OLG Hamm, Beschluss vom 24.08.1999 - 15 W 218/99
Fundstelle
openJur 2011, 78974
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 9 T 334/99
Tenor

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Auf die erste Beschwerde der Beteiligten wird die Beanstandung zu Ziffer 1 der Zwischenverfügung des Grundbuchamtes vom 10. November 1998 ebenfalls aufgehoben.

Der Gegenstandswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 3.000,00 DM festgesetzt.

Gründe

I.

Als Eigentümer des vorgenannten Grundstücks waren ursprünglich eingetragen der Bergmann H und seine Ehefrau E geborene L als Miteigentümer je zur Hälfte. Das Grundstück ist in Abteilung II Nr. 1 mit einem Erbbaurecht belastet, das im Grundbuch von B Bl. xxxx gebucht und als dessen Berechtigte zu je 1/2 Anteil ebenfalls die Eheleute H eingetragen waren. Aus der Ehe hervorgegangen sind die beiden Verfahrensbeteiligten sowie zwei Geschwister, die beide im Kindesalter verstorben sind.

Die Eheleute H errichteten am 24. Juli 1960 ein notarielles Testament (UR-Nr. 502/1960 Notar Dr. X in L), das folgenden Wortlaut hat:

"1.

Wir setzen uns gegen- und wechselseitig zu alleinigen Erben ein; das gilt besonders für unsere gemeinsame Siedlerstelle. Danach fällt der beiderseitige Nachlaß unseren gemeinsamen Kindern zu.

2.

Sollte der Überlebende von uns wieder heiraten, so sind unsere gemeinsamen Abkömmlinge (nach Stämmen) zu Nacherben des Verstorbenen berufen. Der Überlebende kann jedoch bestimmen, welchem der Erben bzw. Nacherben die Siedlerstelle allein unter Lebenden oder von Todes wegen übertragen werden soll."

Die Ehefrau ist im Jahre 1974 verstorben. Das Grundbuchamt hat daraufhin am 27. Mai 1974 Herrn H im Wege der Berichtigung als Alleineigentümer des Grundstücks sowie in Abteilung II Nr. 3 des Grundbuchs einen Nacherbenvermerk folgenden Inhalts eingetragen:

"Vorerbe wird im Fall seiner Wiederverheiratung der Bergmann H in B, soweit er Eigentümer nach der Erblasserin E geborene L geworden ist. Nacherben werden dann die gemeinsamen Abkömmlinge (nach Stämmen) des Bergmanns H und der Erblasserin E geborene L."

Herr H hat mit notariellem Vertrag vom 5. Juni 1998 (UR-Nr. 125/1998 Notar E in M) das Grundstück sowie das Erbbaurecht an den Beteiligten zu 1) übertragen. In der notariellen Urkunde heißt es, die Übertragung erfolge im Wege vorweggenommener Erbfolge. Ferner wird Bezug genommen auf die Regelung in dem notariellen Testament vom 24. Juli 1960, durch die dem überlebenden Ehegatten das Recht eingeräumt ist zu bestimmen, welchem der Erben bzw. Nacherben die Siedlerstelle allein unter Lebenden oder von Todes wegen übertragen werden solle. Die Übertragung an den Beteiligten zu 1) erfolge aufgrund dieser Regelung in dem Testament. Gleichzeitig haben die Vertragsschließenden die Löschung des Nacherbenvermerks Abteilung II Nr. 3 des Grundbuchs als gegenstandslos beantragt. Aufgrund der in dieser Urkunde weiter erklärten Auflassung hat das Grundbuchamt am 30. September 1998 den Beteiligten zu 1) als Eigentümer des Grundstücks eingetragen. Der Nacherbenvermerk ist im Grundbuch bestehen geblieben, nachdem der Urkundsnotar am 18. September 1998 erklärt hat, dieser Vermerk solle zunächst übernommen werden.

In einem weiteren Vertrag vom 2. November 1998 haben die im vorliegenden Verfahren Beteiligten einen Vertrag geschlossen, durch den sie sich auf eine Abfindungszahlung geeinigt haben, die die Beteiligte zu 2) von dem Beteiligten zu 1) erhält. Beide Beteiligten haben in § 2 dieses Vertrages die Löschung des Nacherbenvermerks bewilligt und beantragt.

Den von dem Urkundsnotar gem. § 15 GBO gestellten Antrag auf Löschung des Nacherbenvermerks hat die Rechtspflegerin des Grundbuchamtes mit Zwischenverfügung vom 10. November 1998 dahin beanstandet (Ziffer 1), es fehle die Bewilligung der Löschung des Nacherbenvermerks durch einen gemäß § 1913 BGB für die unbekannten Nacherben bestellten Pflegers nebst vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung. Zur Behebung des Hindernisses hat das Grundbuchamt eine Frist von 6 Wochen gesetzt.

Gegen diese Zwischenverfügung haben die Beteiligten mit Schriftsatz des Urkundsnotars vom 16. März 1999 Beschwerde eingelegt, die sie im wesentlichen dahin begründet haben, aufgrund des Todes ihrer Geschwister im Kindesalter seien sie die alleinigen Nacherben. Ihre künftigen Abkömmlinge könnten deshalb allenfalls als Ersatznacherben berufen sein. Deren Bewilligung bedürfe es jedoch zur Löschung des Nacherbenvermerks nicht.

Die Rechtspflegerin des Grundbuchamtes hat der Beschwerde mit Verfügung vom 19. März 1999 nicht abgeholfen. Durch Beschluß vom 22. April 1999 hat das Landgericht die Beschwerde zurückgewiesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten, die sie mit Schriftsatz des Urkundsnotars vom 10. Juni 1999 bei dem Landgericht eingelegt haben.

II.

Die weitere Beschwerde ist nach § 78 GBO statthaft sowie gemäß § 80 Abs. 1 S. 3 GBO formgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten folgt bereits daraus, daß ihre erste Beschwerde ohne Erfolg geblieben ist.

In der Sache ist das Rechtsmittel begründet, weil die Entscheidung des Landgerichts auf einer Verletzung des Gesetzes beruht (§ 78 S. 1 GBO). Die weitere Beschwerde führt zur Aufhebung der Entscheidungen beider Vorinstanzen.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Landgericht zutreffend von einer nach § 71 Abs. 1 GBO zulässigen Erstbeschwerde der Beteiligten gegen die Zwischenverfügung des Grundbuchamtes ausgegangen. Ihre Beschwerdebefugnis folgt aus ihrem Antragsrecht aus § 13 Abs. 1 S. 2 GBO, das auch der Beteiligten zu 2), deren Recht von der beantragten Eintragung betroffen wird, zusteht.

In der Sache hält die Entscheidung des Landgerichts im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Ein Nacherbenvermerk (§ 51 GBO) kann nur gelöscht werden entweder auf Bewilligung des Nacherben (§ 19 GBO) oder auf der Grundlage des Nachweises der Unrichtigkeit der Eintragung (vgl. etwa Kuntze/Ertl/Herrmann/Eickmann, Grundbuchrecht, 5. Aufl., § 51 Rdnr. 28; Bauer/von Oefele/Schaub, GBO, § 51 Rdnr. 115).

Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, die Bewilligung der Beteiligten reiche zur Löschung des Nacherbenvermerks nicht aus. Rechtlich unbedenklich hat die Kammer die Bestimmung in Ziffer 2 des Testamentes vom 24. Juli 1960 dahin ausgelegt, der überlebende Ehegatte sei auflösend bedingt als Vollerbe und zugleich aufschiebend bedingt als Vorerbe für den Fall der Wiederverheiratung eingesetzt (BGH NJW 1988, 58, 59). Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist ferner die Auslegung des Landgerichts, die testierenden Ehegatten hätten nicht etwa ihre Kinder abschließend zu (bedingten) Nacherben berufen, sondern im Sinne einer konstruktiven Nacherbfolge (§ 2104 S. 1 BGB) diejenigen Personen zu Nacherben eingesetzt, die zum Zeitpunkt des Eintritts des Nacherbfalles als ihre Abkömmlinge nach Stämmen (also entsprechend der gesetzlichen Erbfolge) berufen wären. Bei dieser Auslegung ergibt sich die vom Landgericht zutreffend gezogene rechtliche Schlußfolgerung, daß die Nacherben derzeit unbekannt sind und die Löschungsbewilligung nur von einem gem. § 1913 BGB bestellten Pfleger mit vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung abgegeben werden kann. Ob auch eine andere Auslegung des Testaments dahin möglich ist, daß die Ehegatten konkret ihre Kinder zu (bedingten) Nacherben eingesetzt haben und die Vererblichkeit der Nacherbenanwartschaft (§ 2108 Abs. 2 S. 1 BGB) durch Berufung der weiteren Abkömmlinge als Ersatznacherben (§ 2096 BGB) haben ausschließen wollen, kann letztlich offenbleiben. Dadurch wird der Bestand der Entscheidung des Landgerichts unter diesem Gesichtspunkt nicht in Frage gestellt, weil die tatrichterliche Auslegung durch das Rechtsbeschwerdegericht nur beschränkt nachgeprüft werden kann (Bauer/von Oefele/Budde, a.a.O., § 78 Rdnr. 25).

Das Landgericht hat jedoch nicht geprüft, ob die Unrichtigkeit der Eintragung des Nacherbenvermerks nachgewiesen ist. Dies ist nach Auffassung des Senats hier der Fall, weil die Ehegatten in ihrem Testament die Nacherbeneinsetzung für den Wiederverheiratungsfall zusätzlich mit einer auflösenden Bedingung verbunden haben und diese Bedingung durch die rechtsgeschäftliche Übertragung des Grundstücks und des Erbbaurechts durch den überlebenden Ehegatten auf den Beteiligten zu 1) mit der Folge eingetreten ist, daß ersterer nunmehr unbeschränkter Vollerbe geworden ist. Dies beruht im einzelnen auf folgende Erwägungen:

Die Ehegatten haben in Ziffer 2 des Testaments im Anschluß an die Nacherbeneinsetzung für den Wiederverheiratungsfall die ergänzende Regelung getroffen, der Überlebende von ihnen könne bestimmen, welchem der Erben bzw. Nacherben die Siedlerstelle allein unter Lebenden oder von Todes wegen übertragen werden solle. In der Rechtsprechung ist seit langem anerkannt, daß der Erblasser einen Nacherben wirksam unter der Bedingung einsetzen kann, daß der Vorerbe nicht anderweitig von Todes wegen über den Nachlaß verfügt. Eine solche als auflösende Bedingung der Nacherbeneinsetzung einzuordnende Ermächtigung an den Vorerben kann auch sachlich dahin eingeschränkt werden, über den Nachlaß anderweitig nur in bestimmtem Rahmen (insbesondere nur zugunsten bestimmter Personen) zu verfügen, wie es hier geschehen ist. Regelungen dieser Art sind in Ehegattentestamenten verbreitet anzutreffen. Ihrer Wirksamkeit steht nach der Rechtsprechung insbesondere die Vorschrift des § 2065 Abs. 2 BGB nicht entgegen. Denn der Vorerbe verfügt über seinen eigenen Nachlaß, indem er die auflösende Bedingung herbeiführt und damit zum unbeschränkten Vollerben wird (RGZ 95, 278; BGHZ 2, 35 = NJW 1951, 959; 59, 220, 222 = NJW 1972, 1987; LM Nr. 6 zu § 2065 BGB; BayObLGZ 1965, 457, 463; 1982, 331, 341; ebenso Staudinger/Otte, BGB, 13. Bearbeitung, § 2065 Rdnr. 19; Soergel/Loritz, BGB, 12. Aufl., § 2065 Rdnr. 18; Palandt/Edenhofer, BGB, 58. Aufl., § 2065 Rdnr. 8; a. A. MK/BGB-Leipold, 3. Aufl., § 2065 Rdnr. 10 mit weiteren Nachweisen zur Gegenauffassung). Der Senat hat sich dieser Rechtsprechung bereits wiederholt angeschlossen (OLGZ 1973, 103, 104; Rpfleger 1976, 132, 134). Er sieht ebenso wie das BayObLG in der Bemerkung der zu § 2314 BGB entgangenen Entscheidung des BGH (NJW 1981, 2051, 2052), es bleibe offen, ob an der genannten Auffassung festzuhalten sei, keinen Anlaß, von dieser gefestigten Rechtsprechung abzurücken.

Eine anderweitige letztwillige Verfügung des Vorerben kann allerdings den Bestand des Nacherbenvermerks nicht berühren, weil erst mit dem Tod des Vorerben feststeht, ob die Bedingung eingetreten ist oder nicht (vgl. OLG Braunschweig Rpfleger 1991, 204; LG Dortmund Rpfleger 1969, 17). Darum geht es indessen hier nicht. Fraglich ist vielmehr, ob der Erblasser den Bedingungseintritt auch so gestalten kann, daß er durch den Vorerben bereits durch Rechtsgeschäft unter Lebenden herbeigeführt werden kann. Der Senat hat diese Frage in einem früheren Beschluß (vom 20. November 1989 - 15 W 430/89 -) als nicht entscheidungserheblich offengelassen. Die Wirksamkeit einer durch Testament so gestalteten Bedingung ist nunmehr zu bejahen.

Dabei kann im Ausgangspunkt nicht zweifelhaft sein, daß § 2075 BGB die Zulässigkeit einer in solcher Weise bedingten Nacherbeneinsetzung voraussetzt. Ein Hinderungsgrund für die Wirksamkeit einer solchen Regelung kann nicht aus § 2065 Abs. 2 BGB hergeleitet werden. Denn wenn die Rechtsprechung eine auflösende Bedingung der Nacherbeinsetzung zuläßt, deren Eintritt an eine andere letztwillige Verfügung des Vorerben über den Nachlaß anknüpft, so bestehen keine grundsätzlichen Bedenken dagegen, den Bedingungseintritt zusätzlich auch an eine Verfügung des Vorerben unter Lebenden binden zu können. Jedenfalls dann, wenn das Testament dem Vorerben ausdrücklich eine solche Ermächtigung erteilt und dieser mit seinem Rechtsgeschäft unter Lebenden zu erkennen gibt, davon Gebrauch machen zu wollen, muß der Eintritt der Bedingung als rechtlich wirksam erfolgt angesehen werden (Soergel/Loritz, a.a.O., § 2065 Rdnr. 21).

Eine Ermächtigung des überlebenden Ehegatten zu einer anderweitigen Verfügung unter Lebenden wäre allerdings unwirksam, wenn sie so gestaltet ist, daß ihm die Befugnis eingeräumt wird, über einzelne Nachlaßgegenstände zu verfügen. Denn eine Vor- und Nacherbfolge kann nur für den Nachlaß insgesamt oder für einen Bruchteil der Erbschaft angeordnet werden. Dagegen ist nach der Systematik des Gesetzes eine Sondernachfolge in einzelne Nachlaßgegenstände unzulässig (§ 2087 BGB; Palandt/Edenhofer, a.a.O., Einführung vor § 2100 BGB Rdnr. 2). Dementsprechend kann der Eintritt der auflösenden Bedingung der Nacherbeneinsetzung nicht lediglich für einzelne Nachlaßgegenstände herbeigeführt werden, sondern muß nach der Gestaltung der Ermächtigung im Testament den gesamten Nachlaß erfassen. Demzufolge hat der Senat in seinen bereits erwähnten Beschluß vom 20. November 1989 entschieden, daß die Verfügung über einen vom Erblasser nicht benannten Nachlaßgegenstand unter mehreren, die der Vor- und Nacherbfolge unterliegen, den Vorerben nicht aus dieser erbrechtlichen Bindung zu lösen vermag.

So liegen die Dinge hier jedoch nicht. Zwar bezieht sich nach dem Wortlaut des Testaments die Ermächtigung des überlebenden Ehegatten zur anderweitigen Verfügungen unter Lebenden oder von Todes wegen nur auf die Siedlerstelle. Die Auslegung des Testaments in seinem Zusammenhang ergibt jedoch, daß die Eheleute in dieser Siedlerstelle ihren wesentlichen Nachlaß gesehen haben. Dies folgt bereits aus Ziffer 1 des Testaments, in dem sie der gegenseitigen Erbeinsetzung hinzugefügt haben: "... das gilt besonders für unsere gemeinsame Siedlerstelle." Die Ermächtigung des überlebenden Ehegatten in Ziffer 2 Satz 2 des Testamentes schließt unmittelbar an die Nacherbeneinsetzung für den Fall der Wiederverheiratung an. Die Erwähnung der Siedlerstelle in diesem Zusammenhang ist ersichtlich als Synonym für den Nachlaß insgesamt, nicht jedoch als Beschränkung der Ermächtigung auf einen einzelnen Nachlaßgegenstand zu verstehen. Der überlebende Ehegatte sollte also berechtigt sein, im Rahmen einer Verfügung von Todes wegen über den Nachlaß insgesamt anderweitig durch Erbeinsetzung eines der Kinder zu verfügen. Dieselben rechtlichen Wirkungen sollten auch bei einer Verfügung des überlebenden Ehegatten unter Lebenden über die Siedlerstelle als den wesentlichen Nachlaßgegenstand eintreten. Da durch Rechtsgeschäft unter Lebenden eine Universalsukzession in den gesamten Nachlaß nicht begründet werden kann, sondern nur eine Einzelübertragung von Vermögensgegenständen möglich ist, bestehen keine Bedenken, den Eintritt der auflösenden Bedingung für die Nacherbfolge insgesamt mit einer solchen Einzelübertragung des wesentlichen Nachlaßgegenstandes unter Lebenden zu verknüpfen. Die testierenden Ehegatten wollten dem Überlebenden von ihnen ungeachtet der für den Wiederverheiratungsfall angeordneten Nacherbfolge die rechtliche Möglichkeit zur Übertragung der Siedlerstelle als des wesentlichen Nachlaßgegenstandes an einen ihrer Abkömmlinge einräumen. Diesem Ziel muß durch eine entsprechende Auslegung des Testaments Rechnung getragen werden.

Die Wertfestsetzung für das Verfahren der weiteren Beschwerde beruht auf den §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 1 KostO.