OLG Hamm, Urteil vom 30.10.2000 - 6 U 198/99
Fundstelle
openJur 2011, 82460
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 15 O 22/99
Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen - das am 13. Juli 1999 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 22.400,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 28.08.1998 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschwer der Beklagten: unter 30.000,00 DM.

Gründe

I.

Für seinen Pkw Opel Astra unterhielt der Kläger bei der Beklagten eine Teilkaskoversicherung. Am Abend des 09.09.1996 gegen 22.15 Uhr stellte er den Pkw nahe seiner Wohnung in D auf der F-Straße ab, wo er ihn in den frühen Morgenstunden des folgenden Tages nicht wieder vorfand. Der Zeuge u2 hatte den Pkw in der Nacht mit einem passenden Schlüssel zu einer von den Zeugen u und G angemieteten I gefahren, in der der Pkw später ausgeschlachtet wurde.

Der Kläger, der die Beklagte auf Zahlung der Diebstahlsentschädigung in Anspruch nimmt, hat ausgeführt, der Pkw sei gegen seinen Willen fortgeschafft worden. Zu der Frage, wie die Kopierspuren auf einen seiner Fahrzeugschlüssel gekommen seien, könne er aus eigenem Wissen nichts sagen, da er keine Schlüsselkopie habe anfertigen lassen.

Die Beklagte hat, gestützt auf die Aussagen der Zeugen u, u2 und G, aus einer Reihe von Indizien gefolgert, daß der Pkw nicht entwendet worden, sondern auf Wunsch des Klägers beiseite geschafft worden sei. Außerdem hat sie sich auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung berufen.

Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen, weil der Kläger den Vollbeweis einer Fahrzeugentwendung nicht führen könne und der erleichterte Beweis daran scheitere, daß eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für die Vortäuschung des Diebstahls spreche.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags. Er meint, mit den Aussagen der Täter sei ihm sogar der Vollbeweis für den Eintritt des Versicherungsfalles gelungen. Im übrigen seien die Aussagen der Zeugen u2, u und G aber nicht hinreichend glaubhaft, um mit ihnen auch nur eine erhebliche Wahrscheinlichkeit der Diebstahlsvortäuschung durch ihn, den Kläger, zu beweisen.

Die Beklagte verteidigt mit näheren Ausführungen die angefochtene Entscheidung. Sie behauptet, ohne Mitwirkung des Klägers könne der Zeuge u2 nicht in den C2 eines passenden Fahrzeugschlüssels gekommen sein. Auch den Code für den CD-Tuner aus dem Opel müsse der Zeuge u dem Kläger erhalten haben.

II.

Auf die Berufung des Klägers war das angefochtene Urteil in der aus dem Tenor ersichtlichen Weise abzuändern. Denn gem. §§ 1, 49 VVG, 12, 13 AKB steht dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 22.400,00 DM zu.

1.

Der zur Leistungspflicht der Beklagten führende Versicherungsfall ist eingetreten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme muß davon ausgegangen werden, daß dem Kläger in der Nacht zum 10.09.1996 der Pkw entwendet worden ist.

Auch im Berufungsverfahren ist zwischen den Parteien unstreitig, daß der Kläger den Pkw am Abend des 09.09.1996 auf der F-Straße in D abgestellt und ihn dort am nächsten Morgen nicht wieder vorgefunden hat, weil der Zeuge u2 den Pkw in der Zwischenzeit vom Abstellort weggefahren hat. Damit steht der für den erleichterten Beweis genügende Sachverhalt, aus dem mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine Wegnahme des Pkw gegen den Willen des Klägers geschlossen werden kann, fest. Auf die Frage, ob allein deswegen, weil der Zeuge u2 bestätigt hat, den Pkw in Abwesenheit des Klägers vom Abstellort weggefahren zu haben, bereits der Vollbeweis einer Fahrzeugentwendung geführt ist, kommt es nicht an. Denn die Vortäuschung des Diebstahls durch den Kläger ist nicht so erheblich wahrscheinlich, daß diesem die vertraglich vereinbarten Beweiserleichterungen mit der Folge genommen wären, den Vollbeweis führen zu müssen.

Allerdings ergeben sich bei Zugrundelegung der Aussagen der Zeugen u, G und u2 mehrere Aspekte, die die Annahme, der Kläger habe die Fahrzeugentwendung vorgetäuscht, nahelegen: Nach Aussage des Zeugen u2 wurde der Pkw des Klägers mit einem passenden Schlüssel weggefahren. Vom Zeugen u will der Zeuge u2 erfahren haben, daß u den Schlüssel vom Eigentümer des Pkw erhalten habe und daß der Eigentümer den Pkw verschwinden lassen wolle. Weiter soll u erklärt haben, für den Fall, daß er, u2, von der Polizei angehalten werde, genüge ein Telefonanruf; der Halter des Pkw werde dann mit den Fahrzeugpapieren kommen. Weiter hat u2 ausgesagt, der Pkw des Klägers sei vollkommen leergeräumt gewesen, was nahelegt, daß der Fahrzeugeigentümer mit einer weiteren eigenen Nutzung des Pkw nicht rechnete. Ferner soll u laut Aussage des Zeugen G diesem Zeugen nachträglich die Code-Nummer des CD-Tuners beschafft haben, der jedenfalls grundsätzlich nur vom Kläger bekanntgegeben werden konnte. Schließlich weist einer der vom Kläger nach der Diebstahlsmeldung überreichten Fahrzeugschlüssel Kopierspuren auf.

Folgt man den Zeugenaussagen, aus denen sich die wesentlichen für Diebstahlsvortäuschung sprechenden Indizien ergeben, dann fehlt es aber gleichwohl noch an einem überzeugenden Motiv, das den Kläger zur Begehung eines Versicherungsbetruges verleitet haben müßte. Wenn der Kläger, wie die Beklagte behauptet, wegen der damals bevorstehenden Geburt seiner Tochter an einem Fahrzeugwechsel interessiert war, dann hätte er den Pkw zu einem der zu erwartenden Kaskoversicherungsleistung entsprechenden Preis verkaufen können. Vorteile konnte der Kläger nur erzielen, wenn ihm die sonstige Verwertung des Pkw über die Versicherungsleistung hinaus wesentlichen Nutzen gebracht hätte. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß der Pkw nicht komplett weiterverschoben wurde, sondern, so die Bekundungen der Zeugen G und u2, zerlegt wurde. Das Fahrgestell wurde zershreddert. G erhielt den CD-Tuner und erlöste für Motor und Blechteile nach eigener Aussage ca. 5.000,00 DM, nach der Aussage u 5.700,00 DM. Davon 1.700,00 DM gingen laut Aussage u an diesen Zeugen sowie an den Zeugen u2, so daß jedenfalls nicht mehr als 4.000,00 DM übrig blieben. Daß diese 4.000,00 DM ganz oder auch nur zum Teil an den Kläger ausgezahlt worden sind, hat keiner der Zeugen bekundet. Ein überzeugendes Motiv des Klägers für eine Diebstahlsvortäuschung würde in dem Erhalt von 4.000,00 DM auch nicht zu sehen sein. Entgegen den erstinstanzlichen Behauptungen des Beklagten ist der Kläger bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Er arbeitet selbst bei dem Fahrzeughersteller Opel, was ihm neben einem geregelten Einkommen Preisnachlässe bei der Anschaffung von Neufahrzeugen einbringt. Der Senat hält es vor diesem Hintergrund für eher unwahrscheinlich, daß der Kläger wegen eines Vorteils von jedenfalls nicht mehr als 4.000,00 DM sich durch Zusammenarbeit mit einem Kriminellen wie dem Zeugen u diesem abhängig gemacht hat, zumal ihm derartiges Verhalten bei einer Aufdeckung der Tat erhebliche berufliche Nachteile einbringen konnte.

Dazu, daß der Pkw den Zeugenaussagen zufolge ausgeschlachtet worden ist, paßt ferner nicht, daß der Kläger einen kopierten Fahrzeugschlüssel eingereicht hat, ohne zugleich die Kopie vorzulegen. Wenn der Pkw lediglich von der Wohnung des Klägers zur Halle der Zeugen u und G gefahren und dort ausgeschlachtet werden sollte, macht es jedenfalls dann, wenn der Kläger einverstanden war, keinen Sinn, für die nur kurze Fahrt einen Schlüssel nebst Transponder für die Wegfahrsperre herzustellen. Für diese kurze Fahrt hätte man auch den Originalschlüssel des Klägers nutzen und diesen sogleich zurückgeben können. Wenn aber mit Wissen des Klägers eine Schlüsselkopie hergestellt worden wäre, um das Fahrzeug vom Abstellort wegzufahren, dann hätte man dem Kläger auch die Schlüsselkopie, die später ja nicht mehr gebraucht wurde, aushändigen können, damit der Kläger zur Vermeidung eines Verdachtes das Vorhandensein von Kopierspuren plausibel erscheinen lassen konnte.

Unabhängig hiervon verbleiben aber auch zu viele Zweifel an der Richtigkeit der Aussagen der Zeugen G, u2 und u, um aus diesen Aussagen Entscheidendes gegen den Kläger herzuleiten. Schon zu der Frage, wer denn nun den persönlichen Kontakt mit dem Kläger vermittelt hat, geben die Aussagen nicht viel her. Denn während u2 und G insbesondere aus Äußerungen des Zeugen u entnommen haben wollen, dieser habe mit dem Eigentümer des Pkw in Kontakt gestanden, hat u dies bestritten und auch in Abrede gestellt, sich überhaupt in dem von u2 und G geschilderten Sinn geäußert zu haben. Nach der Aussage u soll G den Pkw-Schlüssel beschafft und den Pkw dann gemeinsam mit u2 abgeholt haben.

Die Bekundungen des Zeugen u, denen allerdings ohnehin nicht viel zum Nachteil des Klägers entnommen werden könnte, können schon aus den vom Landgericht erörterten Gründen nicht als zuverlässig angesehen werden. Damit steht aber die Richtigkeit der der Aussage des Zeugen u widersprechenden Aussagen u2 und G noch nicht fest. Vielmehr muß bei der Bewertung der Aussagen dieser beiden Zeugen, die inzwischen ebenso wie der Zeuge u wegen der Begehung mehrerer Straftaten verurteilt worden sind, berücksichtigt werden, daß sie bestrebt sein könnten, nicht auch noch wegen der Vorgänge um den Pkw des Klägers strafrechtlich und zivilrechtlich belangt zu werden. Aus diesem Grunde kann aus der Aussage des Zeugen u2, der Pkw des Klägers sei vollkommen leer gewesen, trotz der Originalität dieser Schilderung nicht zuverlässig entnommen werden, daß der Kläger den Pkw tatsächlich in der Erwartung seines Verschwindens leergeräumt hätte. Ferner kann daraus, daß u nach den Bekundungen von u2 und G erklärt haben soll, er habe den Fahrzeugschlüssel vom Eigentümer, der den Pkw verschwinden lassen wolle und der auch mit den Fahrzeugpapieren erscheinen werde, falls deren Vorlage bei einer Polizeikontrolle verlangt werde, nicht zuverlässig auf eine entsprechende Beteiligung des Klägers an den Vorgängen geschlossen werden, weil die Glaubwürdigkeit aller drei Zeugen äußerst fragwürdig erscheint. Im übrigen steht selbst dann, wenn der Zeuge u dem Zeugen G nachträglich den Code für den CD-Tuner geliefert hat, nicht fest, daß der Zeuge u die entsprechenden Informationen vom Kläger erhalten hat. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, daß der Kläger, wie dieser behauptet, anläßlich von Wartungsarbeiten an seinem Pkw der jeweiligen Werkstatt außer dem Fahrzeugschlüssel auch den Fahrzeugschein einschließlich einer Karte mit dem aufgedruckten Code für den CD-Tuner überlassen hat, und daß ein mit dem Zeugen u in Kontakt stehender Werkstattmitarbeiter ohne Wissen des Klägers eine Schlüsselkopie gefertigt sowie die Code-Nummer notiert hat. Durch die Vernehmung der als Zeugen benannten Mitarbeiter des Autohauses T kann dies nicht ausgeschlossen werden, zumal sich das ganze auch bei der Firma C zugetragen haben kann.

Insgesamt beruhen die Verdachtsmomente, die für ein Einverständnis des Klägers an der Beiseiteschaffung, Ausschlachtung und Verwertung seines Fahrzeugs sprechen, sämtlich auf den Aussagen der drei Straftäter, die unstreitig mehrere andere Fahrzeuge tatsächlich entwendet, ausgeschlachtet und verwertet haben. Es spricht trotz der für eine Mitwirkung des Kläges sprechenden Umstände einiges dafür, daß auch sein Fahrzeug gegen seinen Willen in dieser Weise entwendet und verwertet worden ist. Soweit der Zeuge u2 dem Haupttäter u erfahren hben will, der Eigentümer sei einverstanden, von ihm habe er den Schlüssel, muß die Möglichkeit ernsthaft in Betracht gezogen werden, daß u tatsächlich ohne Mitwirkung und Kenntnis des Klägers an eine Schlüsselkopie und an die Code-Nummer gelangt ist und daß er den Mittätern u2 und G nur vorgespiegelt hat, er habe den Schlüssel vom Eigentümer des Pkw, dieser sei einverstanden, um die wahre Quelle zu verschleiern und um evtl. bestehende Bedenken zu zerstreuen. Es kann deshalb auch die erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung nicht bejaht werden.

2. Die Beklagte ist nicht wegen einer Obliegenheitsverletzung gem. §§ 7 AKB, 6 Abs. 3 VVG leistungsfrei geworden. In dem am 22.10.1996 unterzeichneten Fragebogen heißt es zwar, das Kraftfahrzeug sei ausschließlich bei der Firma T gewartet worden. Tatsächlich befand es sich aber am 02.08.1995 auch bei der Firma C. Es kann dahinstehen, ob der Zeuge T2 bei Ausfüllung des Fragebogens die Informationen des Klägers vollständig niedergeschrieben hat. Denn eine Obliegenheitsverletzung des Klägers liegt schon deswegen nicht vor, weil die Beklagte am 22.10.1996 bereits über die Wartungsarbeiten bei der Firma C informiert war, da sie die entsprechenden Eintragungen in dem ihr vorliegenden Inspektionsheft kannte.

3.

Der Wiederbeschaffungswert des Pkw beträgt nach dem Gutachten des Sachverständigen T3 23.400,00 DM. Abzüglich Selbstbeteiligung des Klägers in Höhe von 1.000,00 DM verbleiben 22.400,00 DM, die dem Kläger zuzusprechen waren.

Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286, 288 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 708 Nr. 10, 546 ZPO.

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