OLG Köln, Beschluss vom 16.05.2000 - 2 Zs 1330/99
Fundstelle
openJur 2011, 81333
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag wird als unbegründet verworfen. 2. Die durch das Verfahren über den Antrag veranlassten Kosten werden dem Antragsteller auferlegt.

Gründe

I.

Durch Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 26. November 1998 hat der Anzeigeerstatter Strafanzeige und Strafantrag gegen den P. wegen "aller in Betracht kommender Delikte, insbesondere schwere Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 2 StGB), Geiselnahme (§ 239 b StGB)" erstattet.

Der Anzeigeerstatter trägt zum Tatvorwurf vor, im August 1986 - seinerzeit habe er noch die persische Staatsangehörigkeit besessen - sei er aufgrund einer offiziellen Einladung der irakischen Regierung im I. gewesen und habe zur Einreise einen ihm von der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung gestellten deutschen Reisepass benutzt. Er sei am 16. September 1986 kurz vor dem Abflug zur Rückreise auf dem Flughafen von B. verhaftet und ohne Angabe von Gründen und ohne Gerichtsurteil willkürlich fast fünf Jahre lang festgehalten und erst im April 1991 freigelassen worden. In der Zeit seines unfreiwilligen Aufenthaltes, nämlich am 11. April 1990, sei er durch Einbürgerung deutscher Staatsbürger geworden. Während des Golfkrieges zu Beginn des Jahres 1991 sei er als deutsche Geisel in wichtigen militärischen Objekten außerhalb B. gefangengehalten worden, die von alliierten Luftstreitkräften bombardiert worden seien. Wegen der Einzelheiten des Sachvortrages wird auf den Antragsschriftsatz vom 7. April 2000 Bezug genommen.

Durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 24. März 1999 (2 ARs 509/98) ist gemäß § 13 a StPO das Landgericht Bonn als örtlich zuständiges Gericht bestimmt worden. Die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Beschuldigten ist von der nach dieser Entscheidung zuständigen Staatsanwaltschaft Bonn durch Bescheid vom 25. Oktober 1999 abgelehnt worden. Zur Begründung hat die Staatsanwaltschaft ausgeführt, der Beschuldigte genieße aufgrund seiner Funktion als Staatspräsident personelle Immunität, die wegen der vorliegend erhobenen Tatvorwürfe nicht ausgeschlossen sei. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat auf den Bescheid vom 25. Oktober 1999 Bezug, welcher dem Verfahrensbevollmächtigten des Anzeigeerstatters am 8. November 1999 zugestellt worden ist.

Die vom Antragsteller mit Schriftsatz vom 22. November 1999 erhobene Beschwerde hat der Generalstaatsanwalt in Köln durch Bescheid vom 7. März 2000 - zugestellt am 9. März 2000 - zurückgewiesen.

Dagegen hat der Antragsteller durch Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 7. April 2000 - bei Gericht eingegangen am 10. April 2000 - den Antrag auf Erhebung der öffentlichen Klage gegen den Beschuldigten wegen der Delikte der schweren Freiheitsberaubung und der Geiselnahme gestellt.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung begegnet unter Berücksichtigung der (anders noch als im Fall BGHSt 33, 97) vorgenommenen Gerichtsstandsbestimmung durch den Bundesgerichtshof hinsichtlich seiner Zulässigkeit keinen Bedenken (§ 172 Abs. 2, 3 Satz 1 StPO). Er ist aber nicht begründet. Dem Verlangen des Antragstellers kann nicht entsprochen werden, denn die Staatsanwaltschaft Bonn hat es mit der Verfügung vom 25. Oktober 1999 zu Recht abgelehnt, die Ermittlungen gegen den Beschuldigten wegen der angezeigten Straftaten aufzunehmen.

Als Anknüpfungspunkt für die Geltung des deutschen Strafrechts und damit für die Einleitung von Ermittlungen kommt vorliegend nur die Vorschrift des § 7 Abs. 1 StGB in Betracht. Danach gilt das deutsche Strafrecht für Taten, die im Ausland an einem Deutschen begangen werden, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder - dies ist aber ersichtlich nicht gegeben - der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt.

Die Geltung des deutschen Strafrechts könnte somit für den Zeitraum seit der Einbürgerung des Anzeigeerstatters - von deren Wirksamkeit auch nach Auffassung des Senats jedenfalls mit der Übergabe der Einbürgerungsurkunde an den damaligen Vertreter des Anzeigeerstatters am 10. Mai 1990 auszugehen ist - bis zu seiner Freilassung im April 1991 gegeben sein. Ob allerdings das angezeigte Tatgeschehen bezogen auf den geschilderten Tatzeitraum am Recht des Tatorts (I.) mit Strafe bedroht gewesen ist, steht - zumal angesichts der sich damals bereits abzeichnenden Invasions- bzw. Kriegsgeschehnisse - keineswegs fest. Einer Klärung dieser Frage bedarf es aber nicht. Denn selbst wenn mit der Staatsanwaltschaft Bonn die Strafbarkeit am Tatort unterstellt wird, steht der Einleitung von Ermittlungen die von Amts wegen zu beachtende Immunität des Beschuldigten entgegen.

Der Beschuldigte war zum Zeitpunkt des vorgeworfenen Geschehens Staatsoberhaupt des I. und ist es auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch. Er genießt bereits aufgrund dieser staatsrechtlichen Stellung nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, die gemäß § 20 Abs. 2 GVG in Verbindung mit Artikel 25 GG von den deutschen Ermittlungsbehörden zu beachten sind, vollständige persönliche Immunität in allen rechtlichen Fragen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Gloria in Ipsen, Völkerrecht, 4. Aufl., § 26 Rdnr. 29). Dies folgt vorliegend auch aus dem Grundsatz der sogenannten funktionellen oder Staatenimmunität, wonach es nach allgemeinem Verständnis einem Staat verwehrt ist, über Hoheitsträger eines anderen Staates Gerichtsgewalt auszuüben. Nach dem Antragsvorbringen muss davon ausgegangen werden, dass der Beschuldigte das Festhalten des Anzeigeerstatters im Rahmen seiner Amtsausübung, also in Ausübung hoheitlicher Funktion, angeordnet hat. Der Begriff der Amtshandlung ist im völkerrechtlichen Sinne nämlich denkbar weit aufzufassen. Darunter ist jeder Akt zu verstehen, der dem Staat in Verfolgung seiner politischen Ziele zuzurechnen ist (vgl. Folz/Soppe in NStZ 1996, 576, 578). Die funktionnelle Immunität wirkt grundsätzlich auch nach Wegfall der Stellung als Staatsoberhaupt nach (vgl. Gloria, a.a.O., Rdnr. 29).

Von der Geltung der Immunität ist vorliegend auszugehen. Ein nach internationalen Regeln oder Völkergewohnheitsrecht anzunehmender Ausnahmefall, der die Strafverfolgung des Beschuldigten trotz seiner Stellung als Staatsoberhaupt zulassen würde, ist nicht gegeben.

Es könnte zwar die Verfolgbarkeit des angezeigten Tuns unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen Völkerstrafrecht in Betracht kommen. Nach dem Rechtsverständnis der Vereinten Nationen soll sich für bestimmte Kriegsverbrechen und andere Handlungen, die Verbrechen gegen den Frieden oder gegen die Menschlichkeit darstellen, das handelnde Individuum jedenfalls im Grundsatz nicht mehr darauf berufen können, es habe hoheitlich für seinen Staat gehandelt (vgl. Folz/Soppe, a.a.O., S. 578). Ob das dem Beschuldigten vorliegend vorgeworfene Handeln von seinem Unrechtsgehalt her auf der Ebene schwersten, auch völkerrechtlich zu ächtenden und daher zu sanktionierenden Unrechts anzusiedeln ist, kann dahinstehen. Die notwendigen Voraussetzungen für eine Verfolgbarkeit liegen nicht vor, denn Tatbestände des Völkerstrafrechts sind bezogen auf das hier in Rede stehende Geschehen nicht mit Verbindlichkeit festgeschrieben. Soweit die internationale Staatengemeinschaft seit einigen Jahren bestrebt ist, bestimmtes in schwerster Weise strafwürdiges Verhalten unabhängig von dem Status und der Funktion des Handelnden zu sanktionieren (vgl. Artikel 7 (2) des Statuts des Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien oder Artikel 27 des Statuts des in der Einrichtung befindlichen Internationalen Strafgerichtshofs zur Ahndung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen - in: EuGRZ 1998, 618), sind die getroffenen Regelungen entweder gegenständlich und zeitlich auf bestimmte regionale Konflikte beschränkt und greifen daher schon deswegen nicht ein (so Jugoslawien oder Ruanda). Oder aber die Statuten (sprich: die Straftatbestände und das anzuwendende Verfahrensrecht) beanspruchen jedenfalls keine rückwirkende Geltung (vgl. Artikel 24 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs).

Soweit im Hinblick auf sonstige völkerrechtliche Verbrechen, d.h. durch multilaterale Verträge auf zwischenstaatlicher Ebene als internationale Verbrechen eingestufte und geächtete Taten (vgl. Folz/Soppe, a.a.O., S. 579), ein Ausnahmefall vom Grundsatz der Immunität anerkannt werden könnte, liegt auch ein solcher Fall - und zwar tatbestandsmäßig - nicht vor. Zutreffend hat die Staatsanwaltschaft Bonn insoweit auf das vorliegend einzig in Betracht kommende Internationale Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 gegen Geiselnahme (BGBl. 1980 II, 1361 ff.) abgestellt. Artikel 1 (1) dieses Abkommens hat folgenden Wortlaut:

"Wer eine andere Person (im folgenden als "Geisel" bezeichnet) in seine Gewalt bringt oder in seiner Gewalt hält und mit dem Tod, Körperverletzung oder mit der Fortdauer der Freiheitsentziehung für diese Person droht, um einen Dritten, nämlich einen Staat, eine internationale zwischenstaatliche Organisation, eine natürliche oder juristische Person oder eine Gruppe von Personen zu einem Tun oder Unterlassen als ausdrückliche oder stillschweigende Voraussetzung für die Freigabe der Geisel zu nötigen, begeht die Straftat der Geiselnahme im Sinne des Übereinkommens."

Der vom Anzeigeerstatter mitgeteilte Sachverhalt lässt sich unter die Voraussetzungen dieser Norm nicht fassen, da es jedenfalls an der Tatbestandsvoraussetzung der Nötigung "als ausdrückliche oder stillschweigende Voraussetzung für die Freigabe der Geisel" fehlt. Von ausdrücklichen Forderungen des Beschuldigten gegenüber Dritten im Zusammenhang mit der Internierung des Anzeigeerstatters ist im Antragsvorbringen nicht die Rede. Auch dessen Verbringung - mutmaßlich auf Anordnung des Beschuldigten - an einen militärisch bedeutsamen Ort, der während des Golfkrieges Ziel von Luftangriffen geworden ist, beinhaltet ein solches - stillschweigendes - Nötigungselement nicht. Diese Aktion erfolgte nicht, um ein bestimmtes Verhalten dritter Staaten bzw. der alliierten Streitkräfte im Hinblick auf die Freilassung des Anzeigeerstatters zu erzwingen, sondern nach Lage der Dinge deswegen, um Einfluss auf Ziele und/oder Intensität der Angriffe auszuüben.

Soweit das dem Beschuldigten vorgeworfene, in krimineller Sicht gravierende Verhalten einen Verstoß gegen das Völkerrecht unterhalb der Schwelle des völkerrechtlichen Verbrechens darstellt, fehlt es für eine Versagung der Immunität jedenfalls an einem hinreichenden Bezug zur eigenen Strafgewalt (vgl. zu den dafür in Betracht kommenden Fallgestaltungen Folz/Soppe, a.a.O., S. 579 ff.).

Der Klageerzwingungsantrag ist daher mit der Kostenfolge des § 177 StPO als unbegründet zu verwerfen.

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