OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.04.2000 - 19 E 87/00
Fundstelle
openJur 2011, 79737
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 11 K 7133/99
Tenor

Der Antrag wird auf Kosten des Klägers abgelehnt.

Gründe

Der Antrag hat keinen Erfolg, weil er dem Darlegungserfordernis gemäß § 146 Abs. 5 Satz 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht genügt; nach dieser Vorschrift sind in dem Antrag die Gründe darzulegen, aus denen die Beschwerde zuzulassen ist.

Die Zulassungstatbestände sind gemäß § 146 Abs. 4 VwGO in § 124 Abs. 2 VwGO aufgeführt. Auch ohne ausdrückliche Bezeichnung eines Zulassungstatbestandes kann den Ausführungen in der Antragsschrift, mit denen sich der Kläger gegen die Verneinung einer hinreichenden Erfolgsaussicht (§ 166 VwGO, § 114 ZPO) seiner auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis gerichteten Klage wendet, bei Reduzierung auf ihren sachlichen Gehalt noch hinreichend eindeutig entnommen werden, dass der Kläger den Zulassungsgrund des Bestehens ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend macht. Das allein genügt aber nicht dem Darlegungserfordernis. "Dargelegt" im Sinne des § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO ist ein Zulassungsgrund vielmehr nur, wenn darüber hinaus konkret dargetan wird, warum der geltend gemachte Zulassungsgrund vorliegen soll. Diesem Darlegungserfordernis ist hinsichtlich des Zulassungsgrundes nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur genügt, wenn sich der Antragsteller im Zulassungsantrag mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinander setzt und im Einzelnen darlegt, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese - mit der Folge eines unrichtigen Entscheidungsergebnisses und nicht nur einer unrichtigen Entscheidungsbegründung - ernstlichen Zweifeln begegnen.

Vgl. etwa Senatsbeschluss vom 26. Januar 2000 - 19 A 1425/99 -.

Diesen Anforderungen wird die Antragsschrift vom 27. Januar 2000 nicht gerecht.

Allerdings ist an der Kritik des Klägers am angefochtenen Beschluss der rechtliche Ansatz zutreffend, dass zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsache, nämlich der Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 24. April 1998, BGBl. I, 747, in Verbindung mit § 20 Abs. 1, § 11 Abs. 1 und Nummer 8 der Anlage 4 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) vom 18. August 1998, BGBl. I, 2214, die Einholung eines - in der Antragsschrift als Obergutachten bezeichneten - Sachverständigengutachtens, etwa eines medizinischpsychologischen Gutachtens (vgl. § 13 Nr. 2 FeV) erforderlich sein dürfte; auf die für den geltend gemachten Anspruch und mithin für die Erfolgsaussichten der Verpflichtungsklage weiter entscheidungserhebliche Tatsache der Befähigung zum Führen eines Kraftfahrzeuges (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 StVG), welche grundsätzlich durch die Fahrerlaubnisprüfung nachzuweisen ist, auf die zu verzichten nach Ablauf von mehr als zwei Jahren seit der Entziehung nicht zulässig ist, wird hier ungeachtet des Umstandes, dass der Kläger die Fahrerlaubnis seit der Entziehung im Jahre 1979 nicht wieder erlangt hat, nicht abgestellt, weil das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf diese Voraussetzung ebenso wenig gestützt hat wie der Beklagte. Die Erforderlichkeit einer Beweiserhebung zur Frage der Eignung dürfte daraus folgen, dass angesichts der im Verfahren insgesamt aufgetretenen, nicht ausgeräumten und vom Kläger mit der Anregung der Erhebung eines "Obergutachtens" zugestandenen Bedenken einerseits die sachverständig ermittelte tatsächliche Grundlage für eine positive Entscheidung fehlt und andererseits eine negative Entscheidung im Klageverfahren nicht auf das auf der Untersuchung vom 27. April 1998 beruhende Gutachten der Medizinisch-Psychologischen Untersuchungsstelle des TÜV S. Kraftfahrt GmbH gestützt werden kann; denn unbeschadet der Überzeugungskraft des Gutachtens für die Zeit seiner Erstellung und von einigen Monaten danach dürfte das Gutachten wegen der inzwischen verstrichenen Zeit nicht mehr hinreichend aussagekräftig sein. Es ist in der Rechtsprechung des Senats anerkannt, dass medizinischpsychologischen Gutachten grundsätzlich nach Ablauf eines Jahres die erforderliche Aussagekraft fehlt bzw. dass diese entscheidend gemindert ist.

Vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. Februar 2000 - 19 A 5003/99 -, 11. Februar 1998 - 19 E 909/97 - und 3. Februar 1997 - 19 B 2561/96 -.

Dass hier ausnahmsweise anderes gelten könnte, ist schon deshalb nicht ersichtlich, weil das Gutachten, das etwa zwei Jahre nach dem Beginn der vom Kläger angegebenen Alkoholabstinenz erstellt worden ist, entscheidend auf der Aussage beruht, nach vorangegangener Alkoholabhängigkeit sei ohne therapeutische Aufarbeitung (Entwöhnungsbehandlung) und Nachsorge der Alkoholproblematik eine dauerhafte und ausreichend stabile Alkoholabstinenz nicht hinreichend gesichert, und weil nicht mit der erforderlichen Gewissheit von vornherein und nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen werden kann, dass die negative gutachterliche Einschätzung nach - unterstellt - inzwischen mehr als vier Jahren Abstinenz und weiterer Verfestigung der Lebensführung in der Gemeinschaft unter Berücksichtigung der Besonderheiten im konkreten Fall günstiger ausfällt.

Die Erforderlichkeit einer Beweiserhebung hat aber nicht aus sich zur Folge, dass eine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne von § 166 VwGO, § 114 ZPO zu bejahen wäre; soweit der Kläger dies in der Antragsschrift postuliert, bestehen ernstliche Zweifel an der (Ergebnis-)Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses nicht. Denn da die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht mit denen für eine Beweiserhebung identisch sind, schließt die Erforderlichkeit einer Beweiserhebung die Versagung von Prozesskostenhilfe nicht aus. Weil die gesetzliche Tatbestandsvoraussetzung des § 114 ZPO, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, im Verfahren der Bewilligung von Prozesskostenhilfe selbstständig zu prüfen ist, schließt diese Prüfung im Einzelfall ein, den Ausgang einer Beweisaufnahme vorab zu würdigen. Allerdings ist eine vorweggenommene Beweiswürdigung nur in eng begrenztem Rahmen zulässig, damit nicht die Anforderung an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung überspannt und dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, im Hinblick auf die Zugänglichkeit des Rechtsschutzes die Situation unbemittelter Rechtssuchender an diejenige bemittelter weitgehend anzugleichen, dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider verfehlt wird.

Vgl. zu den verfassungsrechtlichen Grenzen: BVerfG, Beschlüsse vom 7. Mai 1997 - 1 BvR 296/94 -, NJW 1997, 2745 f., 2. Februar 1993 - 1 BvR 1697/91 -, FamRZ 1993, 664 f. und 23. Januar 1986 - 2 BvR 25/86 -, NVwZ 1987, 786; ferner Senatsbeschlüsse vom 11. Februar 1998 - 19 E 909/97 - und 26. März 1997 - 19 E 767/96 -.

Gemessen daran kommt eine Verneinung der hinreichenden Erfolgsaussicht in Betracht, wenn zur Überzeugung des Gerichts konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen würde -

vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 7. Mai 1997 und 2. Februar 1993, jeweils a.a.O.; ferner OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 7. November 1995 - 3 O 3/95 -, NVwZ-RR 1996, 621 f. -

bzw. sich die Richtigkeit der beweiserheblichen Tatsache als sehr unwahrscheinlich erweist -

vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 1993 - VI ZR 235/92 -, NJW 1994, 1160 f. -

oder wenn das Ergebnis der Beweiserhebung auf Grund der vorliegenden Umstände sicher voraus beurteilt werden kann und diese von vornherein keinerlei Erfolg verspricht -

vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 25. September 1990 - 13 TP 1359/90 -, NVwZ-RR 1991, 160 f. -.

Unabhängig davon, ob die tragenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses diesen Kriterien genügen, ergeben jedenfalls die Darlegungen "in dem Antrag" (vgl. § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO), nicht, dass ernstliche Zweifel an der Verneinung einer hinreichenden Erfolgsaussicht bestehen. Die Darlegungen erschöpfen sich zum einen in der bloßen Behauptung, die beweiserhebliche Tatsache der Eignung werde vom "Obergutachter" erwiesen werden; damit allein ist nicht dargetan, dass die Beweiserhebung mit auch nur geringer Wahrscheinlichkeit zu Gunsten des Klägers ausgehen wird. Soweit der Kläger zum anderen unter Hinweis auf Bescheinigungen von ihn behandelnden Ärzten noch seine etwa "vier Jahre dauernde stabile Abstinenz", die mit einer Verhaltensänderung in seinem Lebenswandel einhergegangen sei, angeführt hat, wird verkannt, dass das Verwaltungsgericht seine Entscheidung unter Heranziehung der tragenden Einschätzung im Gutachten vom 27. April 1998 nicht auf Zweifel an der vom Kläger als durchgehalten behaupteten Abstinenz gestützt hat, sondern darauf, dass angesichts der Vorgeschichte, einer früher vorhandenen ausgeprägten Alkoholabhängigkeit und der Umstände der behaupteten Änderung des Verhaltens sowie mangels ausreichenden Problembewusstseins und therapeutischer Aufarbeitung und Bereitschaft hierzu Bedenken gegen die Dauerhaftigkeit der Abstinenz bestünden und der Kläger angesichts des massiven Alkoholproblems in der Vergangenheit ohne therapeutische Hilfestellung nicht die Gewähr für eine dauernde Änderung der Lebensweise biete. Mit diesen Erwägungen aber hat sich der Kläger in der Antragsschrift überhaupt nicht auseinander gesetzt. Er hat insbesondere die im Gutachten vom 27. April 1998 zu Grunde gelegte, auf wissenschaftliche Erkenntnisse gestützte Annahme, Personen mit einer ausgeprägten Alkoholabhängigkeit wie beim Kläger könnten eine stabile Trinkkontrolle nicht mehr erlernen und in der Regel sei nur durch eine therapeutische Aufarbeitung (Entwöhnungsbehandlung) und Nachsorge eine dauerhafte Stabilität der Abstinenz zu erwarten, nicht in Frage gestellt. Weiter hat er keine Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, aus welchen Gründen in seinem Fall das Gericht auf Grund der anstehenden Beweiserhebung zu der prognostischen Einschätzung gelangen könnte, dass unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundannahme ausnahmsweise bei ihm im Hinblick auf die nicht angezweifelte Abstinenz seit etwa März/April 1996 und eine nachhaltige Änderung der alltäglichen Lebensführung und abweichend von dem Gutachten vom 27. April 1998 und den ergänzenden Stellungnahmen der Gutachter vom 8. Februar und 12. April 1999 eine Entwöhnungsbehandlung entbehrlich sein könnte, zumal diese auch nach Nr. 8.4 in Verbindung mit Nr. 3 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung für die Eignung nach Alkoholabhängigkeit normativ als Regel vorausgesetzt wird. Die Sachkunde und Objektivität der Gutachter hat der Kläger mit dem bloßen Vorwurf der "Beutelschneiderei" nicht ansatzweise in Zweifel gezogen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).