OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.02.2000 - 15 A 552/97
Fundstelle
openJur 2011, 78854
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 4 K 2742/95
Tenor

Die Berufung wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Durch Pachtvertrag vom 7./20. Dezember 1994 verpachtete die

Klägerin eine Teilfläche von etwa 50 qm des gemeindlichen

Sportplatzgrundstücks in R. -R. zu einem jährlichen

Pachtzins in Höhe von 100,00 DM auf die Dauer von 15 Jahren an

die Rechtsvorgängerin der D. T. AG zur

Errichtung einer Mobilfunkstation. § 4 Abs. 2 Satz 1 des

Vertrags lautet:

"Das Pachtverhältnis kann von der Gemeinde erstmals

mit einer Frist von zwei Jahren zum Ende der festen

Vertragsdauer gekündigt werden."

Mit Schreiben vom 20. Januar 1995 stellte die

"Bürgergemeinschaft Gegen den Sendemast (Antennenträger) in

R. - per Adresse W. O. , R. ,

F. 20" an die Klägerin das Bürgerbegehren mit der

Frage:

"Soll der Rat der Gemeinde R. beschließen,

dass die Verpachtung eines Grundstücksanteils zur

Errichtung eines Antennenträgers außerhalb einer

Zone gesucht wird, die eine Gesundheitsgefährdung

für die Bevölkerung ausschließt?"

Zur Begründung wurde auf ein unvertretbar hohes

Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung, insbesondere für Kinder

und Jugendliche, hingewiesen. Als Kostendeckungsvorschlag

wurde ausgeführt, eine im Fall der Vertragsänderung etwa zu

leistende Entschädigung an die T. sei aus allgemeinen

Deckungsmitteln aufzubringen, sofern hierfür kein

Versicherungsschutz bestehe. Unterzeichnet war das Schreiben

"für die Bürger" von den Herren W. O. , W.

F. und H. S. .

Am 20. Februar 1995 übergaben Vertreter der

"Bürgergemeinschaft" im Rathaus der Klägerin einen Band

gebundener Unterschriftslisten mit einem vorgehefteten

Begleitschreiben, ebenfalls unterzeichnet durch die Herren

W. O. , W. F. und H. S. .

Auf jeder Liste waren der Text der Frage, der Begründung und

des Kostendeckungsvorschlags sowie Rubriken für 12

Eintragungen mit Name, Vorname, Adresse, Geburtsdatum und

Unterschrift vorgedruckt.

Auf entsprechende schriftliche Anfrage des Gemeindedirektors

der Klägerin vertrat der Beklagte im Schreiben vom 22. Februar

1995 die Auffassung, der Kostendeckungsvorschlag entspreche

dem Gesetz. Die Benennung von bis zu drei

vertretungsberechtigten Personen in den eingereichten

Unterschriftslisten sei "zunächst nicht explizit nach dem

Wortlaut des § 26 in Verbindung mit § 25 GO gefordert",

gleichwohl aber "aus Rechtssicherheitsgründen opportun".

In einem Aktenvermerk vom 3. März 1995 stellte die Klägerin

fest, am 20. Februar 1995 seien in der Gemeinde R. 5444

Bürger wahlberechtigt gewesen. Die vorgelegten

Unterschriftenlisten seien von etwa 1500 Personen

unterschrieben. Für 561 von ihnen sei die Wahlberechtigung

nach Óberprüfung festgestellt worden.

In der Sitzung des Rates der Klägerin vom 9. Mai 1995 erhielt

der Beschlussvorschlag des Gemeindedirektors, das

Bürgerbegehren für unzulässig zu erklären, 13 Ja- und 13

Neinstimmen. Der Gemeindedirektor beanstandete diesen

Beschluss mit Schreiben vom selben Tag mit der Begründung, auf

den einzelnen vorgelegten Unterschriftenlisten fehle die

Vertreterbenennung. Außerdem verfolge das Bürgerbegehren ein

gesetzwidriges Ziel, nämlich den Bruch des Vertrages mit der

T. . In der Sitzung vom 16. Mai 1995 beriet der Rat

erneut über den Beschlussvorschlag, er erhielt 5 Ja- und 20

Nein-Stimmen.

Mit Verfügung vom 2. August 1995 hob der Beklagte die

Ratsbeschlüsse der Klägerin vom 9. Mai 1995 und vom 16. Mai

1995, jeweils Tagesordnungspunkte Nr. 3, unter Bezugnahme auf

§ 108 Abs. 1 Satz 2 GO NRW 1984 mit der Begründung auf, das

Bürgerbegehren verstoße gegen § 26 GO NRW, weil die

Unterschriftslisten nicht die Namen vertretungsberechtigter

Personen enthielten. Sein Entschließungsermessen übe er im

Sinn der Aufhebung aus, um dem dringenden öffentlichen

Interesse an einer gesetzeskonformen Anwendung des neuen

Rechtsinstituts des Bürgerbegehrens von Anfang an Rechnung zu

tragen.

Mit ihrer am 31. August 1995 erhobenen Klage hat die Klägerin

geltend gemacht, weder der Wortlaut noch die Systematik der

§§ 25 Abs. 4, 26 Abs. 4 Satz 4 GO NRW forderten die Angabe der

vertretungsberechtigten Personen auf den Unterschriftslisten.

Jedenfalls verstoße die angefochtene Verfügung gegen den

Grundsatz von Treu und Glauben. Der Beklagte setze sich

nämlich mit ihr in Widerspruch zu seinem Schreiben vom

22. Februar 1995, in dem er ihr mitgeteilt habe, auf die

Benennung der vertretungsberechtigten Personen auf den

Unterschriftslisten könne verzichtet werden. Dadurch habe er

einen Vertrauenstatbestand für die Auslegung einer in

Nordrhein-Westfalen völlig neuen Regelungsmaterie

geschaffen.

Die Klägerin hat beantragt,

die kommunalaufsichtliche Verfügung

des Beklagten vom 2. August 1995

aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Abgesehen von der fehlenden Vertreterbenennung in den

Unterschriftslisten sei auch die Bestimmtheit des Begehrens

äußerst fraglich, und zwar zum einen wegen der

missverständlichen Frageformulierung und zum anderen wegen

seiner unklar formulierten Zielsetzung (einseitige Kündigung

des Pachtvertrages oder Aufnahme von Verhandlungen mit der

Pächterin zur einvernehmlichen Aufhebung des Vertrages). Zudem

sei der Kostendeckungsvorschlag unzureichend.

Durch Gerichtsbescheid vom 15. November 1996 (nicht, wie es

dort irrtümlich heißt: 1995), der Klägerin zugestellt am

17. Dezember 1996, hat das Verwaltungsgericht die Klage wegen

unzureichender Vertreterbenennung abgewiesen.

Mit der am 17. Januar 1997 eingelegten Berufung vertieft die

Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie meint,

eigentlicher Kern eines Bürgerbegehrens im Sinn des § 26

Abs. 2 Satz 1 GO NRW seien der Fragetext, die Begründung und

der Kostendeckungsvorschlag. Nur diese drei Elemente müssten

nach dem Wortlaut und dem Zweck des § 26 Abs. 2 GO NRW

Gegenstand der Unterschriftslisten sein. Die

Vertreterbenennung habe nur den verfahrensrechtlichen Zweck,

die Handlungsfähigkeit des Gesamtinstituts zu gewährleisten.

Die Initiatoren des Bürgerbegehrens genössen Vertrauensschutz,

weil sie den Text der Unterschriftslisten vor deren

Unterzeichnung mit dem Beklagten abgestimmt hätten. Auf das

Erfordernis der Vertreterbenennung auf diesen Listen habe die

Kommunalaufsicht sie nicht aufmerksam gemacht.

Die Klägerin beantragt,

den angefochtenen Gerichtsbescheid

zu ändern und nach dem

erstinstanzlichen Klageantrag zu

erkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bezweifelt bereits das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage

mit dem Hinweis, der Rat der Klägerin könne dem Anliegen der

Bürger jederzeit durch eine eigene Entscheidung entsprechen.

Dass die Initiatoren F. und S. sich mit der Bitte

um Hilfe bei der Formulierung der Unterschriftslisten an die

Kommunalaufsicht gewandt hätten, sei zutreffend. Jedoch habe

der gesprächsführende Sachbearbeiter auf die Unverbindlichkeit

seiner Auskünfte hingewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes

wird auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses Verfahrens und

des Verfahrens 4 L 679/95 VG Aachen sowie die

Verwaltungsvorgänge der Klägerin (8 Hefte) und des Beklagten

(1 Heft) Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die

Klage zu Recht abgewiesen. Sie ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage ist zulässig.

Die Klägerin wird im vorliegenden Rechtsstreit durch den

Bürgermeister als ihren gesetzlichen Vertreter in Rechts- und

Verwaltungsgeschäften vertreten (§ 63 Abs. 1 Satz 1 GO NRW).

Die frühere Senatsrechtsprechung, wonach im

Aufsichtsrechtsstreit die Gemeinde durch den ehrenamtlichen

Bürgermeister vertreten wird, wenn der Gemeindedirektor den

streitigen Ratsbeschluss von sich aus beanstandet hatte,

vgl. OVG NRW, Urteil vom 5.

September 1980 - 15 A 686/78 -, OVGE

35, 73 (74 f.); Beschluss vom 7.

September 1978 - XV D 73/78 -, OVGE 33,

263 (265),

ist nach Abschaffung der Doppelspitze durch Inkrafttreten der

neuen Gemeindeverfassung gegenstandslos. Die Gemeinde wird

nicht etwa durch den ehrenamtlichen Bürgermeister in analoger

Anwendung des § 53 Abs. 2 GO NRW vertreten.

So Kirchhof, in: Held u.a.,

Kommunalverfassungsrecht NRW,

Loseblattsammlung (Stand: September

1999), § 63 Erl. 4; Erichsen,

Kommunalrecht des Landes Nordrhein-

Westfalen, 2. Aufl., S. 125.

Das Gesetz sieht in der genannten Fallkonstellation, in der

der Bürgermeister den Ratsbeschluss pflichtgemäß beanstandet

hat (§ 54 Abs. 2 Satz 1 GO NRW), keine Beschränkung des

Vertretungsrechts des Bürgermeisters nach § 63 Abs. 1 Satz 1

GO NRW vor. Es ist auch der Sache nach nicht nötig, da kein

Widerspruch darin besteht, kraft eigener Organkompetenz einen

Ratsbeschluss zu beanstanden und auf Beschluss des Rates die

Aufhebung des Ratsbeschlusses durch die Aufsichtsbehörde

gerichtlich zu bekämpfen. Der Bürgermeister ist nämlich zur

Durchführung des Beschlusses verpflichtet (§ 62 Abs. 2 Satz 2

GO NRW). Der Rat hat auch ausreichende Möglichkeiten, die

Durchführung des Beschlusses zu überwachen (§ 55 Abs. 3 GO

NRW) und das Prozessverhalten zu bestimmen (§ 41 Abs. 1 Satz

1, Abs. 3 GO NRW). § 53 Abs. 2 GO NRW, der ausnahmsweise die

Durchführung eines Ratsbeschlusses durch den stellvertretenden

Bürgermeister vorsieht, kann nichts Gegenteiliges entnommen

werden. Diese Vorschrift ist auf Fälle beschränkt, in denen

Maßnahmen gegenüber dem Bürgermeister selbst oder seine

Amtsführung Gegenstand des Ratsbeschlusses sind, sie erfasst

aber nicht Fälle unterschiedlicher Auffassungen in der Sache.

Entgegen der Auffassung des Beklagten fehlt der Klage nicht

das Rechtsschutzbedürfnis. Die Inanspruchnahme des Gerichts

erscheint nicht deshalb unnötig, weil die Klägerin einen

Ratsbeschluss mit dem Inhalt, den Pachtvertrag mit der

T. rückgängig zu machen, auch unabhängig von dem

Bürgerbegehren herbeiführen könnte. Das Rechtsschutzbedürfnis

für eine gemeindliche Anfechtungsklage gegen die

kommunalaufsichtliche Aufhebung eines Ratsbeschlusses über die

Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens nach § 26 Abs. 6 Satz 1 der

Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) in

der Fassung des Änderungsgesetzes vom vom 20. März 1996

(GV.NRW. S. 124) entfällt nicht deshalb, weil die Gemeinde dem

Bürgerbegehren durch einen Ratsbeschluss außerhalb des in § 26

GO NRW vorgesehenen Verfahrens auch selbst Rechnung tragen

könnte. Auf ein derartiges Vorgehen kann die Klägerin nicht

verwiesen werden, weil es voraussetzt, dass der Rat dem

Bürgerbegehren unabhängig von seiner Zulässigkeit jedenfalls

in der Sache folgen will. Lehnt der Rat das Bürgerbegehren

hingegen in der Sache ab oder will er die Entscheidung darüber

etwa aus Gründen besserer Akzeptanz den Bürgern selbst

überlassen, so kann der Gemeinde eine verbindliche

gerichtliche Klärung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens

nicht verwehrt werden. Von der Zulässigkeit hängt nämlich ab,

ob die Gemeinde einen Bürgerentscheid durchführen darf und

muss (§ 26 Abs. 6 Satz 3 GO NRW). Der Rat selbst hat bei

seiner Entscheidung über die Zulässigkeit nach § 26 Abs. 6

Satz 1 GO NRW weder einen Beurteilungs- noch einen

Ermessensspielraum, sondern er muss nach Maßgabe der

gesetzlichen Regelungen die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit

des Bürgerbegehrens feststellen.

So ausdrücklich der Gesetzentwurf

der Landesregierung, LT-Drucks.

11/4983, Begründung, S. 8; vgl. ferner

von Danwitz, DVBl. 1996, 134 (136).

Unabhängig davon ist das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin

angesichts der Umstände des vorliegenden Falles jedenfalls

deshalb zu bejahen, weil nicht auszuschließen ist, dass der

Gemeindedirektor (jetzt der Bürgermeister) auch einen

außerhalb des Verfahrens nach § 26 GO NRW gefassten Beschluss

beanstandet und der Beklagte ihn schließlich ebenfalls im

kommunalaufsichtlichen Verfahren aufhebt. Der Gemeindedirektor

der Klägerin hatte seine Beanstandung nämlich nicht nur auf

das Fehlen der spezifisch bürgerbegehrensbezogenen

Zulässigkeitsvoraussetzung der Vertreterbenennung nach § 26

Abs. 2 Satz 2 GO NRW gestützt, sondern auch auf einen

Gesetzesverstoß nach § 26 Abs. 5 Nr. 9 GO NRW, also auf einen

Unzulässigkeitsgrund, bei dessen Vorliegen auch ein

inhaltsgleicher Ratsbeschluss außerhalb eines Bürgerbegehrens

rechtswidrig wäre. Der Beklagte hat das Vorliegen dieses

Unzulässigkeitsgrundes in der angefochtenen

Aufhebungsverfügung ausdrücklich offen lassen können, weil

auch er seine Entscheidung maßgeblich auf das Fehlen der

Vertreterbenennung in den Unterschriftslisten gestützt hat.

Die Klage ist unbegründet. Die kommunalaufsichtliche Verfügung

des Beklagten vom 2. August 1995 ist rechtmäßig und verletzt

die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1

VwGO).

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass

für die materielle Rechtmäßigkeit der Verfügung auf § 108

Abs. 1 Satz 2 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-

Westfalen (GO NRW 1984) in der Fassung der Bekanntmachung vom

13. August 1984 (GV. NRW. S. 475) als einschlägiger

Ermächtigungsgrundlage abzustellen ist, wonach die

Aufsichtsbehörde Beschlüsse des Rates, die das geltende Recht

verletzen, nach vorheriger Beanstandung durch den

Gemeindedirektor und nochmaliger Beratung im Rat aufheben

kann.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser

Ermächtigungsgrundlage sind erfüllt. Der Gemeindedirektor der

Klägerin hat den Ratsbeschluss vom 9. Mai 1995 noch am selben

Tag beanstandet, die nochmalige Beratung im Rat hat am 16. Mai

1995 stattgefunden.

Der Ratsbeschluss vom 9. Mai 1995 verletzt auch das geltende

Recht. Er gilt als Ablehnung der beantragten

Unzulässigkeitsfeststellung, weil er mit Stimmengleichheit

gefasst wurde (§ 50 Abs. 1 Satz 2 GO NRW). Denselben Inhalt

hat der in der nochmaligen Beratung am 16. Mai 1995 (mit

Stimmenmehrheit) gefasste Beschluss. Ob in dieser

Beschlussfassung eine positive und abschließende

Zulässigkeitsfeststellung nach § 26 Abs. 6 Satz 1 GO NRW zu

sehen ist (davon sind der Gemeindedirektor und auch der Rat

selbst offenbar ausgegangen, wie sich aus dem

Beanstandungsschreiben vom 9. Mai 1995 und aus den

Beschlussvorlagen für die Ratssitzungen vom 16. Mai 1995 und

vom 24. August 1995 ergibt) und ob der Rat der Klägerin für

den Fall, dass diese Frage zu verneinen sein sollte, seine

Verpflichtung aus dieser Vorschrift zur unverzüglichen

Entscheidung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens

verletzt hat, kann dahinstehen.

Denn der Rat der Klägerin hätte jedenfalls die beantragte

Unzulässigkeitsfeststellung nicht ablehnen dürfen, weil das

Bürgerbegehren unzulässig ist. Es enthält, wie das

Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, keine wirksame

Vertreterbenennung. Der Ratsbeschluss vom 9. Mai 1995 ist mit

§§ 26 Abs. 4 Satz 4, 25 Abs. 4 Satz 1 GO NRW unvereinbar.

Diese Vorschriften sind so auszulegen, dass jede Liste mit

Unterzeichnungen den vollen Wortlaut derjenigen Bestandteile

eines Bürgerbegehrens enthalten muss, die zu dessen

notwendigem Inhalt gehören. Das sind die in § 26 Abs. 2 GO NRW

bezeichneten Bestandteile, also die Entscheidungsfrage, die

Begründung, der Kostendeckungsvorschlag (Satz 1) sowie die von

Satz 2 geforderte Benennung von bis zu drei Personen, die

berechtigt sind, die Unterzeichnenden zu vertreten.

Ebenso Rehn/Cronauge/von Lennep,

Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-

Westfalen, Stand: Januar 1999, § 26,

Anm. V. 2.; Wansleben, in:

Held/Becker/Decker/Kirchhof/Krämer/Wans

leben, Kommunalverfassungsrecht

Nordrhein-Westfalen, Stand: September

1999, § 26 GO, Anm. 4; vgl. auch VG

Köln, Urteil vom 31. Mai 1999 - 4 K

7677/96 -, S. 9 des Urteilsabdrucks.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der notwendige Inhalt

eines Bürgerbegehrens, der auf jeder Unterschriftenliste

enthalten sein muss, nicht ausschließlich in § 26 Abs. 2

Satz 1 GO NRW definiert und damit auf das Begehren, die

Begründung und den Kostendeckungsvorschlag beschränkt, sondern

vielmehr zählt hierzu auch die in § 26 Abs. 2 Satz 2 GO NRW

geforderte Vertreterbenennung. Das ergibt sich aus dem

Wortlaut, der Systematik der §§ 25 und 26 GO NRW sowie aus dem

Sinn und Zweck des Vertretungserfordernisses, der zum Teil

auch in den Materialien zur Entstehungsgeschichte des § 26 GO

NRW zum Ausdruck gebracht worden ist.

Schon der Wortlaut des § 26 Abs. 2 Satz 2 GO NRW lässt eine

gegenteilige Auslegung kaum zu. Denn wenn in dieser Vorschrift

formuliert ist, "es" müsse bis zu drei Personen benennen, die

berechtigt sind, die Unterzeichnenden zu vertreten, so ist mit

diesem Pronomen das in § 26 Abs. 2 Satz 1 GO NRW verwendete

Wort "Bürgerbegehren" ersetzt, das wiederum in § 26 Abs. 1 GO

NRW als der Antrag der Bürger legaldefiniert ist, an Stelle

des Rates über eine Angelegenheit der Gemeinde selbst zu

entscheiden.

Zur Legaldefinition vgl. bereits OVG

NRW, Urteil vom 9. Dezember 1997 - 15 A

974/97 -, NWVBl. 1998, 273

(274) = DVBl. 1998, 785 = NVwZ-RR 1999,

136 = StuGR 1998, 153.

Einen greifbaren Anhaltspunkt für die Auffassung der Klägerin,

das Pronomen "es" meine nicht das als Antrag legaldefinierte

Bürgerbegehren, sondern ein hiervon begrifflich zu

unterscheidendes Rechtsinstitut "Bürgerbegehren", enthält die

Formulierung des Gesetzes nicht. Es wäre auch wenig

einleuchtend und trüge nicht dem Gebot der Regelungsklarheit

Rechnung, wenn § 26 GO NRW zwei verschiedene Begriffe des

Bürgerbegehrens verwendete. Nimmt § 26 Abs. 2 Satz 2 GO NRW

damit auf das als Antrag zu verstehende Bürgerbegehren im Sinn

des Absatzes 1 Bezug, so folgt aus den §§ 26 Abs. 4 Satz 4, 25

Abs. 4 Satz 1 GO NRW, dass dieser Antrag auf jeder Liste mit

Unterzeichnungen im vollen Wortlaut enthalten sein muss.

Der Wortlaut des § 26 Abs. 2 Satz 2 GO NRW legt die

vorgenannte Auslegung zudem mit der Formulierung nahe, die bis

zu drei Personen müssten berechtigt sein, "die

Unterzeichnenden" zu vertreten. Damit unterscheidet sich das

nordrheinwestfälische Recht von den in anderen

Gemeindeordnungen anzutreffenden Formulierungen, nach denen

die Vertretungsberechtigung lediglich auf "das Bürgerbegehren"

bezogen wird. Während diese letztgenannte Formulierung

ausschließlich das mit dem Bürgerbegehren verfolgte sachliche

Anliegen in den Blick nimmt, lässt sich die personenbezogene

Formulierung in § 26 Abs. 2 Satz 2 GO NRW als Hinweis darauf

verstehen, dass es nicht um eine Vertretung des

Bürgerbegehrens oder der Initiatoren geht, sondern um eine

Vertretung derjenigen Bürger, die mit ihren Eintragungen in

die Unterschriftslisten ihre Unterstützung des Bürgerbegehrens

dokumentieren.

Oberverwaltungsgericht Rheinland-

Pfalz (OVG RP), Beschluss vom

1. Dezember 1994 - 7 B 12954/94 -,

NVwZ-RR 1995, 411 (413).

Dass die Vorschriftenkombination der §§ 26 Abs. 4 Satz 4, 25

Abs. 4 Satz 1 GO NRW mit dem Begriff des Bürgerbegehrens, das

im vollen Wortlaut wiederzugeben ist, nicht nur die Elemente

des § 26 Abs. 2 Satz 1 GO NRW, sondern auch die

Vertreterbenennung in Satz 2 meint, ergibt sich ferner aus der

systematischen Stellung dieser Vorschriften zueinander. Die

Verweisung des § 26 Abs. 4 Satz 4 GO NRW ("Im übrigen gilt

§ 25 Abs. 4 entsprechend.") nimmt § 25 Abs. 4 GO NRW nicht

vollständig in Bezug, sondern nur dessen Sätze 1 und 2. Eine

Inbezugnahme der Prüfungspflicht der Gemeinde in § 25 Abs. 4

Satz 3 GO NRW war entbehrlich, weil diese in § 26 Abs. 4

Satz 3 GO NRW schon ausdrücklich auch für das Bürgerbegehren

enthalten ist. § 25 Abs. 4 Satz 1 GO NRW ist in der durch § 26

Abs. 4 Satz 4 GO NRW angeordneten entsprechenden Anwendung so

zu lesen, dass jede Liste mit Unterzeichnungen den vollen

Wortlaut des Bürgerbegehrens enthalten muss. Denn bei dem

Bürgerbegehren handelt es sich, wie oben festgestellt, ebenso

um einen Antrag wie bei dem Einwohnerantrag nach § 25 GO NRW,

wenn auch mit unterschiedlichem Inhalt und unterschiedlicher

Zielrichtung.

Ebenso Rehn/Cronauge/von Lennep,

Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-

Westfalen, Stand: Januar 1999, § 26,

Anm. V. 2.; Ritgen, Bürgerbegehren und

Bürgerentscheid, 1997, S. 137, Fn. 5.

Diejenigen Elemente des Einwohnerantrags oder des

Bürgerbegehrens, die nach den §§ 26 Abs. 4 Satz 4, 25 Abs. 4

Satz 1 GO NRW im vollen Wortlaut in jede Liste mit

Unterzeichnungen aufzunehmen sind, ergeben sich aus den

jeweiligen Absätzen 2 der §§ 25 und 26 GO NRW, in denen der

notwendige Inhalt des Einwohnerantrags und des Bürgerbegehrens

festgelegt ist. Während beim Einwohnerantrag nur das Begehren,

die Begründung und die Vertreterbenennung zum notwendigen

Inhalt gehören (§ 25 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GO NRW), zählt beim

Bürgerbegehren zusätzlich zu diesen Elementen auch der

Kostendeckungsvorschlag dazu (§ 26 Abs. 2 Satz 1 GO NRW).

Bestätigt wird dieses Auslegungsergebnis schließlich durch den

Sinn und Zweck des Vertretungserfordernisses, der zum Teil

auch in den Materialien zur Entstehungsgeschichte des § 26 GO

NRW zum Ausdruck gebracht worden ist. Ebenso wie die übrigen

formellen Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Bürgerbegehrens

(Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 und 4) soll auch die Vertreterbenennung

vorrangig die ordnungsgemäße Durchführung eines

Bürgerbegehrens gewährleisten, zugleich aber auch

sicherstellen, dass das Bürgerbegehren in rechtsgültiger Form

Ausdruck des übereinstimmenden Willens der erforderlichen Zahl

von Bürgern ist, an Stelle des Rates über eine bestimmte

Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft zu entscheiden.

Vgl. Ritgen, Bürgerbegehren und

Bürgerentscheid, 1997, S. 136.

Dieser doppelte Zweck findet zumindest in seinem ersten Teil

auch in den Materialien zur Entstehungsgeschichte des § 26 GO

NRW Erwähnung mit dem Hinweis, die Gemeinde könne "nicht mit

allen Unterzeichnern des Bürgerbegehrens korrespondieren".

Gesetzentwurf der Landesregierung,

LT-Drucks. 11/4983, Begründung, S. 8.

Der Wille der erforderlichen Zahl von Bürgern, an Stelle des

Rates über eine bestimmte Angelegenheit der örtlichen

Gemeinschaft zu entscheiden, wird maßgeblich auch dadurch

mitbeeinflusst, durch welche Personen das Bürgerbegehren

vertreten werden soll. Vielfach wird ein Bürgerbegehren gerade

deshalb unterschrieben, weil es von bestimmten Personen - und

nicht von anderen - vertreten wird.

VG Köln, Urteil vom 31. Mai 1999 - 4

K 7677/96 -, S. 9 des Urteilsabdrucks;

VG Ansbach, Beschluss vom 26. März 1996

- AN 4 E 96.00499 -, BayVBl. 1996, 411.

Hängt aber der Entschluss der Bürger, ob sie ein bestimmtes

sachliches Begehren einem Bürgerentscheid zuführen wollen,

nicht nur von sachlichen Erwägungen, sondern auch von den

Persönlichkeiten ab, die sich dieses sachliche Begehren als

Vertreter des Bürgerbegehrens zu Eigen machen sollen, so

erscheint es zu deren ausreichender verfahrensrechtlicher

Legitimation geboten, dass jedem einzelnen Bürger zweifelsfrei

vor Augen geführt wird, wer diese Personen sind. Das ist

wiederum nur dann gewährleistet, wenn sie auf jeder einzelnen

Unterschriftenliste namentlich bezeichnet sind.

Diese Auslegung der §§ 26 Abs. 4 Satz 4, 25 Abs. 4 Satz 1 GO

NRW ist, wie das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die

weitreichenden Rechtswirkungen des Bürgerentscheids zutreffend

ausgeführt hat, auch nicht übermäßig streng. Sie trägt im

Óbrigen der im nordrheinwestfälischen Recht besonders stark

ausgeprägten Rechtsstellung der Vertreter von Bürgerbegehren

in besonderem Maß Rechnung. Diese Rechtsstellung geht nach der

Rechtsprechung des Senats über diejenige der

rechtsgeschäftlichen Stellvertreter oder der Vertreter im Sinn

der §§ 17 ff. VwVfG NRW hinaus; sie entspricht derjenigen der

Vertrauensmänner bei einem Volksbegehren. Nur den Vertretern

nach § 26 Abs. 2 Satz 2 GO NRW, nicht auch den Unterzeichnern

des Bürgerbegehrens, steht die Befugnis zur rechtsförmigen

Durchsetzung des Bürgerbegehrens zu, wie sich aus der

Einfügung des § 26 Abs. 6 Satz 2 GO NRW durch das

Änderungsgesetz vom 20. März 1996 (GV.NRW. S. 124) ergibt.

OVG NRW, Urteil vom 9. Dezember 1997

- 15 A 974/97 -, NWVBl. 1998,

273 = DVBl. 1998, 785 = NVwZ-RR 1999,

136 = StuGR 1998, 153; zur abweichenden

Rechtslage in den anderen Bundesländern

vgl. Schliesky, DVBl. 1998, 169

(173 f.); Seckler, BayVBl. 1997, 232

(233, 235).

Den vorstehenden Anforderungen an eine ordnungsgemäße

Vertreterbenennung genügt das hier streitige Bürgerbegehren

nicht. Die von den Herren W. O. , W. F.

und H. S. jeweils unterzeichneten

Begleitschreiben vom 20. Januar 1995 und vom 20. Februar 1995,

die dem am 20. Februar 1995 der Klägerin überreichten Band mit

Unterschriftenlisten vorgeheftet sind, vermögen die fehlende

Vertreterbenennung auf den Unterschriftenlisten nicht zu

ersetzen, da sie den Unterschriftenlisten nachträglich

hinzugeheftet sind.

Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 108 Abs. 1

Satz 2 GO NRW NRW 1984 hiernach erfüllt, stand die

Entscheidung über die Aufhebung des Ratsbeschlusses im

Ermessen des Beklagten. Dieses Ermessen hat er fehlerfrei

ausgeübt. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat der

Beklagte mit seiner Entscheidung, den Ratsbeschluss vom 9. Mai

1995 aufzuheben, weder einen von ihm gesetzten

Vertrauenstatbestand missachtet noch sich zu seinem eigenen

früheren Verhalten in Widerspruch gesetzt (venire contra

factum proprium). In seinem Schreiben vom 22. Februar 1995 hat

sich der Beklagte nämlich nicht abschließend und verbindlich

über die Ordnungsgemäßheit der vorgelegten

Unterschriftenlisten geäußert, sondern lediglich im Vorfeld

eines förmlichen kommunalaufsichtlichen Verfahrens eine

vorläufige, ausschließlich am bloßen Gesetzestext ("explizit")

orientierte Stellungnahme abgegeben. Dabei zog er ersichtlich

in Betracht, bei abschließender Subsumtion zu einem anders

lautenden Ergebnis zu kommen. Das hat er durch den Hinweis

deutlich gemacht, die Vertreterbenennung in den

Unterschriftslisten sei gleichwohl "aus

Rechtssicherheitsgründen opportun".

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die

Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf

§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen

nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.