OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.10.1998 - 18 B 2762/97
Fundstelle
openJur 2011, 79553
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 2 L 1218/97
Tenor

Der angefochtene Beschluß wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 28. Juli 1997 wird wiederhergestellt bzw. angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Streitwert wird für die Beschwerdeinstanz auf 8.000,- DM festgesetzt.

Gründe

Die zugelassene Beschwerde ist begründet.

Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO anzustellende Interessenabwägung ergibt, daß das private Interesse des Antragstellers, vorläufig in Deutschland zu bleiben, das öffentliche Interesse an seiner Aufenthaltsbeendigung überwiegt. Der Senat vermag nicht die offensichtliche Rechtmäßigkeit der angegriffenen Ordnungsverfügung festzustellen.

Allerdings werden die Anspruchsvoraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Eheführung bzw. für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht des Antragstellers nach § 19 Abs. 1 Satz 1 AuslG weiterhin nicht erfüllt. Insoweit wird auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses, die durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werden, Bezug genommen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Dagegen spricht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Antragsteller für den hier zu beurteilenden Zeitraum ab 1. August 1995 ein Aufenthaltsrecht aus Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 besitzt, aufgrund dessen sich dann sowohl die durch Ordnungsverfügung vom 28. Juli 1997 erfolgte Rücknahme der am 13. Juli 1995 erteilten Aufenthaltserlaubnis als auch die gleichzeitig erfolgte Versagung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis ab 4. Januar 1997 als rechtswidrig erweisen würde. Insofern kann nur zweifelhaft sein, ob zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt, dem Ablauf der letzten nicht im Streit stehenden Aufenthaltserlaubnis,

- vgl. Senatsbeschluß vom 22. November 1994 - 18 B 564/94 -,

der seit dem 16. September 1993 bei demselben Arbeitgeber ununterbrochen erwerbstätige Antragsteller als Arbeitnehmer im Sinne der genannten Vorschrift ordnungsgemäß beschäftigt war und - bezogen auf die Versagung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis - noch weiterhin ordnungsgemäß beschäftigt ist. Hierfür sprechen gewichtige Gründe.

Bei dem in Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 verwendeten Ausdruck "ordnungsgemäße Beschäftigung" handelt es sich um einen gemeinschaftsrechtlichen Begriff, der objektiv und im Gemeinschaftsgebiet einheitlich unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorschrift auszulegen ist. Die Ordnungsgemäßheit der Beschäftigung setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraus. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach dem innerstaatlichen Recht.

Vgl. zuletzt EuGH, Urteil vom 30. September 1997 - C 98/96 (Ertanir) -, Rn. 23, 47 ff., InfAuslR 1997, 434.

Maßgeblich ist demnach, ob die Beschäftigung im Einklang mit den aufenthalts- und arbeitserlaubnisrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats steht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Januar 1995 - 1 C 2.94 -, InfAuslR 1995, 223.

Der Antragsteller verfügte seit dem 27. August 1993 über eine Aufenthaltserlaubnis, die wegen eines möglicherweise verspätet gestellten Verlängerungsantrags vorübergehend kurzfristig unterbrochen gewesen sein könnte. Eine derartige Unterbrechung wäre jedoch unschädlich. Mit der Erteilung einer weiteren Aufenthaltserlaubnis hat der Antragsgegner zu erkennen gegeben, die Ordnungsgemäßheit des Aufenthalts des Antragstellers nicht in Frage stellen zu wollen.

Vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 30. September 1997 - C 98/96 (Ertanir) -, Rn. 69, a.a.O.

Es spricht vieles dafür, daß die Berufstätigkeit des Antragstellers auch mit den arbeitserlaubnisrechtlichen Vorschriften im Einklang steht. Hierzu hat zwar das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, daß die dem Antragsteller am 29. Mai 1984 unbefristet erteilte Arbeitserlaubnis zwischenzeitlich erloschen ist. Nach dem gegenwärtigen Sachstand dürfte sich jedoch die dem Antragsteller vom Arbeitsamt B. ausweislich der dort geführten Karteikarte am 19. November 1993 ausgestellte "Zweitschrift" von der vorbezeichneten Arbeitserlaubnis inhaltlich als Neuerteilung erweisen. Die "Zweitschrift" wurde dem Antragsteller auf seinen Antrag auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis vom 16. September 1993 ausgestellt. Die darin liegende fehlerhafte Bearbeitung seines Antrags durch das Arbeitsamt B. mußte der Antragsteller nicht erkennen. Aus seiner hier maßgeblichen Sicht als Erklärungsempfänger konnte die ihm ausgestellte Bescheinigung nur bedeuten, daß seinem Antrag entsprochen worden war und er mithin die von ihm benötigte Arbeitserlaubnis besaß, wovon im übrigen auch das Arbeitsamt B. ausging.

Damit ist die Frage entscheidungserheblich, ob auch eine geringfügige Beschäftigung die Anspruchsvoraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 erfüllt, namentlich, ob der Antragsteller schon während seiner Teilzeitbeschäftigung als Arbeitnehmer im Sinne dieser Vorschrift anzusehen war; denn der Antragsteller war bei Ablauf der letzten nicht im Streit stehenden Aufenthaltserlaubnis noch keine Jahr lang vollbeschäftigt und ging zuvor 16 Monate einer Teilzeitbeschäftigung von 55 Stunden wöchentlich bei einem Verdienst von 550,-- DM monatlich nach. Gewichtige Gründe sprechen dafür, die Frage, deren endgültige Beantwortung einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muß, zu bejahen.

Es ist davon auszugehen, daß der im Assoziationsratsbeschluß 1/80 nicht definierte Begriff "Arbeitnehmer" in gleicher Weise zu verstehen ist wie in den die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft betreffenden Vorschriften, namentlich Art. 48 EGV und Art. 1 der VO EWG 1612/98.

Vgl. OVG NW, Beschluß vom 19. Januar 1998 - 17 B 1327/96 -, InfAuslR 1998, 156.

Der Begriff "Arbeitnehmer" in Art. 48 EGV ist weit auszulegen und nach objektiven Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der betroffenen Person kennzeichnen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, daß jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält.

Vgl. EuGH, Urteil vom 30. Januar 1997 - Rs C-340/94 - Rn. 26., ABl EG 1997, Nr. C 74, 8 = ZFSH/SGB 1997, 232.

Danach besitzen die Arbeitnehmereigenschaft gleichermaßen Dauerarbeitnehmer, Teilzeitbeschäftigte, Saisonarbeiter, Grenzarbeitnehmer sowie Arbeitnehmer, die ihre Tätigkeit im Zusammenhang mit einer Dienstleistung ausüben; außer Betracht bleiben nur Tätigkeiten mit so geringem Umfang, daß sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen.

Vgl. EuGH, Urteil vom 23. März 1982 - Rs 35/81 -, NJW 1983, 1249.

Eine bestimmten Mindestdauer der Arbeitszeit ist ebensowenig vorgesehen wie ein Mindesteinkommen. Deshalb kann selbst noch eine sozialversicherungsfreie geringfügige Beschäftigung die Arbeitnehmereigenschaft vermitteln.

Vgl. hierzu OVG Berlin, Beschluß vom 25. September 1996 - OVG 8 S 35.96 -, InfAuslR 1997, 189; Hess. VGH, Beschluß vom 4. Dezember 1995 - 12 TG 3096/95 -, InfAuslR 1996, 133; Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, Stand 1. Oktober 1995, B 402 Rn. 11 zu Art. 6 ARB 1/80; Renner, Ausländerrecht in Deutschland, München 1998, § 27 Rn. 171; kritisch: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Mai 1998, D 5.4 Rn. 17 d ff.

Dementsprechend wird eine unselbständige Erwerbstätigkeit, wie sie vorliegend von dem Antragsteller als Teilzeitbeschäftigter über einen Zeitraum von 16 Monaten ausgeübt worden ist, vom gemeinschaftsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff umfaßt.

Nach allem streiten gewichtige Gründe für das Bestehen einer Anspruchsposition aus Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80. Davon ausgehend entspricht es aus Gründen effektiver Rechtsschutzgewährung der Interessenlage, dem Aussetzungsbegehren des Antragstellers in vollem Umfang zu entsprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung folgt aus § 14 Abs. 3 iVm §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).