OLG Hamm, Urteil vom 16.09.1998 - 13 U 76/98
Fundstelle
openJur 2011, 78615
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 15 O 437/97
Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 18. Dezember 1997 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Die Klägerin trägt insoweit unter Abänderung der landgerichtlichen Kostenentscheidung die durch die Anrufung des Amtsgerichts Münster entstandenen Mehrkosten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert den Beklagten in Höhe von 23.000,00 DM.

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet.

Mit zutreffenden Gründen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, hat das Landgericht in dem angegriffenen Urteil die volle Haftung des Beklagten für sämtliche Schäden der Klägerin aus dem Unfall vom 29.08.1996 gegen 17.15 Uhr auf der Q-Allee in N festgestellt. Dieses Ergebnis ist durch die ergänzende Beweisaufnahme vor dem Senat bestätigt worden.

I.

Die erhobene Feststellungsklage ist zulässig.

1.

Ein Feststellungsinteresse der Klägerin gem. § 256 Abs. 1 ZPO besteht grundsätzlich schon deshalb, da die Klägerin bei dem Unfall vom 29.08.1996 erhebliche Schäden erlitten hat und nach den vorgelegten Gutachten zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht abschließend geklärt werden kann, wie sich die gesundheitliche Beeinträchtigung der Klägerin in Zukunft entwickeln wird, insbesondere ob ein Dauerschaden vorliegt.

2.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage auch nicht unter Berücksichtigung des Grundsatzes des Vorrangs der Leistungsklage insoweit subsidiär, als ihr eine Bezifferung der Schäden schon zum jetzigen Zeitpunkt möglich ist. Schon das Landgericht hat in dem angegriffenen Urteil zutreffend darauf hingewiesen, daß ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin an der Feststellung der Haftung des Beklagten dem Grunde nach schon deshalb besteht, solange das Ausmaß der Ausheilung und der Grad der verbleibenden Dauerschäden aus medizinischer Sicht entsprechend den vorgelegten Gutachten derzeit noch nicht definitiv beurteilt werden kann und auch die Höhe des Schmerzensgeldes sowie weiterer materieller Schäden noch nicht in vollem Umfang bezifferbar ist.

3.

Zwar entscheidet im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit einer positiven Feststellungsklage immer der Grundsatz der Prozeßwirtschaftlichkeit. Mit Recht weist die Berufung darauf hin, daß die Vorstellungen der Parteien über die von der Klägerin angemeldeten materiellen und immateriellen Schäden schon jetzt auseinanderklaffen, so daß ein Feststellungsurteil möglicherweise keine endgültige Streitbeendigung erwarten läßt. In der Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, daß ein Feststellungsinteresse des Geschädigten auch dann vorliegen kann, wenn eine Feststellungsklage das Verfahren vereinfacht, beschleunigt und verbilligt und annähernd dasselbe erreicht wie eine Leistungsklage (vgl. OLG Hamm NJW-RR 1995, 1318; OLG Düsseldorf FamRZ 1996, 1338). Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 1984, 1119) ist eine Feststellungsklage, die prozeßwirtschaftlich zu einem sinnvollen oder gar sinnvolleren Ergebnis führt als eine Leistungsklage, grundsätzlich zulässig. Das ist insbesondere auch dann zu bejahen, wenn der Beklagte die Rechtskraft der Feststellungsklage nach § 322 ZPO voraussichtlich ohne Zwang anerkennen und dem Spruch genügen wird (BGH NJW 1995, 2219). Dies gilt insbesondere auch gegenüber einem beklagten Versicherer, weil dieser ähnlich wie eine Behörde der Aufsicht unterliegt und man annehmen kann, daß ein Haftpflichtversicherer bei einer Verurteilung eine Regulierung vornehmen wird (BGH VersR 1983, 125; OLG Hamm VersR 1988, 173; 1972, 967). Zwar ist vorliegend Beklagter eine Privatperson. Ausweislich des überreichten Schriftwechsels wird die Streitigkeit jedoch entsprechend den Versicherungsbedingungen von der hinter dem Beklagten stehenden Haftpflichtversicherung verantwortlich betrieben, so daß zu erwarten ist, daß der vorliegende Rechtsstreit zu einer endgültigen Klärung des Streitstoffs unter den Beteiligten führen wird. Daß der letztlich der Klägerin zustehende Schmerzensgeldbetrag wegen der noch nicht abgeschlossenen Schadensentwicklung noch nicht endgültig beziffert werden kann, steht der Zulässigkeit der Feststellungsklage insgesamt nicht entgegen (vgl. BGH NJW 1984, 1552; 1996, 2097; VersR 1991, 788). Aus dem überreichten Schriftwechsel ergibt sich ferner, daß die Klägerin und die den Unfall abwickelnde Haftpflichtversicherung des Beklagten nicht über die Schadenshöhe, sondern im wesentlichen über eine Mitverantwortlichkeit der Klägerin streiten, so daß durch ein Feststellungsurteil der wesentliche Streit der Parteien zum Haftungsgrund beigelegt werden kann.

4.

Hinzu kommt, daß das Berufen des Beklagten auf die Unzulässigkeit der von der Klägerin erhobenen umfassenden Feststellungsklage als ein erheblicher Verstoß gegen das sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergebende Gebot zu redlicher Prozeßführung anzusehen ist. Insoweit muß sich der Beklagte das Verhalten des von ihm mit der Abwicklung des Streites beauftragten Haftpflichtversicherers gem. den §§ 266, 278 BGB zurechnen lassen. Der Haftpflichtversicherer des Beklagten hatte der Klägerin mit Schreiben vom 07.07.1997 ausdrücklich mitgeteilt, daß man davon ausgehe, die Klägerin werde "insoweit lediglich Feststellungsklage erheben". Dem ist die Klägerin dann mit Erhebung der Feststellungsklage vom 11.08.1997 nachgekommen. Zwar ist streitig, ob das Einvernehmen der Parteien, ihren Streitpunkt durch eine Feststellungsklage klären zu lassen, ausreicht, ein Feststellungsinteresse des Klägers an einer positiven Feststellungsklage ausnahmsweise zu bejahen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 20. Aufl. § 256 Rdn. 8). Mit der Auffassung des BGH (NJW 1995, 2221) und des OLG Stuttgart (WM 1994, 626) ist jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden das Einverständnis der Parteien als ausreichend anzusehen. Das prozessuale Abrücken des Beklagten von der ihm zuzurechnenden Veranlassung der Erhebung der Feststellungsklage durch die Klägerin verstößt gegen das prozessuale Mißbrauchsverbot.

II.

Die Klage ist auch in vollem Umfang begründet.

1.

Mit zutreffenden Gründen hat das Landgericht die volle Haftung des Beklagten aus dem Unfall vom 29.08.1996 nach den §§ 823, 847 BGB bejaht. Auch nach der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme läßt sich ein nach § 254 BGB zu berücksichtigender Mitverantwortungsbeitrag der Klägerin nicht feststellen. Der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte hat ein Mitverschulden der Klägerin bei der Entstehung des Schadens nicht bewiesen. Es kann nicht festgestellt werden, daß die Klägerin diejenige Aufmerksamkeit und Sorgfalt außer acht gelassen hat, die jedem ordentlichen verständigen Menschen obliegt, um sich selbst vor Schaden zu bewahren.

2.

Entgegen der Auffassung des Beklagten hat die Klägerin nicht gegen das aus § 1 Abs. 2 StVO für jeden Verkehrsteilnehmer ergebende Rücksichtnahmegebot verstoßen.

Insbesondere ist die Klägerin entgegen der Auffassung des Beklagten nicht zu schnell gefahren. Nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien, das durch die Aussage des Zeugen W bestätigt wird, betrug die Geschwindigkeit der radfahrenden Klägerin zum Zeitpunkt der Kollision mit dem Beklagten 10-15 km/h. Diese Geschwindigkeit ist, wie der Sachverständige T dargelegt hat und wie dem Senat aus eigener Anschauung bekannt ist, als eine durchschnittliche, eher langsame Geschwindigkeit eines Radfahrers im Straßenverkehr anzusehen. Sie ist auch unter Berücksichtigung der Witterungsverhältnisse nicht zu beanstanden.

Die Klägerin befuhr zum Unfallzeitpunkt einen Radweg, der sich durch seine rote Farbe vom Fußweg abhob. Das Durchfahrtsvorrecht des Lenkverkehrs gilt grundsätzlich auch für Radfahrer auf Radwegen (BGH NJW 1986, 2651; Janiszewski NStZ 1985, 115). Dieses Vorrecht der Klägerin hat der Beklagte nach dem Überqueren der Straße und dem Betreten des Radweges unter grobem Verstoß gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt.

Nach den eigenen Angaben des Beklagten im Senatstermin vom 16.09.1998 hat er die Fahrbahn überquert und ist zwischen den parkenden Autos auf den Radweg getreten, ohne sich zu diesem Zeitpunkt überhaupt bewußt gewesen zu sein, daß sich an der fraglichen Stelle ein Radweg befand, und ohne die Klägerin überhaupt zu bemerken. Hierbei hielt er einen Schirm in der Hand, und zwar auf der rechten Seite, so daß er die von rechts herannahende Klägerin gar nicht sah. Nach eigenen Angaben machte er einen Schritt auf den erhöhten Bordstein und blieb dann erschrocken stehen, weil die kurz vor der Klägerin fahrende Radfahrerin in einem Bogen an ihm vorbeifuhr. Er holte dann den zweiten Fuß auf die Höhe des ersten nach, als die Klägerin, nach Einschätzung des Beklagten ca. 1 Sekunde nach dem Betreten des Radweges durch den Beklagten, in ihn hineinfuhr.

Diese Schilderung des Beklagten stimmt im wesentlichen überein mit der der Klägerin. Sie hat bereits im vorprozessualen Schriftwechsel mit dem Haftpflichtversicherer des Beklagten vorgetragen, der Beklagte sei im Zeitpunkt des Zusammenstoßes in Bewegung gewesen und gegen das Fahrrad der Klägerin gelaufen, die noch versucht habe, nach rechts auszuweichen. Auch in der Klageschrift heißt es, der Beklagte sei praktisch direkt vor ihr Rad gelaufen. Entgegen der Auffassung des Beklagtenvertreters weicht die Einlassung der Klägerin im Rahmen ihrer Parteianhörung vor dem Senat nicht wesentlich von den zuvor gegebenen Unfallschilderungen ab. Im Senatstermin hat die Klägerin lediglich auf Befragen ergänzend erklärt, der Beklagte sei zunächst vor dem Bordstein kurz stehengeblieben, um nach ihrer Einschätzung die erste Radfahrerin vorbeizulaufen, sei dann jedoch recht unvermittelt weiter über den Bordstein auf den Radweg getreten. Diese Präzisierung ihres Vortrags steht nicht in Widerspruch zu ihrem vorherigen Prozeßvortrag. Diesbezüglich heißt es in der Berufungserwiderung, die Klägerin habe beobachtet, daß der Beklagte die kurz vor ihr fahrende Radfahrerin wahrgenommen und daraufhin seinen Schritt verlangsamt hatte und sich über den Verkehr auf dem Radweg orientierte, der Beklagte habe völlig unerwartet und plötzlich den Radweg betreten.

Selbst wenn man insoweit vom Vorbringen des Beklagten ausgeht, war die Kollision für die Klägerin unter Berücksichtigung aller Umstände unvermeidbar. Wie dargelegt, war die von der Klägerin eingehaltene Geschwindigkeit von 10-15 km/h nicht unangemessen schnell und den Verkehrsverhältnissen angepaßt. Es handelte sich um eine Geschwindigkeit, die andere Verkehrsteilnehmer von einem Radfahrer erwarten (vgl. OLG Oldenburg, MDR 1957, 547; KG VM 1984, 94). Die Klägerin hatte den von links die Fahrbahn überquerenden Beklagten bemerkt. Sie konnte davon ausgehen, daß der Beklagte, bevor er zwischen den parkenden Autos hindurch den bevorrechtigten Radweg betrat, die Vorfahrt der beiden Radfahrerinnen beachten würde. Radwege sind Teile einer öffentlichen Straße, die für den durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer erkennbar für den Radfahrverkehr bestimmt sind und auf denen die Regeln der Vorfahrt gelten (vgl. Bouska DAR 1982, 108 f.). Zugunsten der Klägerin als Radfahrerin gilt daher der Grundsatz, daß der Vorfahrtberechtigte in der Regel auf die Vorfahrtbeachtung vertrauen darf. Sie konnte davon ausgehen, daß der Beklagte den Radweg nur unter Beachtung ihrer Vorfahrt betreten und ihr den Vorrang gewähren würde. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der Beklagte in seiner rechten Hand einen Schirm gegen Wind und Regen trug. Die Klägerin mußte sich nicht auf die stets bestehende bloße Möglichkeit, daß plötzlich Fußgänger zwischen parkenden oder haltenden Fahrzeugen hindurch unvorsichtig auf die Fahrbahn treten, einrichten (vgl. BGH NJW 1985, 1950). Dies gilt entsprechend für einen Fußgänger, der von der Fahrbahn auf einen parallel zur Fahrbahn verlaufenden Radweg tritt.

3.

Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen T war der Unfall für die Klägerin nicht durch Ausweichen vermeidbar. Die beiden Fahrradfahrerinnen fuhren ziemlich dicht hintereinander her, nach Einschätzung des Beklagten mit einem Abstand von ca. 1 Sekunde. Die Klägerin hätte den Unfall durch starkes Bremsen nach den vom Sachverständigen angestellten Versuchen und Berechnungen nur vermeiden können, wenn sie ca. 2 bis 2,1 Sekunden vor der Kollision, als sie sich noch 7 m vor der späteren Kollisionsstelle befand, eine Reaktionsaufforderung bekommen hätte. Daß es eine derartige rechtzeitige Reaktionsaufforderung für die Klägerin gab, kann nicht festgestellt werden. Allein das Überqueren der Straße zwischen den parkenden Autos hindurch von links nach rechts mußte der Klägerin noch keine Veranlassung geben, ihre mäßige Geschwindigkeit weiter zu verlangsamen oder in Bremsbereitschaft zu gehen. Selbst der vom Beklagten eingeräumte Umstand, er habe einen Schritt auf den gegenüber der Fahrbahn erhöhten Bordstein gemacht und sei dann jedoch stehen geblieben, weil die vor der Klägerin fahrende Radfahrerin ihn gewarnt habe, mußte die Klägerin nicht schon zum Bremsen oder Ausweichen veranlassen. Vielmehr konnte die Klägerin auch zu diesem Zeitpunkt noch darauf vertrauen, der Beklagte würde nunmehr stehen bleiben und sich über die Verkehrslage, insbesondere über die von rechts herannahenden, vorfahrtberechtigten weiteren Radfahrer orientieren. Wie der Beklagte bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat ausdrücklich eingeräumt hat, hat er nach dem Vorbeifahren der ersten Radfahrerin den zweiten Fuß, der sich noch auf der Fahrbahn befunden habe, auf die Höhe des ersten nachgeholt, als die Klägerin in ihn hineingefahren sei. Diese Einlassung steht nicht in Widerspruch zu der der Klägerin, sondern stimmt vielmehr im wesentlichen mit ihr überein, wonach der Beklagte im Zeitpunkt der Kollision in Bewegung gewesen sei. Unter Berücksichtigung aller Umstände kann nicht davon ausgegangen werden, daß sich der Beklagte noch nicht auf dem Radweg befand, als er mit der Klägerin kollidierte. Vorprozessual und im Verlaufe des Rechtsstreits hatte er bisher vorgetragen, er sei auf den Radweg getreten, wodurch die vor der Klägerin fahrende Radfahrerin gezwungen worden sei, ihm auszuweichen und in einem Bogen um ihn herumzufahren. Dies belegt auch die vom Beklagten gefertigte Skizze zum Unfallvorgang.

4.

Aus den vom Sachverständigen T mit lebenden Personen und mit Dummies angestellten Versuchen folgt ferner, daß der Beklagte zum Zeitpunkt der Kollision in Bewegung war. Dies gilt jedenfalls unter Berücksichtigung der im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils als unstreitig dargestellten Tatsache, daß bei dem Zusammenstoß die Klägerin mit ihrem Fahrrad nach rechts fiel, wobei ihr rechtes Bein unter das Rad zu liegen kam und der Beklagte darauf lag. Diese Konstellation spricht nach den Feststellungen des Sachverständigen T für eine Kollision mit einem von links kommenden, in Bewegung befindlichen Fußgänger. Aber auch unter Berücksichtigung der vom Beklagten erstmals im Senatstermin vom 16.09.1998 behaupteten Sachdarstellung, wonach er nach links gefallen sei, ergibt sich im Ergebnis keine abweichende Beurteilung. Selbst wenn die Klägerin in den auf dem Radweg stehenden Beklagten hineingefahren ist, rechtfertigt dies nicht die Anrechnung eines schuldhaften Mitverursachungsbeitrags, weil nicht festzustellen ist, daß die Klägerin vor dem auf dem Radweg stehenden Fußgänger hätte bremsen oder ihm ausweichen können. Wie oben ausgeführt, mußte die Klägerin nicht damit rechnen, daß der Beklagte das Vorhandensein des Radweges nicht erkannte und deshalb unter grober Mißachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und des Vorrechts der Klägerin den Radweg betreten und auf diesem stehenbleiben würde. Vielmehr konnte die Klägerin davon ausgehen, daß der Beklagte, vor Betreten des Radweges die bevorrechtigten Radfahrer passieren und nicht achtlos den Radweg zu überqueren versuchen würde. Zwar muß sich der bevorrechtigte Verkehr grundsätzlich auch auf ein verkehrswidriges Verhalten von Fußgängern einrichten. Selbst wenn jedoch ein Fußgänger in einer Parkbucht steht oder geht, braucht ein bevorrechtigter Kraftfahrer nicht damit zu rechnen, daß der Fußgänger blindlings die Fahrbahn überqueren wird (vgl. OLG Köln VRS 56, 29). Nur wenn triftige Umstände im Einzelfall die Annahme nahelegen, daß ein Fußgänger verkehrswidrig eine Fahrbahn überqueren wird, muß der Kraftfahrer seine Fahrweise hierauf einstellen (vgl. Greger, NZV 1990, 412 m.w.N.). Solche Umstände liegen jedoch nicht vor.

5.

Der zugunsten der Klägerin sprechende Vertrauensgrundsatz ist auch nicht nach § 3 Abs. 2 a StVO eingeschränkt, weil es sich bei dem Beklagten um einen zur Zeit des Unfalls 80jährigen Mann, also um einen älteren Menschen im Sinne dieser Vorschrift gehandelt hat. Voraussetzung für einen auf § 3 Abs. 2 a StVO gestützten Vorwurf ist grundsätzlich, daß die Zugehörigkeit zu einer der genannten verkehrsschwachen Gruppen und die daraus resultierende besondere Hilfsbedürftigkeit aufgrund äußerer Merkmale erkennbar war. Diese Voraussetzungen lagen nicht vor. Für die Klägerin war der dunkel gekleidete Beklagte nicht als älterer Mensch zu erkennen. Nach eigenem Bekunden hielt der Beklagte seinen Regenschirm zum Schutz gegen Wind und Regen mit der rechten Hand und sichtbehindernd nach rechts, so daß nicht festgestellt werden kann, daß die weißgrauen Haare des Beklagten für die Klägerin als Hinweis auf dessen Alter zu sehen waren. Auch sonstige Umstände auf eine altersbedingte Gebrechlichkeit des Beklagten sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Senat hat sich in der mündlichen Verhandlung davon überzeugen können, daß es sich bei dem Beklagten um einen rüstigen Mann handelt, so daß dessen Zugehörigkeit zur Gruppe der älteren Menschen für die Klägerin in der fraglichen Situation unter keinem Gesichtspunkt zu erkennen war.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 97 Abs. 1, 281 Abs. 3 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.