AG Geldern, Urteil vom 09.02.2011 - 4 C 4/11
Fundstelle
openJur 2011, 77304
  • Rkr:

1. Ist eine im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen anhängig gemachte Klage offensichtlich unbegründet im Sinne von Art. 4 Abs. 4 S. 3 EuGFVO, so ist sie vom Gericht abzuweisen, ohne dass sie zuvor dem Beklagten zugestellt wurde.

2. Eine Klage ist dann offensichtlich unbegründet im Sinne von Art. 4 Abs. 4 S. 3 EuGFVO, wenn sie auch dann abzuweisen ist, wenn sich der Beklagte nicht zur Sache äußert.

3. In diesen Fällen kommt es nicht in Betracht, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wird zurückgewiesen.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger behauptet, als Verbraucher bei der Beklagten eine Anzahlung in Höhe von 500,- € für den Kauf eines Autos geleistet zu haben. Dieses habe die Beklagte an einen anderen verkauft, weigere sich aber, die Anzahlung zurückzugeben.

Er beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 500,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2007 zu zahlen.

Den Rechtsstreit hat der Kläger durch Übersendung des Formblatts A der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (nachfolgend: EuGFVO) eingeleitet, welches bei Gericht am 05.01.2011 einging. Dieses wies diverse Mängel auf, zu deren Beseitigung bis zum 07.02.2011 das Gericht den Kläger mit Formblatt B vom 10.01.2011 aufgefordert hat. Unter anderem wurde der Kläger zur Angabe seines Vornamens und zur Abstellung weiterer formeller Mängel aufgefordert. Der Kläger wurde darauf hingewiesen, dass sich seiner bisherigen Schilderung nicht entnehmen lasse, dass der behauptete Anspruch besteht. Er wurde zudem aufgefordert, den von ihm behaupteten Geschehensablaug genauer darzulegen einschließlich des Inhalts der getroffenen Absprachen, sowie das angegebene Beweismittel "Korrespondenz mit dem Verkäufer" genauer anzugeben. Für weitere Einzelheiten wird auf das übersandte Formblatt B vom 10.01.2011 (Bl. 12 GA) Bezug genommen. Darauf übersandte der Kläger ein ergänztes Formblatt A, in welchem er seinen Vornamen angab, aber seine Sachverhaltsschilderung nicht ergänzte. Er differenzierte auch die von ihm angegebenen Beweismittel nicht und legte diese auch nicht bei, mit Ausnahme eines Kontoauszuges der X-Bank vom 05.12.2007.

Das Gericht hat die auf Formblatt A erhobene Klage nicht an die Beklagte zu-gestellt.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist ohne Zustellung an die Beklagte abzuweisen, ohne dass zuvor eine mündliche Verhandlung anzuberaumen ist.

I.

Das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen ist für die klägeri-sche Rechtsverfolgung statthaft. Die Rechtssache ist grenzüberschreitend im Sinne von Art. 3 Abs. 1 EuGFVO, weil der Kläger hat seinen Wohnsitz in den Niederlanden und die Beklagte ihren Sitz in Deutschland hat. Der Streitwert der Klage überschreitet auch den in Art. 2 Abs. 1 S. 1 EuGFVO bestimmten Höchststreitwert von 2.000,- € nicht.

II.

Die Klage ist gemäß Art. 4 Abs. 4 S. 3 EuGFVO abzuweisen, ohne dass sie zuvor der Beklagten zugestellt werden dürfte. Art. 4 Abs. 4 EuGFVO enthält ein der deutschen Zivilprozessordnung (nachfolgend: ZPO) ansonsten fremdes "Vorprüfungsverfahren" (Jahn NJW 2007, 2890, 2894). Wenn die durch das Formblatt A anhängig gemachte Klage den Anforderungen dieses Vorprüfungsverfahrens nicht genügt, ist sie zwingend abzuweisen.

1.)

Die Klage ist gemäß Art. 4 Abs. 4 S. 3 Fall 2 EuGFVO abzuweisen, weil sie offensichtlich unbegründet ist. Ob eine Klage „offensichtlich unbegründet“ ist, beurteilt sich ausschließlich nach nationalem Recht, wie Erwägungs-grund 13 der EuGFVO klarstellt. Wird ein europäisches Verfahren zur Beitreibung geringfügiger Forderungen vor einem deutschen Gericht anhängig gemacht, ist die Klage dann offensichtlich unbegründet im Sinne von Art. 4 Abs. 4 S. 3 Fall 2 EuGFVO, wenn sie auch dann abzuweisen ist, wenn die Beklagtenpartei sich nicht zur Sache äußert. Vorliegend ist die Klage auch ohne Gegenäußerung der Beklagten als unbegründet abzuweisen. Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich nicht, dass er gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 500,- € hat.

a)

Grundsätzlich käme ein Anspruch nach §§ 433, 323 Abs. 1, 346 BGB in Be-tracht. Dem Klägervortrag lässt sich jedoch weder entnehmen, dass der Klä-ger gegenüber der Beklagten gemäß § 349 BGB den Rücktritt vom Kaufver-trage erklärt hat, noch dass er der Beklagten eine Nachfrist zur Leistung nach § 323 Abs. 1 BGB gesetzt hätte. Beides wäre aber Voraussetzung für einen Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung. Fehlt es an der Rücktrittserklärung und/oder der Fristsetzung, bestünde allenfalls weiterhin ein Anspruch auf Lieferung des Automobils, aber kein Anspruch auf Rückzahlung. Auch die Voraussetzungen des § 326 BGB lassen sich dem klägerischen Vorbringen nicht entnehmen. Dem Klägervortrag lässt sich nicht entnehmen, was für ein Auto er gekauft hat und wie die vertraglichen Abreden im Einzelnen ausgestaltet waren. Selbst wenn man unterstellt, dass die Beklagte das Auto an einen Dritten verkauft hat, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beklagten die Leistung unmöglich geworden wäre. Wenn der Kaufvertrag über einen Neuwagen geschlossen wurde, handelt es sich um eine Gattungsschuld, so dass Erfüllung weiterhin möglich wäre. Selbst bei einem Kaufvertrag über einen Gebrauchtwagen könnte seit Inkrafttreten der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nicht mehr zwingend davon ausgegangen werden, dass die Erfüllung unmöglich geworden wäre, da auch bei Stückschulden eine Nacherfüllung durch Neulieferung nicht stets ausscheidet (vgl. BGH NJW 2006, 2839, 2841). Um dies vorliegend beurteilen zu können, hätte der Kläger seine Angaben ergän-zen müssen. Dies hatte das Gericht ihm mit Formblatt B ausdrücklich aufge-geben und ihn zugleich nach Art. 19 EuGFVO in Verbindung mit § 139 ZPO darauf hingewiesen, dass es seine Angaben nicht für ausreichend erachtet, um ihm den geltendgemachten Anspruch zuzuerkennen.

b)

In Betracht käme auch ein Anspruch aus §§ 433, 280, 281 BGB. Auch dazu fehlt es aber in jedem Falle an einer Fristsetzung zur Leistung, die Voraussetzungen des § 283 BGB sind nicht dargetan, da nicht ersichtlich ist, dass die Lieferung des Automobils unmöglich wäre. Es wird auf die Ausführungen unter II. 1.) a) Bezug genommen, die hier entsprechend gelten, um Wiederholungen zu vermeiden.

2.)

Die Klage ist auch gemäß Art. 4 Abs. 4 S. 3 Fall 3 EuGFVO abzuweisen, weil der Kläger seine Angaben auf Formblatt A nicht entsprechend der auf Form-blatt B erteilten gerichtlichen Auflage vervollständigt hat. Er hat zwar - wie vom Gericht gefordert - die Bezeichnung der Beklagten vervollständigt, seinen eigenen Vornamen angegeben und das Formblatt auch unterschrieben, jedoch hat er entgegen der gerichtlichen Auflage seine Sachverhaltsdarstellung nicht ergänzt. Diese Auflage zur Ergänzung des Vortrages war auch zulässig. Das Gericht sieht sich ohne ergänzenden Vortrag des Klägers an einer Zustellung der Klage gehindert, weil es diese ohne solchen für offensichtlich unbegründet hält. Durch diese Auflage hat das Gericht dem Kläger zugleich das auch im Rahmen des Vorprüfungsverfahrens gebotene rechtliche Gehör nach Art. 19 EuGFVO in Verbindung mit § 139 ZPO gewährt. Die nochmalige Erteilung eines weiteren Hinweises sieht Art. 4 Abs. 4 EuGFVO nicht vor. Art. 4 Abs. 4 S. 3 EuGFVO schreibt vielmehr vor, dass die Klage bei Nichterfüllung der in Formblatt B erteilten Auflagen innerhalb der gesetzten Frist abgewiesen werden muss (vgl. Jahn NJW 2007, 2890, 2894). Formblatt B belehrt auch über die Rechtsfolgen, wenn die Frist zur Ergänzung nicht eingehalten wird.

3.)

Die Klage ist der Beklagte vor der Abweisung nicht zuzustellen. Art. 4 Abs. 4 S. 3 EuGFVO sieht eine entsprechende Zustellung nicht vor. Dies ist gerechtfertigt, da Zweck der EuGFVO ist, grenzüberschreitende Streitigkeiten über geringfügige Forderungen zu verbilligen und zu beschleunigen, wie sich aus Erwägungsgrund 36 S. 1 der EuGFVO ergibt. Die Zustellung der Klage an die Beklagte würde unnötige Kosten verursachen, weil der Beklagten Rechtsverteidigungskosten entstünden. Allein aufgrund des - jedenfalls derzeit - weitgehend unbekannten Verfahrens nach der EuGFVO ist davon auszugehen, dass sich die Beklagte anwaltlichen Beistandes bedienen würde. Diese Kosten würden nutzlos aufgewendet, da das Gericht die Klage als unbegründet abweisen kann, ohne dass die Beklagte sich äußert. Die Zustellung ist auch nicht nach Art. 103 Abs. 1 GG geboten. Das rechtliche Gehör der Beklagten wird nicht verletzt, weil sie keinen rechtlichen Nachteil dadurch erleidet, wenn die Klage abgewiesen wird, ohne dass sie sich zuvor zur Sache geäußert hat. Ihr berechtigtes Interesse, von ihrem Obsiegen im Rechtsstreit zu erfahren, wird dadurch hinreichend gewahrt, dass ihr das Urteil gemäß Art. 19 EuGFVO in Verbindung mit § 1102 S. 2 ZPO zuzustellen ist.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus Art. 16 S. 1 EuGFVO.

IV.

Die Anordnung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 1105 Abs. 1 ZPO.

V.

Der Antrag des Klägers, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, war gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 3 EuGFVO abzulehnen. Eine mündliche Verhandlung ist im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen nur möglich, wenn die Klage nicht schon im Vorprüfungsverfahren nach Art. 4 Abs. 4 S. 3 EuGFVO abzuweisen ist. Andernfalls müsste das Gericht eine mündliche Verhandlung anberaumen, obgleich es die Klageschrift (Formblatt A) nicht an die Beklagte zustellen darf. Dies Ergebnis wäre widersinnig. Es verstößt auch nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG oder Art. 6 EMRK. Der Kläger hätte ein normales Klageverfahren nach der ZPO anhängig machen können. Stattdessen hat er jedoch freiwillig eine Verfahrensart gewählt, die keinen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung gewährt, sondern gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 EuGFVO grundsätzlich schriftlich durchgeführt wird. Darin ist ein Verzicht auf den Anspruch auf eine mündliche Verhandlung zu sehen. Dieser Verzicht wird auch nicht durch den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf dem Formblatt A rückgängig gemacht. Im Formblatt wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Verfahren grundsätzlich schriftlich abläuft und das Gericht eine mündliche Verhandlung lediglich anordnen kann. Das Gericht braucht die Frage auch nicht nach Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Das Gericht entscheidet nicht letztinstanzlich im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV, weil es die Berufung zugelassen hat.

VI.

Gemäß Art. 19 EuGFVO in Verbindung mit § 511 Abs. 4 ZPO war die Beru-fung zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Die Reichweite der Voraussetzungen des Vorprüfungsverfahrens nach Art. 4 EuGFVO sind von grundsätzlichem Interesse, da ein solches Verfahren dem deutschen Prozessrecht ansonsten fremd ist und zur EuGFVO (soweit für das erkennende Gericht ersichtlich) bislang keine gerichtlichen Entscheidungen veröffentlicht worden sind.

Streitwert: 500,- Euro