OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.06.2000 - 5 B 588/00
Fundstelle
openJur 2011, 81988
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Der Antrag des Antragstellers auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 22. März 2000 wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für beide Instanzen - für den ersten Rechtszug unter Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung - auf 76.250,-- DM festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht gegeben. Das Antragsvorbringen vermag die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht in Frage zu stellen. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Recht abgelehnt.

Die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Die Ordnungsverfügung vom 28. Dezember 1999 ist nicht offensichtlich rechtswidrig; überwiegende Anhaltspunkte sprechen vielmehr für ihre Rechtmäßigkeit. Der Antragsgegner durfte die Ordnungsverfügung auf § 14 OBG stützen, um eine Störung der öffentlichen Ordnung abzuwehren.

Der Begriff der öffentlichen Ordnung, der in Art. 13 Abs. 7 GG und Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG seine verfassungsrechtliche Anerkennung gefunden hat, umfasst die Gesamtheit jener ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beobachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Gemeinschaftslebens betrachtet wird.

OVG NRW, Urteil vom 31. Mai 1988 - 5 A 2638/85 -; Beschluss vom 22. Juni 1994 - 5 B 193/94 -; Franßen, in: Festgabe aus Anlass des 25-jährigen Bestehens des Bundesverwaltungsgerichts, 1978, Seite 201, 206; Drews/Wacke/Vogel/ Martens, Gefahrenabwehr, 9. Auflage 1986, Seite 245.

Die herrschenden Anschauungen über die unerlässlichen Voraussetzungen eines geordneten staatsbürgerlichen Gemeinschaftslebens werden auch geprägt durch die Wertmaßstäbe des Grundgesetzes. Im vorliegenden Zusammenhang sind dies insbesondere die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und das staatliche Gewaltmonopol (Art. 20 GG). Die grundrechtlichen Wertmaßstäbe beeinflussen insbesondere "Generalklauseln", die, wie § 14 OBG NRW, zur Beurteilung menschlichen Verhaltens auf außerrechtliche Maßstäbe, wie die "öffentliche Ordnung", verweisen. Denn bei der Entscheidung darüber, was diese sozialen Gebote jeweils im Einzelfall fordern, muss in erster Linie von der Gesamtheit der Wertvorstellungen ausgegangen werden, die das Volk in einem bestimmten Zeitpunkt seiner geistigkulturellen Entwicklung erreicht und in seiner Verfassung fixiert hat. Die geschichtlich wandelbaren Anschauungen davon, was als maßgebliche unerlässliche Ordnungsvoraussetzungen in der Rechtsgemeinschaft anzusehen ist, werden auch durch rechtliche Gebote und Verbote beeinflusst. Der Rechtsgehalt der Grundrechte entfaltet sich daher mittelbar durch die ordnungsrechtliche Generalklausel der "öffentlichen Ordnung".

Vgl. BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 -, BVerfGE 7, 198, insbesondere 206 und 215.

Den sich so ergebenden Regeln für ein geordnetes staatsbürgerliches Gemeinschaftsleben widerspricht das von der Antragstellerin veranstaltete Paintball- oder Gotchaspiel.

Mit dem Menschenbild des Grundgesetzes, insbesondere mit der in Art. 1 Abs. 1 GG normierten Unantastbarkeit der Würde des Menschen ist es unvereinbar, die simulierte Tötung von Menschen zum Gegenstand und Ziel eines Unterhaltungsspiel zu machen. Dabei kann dahinstehen, ob der Widerspruch zu den grundgesetzlichen Wertungen allein schon aus der besonderen Betroffenheit der am Spiel beteiligten Personen folgt.

Vgl. zum Schutz Betroffener: BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1981 - 1 C 232.79 -, BVerwGE 64, 274, 278 f.; kritisch dazu: Drews/Wacke/Vogel/Martens, a.a.O., Seite 257 f.; differenzierend: BVerwG, Urteil vom 30. Januar 1990 - 1 C 26.87 -, BVerwGE 84, 314, 317 ff.

Auf die Mitwirkung und das Einverständnis der Mitspieler, die als Spielfiguren, Zielobjekte oder "Stellvertreter" fungieren, kommt es insoweit nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, dass Menschen zum Zeitvertreib und als Freizeitspaß simuliert "getötet" werden. Der verwerfliche Charakter des Paintball- oder Gotchaspiels besteht gerade in der Verbindung von gestellten Tötungshandlungen und der bezweckten Unterhaltung.

Der durch den Schutz der Menschenwürde und den Schutz des menschlichen Lebens geprägten Wertordnung unserer Gesellschaft widerspricht ferner das System des Spiels und seine Zielsetzung, durch simulierte Kampf- und Tötungshandlungen ein Verhalten einzuüben, wie es für Gewaltdelikte und gewalttätige Auseinandersetzungen typisch ist.

Vgl. für Laserspiele: OVG NRW, Beschluss vom 28. Juni 1995 - 5 B 3187/94 -; Rh.-Pf. OVG, Beschluss vom 21. Juni 1994 - 11 B 11428/94 -, NVwZ- RR 1995, 30, 31; Lippstreu, GewArch 1993, 311, 312 ff.; Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, § 33 i Rn. 12 a; Hahn, in: Friauf, Gewerbeordnung, § 33 i Rn. 14 f.; Bericht des Wirtschaftsaus- schusses des Deutschen Bundestages, BT- Drs. 12/8005, Seite 27; Antworten des Parlamentarischen Staatssekretärs Funke, BT-Drs. 12/7058, Seite 8 f., und BT-Drs. 12/7462, Seite 7; a. A.: Bay.VGH, Beschluss vom 4. Juli 1994 - 22 Cs 94.1528 -, NVwZ-RR 1995, 32, 33.

Im Interesse des Spielerfolges und der Unterhaltung sollen die Spieler (Kampf-)Handlungen simulieren und zur Perfektion entwickeln, die von den genannten fundamentalen Normen grundsätzlich missbilligt werden und überdies mit Strafe bedroht sind. Zur Einübung derartiger Verhaltensweisen sind allein bestimmte Personenkreise, wie Polizeibeamte und zur Verteidigung ausgebildete Soldaten (Art. 12 a, 26 GG), legitimiert, deren Aufgabe gerade die Eindämmung und Abwehr von Gewalt ist. Demgegenüber ruft das Angebot an einen unbestimmten Kreis von volljährigen Personen zur Teilnahme an einem Gewalt- und Tötungsspiel die Gefahr hervor, dass ein entsprechendes Verhalten in der Realität entgegen den grundgesetzlichen und strafrechtlichen Wertungen auch außerhalb der beschriebenen, rechtlich legitimierten Ausnahmesituation als akzeptabel angesehen und damit ein Abstumpfen gegenüber Gewalt- und Tötungshandlungen gefördert wird.

Diese Gefahr besteht vor allem deshalb, weil das vom Antragsteller betriebene Spiel die Gewalt- bzw. Tötungssituation in realistischer Weise simuliert. Das Verwaltungsgericht hat bereits zutreffend festgestellt, dass im Vordergrund des Paintball- oder Gotchaspiels das Ziel steht, den Gegner zu treffen und kampfunfähig zu machen. Das Spiel ist darauf angelegt, mit Waffen im Sinne des Waffengesetzes, die sich nur durch die Art der Geschosse - Gelatine-Kugeln statt fester Geschosse - von anderen Waffen unterscheiden, auf Menschen zu schießen und damit Tötungshandlungen zu simulieren. Das gilt nicht nur für die Spielvariante, dass diejenige Mannschaft gewinnt, die die meisten Gegner markiert, also "getötet" hat, sondern auch für die Spielvariante, dass die Eroberung der gegnerischen Fahne Ziel des Spiels ist. In der letztgenannten Variante ist das Ausschalten des Gegners erstrebenswertes und in aller Regel auch notwendiges Zwischenziel zum Erreichen des Spielerfolgs. Je mehr Gegner "eliminiert" werden, desto leichter ist die Eroberung der Fahne. Auch in realen kriegerischen und gewalttätigen Auseinandersetzungen ist die Ausschaltung des Gegners häufig "nur" ein Zwischenziel für andere Ziele. Da nach den Spielregeln ein körperlicher Kontakt untersagt ist, kann ein Gegner ausschließlich durch eine simulierte Tötung mit der Waffe ausgeschaltet werden. Dass der Reiz des Spiels ganz wesentlich durch das Treffen des Gegners bestimmt wird, kommt nicht zuletzt in der Bezeichnung Gotcha ("I got you") zum Ausdruck. Unerheblich ist insoweit, ob Gotcha oder Paintball - wie der Antragsteller vorträgt - ein körperliches Konditions- und Aufbautraining erfordert und damit zugleich als "sportliche" Betätigung anzusehen sein könnte. Eine gute körperliche Konstitution mag - wie auch in realen kriegerischen und gewalttätigen Auseinandersetzungen - Vorteile beim Kampf gegen den Gegner versprechen; für die ordnungsrechtliche Beurteilung der simulierten Kampf- und Tötungshandlungen ist dies ohne Belang.

Die Realitätsnähe des Spiels wird entscheidend dadurch erreicht, dass sich mehrere Menschen körperlich gegenüberstehen, die zugleich als Schütze und als Ziel und damit als zu tötende bzw. auszuschaltende Kontrahenten fungieren. Verstärkt wird der Eindruck einer gewalttätigen Auseinandersetzung durch die Ausrichtung des Spiels als Gruppenwettbewerb. Die durch das körperliche Gegenüber der Spieler gekennzeichnete Situation wird durch die Ausstattung realitätsnah ergänzt. Die für die Durchführung des Spiels zur Verfügung stehenden Luftdruckwaffen (Farbmakierungspistolen) weisen große Ähnlichkeit mit den für gewalttätige Auseinandersetzungen der heutigen Zeit typischen Schusswaffen auf. Die in der Halle aufgebauten Hindernisse und Tarnmöglichkeiten (Sandsäcke, Geländenachbauten, imitierte Häuserwände) erweitern die Variationsmöglichkeiten des simulierten Nahkampfes.

Der Verweis des Antragstellers auf die allgemeine Akzeptanz des Fechtsports führt zu keinem anderen Ergebnis. Das Fechten ist heute - losgelöst von seiner ursprünglichen historischen Bedeutung - eine Sportart, deren Ausübung nicht (mehr) mit dem Töten des Gegners in Verbindung gebracht wird und auch wegen der überholten Bedeutung der Waffe kein Einüben in reale kriegerische oder gewalttätige Auseinandersetzungen darstellt.

Die Ermessensausübung des Antragsgegners ist nicht zu beanstanden. Insbesondere steht Art. 3 Abs. 1 GG einem Vorgehen gegen das Gotchaspiel des Antragstellers nicht entgegen. Unabhängig von der Frage, ob und inwieweit der Antragsgegner überhaupt örtlich und sachlich für die Unterbindung von Gewaltdarstellungen etwa in Filmen, im Fernsehen oder in Westernstädten zuständig wäre sowie unabhängig von der Frage nach der Effizienz eines Vorgehens gegen anderweitige Gewaltdarstellungen,

vgl. zur Effizienz der Gefahrenabwehr als Differenzierungskriterium: BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92 u.a. -, NJW 1994, 1577, 1584 f.,

besteht hier jedenfalls in den geschilderten Besonderheiten des Gotchaspiels ein sachlicher Grund zu differenzierter Behandlung. Durch die unmittelbare körperliche Beteiligung der handelnden Spieler und die Simulation eines möglichst authentischen Kampf- und Tötungsszenariums wird eine Nähe zu realen Kampf- und Tötungshandlungen der Gegenwart hergestellt, die weder bei üblichen Kampfsportarten noch bei "herkömmlichen" Kriegsspielen unter Verwendung von Kriegsspielzeug noch bei der Inszenierung historischer Kampf- und Westernspiele erreicht wird.

Dass das Gotchaspiel nach Darstellung des Antragstellers im Ausland sowie auf amerikanischen Militärbasen in Deutschland unbeanstandet praktiziert wird, hindert ebenfalls nicht ein Einschreiten des Antragsgegners. Denn der Antragsgegner ist für die vom Antragsteller benannten Vergleichsfälle nicht zuständig.

Die Zwangsgeldandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 60, 61, 63 VwVG NRW.

Die weitere Abwägung des öffentlichen Interesses an einer sofortigen Vollziehung der Verfügung des Antragsgegners gegenüber dem Interesse des Antragstellers, der an ihn gerichteten Anordnung bis zur abschließenden Entscheidung in der Hauptsache nicht nachkommen zu müssen, fällt zu Ungunsten des Antragstellers aus. Diesem ist zuzumuten, bis auf weiteres die Veranstaltung von Paintball- oder Gotchaspielen, bei denen auf Menschen gezielt wird, zu unterlassen. Denn durch dieses Spiel sind Rechtsgüter von hohem verfassungsrechtlichen Rang bedroht. Zwar kann sich der Antragsteller zur Verfolgung seiner Interessen ebenfalls auf Verfassungsrecht, nämlich Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 GG, berufen. Das Gewicht seiner Interessen ist jedoch dadurch stark gemindert, dass er entgegen seinen ursprünglichen Angaben gegenüber dem Antragsgegner, in der Halle werde ein Vereinshaus für einen eingetragenen, nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichteten (vgl. § 21 BGB) Sportverein betrieben, einen Spielbetrieb in gewerblicher Art und Weise organisiert hat, ohne zuvor die erforderliche Baugenehmigung einzuholen. Der Antragsteller hat dadurch eine rechtzeitige Klärung der Rechtmäßigkeit des gewerblichen Spielbetriebs verhindert.

Der Anordnung der sofortigen Vollziehung steht auch nicht entgegen, dass der Antragsgegner erst nach einem längeren Zeitraum der Prüfung aller rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte die Ordnungsverfügung erlassen hat. Er hat sich damit nicht der Befugnis begeben, der nach sorgfältiger Prüfung erkannten Störung der öffentlichen Ordnung unmittelbar mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung zu begegnen, um weitere Verstöße wirkungsvoll zu verhindern.

2. Der Rechtssache kommt auch nicht die ihr vom Antragsteller beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zu.

a) Die vom Antragsteller aufgeworfene Frage, ob eine länger andauernde behördliche Duldung gegen eine spätere Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Untersagungsverfügung spricht, lässt sich nicht allgemein beantworten, sondern hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. Im vorliegenden Fall steht die längere behördliche Prüfung - wie ausgeführt - der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht entgegen.

b) Die ferner sinngemäß aufgeworfene Frage, ob das Paintballspiel gegen die öffentliche Ordnung verstößt oder "erlaubt" ist, lässt sich, soweit die Frage sich im Rahmen der summarischen Prüfung des Eilverfahrens stellt, auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats ohne weiteres beantworten. Auch aus dem Hinweis auf den vom Antragsteller zitierten Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. Juli 1994 - 22 Cs 94.1528 -, den der erkennende Senat bereits in seinem Beschluss vom 28. Juni 1995 - 5 B 3187/94 - berücksichtigt hat, ergibt sich - im Rahmen des Eilverfahrens - kein weiterer Klärungsbedarf.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 14 Abs. 1 und 3, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1, 25 Abs. 2 Satz 2 GKG. Dabei berücksichtigt der Senat den geschätzten voraussichtlichen jährlichen Gewinn des Antragstellers in Höhe von 150.000,-- DM mit der Hälfte (75.000,-- DM) und die Zwangsgeldandrohung mit einem Viertel des vom Antragsgegner angesetzten Betrages (1.250,-- DM).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).