OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.09.1999 - 16 A 461/99
Fundstelle
openJur 2011, 79078
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 21 K 3454/96
Tenor

Das Berufungsverfahren wird eingestellt, soweit die Klägerin die Berufung zurückgenommen hat.

Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in derselben Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die in Kasachstan geborene deutschstämmige Klägerin reiste am 23. September 1988 mit ihrem am 9. November 1984 geborenen Sohn W. in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie ließ sich in W. nieder, wo auch schon ihre Eltern wohnten, und absolvierte in der Zeit bis zum 14. September 1989 in einem Sprachzentrum einen zehnmonatigen deutschen Sprachkurs.

Im Rahmen des von der Klägerin betriebenen Ehescheidungsverfahrens vor dem Amtsgericht W. nahm das Jugendamt des Beklagten im Rahmen der Gerichtshilfe unter dem Datum vom 11. Oktober 1989 Stellung zur Regelung des Sorgerechts für W. . Darin hieß es unter anderem, die Klägerin sei derzeit arbeitslos und bekomme Arbeitslosengeld. Unterhaltszahlungen des in der UdSSR verbliebenen Ehemannes, eines Offiziers des Geheimdienstes KGB, der die Klägerin wiederholt telefonisch zur Rückkehr habe bewegen wollen, erhalte sie nicht. Eine weitere Stellungnahme gab das Jugendamt am 15. September 1992 zu der Frage einer Namensänderung des Sohnes der Klägerin ab.

Am 16. November 1995 stellte die Klägerin einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz. Nach einem Hinweis des Beklagten, daß diese Leistungen rückwirkend lediglich für einen Zeitraum von drei Monaten vor dem Antragsmonat bewilligt werden könnten, teilte die Klägerin mit, sie habe erst jetzt von einer Arbeitskollegin erfahren, daß es eine derartige Hilfe für alleinerziehende Mütter gebe. Im übrigen habe sich das Scheidungsverfahren wegen der Beteiligung russischer Behörden schwierig gestaltet, und ihr geschiedener Ehemann habe wiederholt mit der Entführung des Kindes oder der Einschaltung des KGB gedroht, so daß es keine Grundlage für Unterhaltsvereinbarungen gegeben habe.

Mit Bescheid vom 13. Dezember 1995 bewilligte der Beklagte Unterhaltsvorschußleistungen für die Zeit vom 1. August 1995 an. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, soweit der Bescheid ihr Leistungen für die Zeit vor dem 1. August 1995 versagte. Zur Begründung trug sie zunächst vor, sie habe schon kurz nach der Übersiedlung mit einer Bediensteten des Kreisjugendamtes, Frau Müller, über ihre persönlichen und familiären Verhältnisse gesprochen. Sie könne sich noch recht gut an den genauen Gesprächsverlauf erinnern. Da sie damals erst wenig Deutsch gesprochen habe und ein Dolmetscher nicht hinzugezogen worden sei, wisse sie aber nicht mehr, ob Frau M. sie überhaupt nicht über die Möglichkeiten des Unterhaltsvorschußgesetzes informiert habe oder ob wegen der besonderen Sicherheitsbedenken von Forderungen an den Kindesvater abgesehen werden sollte. Da das Jugendamt des Beklagten seinerzeit jedenfalls seine Beratungspflichten verletzt habe, seien die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs gegeben. Es müsse der Zustand hergestellt werden, der bestünde, wenn der Beklagte seine Nebenpflichten aus dem Sozialrechtsverhältnis ordnungsgemäß wahrgenommen hätte.

Zur Begründung der nach Zurückweisung des Widerspruchs durch den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung K vom 18. März 1996 erhobenen Klage auf Nachzahlung von Unterhaltsvorschußleistungen in Höhe von - zunächst - 22.994 DM hat die Klägerin vorgetragen: Frau M. vom Kreisjugendamt des Beklagten, von der sie nach ihrer Übersiedlung zunächst - und zwar zum ersten Mal schon unmittelbar nach ihrem Zuzug aus der UdSSR - betreut worden sei, habe von der Existenz des Kindes W. und dem Verbleib des Kindesvaters in der damaligen UdSSR gewußt; auch die damals völlig unzureichenden Sprachkenntnisse der Klägerin müßten Frau M. aufgefallen sein. Sie habe gleichwohl die Klägerin nicht in geeigneter Weise auf mögliche Ansprüche nach dem Unterhaltsvorschußgesetz hingewiesen; auch in dem Jugendhilfebericht an das Familiengericht finde sich kein Anhaltspunkt dafür, daß sie, die Klägerin, über eine solche Hilfemöglichkeit aufgeklärt worden sei. Da ausweislich dieses Berichts auch zur Sprache gekommen sei, daß der Vater W. keinerlei Unterhaltsleistung erbringe, habe eine derartige Belehrung besonders nahe gelegen. In diesem Falle hätte sie, die Klägerin, bereits am 23. September 1988 oder jedenfalls alsbald danach einen entsprechenden Antrag gestellt. Der durch die vom Beklagten verschuldete Verspätung des Antrags auf Unterhaltsvorschußleistungen entstandene Schaden der Klägerin belaufe sich auf den Betrag, den sie im Falle eines pflichtgemäßen Verhaltens des Beklagten bis zum 31. Juli 1995 bekommen hätte. Aus der Rechtsprechung lasse sich auch kein Anhaltspunkt für die Auffassung entnehmen, daß der sozialrechtliche Herstellungsanspruch im Unterhaltsvorschußrecht nicht gelte; vielmehr spreche der Zusammenhang mit dem Unterhaltsrecht gerade für die Anwendbarkeit des Herstellungsanspruchs. Es komme auch in Betracht, den Leistungsantrag vom 17. November 1995 bzw. ein anwaltliches Schreiben vom 14. Dezember 1995 als - noch nicht beschiedenen - Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewerten; wegen der falschen Belehrung durch den Beklagten sei von höherer Gewalt auszugehen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 13. Dezember 1995 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung K vom 19. März 1996 zu verpflichten, an sie Unterhaltsvorschußleistungen für den Zeitraum vom 1. August 1989 bis zum 31. Juli 1995, hilfsweise für den Zeitraum vom 1. November 1990 bis zum 31. Juli 1995 in Höhe von 16.035 DM zuzüglich 5% Zinsen seit dem 13. Dezember 1995 zu zahlen, äußerst hilfsweise, den Beklagten unter Aufhebung der genannten Bescheide zu verpflichten, ihren Antrag vom 17. November 1995 bzw. das Anwaltsschreiben vom 14. Dezember 1995 als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu behandeln und diesen Antrag zu bescheiden.

Der Beklagte hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags vorgetragen, daß bei Gesprächen in der Art, wie sie im Zusammenhang mit der Sorgerechtsentscheidung zwischen der Klägerin und der Mitarbeiterin des Jugendamtes, Frau M. , geführt worden seien, regelmäßig auf mögliche Leistungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz hingewiesen werde, wenn die Leistungsvoraussetzungen vorliegen könnten. Gründe für einen davon abweichenden konkreten Gesprächsverlauf beständen nicht. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch sei im übrigen nicht anwendbar. Er sei richterrechtlich für den Bereich des Sozialversicherungsrechtes entwickelt worden und könne nicht auf das allgemeine Sozialrecht übertragen werden. Ausdrücklich habe die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung den Herstellungsanspruch im Sozialhilferecht, im Kriegsopferfürsorgerecht, im Blindengeldrecht, im Ausbildungsförderungsrecht und im Wohngeldrecht abgelehnt, wobei der Gedanke ausschlaggebend gewesen sei, daß diese Sozialleistungen von Sozialversicherungsleistungen wesensverschieden seien und sich ihr Leistungszweck für die Vergangenheit regelmäßig kaum noch erreichen lasse. Das gelte auch für Leistungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz. Zudem habe der Gesetzgeber die Problematik einer rückwirkenden Zahlung von Unterhaltsvorschußleistungen in § 4 UVG ausdrücklich geregelt, so daß kein Raum für die Anwendung eines weitergehende Ansprüche ermöglichenden Rechtsinstituts sei. Der Annahme eines rechtzeitigen Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stehe der eindeutige Wortlaut der Erklärungen der Klägerin vom 17. November bzw. 14. Dezember 1995 entgegen; im übrigen enthalte das Unterhaltsvorschußgesetz eine absolut wirkende Ausschlußfrist, in die keine Wiedereinsetzung gewährt werden könne.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch das angefochtene Urteil abgewiesen.

Mit der hiergegen beantragten und vom Senat zugelassenen Berufung wiederholt und vertieft die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie macht insbesondere geltend, daß es im Sozialrecht, zum Beispiel im Renten- und im Kindergeldrecht, gleichfalls Vorschriften gebe, durch welche die Leistungsgewährung von einem vorangehenden Antrag abhängig gemacht werde, ohne daß dies der Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches auch in diesen Regelungsbereichen entgegenstehe. Es sei auch nicht zutreffend, im Hinblick auf die Heranziehung des Herstellungsanspruchs sozialhilferechtliche Ansprüche und den Anspruch auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz gleichzustellen. Während nämlich das Sozialhilferecht auf die Bewältigung gegenwärtiger Notlagen ausgerichtet sei, bestehe der Leistungsanspruch nach dem Unterhaltsvorschußgesetz unabhängig vom Vorliegen einer Notlage. Vorsorglich sei auch darauf hinzuweisen, daß das Fehlverhalten der Jugendamtsbediensteten als wesentliche Ursache der Fristversäumung zu betrachten sei; ihr, der Klägerin, könne schon wegen ihrer seinerzeitigen Sprachprobleme und ihrer Unbeholfenheit in Behördenangelegenheiten kein ins Gewicht fallendes Mitverschulden angelastet werden.

Die Klägerin, die im Berufungsverfahren zunächst noch die Nachentrichtung von Unterhaltsvorschußleistungen für die Zeit vom 1. September 1989 bis zum 31. Mai 1995 begehrt hat, beantragt nunmehr,

das angefochtene Urteil zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 13. Dezember 1995 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Köln vom 19. März 1996 zu verpflichten, an sie Unterhaltsvorschußleistungen für den Zeitraum vom 1. September 1989 bis zum 8. November 1990 und vom 1. Januar 1993 bis zum 31. Mai 1995 in gesetzlicher Höhe zu erbringen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verfahrensakte sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (2 Hefte) Bezug genommen.

Gründe

Soweit die Klägerin die Berufung in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich des Zeitraumes vom 9. November 1990 bis zum 31. Dezember 1992 zurückgenommen hat (§ 126 Abs. 1 VwGO), wird das Berufungsverfahren gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 iVm § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingestellt.

Die Berufung im übrigen bleibt ohne Erfolg, weil die Klage in dem jetzt noch verfolgten Umfang nicht begründet ist. Die Klägerin bzw. ihr Sohn W. haben für die zuletzt noch beantragten Zeiträume vom 1. September 1989 bis zum 8. November 1990 sowie vom 1. Januar 1993 bis zum 31. Mai 1995 keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz und werden daher durch die ablehnenden Bescheide des Beklagten nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der Senat geht zunächst davon aus, daß die Klägerin befugt ist, den Anspruch - unabhängig davon, ob er unmittelbar auf § 1 Abs. 1 UVG oder ergänzend auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zu stützen wäre - im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen. Dem steht nicht entgegen, daß nach § 1 Abs. 1 UVG der Anspruch auf Leistungen nach diesem Gesetz dem Kind zusteht und für einen etwaigen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nichts anderes gelten dürfte, weil es sich insoweit um einen Sekundäranspruch wegen der Verletzung einer behördlichen Nebenpflicht handelte, der im Grundsatz denselben Regeln wie der Primäranspruch unterläge. Das eigenständige Klagerecht der allein sorgeberechtigten Klägerin kann aber aus § 9 Abs. 1 UVG abgeleitet werden.

Vgl. VG Karlsruhe, Entscheidungen vom 11. Dezember 1986 - 6 K 183/86 - und - 6 K 47/86 - sowie vom 15. Januar 1987 - 6 K 197/86 -, Juris; Scholz, Unterhaltsvorschußgesetz, Kommentar, 3. Auflage (1997), § 9 Rn. 3.

Diese Vorschrift gibt dem (sorgeberechtigten) Elternteil ein eigenständiges Antragsrecht. Wenngleich die Einräumung eines Antragsrechts im Verwaltungsverfahren nicht notwendigerweise bedeuten muß, daß damit stets auch eine eigenständige Prozeßführungsbefugnis verbunden ist, stellt ein solches Antragsrecht doch jedenfalls ein gewichtiges Indiz für eine auch materiellrechtlich geschützte Rechtsposition iSv § 42 Abs. 2 VwGO dar.

Vgl. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung (Kommentar), 11. Auflage (1998), § 42 Rn. 72.

Vorliegend spricht darüber hinaus für eine Klagebefugnis (auch) des alleinerziehenden Elternteils, daß auch dessen wirtschaftliche Interessen von der Bewilligung von Unterhaltsvorschußleistungen berührt werden und daß im Einzelfall auch das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) als taugliche Grundlage eines elterlichen Klagerechts in Angelegenheiten ihrer Kinder in Betracht kommt.

Vgl. zum Letztgenannten Sodan/Ziekow, Nomos-Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, Loseblatt (Stand: Juli 1998), § 42 Rn. 412.

Die Grundvoraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschuß nach § 1 des Unterhaltsvorschußgesetzes (UVG) waren in dem jetzt noch streitgegenständlichen Zeitraum unstreitig erfüllt, da der Sohn der Klägerin bis zum 8. November 1990 das sechste (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Unterhaltsvorschußgesetzes in der seinerseits noch geltenden Fassung vom 23. Juli 1979, BGBl. I S. 1184) bzw. bis zum 31. Mai 1995 das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hatte (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 des Unterhaltsvorschußgesetzes in der Fassung vom 19. Januar 1994, BGBl. I S. 165), bei seiner alleinerziehenden Mutter lebte (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG), von seinem noch lebenden leiblichen Vater keinen Unterhalt erhielt (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 UVG) und keiner der in § 1 Abs. 2a, 3 oder 4 UVG genannten Ausschlußgründe vorlag. Es fehlte jedoch an dem in § 4 UVG aufgestellten Antragserfordernis. Nach § 4, 1. Halbs. UVG wird die Unterhaltsleistung rückwirkend längstens für die letzten drei Monate vor dem Monat gezahlt, in dem der Antrag hierauf bei der zuständigen Stelle oder bei einer der in § 16 Abs. 2 Satz 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch bezeichneten Stellen eingegangen ist. Danach kam wegen der erst am 16. November 1995 erfolgten Antragstellung beim Beklagten nach § 4 UVG eine Leistungsgewährung frühestens vom 1. August 1995 an in Betracht; dem hat der Beklagte Rechnung getragen.

Der gesetzliche Ausschluß von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz für Zeiträume vor dem 1. August 1995 kann im Falle des Sohnes der Klägerin auch weder durch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. § 27 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - SGB X -) noch durch die Heranziehung des vom Bundessozialgericht entwickelten und in jüngerer Zeit jedenfalls prinzipiell auch für Gewährleistungen aus dem Bereich des (allgemeinen) Verwaltungsrechts wie etwa Wohngeldansprüche anerkannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs abgewendet werden; letzterer hat zum Inhalt, daß derjenige Bürger, der infolge einer Verletzung behördlicher Nebenpflichten Antrags- oder Erklärungsfristen versäumt hat, im Wege der Naturalrestitution so gestellt wird, als habe er die versäumte Verfahrenshandlung doch rechtzeitig und ordnungsgemäß vorgenommen.

Vgl. zum Ganzen etwa BSG, Urteil vom 15. Dezember 1994 - 4 RA 64/93 -, MDR 1995, 394, und BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 - 8 C 38.95 - FEVS 48, 49 (53) = NJW 1997, 2966, sowie Pietzner/M. , VerwArch 85 (1994), 603.

Vorliegend fehlt es sowohl an den tatsächlichen als auch an den rechtlichen Voraussetzungen für die Heranziehung eines der genannten Rechtsinstitute.

In tatsächlicher Hinsicht würde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 Abs. 1 SGB X voraussetzen, daß der Sohn der Klägerin bzw. die Klägerin als dessen gesetzliche Vertreterin ohne Verschulden an einer früheren Beantragung von Unterhaltsvorschußleistungen gehindert waren; die Zuerkennung eines Herstellungsanspruches gegen den Beklagten käme nur dann in Frage, wenn ein dem Beklagten zuzurechnendes rechtswidriges Verwaltungshandeln (wesentlich) zum Unterbleiben eines solchen Antrages zu einem früheren Zeitpunkt geführt hätte. Beides ist nicht ersichtlich.

Die insoweit die materielle Beweislast tragende Klägerin hat den Senat nicht davon überzeugen können, daß sie von der allein in Betracht kommenden Bediensteten der Beklagten, Frau Kreissozialamtsfrau M. , unzureichend über den gesetzlichen Anspruch auf Unterhaltsvorschuß hingewiesen worden ist und entsprechend ein eigenes Verschulden als Ursache der Antragsversäumung ausscheidet. Da Frau M. , die schon im August 1996 schriftlich Stellung genommen hat und in der mündlichen Verhandlung nochmals vom Senat befragt worden ist, an die im Herbst 1989 und nochmals im Jahre 1992 geführten Gespräche mit der Klägerin - nachvollziehbarerweise - keine genaue Erinnerung mehr hat und lediglich angeben konnte, daß in Fällen wie dem der Klägerin üblicherweise Hinweise auf das Unterhaltsvorschußgesetz erteilt würden, und da auch sonstige Erkenntnismöglichkeiten nicht eröffnet sind, kommt es ganz wesentlich auf die Einlassungen der Klägerin selbst an. Diese Einlassungen sind indessen nicht so konkret und folgerichtig, als daß allein auf sie die Annahme eines Beratungsfehlers des Beklagten bzw. einer - aus Sicht der Klägerin - unverschuldeten Antragsversäumung gestützt werden könnte. So hat die Klägerin im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung lediglich in relativ pauschaler Weise behauptet, die Möglichkeit der Beantragung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz sei ihr von der im Bereich der Jugendhilfe zuständigen Bediensteten des Klägers nicht bzw. nicht in einer ihr als Übersiedlerin verständlichen Weise vor Augen geführt worden. Es ist aber - auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - stets offen geblieben, ob ein Hinweis auf das Unterhaltsvorschußgesetz definitiv unterblieben ist oder ob der Klägerin wegen sprachlicher Probleme das von Frau M. Gesagte teilweise unverständlich geblieben ist; auch fehlt jeder konkrete Hinweis darauf, wie sich die behaupteten Sprachschwierigkeiten der Klägerin auf die Verständigung mit der Bediensteten des Jugendamtes ausgewirkt haben. Außerdem spricht der recht ausführliche und auf den Angaben der Klägerin in dem vorangegangenen Gespräch mit Frau M. beruhende Bericht an das Familiengericht vom 11. Oktober 1989 dagegen, daß die Sprachschwierigkeiten der Klägerin damals noch ein wesentliches Gewicht hatten, zumal die Klägerin zu jener Zeit bereits den zehnmonatigen Deutschkurs in einem Sprachzentrum absolviert hatte. Vor allem aber ist von Bedeutung, daß die Klägerin früher in dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren, und zwar im anwaltlichen Schreiben vom 14. Dezember 1995, eine Darstellung von dem Gespräch mit Frau M. gegeben hat, die deutlich von ihrem späteren Vorbringen abweicht. In dem genannten Schreiben hat die Klägerin nämlich gerade nicht ausgeschlossen, daß in einer für sie verständlichen Weise über die Möglichkeit eines Antrags auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz gesprochen worden ist, sondern sie hat es ausdrücklich für möglich gehalten, daß sie mit Frau M. darüber diskutiert hat und man mit Rücksicht auf ihre persönliche Situation zu dem Entschluß gelangt sei, lieber keinen Antrag zu stellen. Diese Einlassung steht in einem schwer auflösbaren Widerspruch zu der späteren Behauptung der Klägerin, erst kurz vor der Antragstellung im Jahre 1995 von einer Arbeitskollegin von der Hilfemöglichkeit nach dem Unterhaltsvorschußgesetz erfahren zu haben, zumal die "persönliche Situation", die aus der damaligen Sicht der Klägerin einer Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen entgegenstehen konnte, nämlich die nach Lage der Dinge nicht ganz unrealistische Angst vor einer Entführung W. durch seinen beim Geheimdienst KGB tätigen Vater, ausweislich des Jugendamtsberichts vom 11. Oktober 1989 jedenfalls insoweit Thema der Unterredung zwischen der Klägerin und Frau M. war, als es die wiederholten telefonischen Bemühungen des in der UdSSR verbliebenen Ehemannes um eine Rückkehr der Klägerin und des Kindes betraf. Wenn indessen die Beantragung von Unterhaltsvorschuß mit der Folge des Übergangs des Unterhaltsanspruchs auf das Land (§ 7 UVG) und die daraus möglicherweise erwachsenden persönlichen Probleme für die Klägerin Gegenstand des Gespräches auf dem Jugendamt gewesen sein sollten, wäre für die Annahme eines dem Beklagten zuzurechnenden Beratungsfehlers kein Raum; denn nur die Klägerin, nicht aber die Bedienstete des Beklagten war zu einer sachgerechten Einschätzung des mit einer Antragstellung nach dem Unterhaltsvorschußgesetz verbundenen persönlichen Risikos imstande.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches wären selbst dann zu verneinen, wenn zugunsten der Klägerin doch von einem pflichtwidrigen Unterlassen einer notwendigen Beratung bzw. einem - aus Sicht der Klägerin - schuldlosen Versäumen der Antragstellung ausgegangen werden könnte, weil auch Überwiegendes gegen die Kausalität eines - unterstellten - Beratungsfehlers für das Unterlassen des Antrags auf Unterhaltsvorschußleistungen spricht. Soweit es um den ersten der noch streitbefangenen Leistungszeiträume geht, also um die Zeit vom 1. September 1989 bis zum 8. November 1990, kann aufgrund der von der Klägerin selbst ins Spiel gebrachten Befürchtungen hinsichtlich ihres bisherigen Ehepartners nicht mit der erforderlichen Gewißheit angenommen werden, daß ihre Unkenntnis der wesentliche Grund für das Absehen von einem Leistungsantrag war. Denn die Klägerin befürchtete nach der mit dem Verbleiben in der Bundesrepublik Deutschland verbundenen faktischen Aufkündigung der ehelichen Gemeinschaft mit ihrem damaligen Ehemann offenkundig, daß dieser es nicht bei telefonischen Aufforderungen zur Rückkehr belassen werde, sondern daß er, möglicherweise unter Ausnutzung der ihm zu Gebote stehenden geheimdienstlichen Operationsmöglichkeiten, zumindest den gemeinsamen Sohn W. in seine Gewalt bringen wollte. Eine Beantragung von Unterhaltsvorschußleistungen hätte wegen der regelmäßig nachfolgenden Geltendmachung des gemäß § 7 Abs. 1 UVG auf das Land übergegangenen Unterhaltsanspruches gegen den Kindesvater die von der Klägerin gesehene und auch nicht offensichtlich von der Hand zu weisende Gefahr weiter erhöht, weil sie den ohnehin mit der eingetretenen Situation nicht einverstandenen damaligen Ehemann noch zusätzlich gegen sie aufgebracht hätte. Aber auch unabhängig von Befürchtungen über eine Rache- oder Verzweiflungstat des Vaters von W. dürfte der Klägerin daran gelegen gewesen sein, ihren früheren Ehemann nicht noch weitergehend zu verärgern, weil ihr deutlich gewesen sein dürfte, daß sie die beabsichtigte Ehescheidung sowie die Erlangung des Sorgerechts für das Kind am einfachsten und schnellsten im Einvernehmen mit ihrem Mann erreichen konnte; diesem Anliegen hätte es geschadet, wenn sie ihn - indirekt - auch noch mit Unterhaltsforderungen überzogen hätte.

Soweit es den zweiten von der Klage erfaßten Leistungszeitraum vom 1. Januar 1993 bis zum 31. Mai 1995 anbelangt, spricht überdies gegen die Kausalität einer - gedachten - Verletzung von Beratungspflichten, daß die Klägerin Kenntnis von der am 1. Januar 1993 in Kraft getretenen Änderung des Unterhaltsvorschußgesetzes erlangt haben müßte, was aber nicht ohne weiteres angenommen werden kann, sondern eher unwahrscheinlich ist. Denn nach der Rechtslage, wie sie zur Zeit der Unterredung zwischen der Klägerin und Frau M. vom Jugendamt des Beklagten bestand, hätte ein Anspruch des Sohnes W. nur bis zur Vollendung seines sechsten Lebensjahres, also bis zum 8. November 1990, bestanden. Das folgt aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Unterhaltsvorschußgesetzes in der seinerseits noch geltenden Fassung vom 23. Juli 1979 (BGBl. I S. 1184); danach hatte nur Anspruch auf Leistungen nach diesem Gesetz, wer - unter anderem - das sechste Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Erst durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvorschußgesetzes und der Unterhaltssicherungsverordnung vom 20. Dezember 1991 (BGBl. I S. 2322) ist § 1 Abs. 1 Nr. 1 Gesetz mit Wirkung vom 1. Januar 1993 (Art. 4 Abs. 2 des Gesetzes) dahingehend geändert worden, daß nunmehr Leistungen bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres zu gewähren sind. Das bedeutete, daß die Klägerin spätestens zu Anfang des Jahres 1993 einen (erneuten) Antrag auf Unterhaltsvorschuß hätte stellen müssen, um für W. (erneut) Leistungen zu erhalten. Da sie dies nicht getan hat, ihr also offenkundig die Gesetzesänderung vom 20. Dezember 1991 bzw. die Änderung der Bewilligungspraxis vom 1. Januar 1993 an entgangen ist, spricht nach Auffassung des Senats auch Überwiegendes dagegen, daß der Klägerin die Rechtsänderung aufgefallen wäre, wenn ihr Kind bereits zuvor Unterhaltsvorschußleistungen bis zum seinerzeit geltenden Höchstalter erhalten hätte.

Im übrigen, das heißt unabhängig von den vorstehenden, an den tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalles orientierten Gesichtspunkten, sind der sozialrechtliche Herstellungsanspruch sowie die Regeln der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Unterhaltsvorschußrecht nicht anwendbar. Der Senat folgt der Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach die Begrenzung der Leistungsgewährung für Zeiträume vor der Antragstellung, wie sie in § 4 UVG angeordnet ist, einem (weitergehenden) Herstellungsanspruch entgegensteht, weil ansonsten ein gesetzwidriges Ergebnis erzielt würde, und daß aus diesem Grunde in § 4 UVG auch eine der Wiedereinsetzung unzugängliche Ausschlußregelung iSv § 27 Abs. 5 SGB X zu sehen ist; der Senat verweist auf die zutreffenden diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Urteil und sieht zur Vermeidung von bloßen Wiederholungen von einer eigenen vollständigen Begründung ab (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend ist lediglich darauf zu verweisen, daß die Ermöglichung einer über den in § 4 UVG genannten Zeitrahmen hinausgehenden Rückwirkung von Leistungen, wie sie mit der Einräumung eines Herstellungsanspruchs bzw. mit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbunden wäre, im Hinblick auf die Ausgestaltung der begehrten Leistungen als Vorschußgewährung unvereinbar wäre. Denn ein Vorschuß zielt auf die Bewältigung einer gegenwärtigen finanziellen Bedarfslage ab, während ein Vorschuß für die Vergangenheit einen Widerspruch in sich beinhaltet. Soweit § 4 UVG eine begrenzte Rückwirkung (dennoch) ermöglicht, wird offenkundig dem Umstand Rechnung getragen, daß - etwa unmittelbar nach der Geburt eines nichtehelichen Kindes oder nach einer Trennung - nicht sofort Leistungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz beantragt werden, so daß im Zeitpunkt der Antragstellung oftmals ein finanzieller Nachholbedarf besteht, der gleichfalls berücksichtigt werden soll; indem aber § 4 UVG gleichwohl eine zeitliche Grenze für die Anerkennung eines solchen nachwirkenden Bedarfs bestimmt, wird der Vorschußcharakter des Unterhaltsvorschusses letztlich nur noch einmal betont. Außerdem spricht auch die enge Verknüpfung zwischen der Leistungsgewährung und dem durch § 7 UVG ermöglichten ausgleichenden Rückgriff des vorschießenden Landes auf den "eigentlichen" Unterhaltsschuldner für eine strikte und damit auch einem Herstellungsanspruch bzw. einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehende Begrenzung von Leistungsansprüchen für die Vergangenheit. Diese Verknüpfung würde im Falle einer unbegrenzten Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit mißachtet, weil nach § 7 Abs. 2 UVG eine Inanspruchnahme des anderen Elternteils für die Vergangenheit nur möglich ist, wenn diesem die Unterhalts(vorschuß-) leistung unverzüglich mitgeteilt worden ist; damit scheidet ein Rückgriff des Landes für Zeiten vor der Mitteilung an den anderen Elternteil von vornherein aus. Eine über den gesetzlichen Rahmen des § 4 UVG hinausreichende Rückwirkung würde daher die im Unterhaltsvorschußgesetz angelegte Lasten- und Risikoverteilung nachhaltig zu Lasten des öffentlichen Leistungsträgers verändern und damit zugleich den Regelungszweck einer gegenüber dem zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch subsidiären Sozialleistung

- vgl. dazu Scholz, Unterhaltsvorschußgesetz, Kommentar, 3. Auflage (1997), Einführung, Rn. 2, unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien (Bundestags- Drucksache 8/2774, S. 11) -

unzulässig modifizieren. Denn der Zweck des Unterhaltsvorschußgesetzes ist ersichtlich (lediglich) darauf gerichtet, dem alleinerziehenden Elternteil die aktuelle Last der Durchsetzung von Ansprüchen auf Kindesunterhalt sowie das Risiko der Erfolglosigkeit einer solchen Anspruchsdurchsetzung gegen den anderen Elternteil abzunehmen, nicht aber darauf, den alleinerziehenden Elternteil bzw. das Kind umfassend für entgangenen Unterhalt zu entschädigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 2 und 188 Satz 2 VwGO, der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO iVm den §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.