OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.01.2001 - 5 B 115/01
Fundstelle
openJur 2011, 81977
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Der Antrag der Antragstellerin auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 24. Januar 2001 wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 8.000,-- DM festgesetzt.

Der Beschluss soll den Beteiligten vorab per Fax bekannt gegeben werden.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) greifen nicht durch.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin,

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 22. Januar 2001 gegen die Verbotsverfügung des Antragsgegners vom 15. Januar 2001 wiederherzustellen,

zu Recht abgelehnt.

Es spricht nach summarischer Prüfung alles dafür, dass die angegriffene Verbotsverfügung rechtmäßig ist. Von der Versammlung geht nach aktueller Sachlage eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung aus, die die erlassene Verbotsverfügung gemäß § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersammlG) rechtfertigt.

Der in § 15 VersammlG verwandte Begriff der öffentlichen Ordnung, der in Art. 13 Abs. 7 GG und Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG eine verfassungsrechtliche Fundierung gefunden hat, umfasst die Gesamtheit jener ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten Zusammenlebens betrachtet wird.

BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 223, 341/81 -, BVerfGE 69, 315, 352; OVG NRW, Urteil vom 31. Mai 1988 - 5 A 2638/85 -; Beschluss vom 22. Juni 1994 - 5 B 193/94 -; Franßen, in: Festgabe aus Anlass des 25-jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, 1978, S. 201, 206; Drews/Wacke/Vogel/ Martens, Gefahrenabwehr, 9. Auflage 1986, S. 245.

Die jeweils herrschenden Anschauungen werden insbesondere geprägt durch die Wertmaßstäbe des Grundgesetzes. Im vorliegenden Zusammenhang ist dies vor allem die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), die als höchster Wert und oberstes Verfassungsprinzip im Mittelpunkt der grundgesetzlichen Ordnung steht und in dieser Eigenschaft nicht nur Bedeutung für die Auslegung der übrigen Verfassungsbestimmungen hat, sondern auf die gesamte Rechtsordnung ausstrahlt,

vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1971 - 1 BvR 387/65 -, BVerfGE 32, 98 (108); Beschluss vom 17. Januar 1979 - 1 BvR 241/77 -, BVerfGE 50, 166 (175); OVG NRW, Beschluss vom 13. Januar 1994 - 5 B 1263/93 -, NWVBl. 1994, 167 f.; zur Bedeutung der Menschenwürde für die Interpretation der übrigen Grundrechte: vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 1970 - 1 BvR 13/68 -, BVerfGE 27, 344 (351); Beschluss vom 3. April 1979 - 1 BvR 994/76 -, BVerfGE 51, 97 (110); Beschluss vom 13. Januar 1987 - 2 BvR 209/84 -, BVerfGE 74, 102 (120).

Zu den prägenden Wertmaßstäben zählen ferner die in Art. 20 GG niedergelegten verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien der Demokratie, des Föderalismus und der Rechtsstaatlichkeit,

vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Oktober 1951 - 2 BvG 1/51 -, BVerfGE 1, 14 ff; Beschluss vom 25. Oktober 1966 - 2 BvR 506/63 -,BVerfGE 20, 323 (331).

Sie gehören - ebenso wie die Menschenwürde - zu dem nach Art. 79 Abs. 3 GG unabänderlichen Kernbestand der freiheitlich demokratischen Grundordnung. In ihnen manifestiert sich zugleich die nachdrückliche Absage an jegliche Form von Totalitarismus, Rassenideologie und Willkür, wie sie für das auf "Führer und Gefolgschaft" gründende, von Rechtlosigkeit und Mißachtung der Menschenwürde geprägte nationalsozialistische Unrechtsregime kennzeichnend war.

Menschenwürde und grundrechtliche Freiheiten sind mithin, ebenso wie die bereits genannten verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien des Art. 20 GG, konstituierende Bestandteile der öffentlichen Ordnung i.S. des § 15 VersammlG.

Vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 27. September 2000 - 5 A 4916/98 -.

Die solchermaßen konkretisierte öffentliche Ordnung wird durch Bestrebungen gefährdet, die die nationalsozialistische Diktatur verharmlosen oder ihre führenden Vertreter und Symbolfiguren verherrlichen, auch wenn damit die Schwelle der Strafbarkeit im Einzelfall noch nicht erreicht sein mag. Die öffentliche Ordnung i.S. des § 15 VersammlG ist mithin unmittelbar gefährdet, wenn eine Versammlung erkennbar unter Umständen stattfindet, die ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus beinhalten und damit all jenen grundgesetzlichen Wertvorstellungen zuwiderlaufen, die Ausdruck einer Abkehr vom Nationalsozialismus sind.

Vgl. auch VGH Hessen, Beschluss vom 17. September 2000 - 3 TH 2190/93 -, NVwZ 1994, S. 86 f.; BVerwG, Beschluss vom 25. März 1993 - 1 ER 301/92 -, NJW 1993, 3213, 3215.

So verhält es sich hier.

Das Verwaltungsgericht ist - ebenso wie der Antragsgegner in seiner Verbotsverfügung - zu Recht davon ausgegangen, das die konkreten Umstände der geplanten Veranstaltung das Gepräge der Verherrlichung des Nationalsozialismus geben. So steht das Datum der Versammlung, der 26. Januar 2001, in einem eindeutigen, direkten Zusammenhang mit der Machtergreifung Adolf Hitlers am 30. Januar 1933, da der Reichspräsident Paul von Hindenburg dem Reichskanzler Kurt von Schleicher am 26. Januar 1933 die von ihm geforderten Vollmachten verweigerte und damit den Weg für die Machtergreifung Hitlers freimachte. Auch die beharrliche Weigerung des Veranstalters, den Termin der Versammlung zu verlegen und einen näheren zeitlichen Zusammenhang zum 18. Januar, dem angeblich für die Versammlung Anlass gebenden Tag der Reichsgründung herzustellen, lässt nur den Schluss darauf zu, dass der Aufzug dem Gedenken an die Machtergreifung Hitlers und damit der Verherrlichung des Nationalsozialismus dient. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass für diese Einschätzung auch das geplante Mitführen Schwarz-Weiß- Roter Fahnen, Fahnenstangen, Trommeln und Fackeln spricht. Es liegt auf der Hand, dass hierdurch Assoziationen zu nationalsozialistischen Fackelaufzügen im "Dritten Reich" hervorgerufen werden und damit der unmittelbare Bezug zur nationalsozialistischen Gewaltherrschaft noch verstärkt wird.

Mit Blick auf die besondere Symbolkraft des gewählten Datums der geplanten Versammlung kann dahingestellt bleiben, ob Versammlungen der NPD - wofür nach Auffassung des Senats vieles spricht - nicht allein schon deshalb gegen die öffentliche Ordnung verstoßen, weil die NPD nach ihrer gesamten Programmatik in enger Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus steht, einen nationalen Sozialismus auf "völkischer" - d.h. "rassenreiner" bzw. "blutsreiner" - Grundlage in aktivkämpferischer, aggressiver Weise anstrebt,

vgl. dazu auch den Bericht des nordrheinwestfälischen Innenministers vom 27. Oktober 2000 zur Verfassungswidrigkeit der NPD, S. 69 ff.,

und damit nach dem übereinstimmenden Votum der Verfassungsorgane Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung den Verbotstatbestand des Art. 21 Abs. 2 GG erfüllt. Ebenso wenig kommt es angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles, die schon für sich genommen die Verbotsverfügung rechtfertigen, darauf an, ob das vom Antragsgegner nicht verwertete, aber in der Vergangenheit vielfach belegte Zusammengehen der NPD mit gewaltbereiten nicht organisierten Neonazis aus der Skinhead-Szene und dem Umfeld der sog. "freien Kameradschaften" ein unmittelbares Gefährdungspotenzial schafft, dem die Versammlungsbehörden im Rahmen einer sorgfältigen, auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmten Gefahrenprognose zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit Rechnung zu tragen haben.

Vgl. hierzu ausführlich Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 29. April 2000 - 3 ZEO 336/00 -.

Der in der Verbotsverfügung des Antragsgegners festgestellten Gefährdung kann auch nicht durch ein milderes Mittel begegnet werden. Das bloße Verbot des Mitführens von Fahnen, Fahnenstangen, Trommeln und Fackeln reicht angesichts der besonderen Symbolkraft des gewählten Datums der Versammlung und der zu erwartenden Herstellung eines Bezuges zu den Geschehnissen im Jahre 1933 durch Veranstalter und Versammlungsteilnehmer während der Versammlung nicht aus, um die Gefährdung der öffentlichen Ordnung auszuschließen. Im Übrigen geht auch der Senat angesichts der offensichtlichen Verschleierungstaktik des Veranstalters hinsichtlich des wahren Anlasses für den Aufzug von dessen Unzuverlässigkeit aus, weshalb die Einhaltung etwaiger Auflagen nicht hinreichend sichergestellt ist.

Die Verbotsverfügung des Antragsgegeners erweist sich nach alledem als rechtmäßig.

An dieser Bewertung vermögen Hinweise auf das Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 2 GG und den hohen Stellenwert der durch Art. 5 und 8 GG geschützten Demonstrationsfreiheit nichts zu ändern. Weder das Parteienprivileg noch die Demonstrationsfreiheit geben der Antragstellerin einen Freibrief, die für die öffentliche Ordnung konstitutiven grundgesetzlichen Wertvorstellungen, insbesondere die durch Art. 1 GG geschützte Würde des Menschen und die in Art 20 GG verankerten Grundprinzipien, zu missachten. Gerade dies aber soll durch die geplante Versammlung und die mit ihr bezweckte Verherrlichung des Nationalsozialismus geschehen.

Eine abweichende Bewertung ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, derzufolge die Gefährdung der öffentlichen Ordnung angesichts des hohen Stellenwerts, den das grundgesetzlich garantierte Recht auf Versammlungsfreiheit genießt, für das Verbot einer Versammlung im Regelfall nicht ausreicht.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 223, 341/81 - BVerfGE 69, 315 (353).

Dieser Ansatz kann jedenfalls dann keine Geltung beanspruchen, wenn - wie hier - durch die Versammlung der Nationalsozialismus verherrlicht werden soll und damit elementare Verfassungsgüter wie die Menschenwürde und demokratische Grundprinzipien als Bestandteil der öffentlichen Ordnung i.S. des § 15 VersammlG unmittelbar gefährdet werden.

Vgl. hierzu auch Wiefelspütz, DÖV 2001, 21, 25.

Jede andere Entscheidung würde das grundgesetzlich geschützte Wertesystem selbst in Frage stellen und auf eine Relativierung konstitutiver verfassungsrechtlicher Werte hinauslaufen,

Vgl. dazu jüngst: Wassermann, NJW 2000, 3760 f.,

der das Grundgesetz - wie nicht zuletzt Art. 79 Abs. 3 GG deutlich macht - eine klare Absage erteilt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 1 und 3 GKG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.