VG Düsseldorf, Beschluss vom 28.06.2000 - 6 L 1792/00.A
Fundstelle
openJur 2011, 82287
  • Rkr:
Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 12. Juni 2000 im Verfahren 6 K 3601/00. A gegen den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 5. Juni 2000 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Der zulässig gestellte Antrag ist begründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - kann das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anordnen, wenn das Interesse der Antragstellerin am vorläufigen Aufschub der Vollziehung das Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung ihrer Abschiebungsandrohung in dem Bundesamtsbescheid vom 5. Juni 2000 überwiegt. Dies ist nur dann der Fall, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, die es nach § 36 Abs. 4 Satz 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) allein rechtfertigen würden, der Klage entgegen der gesetzlichen Grundentscheidung (vgl. § 75 AsylVfG) aufschiebende Wirkung zu verleihen.

Diese Voraussetzung ist vorliegend als erfüllt anzusehen.

Nach § 71 Abs. 4 AsylVfG darf eine Abschiebungsandrohung nur ergehen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG - in Bezug auf einen - nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages gestellten - Asyl-(folge-)antrag vorliegen. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG ist ein Asylfolgeantrag zulässig, wenn eine Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist, neue Beweismittel vorliegen oder Wiederaufnahmegründe nach § 580 der Zivilprozessordnung - ZPO - gegeben sind und wenn der Antragsteller die Geeignetheit dieser Umstände für eine ihm günstigere Entscheidung schlüssig dargelegt hat.

Vgl. auch Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 15. Dezember 1987 - 9 C 285/86 -, EZAR 205, Nr. 6.

Im Fall der Antragstellerin liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG vor. Die Sach- und Rechtslage hat sich nachträglich zugunsten der Antragstellerin geändert.

Eine Änderung der Sachlage im Sinne dieser Rechtsvorschriften ist nicht bereits dann zu bejahen, wenn neue Umstände substantiiert und glaubhaft vorgetragen werden. Ihnen muss vielmehr weiterhin wenigstens ein schlüssiger Ansatz für eine mögliche politische Verfolgung des Antragstellers zu entnehmen sein. Das ist nicht der Fall, wenn sie von vornherein nach jeder vernünftigerweise vertretbaren Betrachtungsweise ungeeignet sind, zur Asylberechtigung zu verhelfen.

BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 C 33.90 - DVBl. 1991, 1102 (Ls.) -.

Genau dies aber ist vorliegend nicht der Fall.

Die Antragstellerin hat aufgrund ihrer öffentlichen künstlerischen und politischen Betätigung in der Zeit nach rechtskräftigem Abschluss des vorherigen Asylfolgeverfahrens am 28. April 1998 Umstände geschaffen, die eine Sachlagenänderung zugunsten der Antragstellerin bewirkt haben dürften. Sie hat ihre Aktivitäten in einer Weise gesteigert, dass ihre Einordnung als ausgewiesene Führungspersönlichkeit der Opposition, die im Fall ihrer Rückkehr mit staatlichen Maßnahmen seitens der eritreischen Regierung rechnen muß,

vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 10. Februar 2000 - 514-516.80/33913-,

nicht mehr auszuschließen ist. So ist sie seither als Texterin ihrer Lieder in Erscheinung getreten und hat somit vom bloßen Singen regimekritischer Lieder zur eigenen kritischen Auseinandersetzung mit den politischen Verhältnissen in Eritrea gewechselt. Diese Lieder werden auch nicht nur in engstem Kreis der ELF-RC-Sympathisanten vorgetragen und von diesen (mit-)gesungen, sondern haben nach den Angaben der Antragstellerin nunmehr überregionale Verbreitung durch Radiosender gefunden. Dadurch dürfte der Bekanntheitsgrad der Antragstellerin wesentlich gesteigert worden sein.

Seit dem Ausbruch des Eritrea-Äthiopien-Grenzkonflikts im Frühjahr 1998 gingen Teile der ELF mit der äthiopischen Regierung ein Zweckbündnis ein und sind seither in Addis Abeba präsent,

vgl. Institut für Afrika-Kunde vom 15. November 1999 - 4 E 31042/98 -.

Am 5. März 1999 trafen sich in Khartoum elf erzieherische Oppositionsgruppen, unter ihnen die ELF-RC, und schlossen sich zu einer gemeinsamen Front (Union of Eritrean National Forces) zusammen mit dem Ziel, die herrschende Regierung in Eritrea zu stürzen. Presseberichte aus Äthiopien besagen, dass bereits am 26. März 1999 bewaffnete Kräfte der Opposition schwere Angriffe im Norden Eritreas gegen Regierungstruppen führten.

Vgl. ai, Auskunft vom 28. Februar 2000, - AFR 40-99.087 - .

Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes handelte es sich dabei zwar um Aktivistengruppen des Islamischen Djihad,

vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 3. Februar 2000 - 514-516.80/33815,

doch ist nicht ersichtlich, dass die eritreische Regierung diese Kämpfe bzw. Anschläge nicht der in Khartoum neu formierten Opposition insgesamt zurechnen und die Mitglieder dieser Organisationen im Fall ihrer Rückkehr nunmehr besonderer Überprüfung unterziehen wird.

Es bestehen aufgrund in der Person der Antragstellerin liegender und objektiver Veränderungen der Sachlage ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides des Bundesamtes vom 5. Juni 2000, da die in den Liedern der Antragstellerin zum Ausdruck kommende unverhohlen scharfe öffentliche Kritik noch dazu im Rahmen von Veranstaltungen der ELF-RC, eines Teils der militärisch gegen die Regierung kämpfenden Opposition, seitens der eritreischen Regierung als Zusammenarbeit mit dem Feind, also mit Äthiopien, verstanden werden dürfte. Art. 264 c des (neuen) provisorischen eritreischen Strafgesetzes geht von Kooperation mit dem Feind bereits dann aus, wenn Unterstützung der feindlichen Interessen durch das Verbreiten von gedruckten Kriegsmaterialien und Unterstützung in den Medien vorliegt. Dieses Strafgesetz sieht eine Gefängnisstrafe von 20 Jahren und in besonders schweren Fällen die Todesstrafe vor.

Die Antragstellerin war auch ohne grobes Verschulden außerstande, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG). Dies gilt insbesondere für die erst nachträglich eingetretenen Ereignisse in Khartoum, Eritrea und Addis-Abeba, aber auch für die Steigerung des Bekanntheitsgrades der Antragstellerin, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass nunmehr ihre Lieder auch über Radio verbreitet werden.

Die Antragstellerin hat den Antrag auch noch binnen drei Monaten ab dem Tage gestellt, an dem sie von dem Grund für das Wiederaufgreifen des Verfahrens Kenntnis erhalten hatte (§ 51 Abs. 3 VwVfG). Die Antragstellerin hat ihren Asylfolgeantrag am 29. Mai 2000 gestellt. Von den Ereignissen in Khartoum, Eritrea und Addis-Abeba hat die Kammer erst im März 2000 erfahren. Wann die Antragstellerin ihrerseits davon ausgehen durfte, in den einschlägigen Kreisen einen Bekanntheitsgrad erreicht zu haben, der sie vergleichbar mit herausgehobenen Oppositionsführern einer Verfolgung durch die eritreische Regierung aussetzt, ist zeitlich nicht eindeutig bestimmbar. Ihre letzte Aktivität in diesem Bereich lag jedenfalls innerhalb dieses Drei-Monats-Zeitraums. Der Vorsitzende der Redaktion „Eritrean Voice" hat ferner unter dem 11. Mai 2000 bestätigt, dass die Lieder der Antragstellerin mittlerweile stets im Radio in der Region Tübingen ausgestrahlt werden. Gleiches soll nach den Angaben der Antragstellerin für eine derzeit alle vierzehn Tage ausgestrahlte Radiosendung in der Region Kassel gelten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG.

Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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