OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.12.1998 - 16 A 6682/95
Fundstelle
openJur 2011, 79111
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 17 K 4021/91
Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in derselben Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger für die Zeit vom 1. Mai 1987 bis zum 27. September 1990 ein Anspruch auf Pflegegeld zusteht.

Für den am 27. Januar 1985 geborenen und schwerwiegend körperbehinderten Kläger stellten seine Eltern am 25. November 1985 erstmals einen Antrag auf zuschußweise Gewährung von (Schwerst-)Pflegegeld. Diesen Antrag lehnte der Beklagte abschließend durch Widerspruchsbescheid vom 30. April 1987 mit der Begründung ab, daß zwar die medizinischen, nicht aber die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die beantragte Pflegegeldgewährung erfüllt seien, denn das der Mutter des Klägers gehörende und von der klägerischen Familie bewohnte Hausgrundstück K. Straße 24 in H. sei vorrangig einzusetzendes Vermögen. Die allenfalls in Frage kommende darlehensweise Hilfegewährung scheide aus, weil die Eltern des Klägers von einem entsprechenden Angebot keinen Gebrauch gemacht hätten.

Im Rahmen des sich anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (Az.: 8 K 1701/87 VG Gelsenkirchen) schlossen die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 27. September 1990 den folgenden Vergleich:

"1. Der Beklagte gewährt dem Kläger für die Zeit vom 22. Januar 1986 bis zum 30. April 1987 Pflegegeld der jeweils höchsten Stufe gemäß § 69 Abs. 4 Satz 2 BSHG in Verbindung mit § 24 Abs. 2 BSHG als Darlehen, und zwar unter Berücksichtigung des Einkommens der Bedarfsgemeinschaft im Rahmen der Einkommensgrenze des § 81 Abs. 2 und 3 BSHG.

2. Die Mutter des Klägers S. J. verpflichtet sich als Eigentümerin des Grundstücks K. Straße 24 in H. -L. , die Eintragung einer Grundschuld an bereitester Stelle in Höhe des nach Nr. 1 zu gewährenden Betrages auf ihre Kosten zu bewilligen.

3. Die Beteiligten sind sich darüber einig, daß eine Rückzahlung des Darlehens in Höhe des nach Nr. 1 zu gewährenden Betrages nicht gefordert wird, solange der Hilfeempfänger und/oder die zur Bedarfsgemeinschaft zählenden Familienangehörigen das Grundstück K. Straße 24 bewohnen.

Die Rückzahlung des Darlehns wird ferner davon abhängig gemacht, daß die Eigentümerin S. J. das Grundstück K. Straße 24 nicht veräußert. Im Falle einer Veräußerung wird das gewährte Darlehen zur Rückzahlung fällig.

4. Die Beteiligten sind sich weiterhin darüber einig, daß Schuldner des zu gewährenden Darlehens lediglich die Mutter des Klägers S. J. sein soll und daß ferner das Darlehen unverzinslich gewährt wird.

5. Mit den vorstehenden Vereinbarungen sehen die Beteiligten alle gegenseitigen Ansprüche für die Zeit vom 22. Januar 1986 bis zum 30. April 1987 als erledigt an.

6. Jeder Beteiligte trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

7. Die Beteiligten können den vorstehenden Vergleich durch schriftliche Anzeige zu der Gerichtsakte bis zum 4. Oktober 1990 widerrufen. Für den Fall eines Widerrufs verzichten die Beteiligten auf die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung."

Mit am 24. Oktober 1990 beim Beklagten eingegangenem Schreiben beantragte der Kläger unter Hinweis auf § 5 BSHG, ihm die im Vergleichswege vereinbarte Hilfe zur Pflege als Darlehen auch über den 30. April 1987 hinaus zu gewähren, soweit dies die Belastbarkeit des Grundstückes zulasse. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 10. Mai 1991 ab, soweit es sich um den Hilfezeitraum vom 1. Mai 1987 bis zum 27. September 1990 handelte, und begründete dies damit, daß eine rückwirkende Hilfegewährung nicht in Betracht komme. Erst für die Zeit nach dem 27. September 1990 werde als Hilfe zur Pflege ein durch Grundschuld zu sicherndes unverzinsliches Sozialhilfedarlehen in Höhe von 25.000 DM gewährt, dessen Schuldner - mit Rücksicht auf eine zwischenzeitliche Änderung der Eigentumsverhältnisse am Hausgrundstück K. Straße 24 - beide Elternteile seien.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat der Kläger am 7. August 1991 Klage erhoben. Er hat vorgetragen, für seine Anspruchsberechtigung komme es entscheidend darauf an, seit wann der Beklagte Kenntnis vom Hilfebedarf gehabt habe. Da dem Beklagten schon seit dem erstmaligen Hilfeantrag vom 25. November 1985 sämtliche Voraussetzungen für den zumindest darlehensweise zu erfüllenden Anspruch auf Hilfe zur Pflege bekannt gewesen seien, läge diese Voraussetzung seit langem vor. Der gerichtliche Vergleich sei lediglich aus prozessualen Gründen auf eine Hilfegewährung bis zum 30. April 1987 beschränkt worden; das Gericht sei davon ausgegangen, daß der Beklagte auch über diesen Zeitpunkt hinaus auf der Grundlage des Vergleiches darlehensweise Pflegegeld leisten werde. Es sei nicht ersichtlich, warum gerade dieses Datum im Hinblick auf die Kenntnis des Beklagten vom Hilfebedarf von ausschlaggebender Bedeutung sein sollte; auch der zuständige Sachbearbeiter des Beklagten habe wiederholt seinem Unverständnis darüber Ausdruck gegeben, daß das Verwaltungsgericht seinen Vergleichsvorschlag auf die Zeit bis zum Erlaß des Widerspruchsbescheides am 30. April 1987 beschränkt habe. Es komme auch nicht darauf an, daß der Kläger zunächst eine nicht zurückzuzahlende Hilfe beantragt habe; einer darlehensweisen Hilfegewährung habe damals nicht zugestimmt werden können, weil der Beklagte eine jährliche Verzinsung des Hilfebetrages von 6,5 % gefordert habe. Soweit dem Kläger vorgehalten werde, nicht alsbald nach dem Abschluß des gerichtlichen Vergleichs am 27. September 1990 den Antrag auf darlehensweise Hilfe zur Pflege für die streitige Zeit vom 30. April 1987 bis zum 27. September 1990 gestellt zu haben, sei darauf zu verweisen, daß der zuständige Sachbearbeiter mehrfach geäußert habe, es müsse noch eine Regelung für diesen nicht vom gerichtlichen Vergleich erfaßten Zeitraum gefunden werden. Im übrigen habe sich der Beklagte durch § 5 BSHG nicht daran gehindert gesehen, rückwirkend für die Zeit vom 28. September 1990 bis zum Tag der Antragstellung am 22. Oktober 1990 Pflegegeld zu leisten.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter teilweiser Aufhebung seines Bescheides vom 10. Mai 1991 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 1991 zu verpflichten, ihm, dem Kläger, für die Zeit vom 1. Mai 1987 bis einschließlich zum 27. September 1990 Höchstpflegegeld gemäß § 69 Abs. 4 Satz 2 iVm § 24 Abs. 2 BSHG als Darlehen zu gewähren.

Der Beklagte hat zur Begründung seines Antrages auf Klageabweisung lediglich eine schriftliche Stellungnahme des für den Kläger zuständigen Sachbearbeiters vorgelegt, worin dieser in Abrede stellt, die ihm vom Kläger zugeschriebenen Äußerungen gemacht zu haben; die Eltern des Klägers seien an den genannten Tagen gar nicht vorstellig geworden.

Das Verwaltungsgericht hat durch das angefochtene Urteil der Klage stattgegeben.

Mit der hiergegen erhobenen Berufung macht der Beklagte geltend, sein im Verhandlungstermin vom 27. September 1990 vor dem Verwaltungsgericht anwesender Vertreter habe sich einer Einbeziehung eines weitergehenden Zeitraumes in den gerichtlichen Vergleich widersetzt; der jetzt zur Entscheidung stehende Zeitraum sei also bewußt ausgeklammert worden. Für diesen Zeitraum fehle es an einem Hilfeantrag. Da er, der Beklagte, dem Kläger von Anfang an Sozialhilfe als Darlehen angeboten habe, ohne daß der Kläger dieses Angebot angenommen habe, und da eine solche Hilfeleistung gegen den Willen des Klägers nicht möglich gewesen sei, hätten in der Vergangenheit die Voraussetzungen für die einzig in Betracht kommende Art der Sozialhilfegewährung gerade nicht vorgelegen. Daher sei das nunmehrige Begehren des Klägers auf eine - von § 5 BSHG ausgeschlossene - rückwirkende Sozialhilfegewährung gerichtet. Außerdem verfehle eine nachträgliche Pflegegeldgewährung notwendigerweise ihren Zweck, der darin liege, den Pflegebedürftigen in die Lage zu versetzen, in seinem sozialen Umfeld durch finanzielle Leistungen Anreize zur Pflegebereitschaft zu geben bzw. die Pflegebereitschaft zu erhalten; vielmehr solle nach dem ausdrücklichen Bekunden der Eltern des Klägers das begehrte Pflegegeld der Auffüllung ihres Vermögens dienen.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er macht geltend, der Anspruch auf Sozialhilfe setze keinen Antrag des Hilfesuchenden, sondern lediglich die Kenntnis des Sozialhilfeträgers vom Hilfebedarf voraus; dem Beklagten seien von Anfang an alle Voraussetzungen für die darlehensweise Hilfegewährung bekannt gewesen. Wenn ihm, dem Kläger, die Ablehnung eines Darlehens vorgehalten werde, müsse auch bedacht werden, daß der Beklagte lediglich ein verzinsliches Darlehen angeboten habe; erst das Verwaltungsgericht habe klargestellt, daß eine Verzinsung der Darlehenssumme nicht in Betracht komme. Es treffe auch nicht zu, daß seine Eltern lediglich die Absicht hätten, mit der beantragten Hilfe ihr Vermögen aufzufüllen; vielmehr hätten sie in der Vergangenheit notwendige Pflegeleistungen aus ihrem Vermögen abdecken müssen, weil der Beklagte keine Hilfe zur Pflege gewährt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verfahrensakten dieses Verfahrens sowie der Streitsache 8 K 1701/87 VG Gelsenkirchen und auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (2 Hefte) Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet über die Berufung des Beklagten gemäß § 130a VwGO nach entsprechender Anhörung der Beteiligten durch Beschluß, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat Anspruch auf die darlehensweise Gewährung von Schwerstpflegegeld für den Zeitraum vom 1. Mai 1987 bis zum 27. September 1990, so daß die ihm diesen Anspruch versagenden Bescheide des Beklagten rechtswidrig sind und ihn in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der Anspruch des Klägers auf das Schwerstpflegegeld ergibt sich aus § 69 Abs. 4 Satz 2 BSHG. Danach beläuft sich das Pflegegeld für die in § 24 Abs. 2 BSHG iVm der Verordnung zur Durchführung des § 24 Abs. 2 Satz 1 des Bundessozialhilfegesetzes (heutige Bezeichnung: Verordnung zur Durchführung des § 76 Abs. 2a Nr. 3 Buchstabe b des Bundessozialhilfegesetzes) vom 28. Juni 1974 (BGBl. I S. 1365) genannten Personen auf den jeweils geltenden Höchstbetrag. Dabei kann vorab in Übereinstimmung mit der offenkundig von beiden Beteiligten geteilten Auffassung davon ausgegangen werden, daß der Kläger im streitbefangenen Zeitraum die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung des Schwerstpflegegeldes erfüllte. Weiter bestehen auch für den Senat keine Zweifel daran, daß im Hinblick auf das Grundeigentum der Eltern des Klägers nach Maßgabe der §§ 28, 88 und 89 BSHG eine Leistung von Sozialhilfe lediglich als Darlehen in Betracht kam.

Der darlehensweisen Leistungspflicht des Beklagten steht auch weder im Wege, daß der Antragsteller zu spät, nämlich erst am 24. Oktober 1990, Wunsch und Bereitschaft zu einer darlehensweisen Hilfegewährung erklärt hat, noch daß die Gewährung der Hilfe zur Pflege ihrem Zweck der Deckung eines gegenwärtigen Bedarfs nicht mehr genügen könnte.

Die vom Beklagten in den Mittelpunkt seiner Darlegungen gestellte Bestimmung des § 5 Abs. 1 BSHG greift schon nach ihrem Wortlaut nicht anspruchsausschließend ein. Nach dieser Vorschrift setzt die Sozialhilfe (erst) ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen die Voraussetzungen für die Gewährung bekannt werden; hingegen kommt es auf einen förmlichen Antrag auf Sozialhilfe nicht an. Vorliegend war dem Beklagten jedenfalls seit dem erstmaligen Hilfeantrag der Eltern des Klägers am 25. November 1985 und seinen sich zeitnah anschließenden Ermittlungen bekannt, daß der Kläger aufgrund seiner Behinderungen höchstgradig pflegebedürftig war. Darüber hinaus verfügte der Beklagte alsbald nach dem 25. November 1985 auch über die Kenntnisse, die er für die Einschätzung der wirtschaftlichen Hilfevoraussetzungen benötigte, und war insbesondere über die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse hinsichtlich des damals allein der Mutter und nunmehr beiden Elternteilen des Klägers gehörenden Hausgrundstückes K. Straße 24 in H. informiert. Daß zwischen den Beteiligten zumindest bis zum Abschluß des Verfahrens 8 K 1701/87 vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen unterschiedliche Auffassungen darüber bestanden, ob dieses Grundstück als verwertbares Vermögen jedenfalls einer zuschußweisen Hilfeleistung entgegensteht, ändert an dieser Kenntnis nichts; denn das Einsetzen der Sozialhilfe nach § 5 Abs. 1 BSHG hängt nur von der Faktenkenntnis des Sozialhilfeträgers ab, nicht hingegen von einer darauf aufbauenden (zutreffenden) rechtlichen Subsumtion. Woran es jedenfalls bis zum Abschluß des genannten Verwaltungsstreitverfahrens am 27. September 1990 mangelte, war nicht die Kenntnis des Beklagten über die für die Hilfegewährung relevanten tatsächlichen Umstände, sondern - mangels Einverständnisses des Klägers - lediglich die Realisierbarkeit der Hilfe in der Form, wie sie dem Beklagten seinerzeit im einzelnen vorschwebte, das heißt als verzinsliches Darlehen. Derartige Fälle regelt § 5 Abs. 1 BSHG nicht.

Dem Anspruch des Klägers steht auch nicht entgegen, daß - als Grundvoraussetzung für jegliche Hilfegewährung - ein sozialhilferechtlicher Bedarf nicht (mehr) festgestellt werden könnte. Dabei trifft es im Ausgangspunkt zu, daß Sozialhilfe grundsätzlich nicht zur Behebung einer Notlage gefordert werden kann, die im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung nicht mehr gegeben ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 1992 - 5 C 12.87 -, BVerwGE 90, 154 = FEVS 43, 59 = NVwZ 1993, 369 = DVBl. 1992, 1479 = DÖV 1993, 37 = NDV 1992, 337; OVG NW, Urteil vom 14. April 1994 - 24 A 4182/92 -.

Von Ausnahmefällen abgesehen kommt somit eine Einstandsverpflichtung des Sozialhilfeträgers nicht mehr in Betracht, wenn der Hilfesuchende den von ihm geltend gemachten Bedarf zwischenzeitlich anderweitig gedeckt hat, sei es auch unter Eingehung von (fortbestehenden) Verbindlichkeiten.

Vorliegend kommt der genannte Grundsatz schon mangels einer zwischenzeitlichen Bedarfsdeckung nicht zum Tragen; der Annahme einer anspruchsausschließenden Bedarfsdeckung stehen Wesen und Zweck des Pflegegeldes nach § 69 Abs. 3 und 4 BSHG entgegen, die das Bundesverwaltungsgericht

- Urteil vom 14. März 1991 - 5 C 8.87 -, BVerwGE 88, 86 = FEVS 41, 401 = NDV 1991, 261; vgl. auch BVerwG, Urteile vom 4. Juni 1992 - 5 C 82.88 -, BVerwGE 90, 217 = FEVS 43, 109 = NVwZ 1993, 66 = ZfSH/SGB 1993, 76 = NDV 1993, 27, und vom 25. März 1993 - 5 C 45.91 -, BVerwGE 92, 220 = FEVS 43, 456 = NVwZ 1994, 490 = DVBl. 1993, 797 = DÖV 1993, 772 = NDV 1993, 355 -

dahingehend umschrieben hat, daß es den gesteigert Pflegebedürftigen in den Stand versetzen solle, vielfältige Aufwendungen zu bestreiten, ohne entsprechende Aufwendungen im einzelnen nachweisen zu müssen; das Pflegegeld solle den Bedarf decken, der dem Pflegebedürftigen durch seine Aufwendungen für die Inanspruchnahme der benötigten Pflege entsteht. Keinesfalls handele es sich bei dem Pflegegeld daher um ein Entgelt für die Pflegeperson. Der Gesetzgeber gehe nämlich davon aus, daß Wartung und Pflege durch nahestehende Personen oder im Wege der Nachbarschaftshilfe (§ 69 Abs. 2 Satz 1 BSHG) unentgeltlich geleistet werden; erst für die neben oder anstelle der Wartung und Pflege durch sie erforderliche Heranziehung einer besonderen Pflegekraft sei vom Gesetz eine Kostenübernahme vorgesehen (§ 69 Abs. 2 Satz 3 BSHG). Das pauschalierte Pflegegeld diene demgegenüber nur dazu, es dem Pflegebedürftigen zu ermöglichen, sich die unentgeltliche Pflegebereitschaft einer nahestehenden Person oder eines Nachbarn (durch Übernahme von deren Aufwendungen oder auch durch kleinere Zuwendungen) zu erhalten. Nach der Fassung und Systematik des Gesetzes solle mit dem Pflegegeld demnach nicht unmittelbar der Pflegebedarf gedeckt werden. Vielmehr gehe das Gesetz davon aus, daß der unmittelbare Pflegebedarf bereits durch - voraussetzungsgemäß unentgeltliche - Pflegeleistungen gedeckt sei.

Ausgehend von dieser Rechtsprechung, der auch das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen gefolgt ist,

vgl. etwa Beschluß vom 31. Juli 1996 - 24 B 1513/96 -, m.w.N.,

kann eine anspruchsvernichtende zwischenzeitliche Bedarfsdeckung nicht schon daraus abgeleitet werden, daß dem Kläger auch während des streitigen Zeitabschnittes zwischen dem Erlaß des Widerspruchsbescheides am 30. April 1987 und dem Abschluß des gerichtlichen Vergleichs am 27. September 1990 von seinen Eltern die notwendige Pflege zuteil geworden ist. Vielmehr ist davon auszugehen, daß das Ausbleiben des Pflegegeldes in der genannten Zeitspanne zu Einbußen geführt hat, die nicht anderweitig ausgeglichen werden konnten und deren nachträgliche Befriedigung durch eine "rückwirkende" Sozialhilfegewährung prinzipiell möglich geblieben ist. Dabei ist insbesondere auf die Aufgabe des Pflegegeldes abzustellen, dem Pflegebedürftigen die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen, um die Pflegebereitschaft seiner Pflegepersonen aufrecht zu erhalten und zu fördern. Für sein Anliegen, den Pflegepersonen deren finanzielle Aufwendungen für die Aufrechterhaltung der unentgeltlich erbrachten Pflege zu erstatten bzw. sich die Pflegepersonen durch gelegentliche Aufmerksamkeiten "gewogen" zu erhalten, ist der jeweilige Pflegebedürftige nicht in dem Maße auf regelmäßige Mittelzuflüsse angewiesen, wie dies etwa bei der Finanzierung einer entgeltlichen Pflege durch außenstehende Dritte der Fall wäre. Es ist ohne weiteres vorstellbar, daß Pflegepersonen, die dem Hilfebedürftigen persönlich nahestehen, auch über einen längeren, gegebenenfalls sogar wie vorliegend nach Jahren zu bemessenden Zeitraum hinweg ihr pflegerisches Engagement auf dem bisherigen Niveau fortführen, ohne zeitnah eine materielle Anerkennung dafür zu erhalten; dies erscheint insbesondere dann als naheliegend, wenn wie im gegebenen Fall mit dem Sozialhilfeträger über die Pflegegeldgewährung gestritten wird und daher während dieser Zeit eine gewisse Aussicht auf eine nachträgliche Zahlung des Pflegegeldes und damit auf ein nachfolgendes "Sich-Erkenntlich-Zeigen" des Pflegebedürftigen bei seinen Pflegepersonen besteht. Demgegenüber müßte die motivierende Wirkung des Pflegegeldes notwendigerweise entfallen, wenn die Vorenthaltung des Pflegegeldes für einen bestimmten Zeitraum bereits für sich genommen einer späteren Nachentrichtung entgegenstünde. Entsprechendes gilt für etwaige sonstige Aufwendungen zur Sicherstellung der Pflege, die wegen ihrer denkbaren Vielfalt einer näheren Umschreibung nicht zugänglich sind, wobei beispielhaft etwa an die Anschaffung oder Installation von Gegenständen zur Erleichterung täglich anfallender Pflegeverrichtungen zu denken ist; auch derartige Aufwendungen sind typischerweise nicht an feste Zeitabschnitte gebunden und können jedenfalls in aller Regel aufgeschoben und später nachgeholt werden.

Schließlich ist auch kein sonstiger materiellrechtlicher oder prozessualer Gesichtspunkt ersichtlich, der dem Kläger die Geltendmachung eines Anspruches auf Pflegegeldgewährung für den Zeitraum vom 1. Mai 1987 bis zum 27. September 1990 verwehren könnte. Diejenigen Gründe, die offenkundig dazu geführt haben, daß der genannte Zeitraum im gerichtlichen Vergleich vom 27. September 1990 ausgespart worden ist, stehen einer erfolgreichen nachträglichen Geltendmachung des Anspruches nicht entgegen. Der anwaltlich vertretene Kläger hat offenkundig von der Einbeziehung des hier streitigen Hilfezeitraumes in das Klageverfahren abgesehen - und darauf fußend die Beteiligten von einer Einbeziehung in den gerichtlichen Vergleich -, weil dem Verwaltungsgericht aus prozeßrechtlichen Gründen ohnehin eine streitige Sachentscheidung hierüber verwehrt gewesen wäre. Denn ein Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe kann grundsätzlich nur in dem zeitlichen Umfang in zulässiger Weise zum Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Kontrolle gemacht werden, in dem der Träger der Sozialhilfe den Hilfefall geregelt hat.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 30. April 1992 - 5 C 1.88 -, FEVS 43, 19 = NVwZ 1993, 995 = DVBl. 1992, 1482 = NDV 1992, 339, und vom 31. August 1995 - 5 C 9.94 -, BVerwGE 99, 149 = FEVS 46, 221 = NJW 1996, 2588 = DÖV 1996, 330 = DVBl. 1996, 305.

Die hierfür maßgebenden Gründe hindern die Sozialhilfebehörde jedoch nicht daran, einen Hilfefall für die Zeit nach einer abschließenden Verwaltungsentscheidung zu prüfen und gegebenenfalls einer positiven Entscheidung zuzuführen. Vielmehr liegt der wesentliche Grund für die Versagung einer Sachentscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte gerade darin, daß es Angelegenheit der Sozialhilfebehörde (und nicht der Gerichte) ist, den Hilfefall auch nach einer Entscheidung der Widerspruchsbehörde für die nachfolgende Zeit "unter Kontrolle zu halten".

Vgl. BVerwG, Urteile vom 30. April 1992 - 5 C 1.88 - und vom 31. August 1995 - 5 C 9.94 -, jeweils a.a.O.

Ebensowenig kann in der früheren Ablehnung einer darlehensweisen Hilfegewährung durch die Eltern des Klägers ein tragfähiger Grund für die Versagung der nunmehr begehrten Hilfe zur Pflege als Darlehen erblickt werden, etwa unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Anspruchsverwirkung bzw. eines gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßenden - und dem Kläger zuzurechnenden - widersprüchlichen Verhaltens. Gegen eine Verwirkung bzw. ein treuwidriges Verhalten spricht bereits, daß es den Eltern des Klägers nicht angesonnen werden konnte, den zwar letzten Endes rechtlich nicht fundierten, aber andererseits auch nicht ohne nähere Prüfung sogleich von der Hand zu weisenden Anspruch auf eine Pflegegeldgewährung als nicht rückzuerstattenden Zuschuß von vornherein zugunsten einer für sie weniger günstigen Darlehenslösung aufzugeben. Indem sie unter Berufung darauf, ihr Hausgrundstück sei als Heimstatt der Familie iSv § 88 BSHG von einer Verwertung freigestellt, eine nicht zurückzuzahlende Pflegegeldzahlung beansprucht und diesen Anspruch einer gerichtlichen Nachprüfung unterstellt haben, haben sie von selbstverständlichen und legitimen Rechten Gebrauch gemacht; eine Treuwidrigkeit kann darin nicht gesehen werden. Eine solche Treuwidrigkeit liegt auch nicht darin, daß die Eltern des Klägers bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 27. September 1990 nicht mit einer Gewährung des Pflegegeldes als Darlehen einverstanden waren. Da der Beklagte den Eltern des Klägers bis zu jenem Termin lediglich ein verzinsliches Sozialhilfedarlehen angeboten hatte, konnte diesen auch nicht zugemutet werden, einerseits das Darlehensangebot anzunehmen und andererseits vor dem Verwaltungsgericht eine Umwandlung der darlehensweisen Hilfegewährung in eine zuschußweise Hilfe zu erstreiten. Diese gleichsam zweigleisige Vorgehensweise hätte nämlich für die Eltern des Klägers das Risiko beinhaltet, im Falle des Scheiterns ihrer Bemühungen um die Erlangung einer Pflegegeldleistung als Zuschuß Schuldner eines verzinslichen Darlehens zu sein. Wenn sie sich statt dessen für ein Vorgehen entschieden haben, das ihnen im aus ihrer Sicht ungünstigeren Falle zumindest die mit jährlich 6,5% nicht unbeträchtliche Zinsbelastung ersparte, und erst mit einer darlehensweisen Hilfeleistung einverstanden waren, nachdem der Beklagte sein Zinsverlangen fallengelassen hatte, ist das nachvollziehbar und keineswegs im Sinne von § 242 BGB rechtsethisch zu mißbilligen. Ob das Zinsverlangen des Beklagten einer rechtlichen Überprüfung standgehalten hätte,

vgl. hierzu etwa Schlette, Sozialhilfe als Darlehen - Anwendungsfälle, Rechtsnatur, Gestaltungsmöglichkeiten, ZFSH/SGB 1998, 154 (162 f.), m.w.N.,

ist überdies zweifelhaft, muß aber in diesem Zusammenhang nicht abschließend erörtert werden.

Eine Anspruchsverwirkung bzw. ein widersprüchliches Verhalten liegt schließlich auch nicht darin, daß die Eltern des Klägers nicht bereits im Verhandlungstermin vom 27. September 1990 bzw. unmittelbar danach, sondern erst am 24. Oktober 1990 beim Beklagten die Hilfegewährung auf Darlehensbasis für die Zeit nach dem 30. April 1987 beantragt haben. Unter Berücksichtigung des weiteren Umstandes, daß sich die Beteiligten in dem gerichtlichen Vergleich vom 27. September 1990 unter Ziffer 7 den Widerruf des Vergleiches bis zum 4. Oktober 1990 vorbehalten hatten und es, da der Widerruf gegenüber dem Gericht zu erklären war, einige weitere Tage dauerte, bis die Beteiligten sicher auf die Dauerhaftigkeit der im Vergleich vereinbarten Regelung vertrauen konnten, erscheint der Zeitablauf bis zum 24. Oktober 1990 nicht so erheblich, als daß der Beklagte von einem Verzicht des Klägers auf eine Sozialhilfegewährung für den noch offenen Zeitraum ausgehen durfte. Auch sonstige Gründe, die für sich genommen oder in Verbindung mit dem Verstreichenlassen von fast vier Wochen bis zum Hilfeantrag ein schützenswertes Vertrauen des Beklagten auf ein Absehen von der nachträglichen Geltendmachung des streitbefangenen Sozialhilfeanspruches durch den Kläger hätten begründen können, sind nicht hervorgetreten.

Abschließend sieht sich der Senat nicht dazu veranlaßt, auch Regelungen über die Ausgestaltung des Darlehensverhältnisses für den streitigen Zeitraum zu treffen, also insbesondere den Beteiligten Regelungen über die Rückzahlungsmodalitäten, die dingliche Sicherung oder die Verzinsung des Sozialhilfedarlehens vorzugeben. Mit Blick auf den gerichtlichen Vergleich vom 27. September 1990, den darauf Bezug nehmenden Hilfebescheid des Beklagten vom 27. Februar 1991 sowie den Bescheid des Beklagten vom 10. Mai 1991, soweit darin unter Ziffer 2 die Sozialhilfegewährung für die Zeit ab dem 1. Januar 1991 geregelt worden ist, sei lediglich darauf hingewiesen, daß wesentliche Abweichungen zu Lasten des Klägers, etwa hinsichtlich der Verzinslichkeit des zu gewährenden Darlehens, schwerlich als ermessensgerechte Entscheidung betrachtet werden könnten.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 und 188 Satz 2 VwGO, der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO iVm den §§ 708 Nr. 11 und 711 der Zivilprozeßordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.