AG Rheinberg, Urteil vom 14.04.1999 - 12 C 472/98
Fundstelle
openJur 2011, 78260
  • Rkr:

Ansprüche des Haftpflichtversicherers im Wege des Regresses wegen falscher Restwertermittlung durch den privat durch den Geschädigten beauftragten Sachverständigen ergeben sich aus positiver Vertragsverletzung i. V. m. einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. Die Ansprüche verjähren in analoger Anwendung des § 638 BGB beginnend mit der Kenntnis der Versicherung vom unrichtigen Gutachten.

Tenor

1.

Die Klage wird abgewiesen.

2.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 500,00 DM abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagten Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Sicherheitsleistungen können auch durch Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlichen Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagten im Wege des Regresses in Anspruch.

Am 28.02.98 kam es zu einem Verkehrsunfall aufgrund alleinigen Verschuldens des Versicherungsnehmers der Klägerin. Der Unfallgegner beauftragte die Beklagten mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens, das diese unter dem 03.03.98 fertigten und das der Klägerin am 05.03.98 zugeleitet wurde. Am 06.03.98 wurde das Gutachten vom klägerischen Mitarbeiter überprüft. Der verunfallte Wagen des Geschädigten wurde am 06.03.98 entsprechend dem von den Beklagten ermittelten Restwert zu einem Kaufpreis von 2.000,00 DM weiterveräußert und der Klägerin hiervon vor dem 09.03.98 Mittteilung gemacht. Am 09.03.98 forderte die Klägerin den Veräußerungsbeleg an und verwies auf ein nach Veräußerung des verunfallten Fahrzeugs übersandtes Restwertangebot. Die Klägerin holte 2 weitere Restwertangebote ein. Die von ihr eingeschalteten Händler boten mit Schreiben vom 06.07.98 4.000,00 bzw. 5.000,00 DM bei einem eventuellen Ankauf an, ohne dass diese das Fahrzeug zuvor besichtigt hatten.

Die Klägerin trägt vor, die Restwertangabe der Beklagten mit 2.000,00 DM sei deutlich zu niedrig ausgefallen. Der Restwert habe mindestens 4.000,00 DM betragen. Der Differenzbetrag in Höhe von 2.000,00 DM stehe ihr daher aus positiver Forderungsverletzung des Vertrages zwischen dem Geschädigten und den Beklagten, der zu ihren Gunsten Schutzwirkung entfalte, zu. Eine Verjährung sei nicht eingetreten, da für diese Ansprüche die Vorschrift des § 195 BGB Geltung entfalte, der Anspruch demgemäß erst nach 30 Jahren verjähre.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie 2.000,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 06.08.98 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie sind der Ansicht, den Restwert mit 2.000,00 DM korrekt festgesetzt zu haben, darüber hinaus sei ihnen eine Anspruchsgrundlage für die klägerischen Ansprüche nicht zu ersehen. Ein Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte liege nicht vor, selbst unterstellt, es sei ein solcher, seien die klägerischen Ansprüche in analoger Anwendung der §§ 636, 638 BGB verjährt.

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 11.10.98 (Eingang beim Amtsgericht Rheinberg am 13.10.98), den Beklagten am 29.10.98 zugestellt, Klage erhoben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die von den Parteien zu den Akten gereichten Schriftsätze und Unterlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, da etwaige klägerische Ansprüche in entsprechender Anwendung der §§ 852 BGB in Verbindung mit § 638 BGB verjährt sind.

Unterstellt, die Beklagten haben den Restwert unzutreffend festgesetzt, so ergeben sich klägerische Ansprüche aus positiver Forderungsverletzung des zwischen dem Geschädigten und den Beklagten geschlossenen Gutachterauftrag, der Schutzwirkung zu Gunsten der Klägerin entfaltet.

Die von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen, die an einen Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte gestellt werden, sind erfüllt.

Die Klägerin kam bestimmungsgemäß mit der Leistung der Beklagten in Berührung und war den Gefahren ebenso - wenn nicht sogar mehr - ausgesetzt wie der Geschädigte, der den Gutachterauftrag erteilte.

Wenn die Rechtsprechung dazu tendiert, dem Geschädigten grundsätzlich das Recht zuzubilligen aufgrund der Restwertangabe des Gutachtens sein Fahrzeug zu veräußern, es sei denn zeitlich vor Veräußerung gehen seitens der Haftpflichtversicherung des Schädigers höhere Restwertangebote ein, so trifft das Risiko der nicht korrekten Restwertfestsetzung prinzipiell die Haftpflichtversicherung des Schädigers und nicht den Geschädigten.

Damit ergibt sich zwangsläufig die Leistungsnähe zur Klägerin und deren Schutzbedürftigkeit, was für die Beklagten erkennbar war, denn sie wussten, dass der Geschädigte mit ihrem Gutachten gegenüber der Klägerin abrechnen werde. Zu diesem Zweck wurde das Gutachten gerade erstellt. Demzufolge schuldeten die Beklagten der Klägerin gegenüber auch Schutz und Fürsorge. Anspruchsgrundlage ist daher positive Forderungsverletzung dieses Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte.

Grundsätzlich gilt für Ansprüche aus PFV die 30-jährige Verjährungsfrist des § 195 BGB.

Vorliegend gilt jedoch nicht die Vorschrift des § 195 BGB, da dies zu nicht hinnehmbaren Wertungswidersprüchen führen würde. Das Gericht hielt die Vorschriften der §§ 635, 638 in Verbindung mit § 852 BGB für entsprechend anwendbar.

Die Einbeziehung des Dritten in den Schutz des Hauptschuldverhältnisses bewirkt, dass auch der Schadensersatzanspruch des Dritten aus Schutzpflichtverletzungen nach den für das Hauptschuldverhältnis geltenden Regeln verjährt (vgl. Gottwald, Münchener Kommentar, § 328 Rn. 106), denn der Dritte darf nicht besser gestellt werden als der eigentliche Vertragspartner.

Wäre der Schaden aufgrund des nicht korrekt erstellten Gutachtens nicht bei der Klägerin, sondern beim Geschädigten eingetreten, so hätten diesem Ansprüche aus § 635 BGB und nicht aus positiver Forderungsverletzung zugestanden.

Die sich aus den nicht korrekten Restwertangaben ergebenden Folgeschäden wären als enge Mangelfolgeschäden im Sinne des § 635 BGB einzuordnen gewesen. Für diese gilt die Verjährungsregel des § 638 BGB. Diesbezüglich muss das gleiche gelten wie bei den Sanierungsgutachten, die eine Planungs- und Projektierungsleistung zum Gegenstand haben. Auch dort werden Folgeschäden als enge Mangelfolgeschäden qualifiziert.

Die "Verkörperung" des Gutachtens der Beklagten liegt in dem vom Geschädigten aufgrund des Gutachtens ermittelten Schadensersatzanspruchs.

Darüber hinaus ergibt sich die Nichtanwendbarkeit der Vorschrift des § 195 auch im Hinblick auf nachfolgende Aspekte:

Wenn man soweit geht und zugunsten der Haftpflichtversicherung des Schädigers die Anwendbarkeit der Regeln über die Verträge mit Schutzwirkung für Dritte im Hinblick auf die Leistungsnähe anwendet, so wäre es widersprüchlich die aufgrund einer nicht korrekten Restwertangabe eingetretenen Schäden als entfernte und nicht enge Mangelfolgeschäden zu qualifizieren.

Im übrigen besteht kein Bedürfnis für die Versicherungen 30 Jahre Rückgriffsansprüche gegenüber einem Sachverständigen im Hinblick auf dessen unrichtige Restwertangabe geltend machen zu können. Die Schadensabwicklung durch die Versicherer erfolgt kurzfristig innerhalb weniger Wochen, so dass den Versicherungen schnell bekannt ist, ob und in welcher Höhe ihnen Schadensersatzansprüche zustehen. Die zügige Abwicklung und Regulierung wird hier entsprechen dokumentiert:

Unfall: 28.02.98

Kenntnis der Klägerin vom Sachverständigengutachten: 05.03.98

Prüfungsvermerk des klägerischen Mitarbeiters: 06.03.98

1. Restwertangebot: vor dem 09.03.98

Kenntnis der Veräußerung zum gutachterlich festgesetzten Restwert: vor dem 09.03.98

Demnach waren der Klägerin alle relevanten Umstände innerhalb von knapp 2 Wochen bekannt.

Es besteht kein irgendwie geartetes Bedürfnis auf solche Fälle die 30-jährige Verjährungsregel des § 195 BGB anzuwenden und im Gegenzug die Fahrzeugsachverständigen einer solch langen Verjährungsfrist auszusetzen.

Der Verjährungsbeginn war jedoch nicht an die Vollendung des Werks gemäß § 646 BGB zu knüpfen, sondern an die Kenntnis der Klägerin (Versicherung) von der Veräußerung zum gutachterlich festgestellten Restwert, da in diesem Moment ein eventueller Schaden bei ihr eingetreten wäre, diesbezüglich wird auf die oben zitierte Rechtsprechung verwiesen.

Eine Anwendbarkeit des § 646 BGB als Anknüpfungstatbestand für den Verjährungsbeginn hielt das Gericht für unbillig, da - theoretisch gesehen - ihre Ansprüche vor Schadenskenntnis hätten verjährt sein können.

Damit gilt hier folgendes:

Kenntnis von der Veräußerung zum gutachterlich festgestellten Restwert: 09.03.98

der Eingang der Klage am 13.10.98 mit alsbaldiger Zustellung war daher zur Verjährungsunterbrechung nicht mehr geeignet.

Daher war zu entscheiden, wie erkannt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert: 2.000,00 DM

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