OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 02.12.1998 - 13 A 5322/96
Fundstelle
openJur 2011, 78403
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 3 K 6962/96
Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der 1927 geborene Kläger, der nach eigenen Angaben Diplom- Ingenieur und Sachverständiger in Baufragen ist, bezeichnet sich als Reiki-Meister/Lehrer und ist aktives Mitglied in "T. R. -A. ". Er hält u. a. Reiki-Einzelsitzungen ab, wobei er bei der sog. Reiki-Spende seine Hände auf verschiedene Körperstellen des Behandelten/Empfängers auflegt, und er führt Reiki-Seminare durch. Seine Tätigkeit als Reiki- Meister stellte er dem Beklagten in Gesprächen am 31. Mai 1995 und 14. Februar 1996 vor. Dabei ging es um die Frage, ob diese als Heilkunde anzusehen ist und dem Heilpraktikergesetz unterfällt.

Mit Ordnungsverfügung vom 26. Februar 1996 untersagte der Beklagte dem Kläger ab sofort die Ausübung der Heilkunde, insbesondere die Durchführung von Reiki-Sitzungen. Er ordnete zugleich die sofortige Vollziehung der Verfügung an und drohte für den Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld in Höhe von 3.000,-- DM an. Die in den Reiki-Sitzungen durchgeführten Behandlungen am Menschen (Besprechungen durch Handauflegen) seien Ausübung der Heilkunde im Sinne des Heilpraktikergesetzes, da es das Ziel der Tätigkeit des Klägers sei, bestehende Krankheiten bei den Patienten zu lindern bzw. zu heilen. Die Reiki-Seminartätigkeit des Klägers sei als normale Lehrtätigkeit anzusehen, die keiner Erlaubnis bedürfe, solange keine Personen mit der Methode des Handauflegens behandelt würden.

Den Widerspruch des Klägers gegen die Ordnungsverfügung, in dem der Kläger geltend machte, seine Tätigkeit sei keine Heilkunde im Sinne des Heilpraktikergesetzes, wies die Bezirksregierung durch Bescheid vom 14. Mai 1996 zurück.

Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, seine Tätigkeit unterliege nicht der Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktikergesetz. Das Ziel seiner Tätigkeit bei den Reiki- Sitzungen bestehe nicht darin, eine Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen herbeizuführen. Sie sei vielmehr darauf ausgerichtet, den Menschen Lebenshilfe zur Stabilisierung des inneren Gleichgewichts zu gewähren, um sie in die Lage zu versetzen, mit ihren Problemen auf eine positive Art und Weise umzugehen und die Probleme zu beherrschen. Bei den Sitzungen würden die zu ihm kommenden Menschen darauf hingewiesen, daß seine Tätigkeit der Reiki-Behandlung keinerlei Heilbehandlung sei und eine Reiki-Sitzung nicht die Behandlung durch ein Mitglied der Heilberufe ersetzen könne. Durch das bei den Reiki- Sitzungen praktizierte Handauflegen solle lediglich ein Gefühl der Verbundenheit vermittelt werden. Eine Beeinflussung der Physis sei damit nicht beabsichtigt. Die Ordnungsverfügung sei auch deshalb rechtswidrig, weil er die Reiki-Tätigkeit nicht gewerbsmäßig betreibe. Er verlange kein Honorar von den zu ihm kommenden Menschen, sondern bitte die Hilfesuchenden darum, einen bestimmten Betrag auf das Konto eines gemeinnützigen Vereins zur Errichtung eines Kinderdorfs in der Nähe von T. zu zahlen. Ob der Betrag dann bezahlt werde, sei ihm nicht bekannt.

Der Kläger hat beantragt,

die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 26. Februar 1996 in der Form des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung D. vom 14. Mai 1996 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat auf die Gründe der angefochtenen Bescheide Bezug genommen und im übrigen unter Hinweis auf vom Kläger vorgelegtes Informationsmaterial erneut geltend gemacht, bei den vom Kläger durchgeführten Reiki-Sitzungen handele es sich um eine heilkundliche Tätigkeit im Sinne des Heilpraktikergesetzes, die auch gewerbsmäßig betrieben werde.

Durch Gerichtsbescheid vom 11. September 1996, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die in Frage stehende Tätigkeit des Klägers, insbesondere die durchgeführten Reiki-Sitzungen, sei Ausübung der Heilkunde im Sinne des Heilpraktikergesetzes und dürfe deshalb nicht ohne entsprechende Erlaubnis ausgeübt werden.

Mit seiner Berufung macht der Kläger unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens erneut geltend, er sei niemals im Sinne eines Heilkundigen gemäß dem Heilpraktikergesetz tätig geworden. Dies gelte sowohl für das Handauflegen selbst als auch für das dadurch bewirkte "Spenden von Lebensenergie". Daß er komplementäre Maßnahmen zur Schulmedizin durchführe, zeige, daß gerade nicht der schulmedizinische Heilerfolg angestrebt werde, er vielmehr nur begleitend das seelische Wohlbefinden eines Menschen stärken wolle. Die grundgesetzlich garantierte Berufsfreiheit gewährleiste auch Tätigkeiten in einem Bereich, der sich rein verstandesmäßig denkenden Menschen nicht erschließe. Der angefochtene Gerichtsbescheid sei auch deshalb aufzuheben, weil der erkennende Richter des Verwaltungsgerichts aufgrund bestimmter Formulierungen in der Entscheidung (z. B. "übliche Scharlatanerie ...") wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen sei.

Der Kläger beantragt,

den angefochtenen Gerichtsbescheid zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.

Der Beklagte beantragt unter Wiederholung seines Standpunktes, es handele sich bei der Tätigkeit des Klägers um Ausübung von Heilkunde im Sinne des Heilpraktikergesetzes,

die Berufung zurückzuweisen.

Bezüglich der Tätigkeit des Klägers ist beim Amtsgericht Mettmann (30 Ds 28 Js 434/96) ein Strafverfahren gegen den Kläger anhängig, das bis zur Entscheidung im vorliegenden Verfahren ausgesetzt ist.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt ihrer Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im übrigen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Bezirksregierung D. sowie die o. a. Strafakten.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Es bedarf keines Eingehens darauf, ob das Vorbringen des Klägers in Zusammenhang mit dem Ablehnungsgesuch gegen den entscheidenden Richter der 1. Instanz die Annahme rechtfertigt, diesem habe es an der gebotenen Distanz und Neutralität gefehlt.

Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16. April 1997 - 6 C 9.95 -, DVBl. 1997, 1235.

Selbst wenn bezüglich der erstinstanzlichen Entscheidung ein Verfahrensfehler angenommen werden müßte, würde der Senat von der Möglichkeit der Zurückweisung der Sache an das Verwaltungsgericht (§ 130 Abs. 1 VwGO), die insoweit in Betracht käme, nämlich keinen Gebrauch machen. Er entscheidet - aus prozeßökonomischen Gründen - vielmehr in der Sache selbst. Ein etwaiger Mangel des Verfahrens der 1. Instanz ist daher nicht relevant.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 26. Februar 1996 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung D. vom 14. Mai 1996 sind rechtmäßig. Der Kläger betreibt bei den von ihm durchgeführten Reiki-Sitzungen Heilkunde im Sinne des Heilpraktikergesetzes. Dies erfordert eine entsprechende Erlaubnis; deren Fehlen rechtfertigt die angefochtene Verfügung.

Für die Einstufung der Tätigkeit des Klägers in den Reiki- Sitzungen sind materiellrechtlich die Vorschriften des Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) - HPG - vom 17. Februar 1939, RGBl. S. 251, und der Ersten und Zweiten Durchführungsverordnung zum Heilpraktikergesetz - 1. und 2. HPG-DVO -, RGBl. 1939, 259 bzw. 1941, 368, maßgebend. Zur Geltung und zur Auslegung dieser vorkonstitutionellen Rechtsvorschriften sind inzwischen zahlreiche verwaltungs- und verfassungsgerichtliche Entscheidungen ergangen,

vgl. u.a. BVerwG, Urteile vom 24. Januar 1957 - I C 194.54 -, BVerwGE 4, 250, vom 20. Januar 1966 - I C 73.64 -, BVerwGE 23, 140, vom 25. Juni 1970 - I C 53.66 -, BVerwGE 35, 308, vom 18. Dezember 1972 - I C 2/69 -, NJW 1973, 579, vom 10. Februar 1983 - 3 C 21.82 -, BVerwGE 66, 367, vom 21. Januar 1993 - 3 C 34/90 -, BVerwGE 91, 356 = NJW 1993, 2395, vom 11. November 1993 - 3 C 45.91 -, NJW 1994, 3024, vom 21. Dezember 1995 - 3 C 24.94 -, DÖV 1996, 963; VGH Baden- Württemberg, Urteil vom 9. Juli 1991 - 9 S 961/90 -, MedR 1992, 54; Bay. VGH, Urteile vom 24. Januar 1990 - 7 B 89.1893 -, NJW 1991, 1558, vom 7. August 1995 - 7 B 94/4171 -, NVwZ-RR 1996, 146, vom 20. November 1996 - 7 B 95.3013 -, NVwZ-RR 1998, 113; BVerfG, Beschlüsse vom 10. Mai 1988 - 1 BvR 111/77 , 1 BvR 482/84 u.a. -, BVerfGE 78, 150 und 78, 179, vom 24. Oktober 1994 - 1 BvR 1016/89 -, n. v., jeweils m. w. N.,

die wie folgt zusammengefaßt werden können:

Die Ausübung der Heilkunde war ursprünglich nicht reglementiert. Die allgemeine Kurierfreiheit wurde als Bestandteil der in § 1 der Gewerbeordnung von 1869 verbürgten allgemeinen Gewerbefreiheit angesehen. Geschützt war nur der Titel Arzt, wozu es der Bestallung/Approbation bedurfte. Erst das Heilpraktikergesetz von 1939 beendete die bis dahin bestehende und nur in einzelnen Bereichen beschränkte allgemeine Kurierfreiheit, indem es für die Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung als Arzt einen generellen Erlaubniszwang (§ 1 Abs. 1 HPG) einführte. Ziel des Heilpraktikergesetzes war es ursprünglich, den Berufsstand der Heilpraktiker auf lange Sicht zu beseitigen und ein Ärztemonopol einzuführen. Mit Inkrafttreten des Grundgesetzes und der in ihm gewährleisteten Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) wandelte sich die Zielsetzung des Heilpraktikergesetzes. § 2 Abs. 1 HPG, welcher die Erlaubniserteilung in das Ermessen der Gesundheitsbehörde stellte, wurde vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 4, 250) in verfassungskonformer Auslegung mit der Maßgabe für gültig erachtet, daß jeder Antragsteller zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung zuzulassen sei, wenn keiner der sich aus § 2 Abs. 1 der 1. DVO-HPG ergebenden und nicht infolge ihres nationalsozialistischen Charakters außer Kraft getretenen Versagungsgründe vorliegt. Ebenso wurde von der Rechtsprechung entschieden, daß die Vorschrift über die Erlaubnispflicht nach Art. 123 Abs. 1 GG und Art. 125 i.V.m. Art. 74 Nr. 19 GG als Bundesrecht weitergilt und daß die in § 2 Abs. 1 der 1. DVO-HPG geregelten Zulassungsbeschränkungen grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Das Ziel des Heilpraktikergesetzes, die Volksgesundheit durch einen Erlaubniszwang für Heilbehandler ohne Bestallung zu schützen, ist durch Art. 12 Abs. 1 GG gedeckt und widerspricht daher nicht dem Grundgesetz. Bei der Gesundheit der Bevölkerung handelt es sich um ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut, zu dessen Schutz eine solche subjektive Berufszulassungsschranke nicht außer Verhältnis steht. Zwar ist die ursprüngliche, auf die Beseitigung des Heilpraktikerstandes gerichtete Funktion des Gesetzes durch die nach Inkrafttreten des Grundgesetzes vollzogene Umgestaltung des § 2 Abs. 1 HPG von einer repressiven Ausnahmevorschrift zu einer Anspruchsnorm wesentlich geändert worden. Der mit dem Erlaubniszwang verfolgte Zweck, die Patienten keinen ungeeigneten Heilbehandlern auszuliefern, behält aber seine Berechtigung und verleiht den verbleibenden Vorschriften nach wie vor einen vom Willen des Gesetzgebers gedeckten Sinn. Die Überprüfung der Fähigkeiten und Kenntnisse nach § 2 Abs. 1 Buchst. i der 1. DVO-HPG i.d.F. der 2. DVO- HPG, die Voraussetzung für die Erlaubniserteilung ist, dient ebenfalls der gesundheitspolizeilichen Gefahrenabwehr. Die Überprüfung zielt nicht auf den Nachweis einer Fachqualifikation ab, und zwar schon deshalb nicht, weil für den Heilpraktikerberuf eine bestimmte fachliche Ausbildung nicht vorgeschrieben ist. Sie endet auch nicht in einer Vergabe von Prüfungsnoten, die wie regelmäßig bei den wissenschaftlichfachlichen Berufszugangsprüfungen auf ein bestimmtes Leistungsprofil bezogen werden. Die Überprüfung ist keine vom Gesetz formalisierte Prüfung im herkömmlichen Sinne. Es wird auch nicht das Erbringen von Prüfungsleistungen normativ auf einen bestimmten Zeitpunkt festgesetzt, wie dies für wissenschaftlichfachliche Prüfungen typisch ist. Verlangt wird vielmehr von der Behörde eine Maßnahme der Gefahrenabwehr, d. h. die Versagung der Erlaubnis, wenn die Ausübung der Heilkunde durch den Bewerber eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeutet. Allein zur Aufklärung, ob diese Gefahr vorliegt, wird dieser auf Kenntnismängel oder medizinische Fehlvorstellungen überprüft.

Vgl. zu Vorstehendem auch Erdle, Das Recht der Heilhilfsberufe, Hebammen und Heilpraktiker, Stand: Juli 1998, Abschn. 30.1.

Nach diesen Kriterien sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden.

Bedenken an ihrer Rechtmäßigkeit ergeben sich nicht schon daraus, daß, worauf der Kläger zutreffend hinweist, weder das Heilpraktikergesetz selbst noch seine Durchführungsverordnungen eine Ermächtigungsgrundlage für den Erlaß einer Untersagungsverfügung im Falle einer unzulässigen Heilkundeausübung enthalten. Die angefochtenen Bescheide stützen sich denn auch nicht nur auf das Heilpraktikergesetz, sondern zulässigerweise

vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 1993 - 3 C 45.91 -, a.a.O.,

auf die ordnungsbehördliche Generalklausel des § 14 des Ordnungsbehördengesetzes - OBG - vom 13. Mai 1980 (GV NW S. 528), nach der die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen können, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Die Ausübung der Heilkunde ohne entsprechende Erlaubnis verstößt gegen strafrechtliche Bestimmungen (vgl. § 5 HPG) und stellt schon deshalb eine Störung der öffentlichen Sicherheit dar, so daß eine auf die ordnungsbehördliche Generalermächtigung gestützte Untersagungsverfügung ergehen kann. Die Zuständigkeit des Beklagten als Kreisordnungsbehörde folgt, wie in der Verfügung vom 26. Februar 1996 zutreffend angegeben, aus § 1 Nr. 1 der Verordnung zur Regelung der Zuständigkeiten nach Rechtsvorschriften für nicht ärztliche und nicht tierärztliche Heilberufe vom 31. Januar 1995, GV NW S. 87.

Gem. § 1 Abs. 1 HPG bedarf der Erlaubnis, wer die Heilkunde ausüben will, ohne als Arzt bestallt zu sein. Nach § 1 Abs. 2 HPG ist Heilkunde im Sinne des Gesetzes jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird. Das Gesetz macht dabei keinen Unterschied, ob es sich bei den Krankheiten und Leiden um rein körperliche oder aber um solche auch oder ausschließlich seelischer Natur handelt. Ebensowenig stellt es auf die Behandlungsweise und -methode ab. Vielmehr liegt in verfassungskonformer Auslegung der Vorschriften stets dann Heilkunde im Sinne des Heilpraktikergesetzes vor, wenn die Tätigkeit nach allgemeiner Auffassung medizinische Fachkenntnisse voraussetzt, und wenn die Behandlung - bei generalisierender und typisierender Betrachtung der in Rede stehenden Tätigkeit - gesundheitliche Schädigungen verursachen kann. Die medizinischen Fähigkeiten können notwendig sein im Hinblick auf das Ziel, die Art oder die Methode der Tätigkeit selbst, die, ohne Kenntnisse durchgeführt, den Patienten zu schädigen geeignet ist, oder im Hinblick auf die Feststellung, ob im Einzelfall mit der Behandlung begonnen werden darf, ohne daß der Patient durch die Verrichtung selbst unmittelbar Schaden nimmt. Dabei fallen auch solche Verrichtungen unter die Erlaubnispflicht, die für sich gesehen ärztliche Fachkenntnisse nicht voraussetzen, die aber Gesundheitsgefährdungen mittelbar dadurch zur Folge haben können, daß die Behandelten die Anwendung gebotener medizinischer Heilmethoden unterlassen oder verzögern, weil der Heilbehandler nicht über das medizinische Fachwissen verfügt, um entscheiden zu können, wann medizinische Heilbehandlung notwendig ist.

Bei der vom Kläger während der Reiki-Sitzungen ausgeübten Tätigkeit handelt es sich nach Auffassung des Senats um Ausübung der Heilkunde im Sinne des § 1 Abs. 2 HPG; eine andere Einschätzung ist nach ihrem gesamten Erscheinungsbild nicht gerechtfertigt.

Nach dem vom Kläger überreichten Informationsmaterial ist Reiki der japanische Ausdruck für die universelle (Rei) Lebenskraft (Ki). Danach ist es eine natürliche Quelle, die Revitalisierung schenkt. Die universelle Lebenskraft soll dabei vom Spender auf den Empfänger mit den Händen übertragen werden.

Schon die Beschreibung der Reiki-Methode und Reiki-Spende in dem Informationsmaterial deutet darauf hin, daß die Reiki- Spende auf Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden ausgerichtet ist. Dies wird erkennbar in Formulierungen wie "Reiki ist eine natürliche Quelle, die Revitalisierung schenkt", "Reiki fördert die Selbstheilung" und "regt die Selbstheilungskräfte des Körpers an", "mit Reiki versuchen wir die Eigenverantwortung des Patienten zu fördern, der dann eben nicht nur Leidender ist, sondern zum mitbeteiligten Klienten wird, indem er Erkenntnisse gewinnt und umsetzt", "vorhandene Krankheitssymptome und Schmerzen werden gelindert und Sie fühlen sich nach einer Reiki-Sitzung wohler". Aus diesen den Begriff "Heilung" selbst enthaltenden Formulierungen wird deutlich, daß die von einem Reiki- Meister/Lehrer erteilte sog. Reiki-Spende, d. h. die angebliche Übermittlung von Energie durch das Auflegen der Hände, zum Zwecke der Heilung von Krankheiten oder der Beseitigung sonstiger Beeinträchtigungen des Wohlbefindens erfolgt. Maßgeblich ist insoweit der Sinn, den der Behandelnde, also der Reiki-Meister/Lehrer, seinem Tun im Hinblick auf den Patienten erkennbar beigelegt wissen will.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 1993 - 3 C 45.91 -, a.a.O.

Daß der Reiki-Tätigkeit des Klägers die Intention des Heilens oder jedenfalls des Linderns zugrundeliegt, wird in besonderem Maße beispielhaft deutlich durch die Beschreibung seiner Hilfe für seine an Krebs im letzten Stadium leidende Frau, wonach ein einfaches Ausstrecken seiner Hand vor ihrer Brust genügt habe, um Hustenanfälle seiner Frau zu beenden und den Hustenreiz zeitweilig zu unterdrücken. In derselben schriftlichen Stellungnahme spricht der Kläger davon, daß nach dem Erwerb des 1. Reiki-Grades sein Optimismus und seine energische Natur "ganz auf Heilung gerichtet" gewesen seien.

Auch nach den dargelegten objektiven Kriterien stellt sich die Tätigkeit des Klägers während der Reiki-Spende als Heilkunde im Sinne des Heilpraktikergesetzes dar. Wie der Kläger im Gespräch mit Vertretern des Beklagten am 14. Februar 1996 angegeben hat, kommen zu ihm Leute mit den unterschiedlichsten Erkrankungen. Er versuche dann, nachdem die Betreffenden ihm ihre Sorgen und Nöte mitgeteilt hätten, diesen kraft der Ausstrahlung seiner Hände Energie zu übertragen und ihnen auf diese Art und Weise zu helfen. Die Tätigkeit bei der sog. Reiki-Spende ist demnach, zumal dabei die Hände auf verschiedene Körperstellen des Empfängers aufgelegt werden, konkret auf die den Spender aufsuchende Person abgestellt und bezieht sich daher auf einen konkreten Krankheitsfall, zu dem eine "individualisierende Beziehung" hergestellt wird.

Vgl. zu diesem Erfordernis BGH, Urteil vom 29. Juni 1987 - II ZR 5/87 -, NJW 1987, 2928 f.; BVerwG, Urteil vom 11. November 1993 - 3 C 45.91 -, a.a.O.

Die "Energiespende" geschieht am oder in den Körper des Behandelten, bei dem - weil andernfalls kein Anlaß ersichtlich ist, warum um eine "Reiki-Spende" nachgesucht wird - davon ausgegangen werden kann, daß er Krankheitszeichen verspürt und er sich Hilfe vom Reiki-Spender verspricht. Was die Patienten oder der Reiki-Spender, also auch der Kläger selbst, als Ursache der Erkrankung ansehen, ist dabei unerheblich, denn dies ändert nichts an dem auf Heilung gerichteten Zweck der Tätigkeit bei der "Reiki-Spende".

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 1993 - 3 C 45.91 -, a.a.O.

Nach dem Vorbringen des Klägers bedarf es zudem, um zu einem alle Belange umfassenden Wohlbefinden zu gelangen, eines Einklangs von Körper, Geist und Seele. Weil es sich bei der "Reiki-Spende" um Vorgänge handelt, die Geist und Seele ansprechen, und dies die schulmedizinische Behandlung von Krankheitssymptomen unterstützen soll, erscheint die Reiki- Spende aus der Sicht des Energiespenders als Voraussetzung für medizinische Heilerfolge und für das Erreichen eines Zustandes des umfassenden körperlichen und seelischen Wohlbefindens. Eine Maßnahme, die zum Erreichen des durch Krankheitssymptome beeinträchtigten geistigseelischen Wohlbefindens beitragen soll und die für sich in Anspruch nimmt, als Komplementärmaßnahme zur schulmedizinischen Behandlung von Erkrankungen und körperlichen Beeinträchtigungen zumindest ergänzend auch in diesen Bereich hineinzuwirken, kann nur als Heilmaßnahme zumindest im Sinne von "Lindern" bezeichnet werden.

Der Senat ist darüber hinaus der Ansicht, daß für die "Reiki-Spende", auch wenn die dabei angeblich erfolgende Energieübermittlung rational nicht erklärbar ist, nach allgemeiner Auffassung medizinische Fachkenntnisse notwendig sind. Ob dies für die Behandlungsmethode, d. h. für die "Energiespende" selbst gilt, ist dabei nicht entscheidend.

Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 16. Dezember 1993 - 9 S 326/93 -, MedR 1994, 369 f.

Wenn der Kläger - wie er bei dem Gespräch am 14. Februar 1996 beim Beklagten erklärt hat - bei den unterschiedlichsten Erkrankungen der ihn Aufsuchenden keinen Unterschied macht, er also auch helfend tätig wird bei Krankheitsbildern schwererer Art, liegt es auf der Hand, daß er schon deshalb medizinische Fachkenntnisse benötigt, um diejenigen Fälle, in denen er die "Reiki-Energiespende" ohne Gefährdung anwenden kann, von denen zu unterscheiden, bei denen die Patienten in ärztliche Obhut gehören.

Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 16. Dezember 1993 - 9 S 326/93 -, a.a.O.

Die Notwendigkeit medizinischer Fachkenntnisse ergibt sich auch aus weiteren Erwägungen. Wie dem vom Kläger zu den Akten gereichten Informationsmaterial zu entnehmen ist, können nach einer Reiki-Sitzung emotionale, aber auch körperliche Reaktionen ("Ausscheiden von Giften durch den Körper") einsetzen (so die vom Kläger bei den Gesprächen mit dem Beklagten überreichten 'Informationen über eine Reiki- Sitzung'). Es gebe durch das "Einwirken der universellen Lebenskraft auf die geistigen Schwingungsfelder und 'geistigen Hormone'", also im "feinstofflichen", d. h. seelischen Bereich "Resonanzen zu den entsprechenden Schwachstellen des grobstofflichen Körpers, die auch als sog. Erstverschlimmerung bekannt sind" (so der mit Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 17. Dezember 1996 überreichte Einführungsaufsatz dazu, was Reiki ist und will). Daß derartige körperliche Reaktionen im Hinblick auf ihre Gefährlichkeit für den Behandelten (etwa Gefahr eines Kollapses) vom Kläger beurteilt und kontrolliert werden müssen und dies nur bei entsprechenden medizinischen Kenntnissen möglich ist, liegt nach Auffassung des Senats gleichfalls auf der Hand.

Auch wenn das Energiespenden selbst kein ärztliches Fachwissen erfordert, rechtfertigt sich aus den dargelegten Gesichtspunkten heraus die Annahme, daß bei der Reiki-Spende durch einen dazu Berechtigten gesundheitliche Schädigungen auftreten können und daß die Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefährdung nicht nur geringfügig und deshalb vernachlässigbar ist. Dieses Merkmal ist aufgrund generalisierender und typisierender Betrachtungsweise zu beurteilen, weil nur dadurch dem Sinn und Zweck des Heilpraktikergesetzes, ungeeignete Heilbehandler von der Behandlung von kranken Personen fernzuhalten, Rechnung getragen wird. Auch bei der "Reiki-Spende" besteht die Gefahr gesundheitlicher Schädigungen in einem nicht zu vernachlässigenden Ausmaß. Der Kläger beschränkt sich, wie er angibt, bei der "Reiki-Spende" nicht auf bestimmte Erkrankungen und macht bei den Erkrankungen und bei seiner Hilfe für den Behandelten keinen Unterschied. Er will mit der "Reiki-Spende" eine Hilfe im geistigseelischen Bereich auf dem Weg zur Gesundung geben und unterscheidet sich insoweit nicht von der Tätigkeit eines Schulmediziners. Auch wenn der Kläger bei den ihn aufsuchenden Personen auf Fremddiagnosen, meist von Schulmedizinern, zurückgreift, setzt sein Verhalten in gewissem Umfang auch Diagnose voraus, weil seine Handstellungen für die "Reiki- Spende" an bestimmten Körperstellen des Empfängers ansetzen. Ebenso wie ein Arzt, der körperliche Leiden nach der Schulmedizin behandelt, führt auch der Kläger bei der "Reiki- Spende", wenn auch in einem anderen Bereich und mit andersartigen Methoden, Maßnahmen einer Therapie im weitesten Sinne durch, die vom Patienten wahrgenommen werden sollen. Auch die "Energiespenden" durch den Kläger sind auf Heilung oder Linderung gerichtet. Ob der Kläger selbst sich tatsächlich so verhält, daß seine Patienten nicht gefährdet werden, ist für die Frage der Erlaubnispflichtigkeit seiner Tätigkeit nach dem Heilpraktikergesetz nicht entscheidend. Dementsprechend hängt die Erlaubnispflichtigkeit auch nicht davon ab, ob der Kläger den ihn aufsuchenden Personen erklärt, keine Krankheiten heilen zu können und dies ausschließlich Sache eines Arztes sei.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 1993 - 3 C 45.91 -, a.a.O.

Etwas anderes läßt sich auch nicht aus dem vom Kläger angeführten

Urteil des Landgerichts Verden vom 25. Juni 1997 - 12-24/97 -,

herleiten, weil dieses sich zum einen nicht auf eine Tätigkeit als Reiki-Meister/Lehrer bezieht und zum anderen die strafrechtliche Verantwortlichkeit betrifft, während hier die verwaltungsrechtliche Beurteilung eines Handelns am Maßstab des Heilpraktikergesetzes in Frage steht. Im übrigen geht auch das Landgericht Verden in seiner Entscheidung davon aus, daß die von dem dortigen Angeklagten "an seinen Patienten vorgenommenen heilenden Handlungen Ausübung der Heilkunde im Sinne des § 1 Abs. 2 HPG dargestellt haben".

Wird unabhängig von oder zusätzlich zu den vorgenannten Kriterien bei der Frage, ob die Tätigkeit des Klägers dem Heilpraktikergesetz unterfällt, auf den Blickwinkel der Patienten abgestellt,

so die sog. "Eindruckstheorie", vgl. BGH, Urteil vom 13. September 1977 - 1 StR 389/77 -, NJW 1978, 599; LG Berlin, Urteil vom 14. Mai 1987, a.a.O.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 25. Februar 1993 - 2 Ss 1/93 -, MDR 1993, 793; VG Stade, Urteil vom 27. April 1989 - 1 A 153/87 -, NJW 1990, 789; VGH Baden- Württemberg, Beschluß vom 16. Dezember 1993 - 9 S 326/93 -, a.a.O., Urteil vom 9. Juli 1991 - 9 S 961/90 -, a.a.O.,

so führt dies erst recht zu der Annahme, daß es sich um Ausübung der Heilkunde im Sinne des § 1 Abs. 2 HPG handelt. Bei den Personen, die den Kläger aufsuchen, um sich von ihm Reiki spenden zu lassen, wird nämlich gerade der Eindruck erweckt, daß dadurch Heilung oder Linderung gesundheitlicher Beeinträchtigungen bewirkt wird.

Der Kläger übt die Heilkunde in Form der "Energieübermittlung" bei Reiki-Sitzungen auch berufsmäßig aus. Dieses Merkmal ist dann anzunehmen, wenn der Handelnde beabsichtigt, die Tätigkeit in gleicher Art zu wiederholen und sie dadurch, wenn auch nicht zu einer dauernden, so doch zu einer wiederkehrenden Beschäftigung zu machen.

Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 9. Juli 1991 - 9 S 961/90 -, a.a.O.; Bay. ObLG, Beschluß vom 23. Juli 1981 - RReg 4 ST 168/81 -, MDR 1982, 76; BGH, Urteil vom 16. Dezember 1954 - 3 StR 384/54 -, NJW 1955, 471; Erdle, a.a.O., Abschnitt 30.1, § 1 HPG Anm. 4;

So liegt der Fall auch hier. Der Kläger will seine Kenntnisse und Fähigkeiten als Reiki-Meister/Lehrer in einer Vielzahl von Behandlungsfällen einsetzen und diese Tätigkeit daher, wenn auch neben der Tätigkeit als Sachverständiger in Baufragen, zu einer wiederkehrenden Beschäftigung machen. Da für das Merkmal der Berufsmäßigkeit das Erstreben eines Entgelts und eines Gewinns nicht erforderlich ist, kann dahinstehen, ob eine Gewinnerzielungsabsicht beim Kläger besteht. Deshalb bedarf sein Vorbringen, er erhalte kein Geld, sondern bitte seine Patienten um eine Spende für einen gemeinnützigen Verein, keiner Würdigung.

Die aufgrund des Erlaubniszwanges nach dem Heilpraktikergesetz gerechtfertigte Untersagungsverfügung begegnet auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keinen Bedenken. Der Erlaubniszwang stellt eine verfassungsgemäße Berufszulassungsschranke im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG dar.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10. Mai 1998 - 1 BvR 482/84 u. 1166/85 -, a.a.O., vom 24. Oktober 1994 - 1 BvR 1016/89 -; OVG NW, Urteil vom 24. August 1990 - 5 A 76/88 -, NWVBl. 1991, 205.

Das Ziel des Heilpraktikergesetzes, die Gesundheit der Bevölkerung durch einen Erlaubniszwang für Heilbehandler ohne Bestallung zu schützen, ist - wie dargelegt - durch Art. 12 Abs. 1 GG gedeckt und widerspricht daher nicht dem Grundgesetz. Dementsprechend ist auch die im vorliegenden Verfahren streitige Untersagungsverfügung mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.

Die Feststellung, daß es sich bei der Tätigkeit des Klägers im Rahmen der Reiki-Spende um eine gem. § 1 Abs. 1 HPG erlaubnispflichtige Tätigkeit handelt, bedeutet nicht, daß der Kläger in Zukunft diese Tätigkeit nicht ausüben darf. Sie besagt nur, daß er zur berufsmäßigen Ausübung dieser Tätigkeit einer Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz bedarf, auf die - wie dargelegt - bei Erfüllung der persönlichen Zulassungsvoraussetzungen ein Rechtsanspruch besteht und die nur versagt werden darf, wenn eine der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 der 1. DVO-HPG nicht gegeben ist. Eine etwaige Überprüfung, durch die festgestellt werden soll, ob die Ausübung der Heilkunde durch den Kläger eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung bedeutet, ist dabei zu beschränken auf die Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung der konkret geplanten Berufstätigkeit erforderlich sind.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1993 - 3 C 34/90 -, a.a.O.; BVerfG, Beschluß vom 24. Oktober 1994 - 1 BvR 1016/89 -.