OLG Hamm, Beschluss vom 01.10.1998 - 2 Ws 407/98
Fundstelle
openJur 2011, 81293
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 14 (IV) Qs 20/98
Tenor

Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeschuldigten verwor-fen.

Gründe

I.

Mit Beschluß vom 17. Juni 1998 - 77 Gs 823/98 - hat das Amtsgericht Dortmund gegen den 16-jährigen Angeschuldigten die Untersuchungshaft angeordnet. In dem genannten Haftbefehl wird dem Angeschuldigten vorgeworfen, er habe gemeinschaftlich mit anderen Beteiligten am 10. Juni 1998 dem Zeugen C und am 16. Juni 1998 dem Zeugen N mit Gewalt bzw. unter Androhung von Gewalt jeweils einen Geldbetrag von 20,00 DM entwendet.

Das Amtsgericht Dortmund - Jugendschöffengericht - verurteilte den Angeschuldigten am 26. März 1998 - 59 Ls 30 Js 779/97 (95/97) - wegen ähnlicher, in der Zeit vom 13. Februar bis 4. November 1997 begangener und vom Angeschuldigten auch eingestandener 5 Raubtaten und weiterer Eigentumsdelikte zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Dortmund Berufung mit dem Ziel einer höheren Bestrafung eingelegt; über das Rechtsmittel ist bislang noch nicht entschieden. In jenem Verfahren war der Angeschuldigte am 3. Oktober 1997 festgenommen worden, der gegen ihn am 4. Oktober 1997 erlassene Haftbefehl wurde jedoch noch am selben Tag außer Vollzug gesetzt. Nachdem der Angeschuldigte dann am 4. November 1997 gleichwohl eine weitere Straftat beging, wurde er am 5. November 1997 erneut festgenommen, und zunächst in Untersuchungshaft genommen. Das Amtsgericht Dortmund wandelte diesen Haftbefehl in der Folgezeit mit Beschluß vom 26. Januar 1998 in eine einstweilige Unterbringung um. Nach dem Inhalt des Unterbringungsbefehls sollte sich der Angeschuldigte in dem geschlossenen Erziehungsheim N-Stift in O aufhalten. Aus diesem Heim ist der Angeschuldigte dann im Juni 1998 entwichen; bis zu seiner Festnahme in der vorliegenden Sache hielt er sich ohne festen Aufenthalt im Stadtgebiet von E auf.

Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat wegen der dem Haftbefehl vom 17. Juni 1998 zugrundeliegenden Vorwürfe unverzüglich unter dem 29. Juni 1998 Anklage vor dem Amtsgerichts - Jugendschöf-

fengericht - Dortmund erhoben. Über die Eröffnung des Verfahrens hat das Amtsgericht bislang nicht entschieden, vielmehr hat es mit Beschluß vom 26. August 1998 zunächst den Haftbefehl vom 17. Juni 1998 in eine einstweilige Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe umgewandelt. Nach dem Inhalt dieses Beschlusses soll die Vollstreckung der Heimunterbringung durch die Aufnahme des Angeschuldigten in das "T F Program German N e.V." in der Nähe von Q/USA erfolgen.

Auf die Beschwerde der Staatsanwalt Dortmund hat das Landgericht Dortmund mit Beschluß vom 28. August 1998 diese Entscheidung aufgehoben und die Fortdauer der Untersuchungshaft nach Maßgabe des Haftbefehls vom 17. Juni 1998 angeordnet. Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Haftbeschwerde des Angeschuldigten, mit der er die vom Amtsgericht Dortmund angeordnete einstweilige Unterbringung in der in den USA gelegenen Einrichtung begehrt.

II.

Die gemäß § 310 Abs. 1 StPO statthafte weitere Beschwerde ist in der Sache nicht begründet.

Die Gründe der mit Beschluß des Amtsgerichts Dortmund vom 17. Juni 1998 angeordneten Untersuchungshaft bestehen auch weiterhin fort. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den Aussagen der Zeugen C, C2, des gesondert verfolgten Mittäters P und des Zeugen N. Das bislang gezeigte Verhalten des Angeschuldigten begründet die Annahme, daß mit weniger einschneidenden Mitteln, als die Anordnung der Untersuchungshaft die Sicherung des Strafverfahrens und die Vermeidung der Wiederholungsgefahr nicht zu erreichen sind.

Auch unter Berücksichtigung des im Jugendstrafrecht maßgebenden Subsidiaritätsprinzips und der deshalb gebotenen restriktiven Auslegung der Haftgründe kann nach Auffassung des Senats im vorliegenden Fall kein Zweifel daran bestehen, daß die Voraussetzungen für die Anordnung einer Unterbringung nach § 72 Abs. 4 Satz 1 JGG nicht vorliegen. Das Entweichen des Angeschuldigten aus der in dem noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren 30 Js 779/97 StA Dortmund angeordneten einstweiligen Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe in O und die unmittelbar danach begangenen neuen Straftaten geben nicht nur Anlaß, diese einstweilige Unterbringung gemäß § 72 Abs. 4 Satz 2 JGG durch einen Haftbefehl zu ersetzen, sie entziehen auch einer - erneuten - Ersetzung des Haftbefehls durch einen Unterbringungsbefehl im vorliegenden Verfahren jegliche Grundlage. Der Angeschuldigte hat durch sein Verhalten gezeigt, daß mit weniger einschneidenden Mitteln - nämlich mit der Unterbringung in einem Heim der Jugendgerichtshilfe - der Zweck der Untersuchungshaft offenkundig nicht erreicht werden kann. In diesem Zusammenhang sei nicht zuletzt auf einen Vermerk der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 10. September 1998 (Bl. 139 d. Haftprüfungshefts) verwiesen, wonach die Heimleitung des N-Stifts in O im Rahmen einer fernmündlichen Rücksprache gegenüber der Staatsanwaltschaft erklärt hat, man sei nicht bereit, den Angeschuldigten erneut aufzunehmen, da es während seines früheren Aufenthaltes zu großen Schwierigkeiten wegen einer von ihm ausgehenden Bandenbildung unter den Heimzöglingen gekommen sei.

Darüber hinaus entspricht die von dem Amtsgericht Dortmund angeordnete einstweilige Unterbringung nicht den gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 72 Abs. 4 Satz 1, 71 Abs. 2 Satz 1 JGG. Nach Maßgabe dieser Bestimmungen kann die einstweilige Unterbringung nur in einem geeigneten Heim der Jugendhilfe angeordnet werden. Der Gesetzgeber hat damit die Auswahl nicht auf die "Erziehungsheime" im engeren Sinne beschränkt, sondern alle Heime der Jugendhilfe je nach den Besonderheiten des Einzelfalles als grundsätzlich geeignet angesehen. Es kommen allerdings nur H e i m e , nicht dagegen auch andere Einrichtungen der Jugendhilfe in Betracht. Hiervon hat der Gesetzgeber nicht zuletzt im Hinblick auf die Anrechenbarkeit der einstweiligen Unterbringung gemäß §§ 52, 52 a JGG ausdrücklich abgesehen (vgl. BT-Drucksache 11/5829, Seite 30). Es bedarf keinen weiteren Ausführungen, daß es sich bei der in den USA gelegenen Einrichtung H N Schools gerade nicht um ein solches mit einer freiheitsentziehenden Maßnahme vergleichbares Heim der Jugendhilfe handelt, zumal das "T F Program" die sozialpädagogische Umsetzung eines im Ausland "ohne Schloß und Riegel" durchzuführenden Programms ermöglichen will.

Einer dem unmittelbaren Zugriff deutscher Justizbehörden entzogenen Unterbringung im Ausland zur Abwendung der Untersuchungshaft steht im übrigen nicht zuletzt der im Jugendrecht besonders ausgeprägte Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung gemäß § 72 Abs. 5 JGG entgegen. Inwieweit diesem Grundsatz vorliegend mit der Ende August 1998 vom Amtsgericht Dortmund beschlossenen einstweiligen Unterbringung in eine in den USA gelegenen Einrichtung entsprochen wurde, erschließt sich dem Senat nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

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