OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31.08.2000 - 14 B 634/00
Fundstelle
openJur 2011, 78688
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 10 L 316/00
Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahren.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 4.000,-- DM festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag zu Recht abgelehnt.

I. Der Senat legt das Beschwerdebegehren der Antragstellerin dahin aus, dass sie mit dem Hauptantrag die Erteilung eines vorläufigen Zeugnisses über den erfolgreichen Besuch der Veranstaltung "Kursus und Poliklinik der Zahnerhaltungskunde I und Paradontaltherapie I" begehrt und den Antrag auf Verpflichtung des Antragsgegners zur erneuten Entscheidung über ihren Erfolg in dieser Veranstaltung nur hilfsweise stellt. Zwar hat die Antragstellerin in der Antragsschrift vom 2. März 2000 die Anträge im umgekehrten Eventualverhältnis gestellt. Das Verwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung das Begehren jedoch dahin ausgelegt, dass das Neubescheidungsbegehren sinngemäß das hilfsweise gestellte sei. Dem hat die Antragstellerin weder im Zulassungsverfahren noch im Beschwerdeverfahren widersprochen, so dass davon auszugehen ist, dass dieses Verständnis der Anträge ihrem Willen entspricht.

II. Der Senat lässt dahingestellt, ob für die mit dem Hauptantrag begehrte einstweilige Anordnung auf Erteilung eines vorläufigen Zeugnisses ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht ist. Jedenfalls fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Es ist nicht erkennbar, dass die Antragstellerin durch das Verwiesenbleiben auf das Hauptsacheverfahren wesentliche Nachteile zu besorgen hätte oder dass eine einstweilige Regelung aus sonstigen Gründen nötig erscheint (vgl. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO).

Die Veranstaltung "Kursus und Poliklinik der Zahnerhaltungskunde I und Paradontaltherapie I", für die die Antragstellerin die Erteilung eines vorläufigen Nachweises über den regelmässigen und erfolgreichen Besuch (Praktikantenschein) für das Wintersemester (WS) 1999/2000, hilfsweise eine einstweilige Verpflichtung zur Neubescheidung über die Erteilung eines solchen Scheines begehrt, ist von der Antragstellerin im WS 1999/2000 zum ersten Mal besucht worden. Ihr steht unstreitig offen, diese Ausbildungsveranstaltung im Rahmen ihres zahnärztlichen Studiums zu wiederholen. Da der erfolgreiche Besuch dieser Veranstaltung jedoch Voraussetzung für die Fortsetzung des Studiums ist, ist eine solche Wiederholung allerdings mit dem Verlust eines Semesters und einer entsprechenden Verlängerung der Ausbildung verbunden.

1. Die Notwendigkeit, sich einer Wiederholungsprüfung zu unterziehen, um das Studium fortsetzen zu können, bedeutet in der Regel keinen wesentlichen Nachteil, der es gebietet, durch die Verpflichtung zur Erteilung eines vorläufigen Zeugnisses einen Studienfortgang ohne jeden Zeitverlust zu gewährleisten. So hat das Bundesverfassungsgericht

- vgl. Beschluss vom 14. März 1989 - 1 BvR 1308/82 -, DVBl 1989, 868 = BVerfGE 80, 40 = NVwZ 1989, 854 -

entschieden, dass es einem Studenten zumutbar ist, eine Wiederholungsprüfung abzulegen, um zu gewährleisten, dass das Studium weiter durchgeführt werden kann, und dass es zur Abwehr schwerwiegender Nachteile nicht erforderlich ist, in solchen Situationen einstweiligen Rechtsschutz durch die Verpflichtung zur Erteilung eines vorläufigen Zeugnisses zu gewähren. Dem entspricht die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, die einen Anordnungsgrund für eine auf die Erteilung eines vorläufigen Zeugnisses gerichtete einstweilige Anordnung regelmäßig verneinen, wenn noch die Möglichkeit einer Wiederholungsprüfung besteht. Vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 29. September 1992 - 6 TG 1517/92 -, ESVGH 43, 45 = DVBl 1993, 57; OVG Schleswig, Beschluss vom 18. Mai 1993 - 3 M 19/93 -, SchlHA 1993, 257 = NVwZ 1994, 805 -, mwN.; VGH Mannheim, Beschluss vom 19. Dezember 1994 - 9 S 3044/94 -, JURIS, ebenfalls mwN.; siehe auch Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Band 2, 3. Auflage, 1994, Rdnr. 415 a.E.

Der Senat teilt diese Rechtsauffassung, die zu Recht darauf abhebt, dass derjenige, der sich zumutbar selber helfen kann, nicht auf einstweilige Regelungen des Gerichtes angewiesen ist. Der Umstand, dass die "Selbsthilfe" durch eine Wiederholung sowohl mit Erschwernissen in zeitlicher Hinsicht als auch mit Belastungen durch die erneute Vorbereitung auf eine Prüfung oder auf einen Kursus verbunden ist, ist zwar ein Nachteil für den Studenten, jedoch ist dieser nicht so wesentlich im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, dass zu seiner Vermeidung eine auf Erteilung eines vorläufigen Zeugnisses gerichtete und die Hauptsache weitgehend vorwegnehmende Regelungsanordnung erforderlich wäre.

Bei dieser Bewertung darf nicht außer Betracht gelassen werden, dass gerade auch die Fortsetzung des Studiums auf der Grundlage eines vorläufigen Zeugnisses, wie es hier begehrt wird, mit ganz erheblichen Nachteilen für den Studenten verbunden sein kann. Solange nämlich der Rechtsstreit über das Bestehen der Prüfung nicht in der Hauptsache entschieden ist, besteht das Risiko, dass der nur glaubhaft gemachte Anordnungsanspruch sich bei der Hauptsacheentscheidung letztlich doch als nicht gegeben herausstellt. Geschieht dies, so besteht die Gefahr, dass das ganze zwischenzeitlich absolvierte Studium obsolet ist, weil eine nur vorläufig als gegeben erachtete Voraussetzung für den erfolgreichen Studienabschluss letztlich doch nicht vorliegt. Die Wiederholung der streitigen Prüfung vermeidet diese Gefahr, ohne dass damit auf die wegen der geltend gemachten Fehlerhaftigkeit der vorhergehenden Prüfung bestehende Rechtsposition verzichtet wird, über die weiterhin im Hauptsacheverfahren entschieden wird. Denn an deren Überprüfung besteht auch bei Bestehen der Wiederholungsprüfung ein Rechtsschutzinteresse.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Juni 1996 - 6 B 81.95 -, DÖV 1997, 649 = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 367 = NVwZ-RR 1997, 101; Urteil vom 21. Oktober 1993 - 6 C 12.92 -, JURIS; Urteil vom 12. April 1991 - 7 C 39.90 - , Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 287; Urteil vom 12. April 1991 - 7 C 36.90 - , BVerwGE 88, 111 = DVBl 1991, 756 = DÖV 1991, 935 = NVwZ 1992, 56; VGH Kassel, Urteil vom 8. November 1991 - 11 UE 1371/88 -, Quelle 1992, Nr. 4, 26.

Den durch die Notwendigkeit der Wiederholung verursachten wirtschaftlichen Verzögerungsschaden kann der Student zudem bei einem Obsiegen in der Hauptsache ggf. durch die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ausgleichen.

2. Es sind hier auch keine Besonderheiten gegeben, die eine abweichende Bewertung des Anordnungsgrundes rechtfertigen.

a) Soweit die Antragstellerin geltend macht, eine Wiederholung des Kurses sei ihr deshalb nicht möglich, weil Prof. Dr. O. ihr gegenüber befangen sei, kann dahinstehen, ob dies hinreichend glaubhaft gemacht ist. Selbst wenn man nämlich davon ausgeht, dass die Bedenken berechtigt sind, die die Antragstellerin gegen eine Teilnahme an einer Kurswiederholung bei Prof. Dr. O. hat, besteht die vom Antragsgegner angebotene Möglichkeit, den Kursus unter der Betreuung des Privatdozenten Dr. S. zu absolvieren. Dafür, dass die Antragstellerin bei einer solchen Lösung "auch zukünftig letztendlich [der] Willkür" von Prof. Dr. O. ausgeliefert sein werde, wie sie vorträgt, und deshalb das Risiko laufe, aus sachwidrigen Gründen auch den Wiederholungskursus nicht zu bestehen, ist nichts glaubhaft gemacht, insbesondere nicht dargelegt, in welcher Weise Prof. Dr. O. bei einer Betreuung der Antragstellerin durch Dr. S. auf die Möglichkeit der Leistungserbringung durch die Antragstellerin und die Beurteilung ihrer Leistungen in negativer Hinsicht Einfluss nehmen könnte.

b) Besonderheiten hinsichtlich der Zumutbarkeit einer Wiederholungsprüfung gelten auch nicht deshalb, weil die Antragstellerin das Sommersemester (SS) 2000 wegen Erkrankung nicht zur Wiederholung nutzen konnte. Der mit der Erkrankung verbundene Zeitverlust hat keinen Einfluss darauf, dass der Zeitverlust, den die Antragstellerin gerade wegen der Wiederholung der Veranstaltung erleidet, nur ein Semester beträgt. Die Krankheit, die die Antragstellerin an der Fortsetzung des Studiums im SS 2000 hinderte, verschiebt des Wiederholungssemester lediglich auf das WS 2000/2001, vergrößert aber nicht die Studienzeitverlängerung, die durch die Wiederholung selbst bewirkt wird.

c) Auch der von der Antragstellerin als beabsichtigt vorgetragene Hochschulwechsel gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Bewertung. Abgesehen davon, dass die Antragstellerin diese Absicht nicht glaubhaft gemacht hat, und ferner abgesehen davon, dass auch nicht belegt ist, dass die Antragstellerin mit einem vorläufigen Zeugnis, wie es im vorliegenden Verfahren begehrt wird, an der in Betracht gezogenen anderen Hochschule (welcher?) in die Anschlusskurse aufgenommen würde, ist nicht erkennbar, dass bei einem Hochschulwechsel eine Wiederholung der streitigen Veranstaltung nicht auch an der neuen Hochschule möglich wäre, ohne dass dadurch die Studiendauer nur um eben das Semester verlängert würde, um die sie auch bei einer Wiederholung des Kurses in Münster sich verlängerte.

3. Schließlich kann ein Anordnungsgrund auch nicht im Hinblick auf die von der Bundeswehr ausgesprochene, von der Antragstellerin mit Rechtsbehelf angegriffene Entlassung der Antragstellerin aus dem Dienstverhältnis bejaht werden. Dies folgt bereits daraus, dass nichts dafür beigebracht oder sonst ersichtlich ist, dass die Erteilung eines vorläufigen Zeugnisses, wie es die Antragstellerin begehrt, auf die Entscheidung der Bundeswehr überhaupt einen Einfluss hätte. Die Entlassungsverfügung vom 6. Juli 2000 gibt dafür keinen Anhalt. Sie stellt entscheidend darauf ab, dass der Antragstellerin bereits ausnahmsweise ein drittes Zusatzsemester bewilligt worden und nunmehr wegen der erneuten Erkrankung auch das Sommermester für das Studium ausgefallen sei. Zwar würde das begehrte vorläufige Zeugnis das fünfte Zusatzsemester, auf dessen Notwendigkeit die Entlassungsverfügung auf Bl. 3 verweist, entbehrlich machen. Es ist aber nichts dafür ersichtlich, dass die Bundeswehr, die sich entscheidend darauf gestützt hat, dass "ein weiterer verzugsloser Studienverlauf nicht zu prognostizieren" sei, bei Erteilung eines vorläufigen Zeugnisses zu einer anderen Prognose käme, zumal eine Fortsetzung des Studiums mit einem vorläufigen Zeugnis mit dem oben bereits beschriebenen Risiko verbunden ist, dass bei einem negativen Ausgang des Hauptsacheverfahrens die weitere Studienzeit verloren ist. Dafür, dass die Bundeswehr bereit wäre, dieses Risiko im Falle der Erteilung eines vorläufigen Zeugnisses zu übernehmen, ist nichts ersichtlich.

Da somit bereits nicht glaubhaft gemacht ist, dass ein vorläufiges Zeugnis auf das Rechtsverhältnis der Antragstellerin zur Bundeswehr einen Einfluss hätte, bedarf es keiner Erörterung der Frage, ob der Verlust der Bezüge der Bundeswehr im Hinblick auf das Studium als wesentlicher Nachteil anzusehen ist oder ob nicht die Eigenfinanzierung des Studiums zumutbar ist, wie sie viele Studenten auf verschiedene Weise, insbesondere durch Erwerbstätigkeit neben dem Studium vornehmen. Ferner bedarf die Frage keiner Klärung, ob überhaupt aus dem Interesse, nicht aus der Bundeswehr entlassen zu werden, ein Anordnungsgrund für eine auf das Studium bezogene einstweilige Anordnung hergeleitet werden kann.

III. Der Hilfsantrag, den Antragsgegner zu verpflichten, vorläufig erneut über die Erteilung des Praktikantenscheines zu entscheiden, ist unzulässig, da er auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist. Dies folgt daraus, dass die Bewertungsentscheidung der Prüfer nicht "vorläufig" ergehen kann. Es widerspricht dem Wesen der Prüfungsentscheidung, wenn ein Prüfer einerseits dahin urteilt, die Prüfung sei mit einem Ergebnis "A" zu bewerten (hier: Kursusbedingungen nicht erfüllt), und gleichzeitig "vorläufig" entscheidet, sie sei doch mit "B" zu bewerten (hier: Kursusbedingungen erfüllt). Die Prüfungsentscheidung kann nur einheitlich und eindeutig sein, so dass mit einer von der ersten Bewertung abweichenden Neubewertung einer Prüfung das erste, anders lautende Urteil hinfällig wird. Eine Neubewertung kann - anders als ein Zeugnis - nicht vorläufig sein. Das Verlangen nach Neubewertung ist deshalb stets auf eine Hauptsachenentscheidung gerichtet.

Vgl. auch VGH Mannheim, Beschluss vom 25. April 1989 - 9 S 851/89 -, BWVPr 1989, 82 = NVwZ-RR 1989, 478 = DVBl 1989, 1276.

Es ist hier auch keine Situation gegeben, in der ausnahmsweise eine Vorwegnahme der Hauptsache im Eilverfahren in Betracht kommt. Dabei kann dahinstehen, ob es Fälle gibt, in denen die Vorwegnahme der Hauptsache bei einem prüfungsrechtlichen Neubescheidungsanspruch deshalb gerechtfertigt ist, weil seine Erfüllung später wegen des Zeitablaufes und der deshalb fehlenden Rekonstruierbarkeit der Prüfungsleistung nicht mehr möglich wäre, der Prüfling somit in der Hauptsache nur noch das Minus einer Wiederholungsprüfung erreichen könnte und seinen Neubescheidungsanspruch verlöre. Um eine solche Situation geht es hier nicht. Denn die Gesichtspunkte, hinsichtlich derer die Antragstellerin eine Neubescheidung begehrt, sind nicht solche, die später nicht mehr geltend gemacht und bei einer Neubescheidung berücksichtigt werden könnten. Es geht ihr nicht um die Bewertung ihrer einzelnen, später eventuell nicht mehr rekonstruierbaren Leistungen. Vielmehr sieht sie den Neubescheidungsbedarf bei der Festlegung der für den Kurserfolg erforderlichen Mindestpunkte und der Anerkennung von kompensatorischen Leistungen. Bei dieser Problematik handelt es sich nicht um Fragen, die wegen Zeitablaufs einer späteren Beurteilung nicht mehr zugänglich sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Wertfestsetzung auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 3 GKG).