OLG Hamm, Urteil vom 08.09.1999 - 13 U 35/99
Fundstelle
openJur 2011, 78587
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 1 O 219/98
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 17. November 1998 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bo-chum wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert den Kläger in Höhe von 5.455,42 DM.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Die Beklagten sind gemäß §§ 7, 17, 18 StVG, 823 BGB, 3 Nr. 1 PflVG verpflichtet, dem Kläger als Gesamtschuldner 3/4 des Schadens zu ersetzen, der ihm aufgrund des Verkehrsunfalls entstanden ist, der sich am 11.02.1998 gegen 1.40 Uhr auf der Autobahn in Höhe der Auffahrt R in Fahrtrichtung W unter Beteiligung des vom Kläger gesteuerten VW-Golf VR 6 und des vom Beklagten zu 1) gesteuerten bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Opel-Astra Pkw des Beklagten zu 1) ereignet hat. Ohne Erfolg wendet sich der Kläger dagegen, daß das Landgericht aufgrund der Überschreitung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h zu seinen Lasten eine Mithaftung von 25 % angenommen hat. Die gemäß § 17 StVG vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge führt zu einer Haftungsverteilung von 75:25 zu Lasten der Beklagten.

Der Beklagte zu 1) hat gegen § 5 Abs. 4 Satz 1 StVO, wonach derjenige, der zum Überholen ausscheren will, sich so zu verhalten hat, daß eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, verstoßen. Wie im zweiten Rechtszug unstreitig geworden ist, hat der Beklagte zu 1) entsprechend seinen Angaben im Rahmen seiner persönlichen Anhörung die Geschwindigkeit des auf der linken Fahrspur herannahenden Klägerfahrzeugs unterschätzt und ist zum Überholen eines auf der rechten Fahrspur vorausfahrenden Lkw auf die linke Fahrspur ausgeschert.

Demgegenüber ist dem Kläger, der durch das verkehrswidrige Überholmanöver des Beklagten zu 1) nach links ausweichen mußte und die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor, zwar kein Verschulden am Zustandekommen des Verkehrsunfalls nachzuweisen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht aber zur Überzeugung des Senats fest, daß die Ausgangsgeschwindigkeit des Pkw des Klägers mindestens 150 km/h betragen hat, während der Kläger nicht den ihm obliegenden Beweis der Unabwendbarkeit des Unfalls (§ 7 Abs. 2 StVG) zu führen vermocht hat. Die Beweisaufnahme hat nicht ergeben, daß der Kläger bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h (§ 1 der Autobahn-Richtgeschwindigkeits-VO vom 27.11.1978, BGBl. I, 1824) den Unfall nicht hätte vermeiden können.

Die Ausgangsgeschwindigkeit des Golf-Pkw des Klägers betrug mindestens 150 km/h.

Aufgrund der Aussage des Zeugen S, der den Unfall polizeilich aufgenommen hat, steht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Kläger selbst nach dem Unfall die von ihm gefahrene Geschwindigkeit mit ca. 160 km/h angegeben hat. Der Zeuge S hat mit Bestimmtheit bekundet, die betreffende Geschwindigkeitsangabe, so wie sie vom Kläger vor Ort gemacht worden ist, in die Unfallanzeige aufgenommen zu haben und einen diesbezüglichen Irrtum zuverlässig ausgeschlossen. Zudem hat der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung eingeräumt, gegenüber seinem Arzt S - wie in dessen Bericht vom 17.03.1998 vermerkt - zum Unfallhergang angegeben zu haben, mit 150 km/h bei einem Ausweichmannöver in die Leitplanken gefahren zu sein.

Die Unfallanalyse durch den Sachverständigen G hat ergeben, daß der Kläger sich bei den betreffenden Geschwindigkeitsangaben jedenfalls nicht zu seinen Ungunsten verschätzt hat. Vielmehr hat der Sachverständige plausibel ausgeführt, daß bereits unter der Prämisse, daß es im direkten Anschluß an das Ausweichmannöver des Klägers zum Erstkontakt seines Fahrzeugs mit den Leitplanken gekommen ist, die Ausgangsgeschwindigkeit 140 km/h bis 160 km/h betragen hat. Hinzu kommt, daß nach der Aussage des Zeugen A, deren Richtigkeit der Kläger auf Nachfrage bestätigt hat, das Klägerfahrzeug vor dem Erstkontakt mit den Leitplanken zunächst vom Grünstreifen nach rechts zurückdriftete, so daß bis zum Erreichen der Endstellung eine weitere Verzögerung mit entsprechendem Geschwindigkeitsverlust eingetreten ist. Aufgrund dessen ist nach den Feststellungen des Sachverständigen eine noch deutlich über 140 km/h liegende Mindestausgangsgeschwindigkeit in der vom Kläger selbst nach dem Unfall angegebenen Größenordnung realistisch.

Überdies hat der Sachverständige überzeugend dargelegt, daß der Kläger unter Zugrundelegung der Einhaltung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h den ihm obliegenden Unabwendbarkeitsnachweis nicht führen kann.

Da mangels Kollision eine genaue, objektivierbare räumlichzeitliche Verknüpfung der Annäherung der Fahrzeuge nicht möglich ist, ist der Sachverständige im Rahmen seiner diesbezüglichen Unfallanalyse von einem wegen fehlender Berührung der Fahrzeuge realistisch erscheinenden Mindestabstand von 20 m beim Ausscheren des Pkw des Beklagten zu 1) und von einer nicht zu widerlegenden Geschwindigkeit dieses Fahrzeugs von 120 km/h ausgegangen. Unter diesen Voraussetzungen war der Kläger bei einer Ausgangsgeschwindigkeit seines Pkw von 160 km/h zum Ausweichen gezwungen, so daß ihm keine Fehlreaktion (Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO) und damit kein Verschulden am Zustandekommen des Unfalls nachzuweisen ist. Demgegenüber hätte der Kläger bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h aufgrund der wesentlich geringeren Geschwindigkeitsdifferenz der Fahrzeuge von nur 10 km/h genügend Zeit und Raum für eine mittelstarke Ausgleichsbremsung gehabt, so daß er ggfls. - wie der Sachverständige betont hat - den Unfall problemlos hätte vermeiden können.

Damit hat der Kläger die Richtgeschwindigkeit mit einer bewiesenen Mindestausgangsgeschwindigkeit von 150 km/h deutlich überschritten und nicht zu beweisen vermocht, daß der Unfall auch bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h nicht hätte vermieden werden können, so daß nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 1992, 1684, 1686), der sich der Senat anschließt, die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Klägers im Rahmen der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung zu seinen Lasten zu berücksichtigen ist, und zwar nach der ständigen Rechtsprechung des Senats in vergleichbaren Fällen mit 25 % (vgl. etwa Urt. vom 08.12.1993 - 13 U 140/93 - NZV 1994, 193 = DAR 1994, 154 f.).

II.

Zu Recht hat das Landgericht dem Kläger auf Basis einer Haftungsquote von 3:1 zu seinen Gunsten unter Berücksichtigung des zweitinstanzlich unstreitig gewordenen zu regulierenden materiellen Unfallschadens von insgesamt 21.321,70 DM und der darauf gemäß dem Abrechnungsschreiben der Beklagten zu 2) vom 27.05.1998 gezahlten 13.017,36 DM keinen über 2.973,92 DM hinausgehenden Betrag zuerkannt.

Das mit der Berufungsbegründung erfolgte "Nachschieben" des Schmerzensgeldanspruchs "zur Auffüllung" der Klageforderung, bei deren Berechnung auf den materiellen Schaden gezahlte 125,00 DM unberücksichtigt geblieben sind, führt entgegen der Auffassung des Klägers zu keiner entsprechenden Erhöhung der zu regulierenden Schadensersatzforderung. Vielmehr ist die vom Kläger durch den Unfall erlittene HWS-Verletzung unter Zugrundelegung seiner Mithaftung von 25 % mit den auf das Schmerzensgeld gezahlten 375,00 DM angemessen reguliert.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 ZPO.