt werden mögen. Ob die Geräusche laut, leise, schrill oder dumpf sind, hängt vom Naturell und der jeweiligen Stimmung der einzelnen Biergartenbesucher ab und läßt sich damit weder steuern noch hochrechnen. Eine auf technische Werte abstellende Auflage ist deshalb bei Fallgestaltungen der vorliegenden Art nicht geeignet, einen hinreichenden Schutz der Nachbarschaft zu gewährleisten.

Vgl. Urteil des Senats vom 9. Juli 1992 - 7 A 158/91 -, BRS 54 Nr. 190 und Beschlüsse des Senats vom 16. November 1995 - 7 B 2482/95 - sowie vom 19. Januar 1996 - 7 B 3172/95 -; Urteil des 10. Senats vom 5. Februar 1996 - 10 A 944/91 -.

Diese Bewertung wird auch nicht durch das Vorbringen des Beklagten im Zulassungsverfahren in Zweifel gezogen. Soweit der Beklagte geltend gemacht hat, die Einstufung einer Lärmschutzauflage der hier bezeichneten Art als ungeeignet stehe im Widerspruch zur neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, ist dies nicht zutreffend. Denn zum einen verhält sich das vom Beklagten insofern herangezogene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Mai 1996 - 1 C 10/95 - schon gar nicht zu der im vorliegenden Fall maßgeblichen Frage der Geeignetheit einer Lärmschutzauflage der hier betroffenen Art unter dem Gesichtspunkt des vom Betreiber eines Biergartens nicht steuerbaren Lärmverhaltens seiner Gäste. Zum anderen läßt sich der vorgenannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts entnehmen, daß die Bestimmung der Zumutbarkeit von Lärmimmissionen nicht nur - worauf die Auflage in der Baugenehmigung aber allein abstellt - von der Intensität der Geräusche, sondern u.a. auch ganz maßgeblich von der konkreten Lärmart abhängt. Die besondere Lärmart eines Biergartens wird jedoch unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten - wie oben aufgezeigt - durch die bloße Vorgabe einzuhaltender quantitativer Lärmrichtwerte gerade nicht hinreichend erfaßt. Die Bewertung der hier in Betracht stehenden Lärmschutzauflage als ungeeignet führt auch nicht etwa dazu, daß danach in der unmittelbaren Nachbarschaft von Wohnhäusern Biergärten grundsätzlich unzulässig würden. Sie sind vielmehr auch auf der Grundlage der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts an sich in mit Wohnhäusern bebauten Bereichen weiterhin zulässig, sofern die Baugenehmigung den im jeweiligen Einzelfall gebotenen Schutz der Nachbarschaft durch entsprechende geeignete Auflagen, etwa in Form konkreter Nutzungsregelungen und/oder einer Anordnung baulicher Schallschutzmaßnahmen, sicherstellt.

Derartige weitere, über die bloße Vorgabe von einzuhaltenden quantitativen Lärmrichtwerten hinausgehende geeignete Auflagen zum Lärmschutz enthält die hier angefochtene Baugenehmigung vom 31. Juli 1992 nicht. Sofern der Beklagte auf die zwischenzeitlich erfolgte Errichtung einer den Biergarten abschirmenden Wand hingewiesen hat, ist festzustellen, daß die hier allein zur Überprüfung anstehende Baugenehmigung vom 31. Juli 1992 keine Verpflichtung zur Errichtung einer solchen Wand enthält. Die Errichtung dieser Wand ist dem Beigeladenen vielmehr lediglich im Rahmen einer adressatenbezogenen Ordnungsverfügung aufgegeben worden, ohne daß diese Verpflichtung, etwa in Form einer Auflage, Gegenstand der angefochtenen Baugenehmigung geworden wäre. Im übrigen ist auf der Grundlage der obigen Feststellungen zur besonderen Lärmart eines Biergartens nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats davon auszugehen, daß selbst eine Lärmschutzwand nicht geeignet ist, einen hinreichenden Schutz der Nachbarschaft zu gewährleisten, wenn diese Wand in ihrer Wirkung allein nach den technischen Vorgaben von Lärmrichtwerten bestimmt ist.

Vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 19. Januar 1996 - 7 B 3172/95 - .

Um eine derartige Wand handelt es sich hier aber, da ihre konkrete Ausgestaltung auf dem Vorschlag eines im Jahre 1993 eingeholten schalltechnischen Gutachtens beruht und ihre Errichtung nach dem Inhalt des Gutachtens allein der Einhaltung von Lärmrichtwerten dienen soll.

Schließlich enthält die betroffene Baugenehmigung mit der bloßen Vorgabe einer Zahl von 60 Sitzplätzen im Biergarten, deren für die Auswirkung auf das Nachbargelände bedeutsame räumliche Anordnung auf dem weitläufigen Grundstück des Beigeladenen im übrigen nicht weiter geregelt worden ist, keine Nutzungsbeschränkungen, die für sich genommen einen ausreichenden Schutz der Nachbarn, namentlich des Klägers, vor unzumutbaren Lärmbelästigungen gewährleisten könnten.

Nach alledem bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils.

Aus der vorliegenden Fallgestaltung ergeben sich auch nicht, wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache.

Angesichts der gefestigten Rechtsprechung zur fehlenden Geeignetheit der vorliegenden Lärmschutzauflage für die hier betroffenen Fälle kommt dem Verfahren auch nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 124a Abs. 2 Satz 2 VwGO ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 13 Abs. 1 GKG.

Mit der Ablehnung des Antrages wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 2 Satz 3 VwGO).