OLG Köln, Beschluss vom 26.01.2000 - 2 W 226/99
Fundstelle
openJur 2011, 81205
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 5 T 228/99
Tenor

Die sofortige weitere Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluß des Landgerichts Paderborn vom 8. September 1999 - 5 T 288/99 - wird als unzulässig verworfen. Die Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde hat der Schuldner zu tragen.

Gründe

Der Gläubiger hat am 12. Juli 1999 beantragt, über das Vermögen des

Schuldners das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Durch Beschluß vom selben Tage hat die Richterin des Amtsgerichts Paderborn den Beteiligten zu 3) zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt, sowie weitere Anordnungen nach § 21 Abs. 2 InsO getroffen. Durch einen weiteren Beschluß vom 30. Juli 1998 hat das Amtsgericht ohne vorherige Anhörung des Schuldners angeordnet, daß alle für den Schuldner bei den Post- und Telekommunikationsunternehmen eingehenden Postsendungen nicht dem Schuldner, sondern unmittelbar dem Beteiligten zu 3) als dem vorläufigen Insolvenzverwalter zuzuleiten seien. Mit Schriftsatz vom 20. August 1999 hat der Schuldner gegen diesen Beschluß des Amtsgerichts das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde eingelegt. Durch den angefochtenen Beschluß vom 8. September 1999 - 5 T 228/99 - hat das Landgericht Paderborn die Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts vom 30. Juli 1999 mit der Begründung zurückgewiesen, die Voraussetzungen für die Anordnung einer vorläufigen Postsperre seien erfüllt. Die Maßnahme sei erforderlich, um für die Gläubiger nachteilige Rechtshandlungen des Schuldners aufzuklären oder zu verhindern. Gleichzeitig hat das Landgericht über weitere Rechtsmittel des Schuldners entschieden.

Der Beschluß des Landgerichts vom 8. September 1999 ist den damaligen Verfahrensbevollmächtigten des Schuldners am 16. September 1999 zugestellt worden. Mit einem an das Oberlandesgericht Hamm adressierten und dort am 30. September 1999 eingegangenen Schriftsatz seiner jetzigen Verfahrensbevollmächtigten hat der Schuldner gegen den Beschluß des Landgerichts vom 8. September 1999 weitere Beschwerde eingelegt und beantragt, diese weitere Beschwerde zuzulassen. Mit einem weiteren, an das Oberlandesgericht Köln adressierten und hier am 8. Oktober 1999 eingegangenen Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten hat der Schuldner diese Erklärungen gegenüber dem Oberlandesgericht Köln wiederholt und zugleich beantragt, "dem Beklagten" - gemeint ist offenbar er, der Schuldner, - wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der weiteren Beschwerde und für den Zulassungsantrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Durch Beschluß vom 7. Dezember 1999 - 2 IN 109/99 hat das Amtsgericht Paderborn über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet.

Das Oberlandesgericht Köln ist gemäß § 7 Abs. 3 InsO in Verbindung mit

§ 1 der Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen über die Zusammenfassung der Entscheidungen über die weiteren Beschwerden in Insolvenzsachen vom 6. November 1998 (GVBl. NW 1998, 550; NZI 1999, 66) zur Entscheidung über das Rechtsmittel des Schuldners gegen den Beschluß des Landgerichts Paderborn vom 8. September 1999 berufen.

Die weitere Beschwerde ist nicht zulässig. Es bedarf keiner Entscheidung,

ob dem Schuldner wegen der Versäumung der Notfrist von zwei Wochen für den Antrag auf Zulassung der weiteren Beschwerde und für die Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann. Denn die weitere Beschwerde ist, selbst wenn man diese Frage zu Gunsten des Schuldners bejaht, mit dem Beschluß des Amtsgerichts vom 7. Dezember 1999, durch den das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet worden ist, unzulässig geworden, weil mit diesem Beschluß das Rechtsschutzinteresse des Schuldners für eine Überprüfung des Beschlusses vom 30. Juli 1999 entfallen ist.

Die weitere Beschwerde des Schuldners war allerdings statthaft. Es liegt eine diesem Rechtsmittel zugängliche Entscheidung des Landgerichts im Sinne von § 7 Abs. 1 InsO vor. Diese Bestimmung knüpft hinsichtlich der Statthaftigkeit der weiteren Beschwerde an die Regelung des § 6 Abs. 1 InsO an (vgl. BayObLGZ 1999, 200 [202] = NZI 1999, 412 [413] = DZWIR 1999, 456 [457] mit Anm. Ahrens; Senat, NJW-RR 1999, 996 [997] = NZI 1999, 198 [199]; OLG Frankfurt, NZI 1999, 453; Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 1999, § 7, Rdn. 15). Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluß über die Erstbeschwerde des Schuldners gegen den Beschluß des Amtsgerichts vom 30. Juli 1999 entschieden, durch den eine vorläufige Postsperre gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO angeordnet worden ist. Aus der Verweisung in § 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO (offenbar übersehen bei Nerlich/Römermann/Mönning, InsO, 1999 § 21, Rdn. 112) auf § 99 InsO folgt, daß auch gegen eine im Eröffnungsverfahren angeordnete Postsperre die sofortige Beschwerde (§ 99 Abs. 3 Satz 1 InsO) gegeben ist (vgl. LG Göttingen, DZWiR 1999, 471; Kirchhof in Heidelberger Kommentar, a.a.O., § 21, Rdn. 29; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, 1999, § 21, Rdn. 90). Damit ist auch die weitere Beschwerde gegen eine Beschwerdeentscheidung des Landgerichts statthaft, durch welche die vorläufige Anordnung der Postsperre bestätigt wird.

Es bedarf keiner Entscheidung, ob es der Zulässigkeit des Rechtsmittels

des Schuldners entgegen steht, daß es nicht fristgerecht eingelegt worden ist, weil die weitere Beschwerde und der Antrag auf ihre Zulassung innerhalb der Notfrist von zwei Wochen seit der Zustellung der angefochtenen Beschwerdeentscheidung (§§ 7 Abs. 1 InsO, 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO; vgl. BayObLG NJW 2000, 220 [221] = NZI 1999, 451; Senat, NZI 1999, 458 = InVo 2000, 14; Senat, NJW 2000, 223 = NZI 1999, 494 = InVo 2000, 16 [17]; Breutigam/ Blersch/Goetsch, Insolvenzrecht, 1998, § 7, Rdn. 8; Kirchhof in Heidelberger Kommentar a.a.O., § 7, Rdn. 8; Prütting in Kübler/Prütting, InsO 1998/1999,

§ 7, Rdn. 6; Nerlich/Römermann/Becker, a.a.O., § 7, Rdn. 33; Schmerbach in Frankfurter Kommentar, a.a.O., § 7, Rdn.4) weder bei dem Landgericht Paderborn noch bei dem Oberlandesgericht Köln eingegangen sind und der Eingang bei dem sachlich nicht zuständigen Oberlandesgericht Hamm zur Wahrung dieser Frist nicht genügt (vgl. Senat, NZI 1999, 458 = InVo 2000, 14), oder ob dem Schuldner auf seinen Antrag vom 8. Oktober 1999 gemäß den §§ 4 InsO, 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann. Darauf kommt es nicht an, weil die weitere Beschwerde jedenfalls aus einem anderen, von der Frage der Versäumung der Beschwerdefrist unabhängigen Grund nicht mehr zulässig ist.

Das Rechtsmittel ist jetzt - in dem für seine Beurteilung maßgeblichen Zeit-

punkt der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts - nämlich jedenfalls deshalb unzulässig, weil das Rechtsschutzbedürfnis des Schuldners für eine Überprüfung der mit der Erstbeschwerde angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichts Paderborn 30. Juli 1999 in dem Zeitpunkt entfallen ist, in dem das Amtsgericht - durch Beschluß vom 7. Dezember 1999 - das Insolvenzverfahren eröffnet hat.

Durch den Beschluß vom 30. Juli 1999 hat das Amtsgericht lediglich eine vorläufige, zeitlich bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag des Gläubigers begrenzte Maßnahme getroffen. Rechtsgrundlage des Beschlusses vom 30. Juli 1999 war - wie auch in der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts vom 8. September 1999 ausgeführt ist - § 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO. Nach dieser Bestimmung kann das Insolvenzgericht eine vorläufige Postsperre anordnen. Wie sich aus dem Wort "insbesondere" in § 21 Abs. 2 InsO ergibt, handelt es sich auch bei einer solchen vorläufigen Postsperre um eine Maßnahme im Sinne von § 21 Abs. 1 InsO, also um eine Maßnahme, die (nur) für die Zeit bis zur Entscheidung über den Insolvenzantrag getroffen wird.

Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Beschluß des Amtsgerichts Paderborn vom 7. Dezember 1999 ist deshalb das Rechtsschutzbedürfnis für die Überprüfung der Anordnung der vorläufigen Postsperre durch prozessuale Überholung entfallen. Die Rechtsmittel nach den §§ 6, 7 InsO dienen - ebenso wie die Rechtsmittel der Zivilprozeßordnung - der Beseitigung einer gegenwärtigen, fortdauernden Beschwer. Deshalb entfällt das Rechtsschutzinteresse für ein solches Rechtsmittel, wenn durch die spätere Fortentwicklung des Verfahrens eine Aufhebung der angefochtenen früheren Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nicht mehr verbessern könnte (vgl. BGH NJW 1982, 2505 [2506]; BayObLG NJW-RR 1988, 198 [199]; OLG Düsseldorf, FGPrax 1996, 155; Kahl in Keidel/Kuntze/ Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 14. Aufl. 1999, § 19 FGG, Rdn. 87, Stichwort: "Prozessuale Überholung"; Zimmermann in Keidel/Kuntze/Winkler, a.a.O., § 13 a FGG, Rdn. 44; Zöller/Gummer, ZPO, 21. Aufl. 1999, § 567, Rdn. 12). So liegt es hier. Durch die im Rechtsmittelverfahren erstrebte Aufhebung der vorläufigen Postsperre könnten deren Wirkungen für die Vergangenheit nicht mehr beseitigt werden, und der Zeitraum für den die vorläufigen Anordnung getroffen worden ist, nämlich die Zeit bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag, ist mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners beendet. Durch eine Aufhebung der vorläufigen Postsperre könnte deshalb die Rechtsstellung des Schuldners jetzt nicht mehr verbessert werden, so daß prozessuale Überholung eingetreten und das Rechtsschutzinteresse für eine Überprüfung der genannten vorläufigen Maßnahme des Insolvenzgerichts entfallen ist.

Eine Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen lediglich mit dem Ziel der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit, wie sie beispielsweise der Verwaltungsprozeß mit der Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO kennt, ist den im vorliegenden Fall anwendbaren Verfahrensordnungen, der Insolvenz- und der Zivilprozeßordnung fremd. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG NJW 1997, 2163; BVerfG NJW 1998, 2131) bleibt zur Gewährung des von Art. 19 Abs. 4 GG geforderten effektiven Rechtsschutzes ein Rechtsmittel gegen eine gerichtliche Maßnahme trotz prozessualer Überholung in Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe dann zulässig, wenn sich die Maßnahme nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren nicht oder kaum erlangen kann (vgl. auch Kahl in Keidel/Kuntze/Winkler, a.a. O., § 19, Rdn. 86; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl. 1999, vor § 296, Rdn. 18 a; Ruß in Karlsruher Kommentar zur StPO, 4. Aufl. 1999, vor § 296, Rdn. 7). Ein solcher Fall ist hier indes nicht gegeben. Zweifelhaft ist schon, ob es sich bei der Anordnung einer Postsperre nach § 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO um einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff im Sinne der angeführten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts handelt. Anders als in den Fällen der Durchsuchung einer Wohnung oder der Freiheitsentziehung, deren Anordnung nach der Verfassung grundsätzlich dem Richter vorbehalten ist (Art. 13 Abs. 2, 104 Abs. 2 GG), setzten nach dem Grundgesetz Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis des Art. 11 GG nicht notwendig eine vorherige Anordnung durch einen Richter voraus. Jedenfalls erledigen sich Anordnungen nach § 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO nicht typischerweise, ehe eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts eingeholt werden kann. Vielmehr ist regelmäßig ausreichend Zeit gegeben, um eine Überprüfung einer solchen Anordnung durch das Beschwerdegericht zu erreichen. Der vorliegende Fall bildete hiervon keine Ausnahme. Vielmehr hat das Landgericht auf die sofortige Beschwerde des Schuldners die Anordnung des Amtsgerichts vom 30. Juli 1999 überprüft und, indem es die Erstbeschwerde durch den Beschluß vom 9. September 1999 als unbegründet zurückgewiesen hat, bestätigt. Daß mehrere Instanzen zur Überprüfung einer Entscheidung zur Verfügung stehen müßten, schreibt Art. 19 Abs. 4 GG nicht vor (vgl. BVerfGE 31, 364 [368]; BayObLG NZI 1999, 497; Senat, NJW-RR 1999, 996 [997] = NZI 1999, 198 [199] = InVo 1999, 140 [141]; Senat, NZI 1999, 415 = DZWIR 1999, 460 [461]; OLG Frankfurt, NZI 1999, 453 [454]; Hoffmann, NZI 1999, 425 [426]).

Für in der Hauptsache erledigt erklärt hat der Schuldner sein Rechtsmittel nicht.

 

Die weitere Beschwerde muß somit mit der Kostenfolge aus den §§ 97 Abs. 1 ZPO, 4 InsO als unzulässig verworfen werden.

Der Senat sieht es als sachdienlich an, für das weitere Verfahren auf Folgendes hinzuweisen: Die weitere Beschwerde nach § 7 Abs. 1 InsO ist eine Rechtsbeschwerde. Nach den §§ 7 Abs. 1 Satz 2 InsO, 561 Abs. 2 ZPO sind rechtsfehlerfrei getroffene tatsächliche Feststellungen des Landgerichts für das Gericht der weiteren Beschwerde bindend. Dagegen ist es diesem Gericht in dem Verfahren nach § 7 Abs. 1 InsO verwehrt, eigene tatsächliche Feststellungen zu treffen. Die dem Oberlandesgericht obliegende Rechtsprüfung ist nur möglich, wenn sich aus der angefochtenen Entscheidung ergibt, von welchem konkreten Sachverhalt das Landgericht ausgegangen ist und wie es ihn festgestellt hat. Insoweit gilt für Entscheidungen, gegen die die Rechtsbeschwerde nach § 7 Abs. 1 InsO gegeben ist, nichts anderes als beispielsweise für Entscheidungen des Beschwerdegerichts im Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, gegen die die Rechtsbeschwerde nach § 27 Abs. 1 FGG stattfindet (vgl. dazu BayObLG NJW-RR 1994, 617 [618]; Senat, MDR 1981, 1028; Senat, NJW-RR 1987, 223 [224]; Kahl in Keidel/Kuntze/Winkler, a.a.O., § 27 FGG, Rdn. 41). Die weitere Beschwerde nach § 7 InsO ist in Anlehnung an die Regelung der §§ 27, 28 FGG konzipiert (vgl. Senat, NZI 1999, 415 = = DZWIR 1999, 460 [461]).

Beschwerdewert : DM 20.000,-- (geschätzt gemäß den §§ 3 ZPO, 35 GKG

wie im Wertfestsetzungsbeschluß des Landgerichts vom 20. Sep-

tember 1999)