OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.06.2000 - 22 A 1305/98
Fundstelle
openJur 2011, 80357
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 18 K 2199/97
Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Anerkennung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende. Sie steht mit ihren Töchtern J. , geboren am 26. August 1980, und T. , geboren am 29. August 1991, seit Jahren in der sozialhilferechtlichen Betreuung des Beklagten. Da das Kind T. im hier interessierenden Zeitraum über eigenes Einkommen verfügte, bezog es keine laufende Hilfe zum Lebensunterhalt.

Mit Änderungsbescheid vom 23. August 1996 nahm der Beklagte eine Neuberechnung der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt "ab dem 01.09.96" vor und kürzte die monatliche Hilfe um den der Klägerin zuletzt in einer Höhe von 212,40 DM gewährten Zuschlag wegen Mehrbedarf für Alleinerziehende. Im Bescheid heißt es ferner: "Die Hilfe wird jeweils für einen Monat bewilligt."

Die Klägerin erhob am 5. September 1996 zunächst ohne Begründung Widerspruch "gegen den Sozialhilfebescheid vom 23.8.96". In der Folgezeit machte sie geltend, mit ihrer Tochter T. , einem Kind unter sieben Jahren, erfülle sie nach wie vor die Mehrbedarfsvoraussetzungen. Im Anhang ("P.S.") eines Schreibens vom 15. Januar 1997 bezweifelte sie die Rechtmäßigkeit der Versagung des Mehrbedarfs mit der Begründung, dieser sei allenfalls zu kürzen, und zwar um den Betrag, der ihrer Tochter T. über den laufenden Hilfebedarf hinaus monatlich zur Verfügung stehe.

Am 30. Januar 1997 sprach die Klägerin beim Beklagten vor und erkundigte sich, warum ihr kein Mehrbedarf für Alleinerziehende gewährt werde. Die Sachbearbeiterin des Beklagten erklärte, es sei in dieser Frage die Entscheidung der Widerspruchsbehörde abzuwarten.

Nach vorheriger Beteiligung sozial erfahrener Personen wies der Oberkreisdirektor des R. -Kreises den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 21. Februar 1997 zurück und führte zur Begründung aus: Mit der Vollendung des 16. Lebensjahres der Tochter J. sei die Voraussetzung für die Bewilligung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende entfallen. Die Klägerin habe nicht mehr für zwei Kinder im Alter von unter 16 Jahren zu sorgen. Ebensowenig greife die Voraussetzung der Pflege und Erziehung "eines Kindes unter 7 Jahren" ein. Dies sei nämlich nur dann der Fall, wenn der betreffende Hilfeempfänger ausschließlich mit nur einem Kind zusammenlebe. Vorliegend gehöre dem Haushalt der Klägerin aber neben T. noch das Kind J. an. Im Übrigen könne von der Tochter J. aufgrund ihres Alters eine gelegentliche Betreuung ihrer jüngeren Schwester sowie die Erledigung von hauswirtschaftlichen Tätigkeiten erwartet werden. Damit sei die Klägerin auch nicht mehr als alleinerziehend anzusehen.

Die Klägerin hat am 17. März 1997 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, ihre Tochter J. besuche überwiegend ganztägig die E. -Schule in B. . Im hier in Rede stehenden Zeitraum habe der um 8.00 Uhr beginnende Unterricht in der Klasse 10 an drei Tagen erst um 16.00 Uhr und an den übrigen Wochentagen jeweils um 14.00 Uhr bzw. um 13.00 Uhr geendet. Außerhalb dieser Zeiten habe J. ihre Hausaufgaben erledigen müssen. Eine Betreuung ihrer Schwester T. sei ihr deshalb zeitlich nicht möglich gewesen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 23. August 1996 sowie unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides des Oberkreisdirektors des R. - Kreises vom 21. Februar 1997 zu verpflichten, der Klägerin für den Zeitraum vom 1. September 1996 bis zum 28. Februar 1997 den Mehrbedarf gemäß § 23 Abs. 2 BSHG in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er sich auf die angefochtenen Entscheidungen bezogen und zur Abstützung seiner Rechtsauffassung ergänzend auf Punkt 2.1.4. der Gesetzesbegründung zu § 23 Abs. 2 S. 1, 1. Alternative BSHG (Bundestagsdrucksache 10/3079) verwiesen. Aus den Gesetzesmaterialien folge, dass der Mehrbedarf für Alleinerziehende nach dieser Vorschrift ausschließlich bei nur einem Kind anzuerkennen sei.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil bzw. die dort in Bezug genommenen Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheides vom 12. September 1997 verwiesen.

Mit seiner vom Senat zugelassenen Berufung hält der Beklagte an seinem Rechtsstandpunkt fest und macht geltend: Das Verwaltungsgericht habe im angegriffenen Urteil verkannt, dass der vorliegende Fall nicht unter § 23 Abs. 2, 1. Alternative BSHG zu subsumieren sei. Bei der Auslegung könne obergerichtliche Rechtsprechung zum Mehrbedarf für Alleinerziehende nach der hier nicht einschlägigen 2. Alternative der Vorschrift nicht herangezogen werden. Die Frage, ob das Vorhandensein weiterer Kinder den hier geltend gemachten Mehrbedarf ausschließe, sei zu bejahen. Das folge aus den bereits angeführten Gesetzesmaterialien. Danach habe der Gesetzgeber ausdrücklich die Konstellation im Auge gehabt, dass der alleinerziehende Elternteil gerade "mit nur einem Kind" und nicht mit mehreren zusammenlebe. Im Übrigen sei die Klägerin darauf zu verweisen, dass mit J. ein Kind von über 16 Jahren im Haushalt lebe, von der eine Unterstützung bei der Bewältigung der täglich anstehenden häuslichen Arbeiten erwartet werden müsse. Ihr Schulbesuch stehe dem nicht entgegen.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich im Wesentlichen auf das angefochtene Urteil und tritt ergänzend der Gesetzesauslegung durch den Beklagten entgegen: § 23 Abs. 2 BSHG unterscheide im Hinblick auf den Mehrbedarf allein deshalb zwischen Kindern unter 7 Jahren und unter 16 Jahren, um damit gesetzlich klarzustellen, dass bei einem Kind über 7 Jahren kein Mehrbedarf für Alleinerziehende anzuerkennen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Sozialhilfeakte des Beklagten sowie der Widerspruchsakte des R. -Kreises Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

Die Klage ist zulässig. Ihr ist für den gesamten streiterheblichen Zeitraum ein ordnungsgemäßes Vorverfahren vorausgegangen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wie des angerufenen Oberverwaltungsgerichts kann ein Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe grundsätzlich (nur) in dem zeitlichen Umfang in zulässiger Weise zum Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Kontrolle gemacht werden, in dem der Träger der Sozialhilfe den Hilfefall geregelt hat. Zum einen ist die Sozialhilfe keine rentengleiche wirtschaftliche Dauerleistung mit Versorgungscharakter; sie dient vielmehr im Regelfall dazu, eine gegenwärtige Notlage zu beheben, und es ist nicht Sache der Verwaltungsgerichte, den Hilfefall unter Kontrolle zu halten. Zum anderen ist das - insbesondere einer Filterwirkung dienende - Vorverfahren im Sinne der §§ 68 ff. der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) im Anwendungsbereich des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass vor dem Erlass des Bescheides über den Widerspruch gegen die Ablehnung der Sozialhilfe sozial erfahrene Personen beratend zu beteiligen sind (§ 114 Abs. 2 BSHG).

Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 30. November 1966 - 5 C 29.66 -, Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte (FEVS) 14, 243 (244); Urteil vom 16. Januar 1986 - 5 C 36.84 - FEVS 36, 1 (3) und Urteil vom 30. April 1992 - 5 C 1.88 -, FEVS 43, 19, (21) sowie die ständige Rechtsprechung der ehemaligen und derzeitigen Sozialhilferechtssenate des Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 26. Oktober 1987 - 8 A 2385/86 -, FEVS 37, 458 (459), Beschluss vom 27. Mai 1994 - 24 E 908/93 -, FEVS 45, 377 (378); Beschluss vom 31. August 1999 - 16 E 623/99 - und Beschluss vom 9. Februar 2000 - 22 A 2010/99 -.

Die Anwendung dieser Grundsätze hat im Regelfall zur Folge, dass der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides auch den der gerichtlichen Überprüfung unterliegenden Zeitraum der Hilfegewährung abschließt. Denn bei der Bewilligung von Sozialhilfe handelt es sich um eine zeitabschnittsweise - in der Regel für die Dauer eines Monats - vorgenommene Hilfegewährung, deren Voraussetzungen vom Träger der Sozialhilfe stets neu zu prüfen sind.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Juni 1995 - 5 C 30.93 -, FEVS 46, 94 (96) m.w.N.

Diese zeitliche Fixierung des Gegenstands der gerichtlichen Nachprüfung gilt aber nicht uneingeschränkt. Sie greift nur dann ein, wenn die Behörde den Hilfefall auch tatsächlich den üblichen Gepflogenheiten entsprechend geregelt hat.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. August 1995 - 5 C 9.94 -, FEVS 46, 221 (226).

Dabei muss der die Bewilligung oder Ablehnung betreffende Regelungszeitraum, auf den es maßgeblich ankommt, nicht ausdrücklich benannt sein; er kann sich aus dem ergangenen Bescheid auch durch Auslegung ergeben.

Vgl. BVerwG, a.a.O., FEVS 46, 221 (226).

Gemessen daran begegnet das erhobene Klagebegehren keinen Zulässigkeitsbedenken. Es hat Hilfemonate zum Gegenstand, für die der Beklagte die Anerkennung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende versagt und in Bezug auf die auf Grund des Widerspruchs der Klägerin ein Vorverfahren (§ 114 Abs. 2 BSHG) durchgeführt worden ist.

Der Regelungsgehalt des angegriffenen Sozialhilfebescheids vom 23. August 1996 umfasst in zeitlicher Hinsicht den Monat September 1996 und die streitbefangenen Folgemonate.

Zwar lässt sich aus der im Bescheid verwandten Formulierung, wonach mit ihm eine Neuberechnung der Sozialhilfe "ab dem 01.09.96" erfolge, nicht notwendig eine Regelung über den Monat September 1996 hinaus annehmen, zumal durch den weiteren Zusatz ("Die Hilfe wird jeweils für einen Monat bewilligt.") hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass an der im Sozialhilferecht üblichen Bewilligung für monatliche Zeiträume festgehalten werden sollte.

Vgl. in diesem Zusammenhang OVG NRW, Beschluss vom 30. Juni 1999 - 24 E 211/98 -.

Darauf kommt es aber nicht an, weil der Beklagte mit der Ablehnung des Mehrbedarfs für Alleinerziehende eine zeitlich nicht auf den Hilfemonat September 1996 beschränkte "Grundentscheidung" getroffen hat.

Solange sich derartige Entscheidungen, die von der Behörde zu Vorfragen eines gesetzlich vorgesehenen Verwaltungsakts durch selbständigen Verwaltungsakt getroffen werden, als Teilentscheidung im Rahmen des für den Gesamtverwaltungsakt vorgesehenen Regelumfangs halten, wird dies unter dem Aspekt des Vorbehalts des Gesetzes regelmäßig als unbedenklich angesehen.

Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Auflage, § 44 Rdnr. 65; OVG NRW, Urteil vom 14. April 1994 - 24 A 4182/92 -.

Sie begegnen mit der für sie charakteristischen Dauerwirkung im Sozialhilferecht ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken, wenn mit ihnen nicht über die Sozialhilfebewilligung als solche entschieden wird. Dann steht nämlich der Grundsatz, dass Leistungen der Sozialhilfe keine rentengleichen Dauerleistungen sind, sondern Hilfen in einer bestimmten Notsituation, nicht entgegen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1998 - 5 C 2/97 -, FEVS 48, 535 ff, sowie die Urteile des erkennenden Senats vom heutigen Tage - 22 A 285/98 - und - 22 A 207/99 -.

Demgemäß hat das Bundesverwaltungsgericht Bescheide als zulässig anerkannt, mit denen der Sozialhilfeträger eine Kostenersatzpflicht nach § 92 a BSHG dem Grunde nach festgestellt hatte.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Mai 1983 - 5 C 112.81 -, FEVS 33, 5 (7).

Es hat darüber hinaus darauf hingewiesen, dass es verfahrensökonomischem Vorgehen entspreche, wenn der Träger der Sozialhilfe bei invariablem Sachverhalt und Streit der Beteiligten über eine einzelne Frage der Sozialhilfe lediglich diese Frage in einem Bescheid entscheide, um eine gerichtliche Beilegung des Streits für die Zukunft zu ermöglichen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 1971 - 5 C 110.70 -, FEVS 19, 81 (83).

Ob die Behörde im Einzelfall von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der betreffende Sozialhilfeträger gedankliche Vorstellungen über "Grundbescheide" entwickelt hat und damit "bewußt" zu einer strittigen Frage einen derartigen Bescheid erlassen wollte.

Es ist nämlich anerkannt, dass für die Auslegung von Willensäußerungen der Verwaltung gemäß der im öffentlichen Recht entsprechend anwendbaren Auslegungsregel des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht der innere, sondern der erklärte Wille maßgebend ist, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 1968 - 6 C 113.67 -, BVerwGE 29, 310 (312); Urteil vom 12. Januar 1973 - 7 C 3.71 -, BVerwGE 41, 305 (306); BVerwG, Urteil vom 18. Juni 1980 - 6 C 55.79 -, BVerwGE 60, 223 (228/229).

Die Nichtberücksichtigung des Mehrbedarfs für Alleinerziehende ab September 1996 musste die Klägerin - auch ohne einen an sich angebrachten Hinweis im Änderungsbescheid - als Folge davon auffassen, dass ihre Tochter J. im Vormonat das 16. Lebensjahr vollendet hatte. Damit stützte sich die vom Beklagten vorgenommene "Neuberechnung" der Hilfe im hier maßgeblichen Punkt auf das Erreichen einer Altersgrenze, mithin auf einen Sachverhalt, der aus der (verständigen) Sicht der Klägerin für die Folgemonate keine erneute Prüfung bzw. spätere Bewilligung, sondern allein die Bestätigung der insoweit bereits getroffenen Entscheidung erwarten ließ.

Dementsprechend sind die Beteiligten davon ausgegangen, dass der von der Klägerin gegen den Bescheid vom 23. August 1996 erhobene Widerspruch die Frage der Bewilligung eines Mehrbedarfszuschlags nicht nur für September 1996, sondern auch für die Folgemonate zur Überprüfung stellte. Ein Anhalt dafür sind etwa die von der Klägerin im Postskriptum ihres Schreibens vom 15. Januar 1997 gegenüber dem Beklagten geäußerten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Versagung des begehrten Mehrbedarfs, ohne dass darin eine erneute Widerspruchseinlegung zu sehen wäre. Noch deutlicher wird dies aber an der Reaktion der Sachbearbeiterin des Beklagten auf das von der Klägerin Ende Januar 1997 bekräftigte Begehren auf Bewilligung eines Mehrbedarfszuschlags. Insoweit wurde die Klägerin nämlich (zu Recht) nicht auf die erneute Erhebung eines Widerspruchs, sondern auf die anstehende Entscheidung über den bereits erhobenen Widerspruch durch den R. -Kreis verwiesen.

Die zulässige Klage ist auch begründet.

Für die streitbefangenen Monate hat das Verwaltungsgericht zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Bewilligung eines Mehrbedarfszuschlags für Alleinerziehende nach § 23 Abs. 2 Halbsatz 1, 1. Alternative BSHG bejaht.

Nach dieser Vorschrift ist für Personen, die mit einem Kind unter sieben Jahren oder die mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ein Mehrbedarf von 40 v.H. des maßgebenden Regelsatzes anzuerkennen, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht.

§ 23 Abs. 2 Halbsatz 1, 1. Alternative BSHG setzt nicht voraus, dass der Hilfe suchende Erziehende nur mit einem Kind in einem Haushalt zusammenlebt. Der Gesetzeswortlaut enthält keine entsprechende Einschränkung. Wenn es in den Gesetzesmaterialien an der vom Beklagten angeführten Stelle heißt: „Ähnlich ist die Situation bei Alleinerziehenden mit nur einem Kind",

vgl. Gesetzentwurf des Bundesrates zum Vierten Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes, Bundestagsdrucksache 10/3079 mit der unter 2.1.4 gegebenen Begründung,

so soll das die Zahlung des Zuschlags für den Fall des gleichzeitigen Aufenthalts eines älteren Kindes im Haushalt nicht ausschließen. Vielmehr wird damit die frühere Rechtslage angesprochen, nach der ein Mehrbedarf nur für solche Personen anzuerkennen war, die mit zwei oder mehr Kindern unter 16 Jahren zusammenlebten und allein für deren Pflege und Erziehung sorgten.

Überschreitet eines der Kinder die Altersgrenze von 16 Jahren, so steht seine weitere Anwesenheit in der Familie nach dem Zweck des § 23 Abs. 2 Halbsatz 1, 1. Alternative BSHG der Anerkennung eines Mehrbedarfs in Ansehung eines Kindes unter sieben Jahren nicht ohne weiteres entgegen.

Denn die Entwicklung von Jugendlichen erfolgt regelmäßig nicht in der Weise sprunghaft, dass ein Kind, das eben noch selbst in erhöhtem Maße als betreuungsbedürftig anzusehen gewesen ist und dessen Anwesenheit je nach Familienkonstellation auf Grund der gesetzlichen Wertung die Anerkennung eines Mehrbedarfs ja gerade mit gerechtfertigt hat, mit Erreichen des 16. Lebensjahres plötzlich zu einer einen Mehrbedarfszuschlag für das noch nicht sieben Jahre alte Kind erübrigenden großen Hilfe für den Erziehenden wird.

Vgl. zum Vorstehenden: OVG NRW, Urteil vom 25. August 1998 - 24 A 6169/96 -.

Nur wenn durch die Mitwirkung und Hilfe eines fast volljährigen Kindes im Haushalt und bei der Erziehung der Status des Elternteils als "Alleinerziehender" wegfällt, ist bei Fällen der vorliegenden Art die Anerkennung eines Mehrbedarfs nach der gesetzlichen Wertung nicht mehr gerechtfertigt. Das Gesetz setzt nämlich voraus, dass die nach § 23 Abs. 2 BSHG Hilfe Suchenden "allein" für Pflege und Erziehung sorgen.

Vgl. ausführlich zu diesem Begriff: OVG NRW, Urteil vom 25. August 1998 - 24 A 6169/96 -.

Eine die Eigenschaft einer Alleinerziehenden ausschließenden Mithilfe durch ein Kind kommt jedoch nicht regelmäßig, sondern nur ausnahmsweise in Betracht, und zwar nur dann, wenn der bedürftige Elternteil so nachhaltig unterstützt wird, dass es der Mithilfe gleicht, die ein anderer Elternteil zu leisten pflegt.

Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Juli 1988 - 4 B 227/88 -, FEVS 38, 209.

Diese Ausnahme ist vorliegend nicht gegeben. Das macht die schulische Inanspruchnahme der Tochter J. deutlich, die durch überwiegend ganztägigen Unterricht an einer weiterführenden Schule gekennzeichnet ist. Damit steht J. zu den Tageszeiten, in denen sich die Pflege und Erziehung eines noch nicht schulpflichtigen Kindes im Wesentlichen abspielt, nicht in einer Art und Weise zur Verfügung, dass der Klägerin deswegen der Status als Alleinerziehende abzusprechen wäre.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.