VG Gelsenkirchen, Urteil vom 02.03.2011 - 15 K 95/10
Fundstelle
openJur 2011, 77021
  • Rkr:

Es liegt im vorliegenden Fall keine Unregelmäßigkeit bei der Vorbereitung der Wahl im Sinn des § 40 Abs. 1 lit b KWahlG vor, wenn der Oberbürgermeister den Rat mangels Validität nicht über ihm bekannte Prognosen bezüglich der Finanzlage der Stadt informiert.

Tenor

Der Beschluss des Beklagten vom 10. Dezember 2009 hinsichtlich der Ungültigkeitserklärung der Wahl des Rates der Stadt Dortmund und der Anordnung der Wiederholungswahl wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger, die durch die Kommunalwahl vom 30. August 2009 als Direktkandidaten in den Rat der Stadt E. gewählt wurden, wenden sich mit der vorliegenden Klage gegen die Entscheidung des Beklagten, die Wahl 2009 des Rates der Stadt wegen Vorliegens von Unregelmäßigkeiten bei der Wahl zu wiederholen.

Im Jahre 2007 und Anfang 2008 erließ der Beklagte einen Doppelhaushalt nach Jahren getrennt für die Jahre 2008 und 2009. Für das Jahr 2008 wurde ein Fehlbedarf in Höhe von 67,9 Mio. EUR, für das Jahr 2009 ein solcher von 27 Mio. EUR bei einem Haushaltsansatz von 1,7 Milliarden EUR ausgewiesen.

Im Mai 2008 prognostizierten die einzelnen Fachbereiche der Stadt einen weiteren Fehlbedarf in Höhe von 21,2 Mio. EUR, den sie Ende August 2008 auf Grund eines weiteren Anstiegs auf 31,5 Mio. EUR prognostizierten. Daraufhin verfügte die Zeugin, frühere Kämmerin der Stadt, am 29. August 2008 eine haushaltswirtschaftliche Sperre, die dem Hauptund Finanzausschuss in der Sitzung vom 4. September 2008 mit Vorlage vom 3. September 2008 zur Kenntnis gegeben wurde.

Die finanzielle Situation der Stadt im Jahr 2009 war Gegenstand der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses vom 7. Mai 2009. In dieser Sitzung referierte die Zeugin als frühere Kämmerin der Stadt über die Einnahme- und Ausgabesituation bezogen auf das erste Quartal 2009. Die im Rahmen dieser Sitzung von einigen Ratsmitgliedern geäußerten Bedenken im Hinblick auf Einnahmeeinbrüche bei der Gewerbesteuer konnte die Zeugin angesichts der Entwicklung im ersten Quartal nicht bestätigen.

Unter dem 29. Mai 2009 legte die Zeugin dem Zeugen, dem früheren Oberbürgermeister der Stadt, zur Vorbereitung eines gemeinsamen Gesprächs, in dem Eckdaten für den Haushaltsplan 2010 festgelegt werden sollten und das am 5. Juni 2009 stattfand, einen Vorschlag zur Tagesordnung und eine Zusammenstellung der Prognosen der Fachbereiche hinsichtlich wesentlicher Veränderungen gegenüber der Haushaltsplanung 2008/09 und der Finanzplanung bis 2012 vor. Danach prognostizierte die Kämmerei für das Jahr 2009 einen Fehlbedarf in Höhe von 158,5 Mio. EUR, der sich bei Inanspruchnahme der Ausgleichsrücklage von 52,8 Mio. EUR auf ein Minus von 105,7 Mio. EUR reduzierte. Daher schlug die Zeugin hinsichtlich des weiteren Vorgehens drei Alternativen vor :

Einzelvorschläge zur Haushaltskonsolidierung,

Festlegung von finanziellen Zielen je Dezernat zur Umsetzung der Eckwertevereinbarung,

Bildung einer Ratskommission zur Haushaltskonsolidierung unter Vorsitz des Oberbürgermeisters.

Mit Schreiben vom 3. Juni 2009 wandte sich die Ratsfrau Dr. M. für die Fraktion FDP/Bürgerliste an die Verwaltung und bat diese um eine Stellungnahme zu der Entwicklung der wichtigsten Ergebnisarten und Kassenkredite bis Ende Mai 2009. Angesichts der sich verschärfenden Wirtschaftskrise seien nachteilige Entwicklungen bei Einnahmen/Ausgaben, Liquiditätskrediten sowie Ergebnislage - insbesondere der Gewerbesteuer - nicht auszuschließen.

Der Zeuge beantwortete diese Anfrage mit Schreiben vom 12. Juni 2009, adressiert an die Mitglieder des Hauptund Finanzausschusses. Danach treffe auch die Stadt der Trend des geringeren Gewerbesteueraufkommens. Eine Prognose des weiteren Aufkommens bis zum Jahresende sei aufgrund der vielfältigen Einflüsse noch immer nicht möglich. Zusammenfassend stellte er fest, dass derzeit nicht erkennbar sei, dass die Stadt mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht auskommen werde. Der Vorjahresvergleich lasse noch keine Auffälligkeiten erkennen. Leicht höheren Aufwendungen ständen auch höhere Erträge gegenüber.

Unter dem 24. Juni 2009 legte die Kämmerei der Zeugin eine neuerliche Prognose der Fachbereiche auf der Basis der Ist-Buchungen ( Stand 31. Mai 2009 ) vor. Danach betrage der Fehlbedarf 153,1 Mio. EUR, der geplante Fehlbedarf werde um circa 126,1 Mio. EUR überschritten.

Mit Vermerk vom 29. Juli 2009 prognostizierte der Leiter der Kämmerei unter Berücksichtigung der aktuellen Prognosen der Fachbereiche einen Fehlbedarf von ca. 163 Mio. EUR und ungedeckte Mehraufwendungen von 86 Mio. EUR. Er empfahl die unverzügliche Unterrichtung des Rates. Zugleich seien Sparmöglichkeiten vor dem Erlass einer etwaigen Nachtragssatzung auszuschöpfen. Hierbei kämen in Betracht: Gespräche mit den Dezernenten über freiwilligen Aufwandsverzicht, sofortige Verfügung einer Haushaltssperre, kurzfristige Einführung einer sog. Visakontrolle bei der Vergabe von Aufträgen und Bestellungen. Zudem sei unverzüglich eine Nachtragssatzung zu erlassen. Seinem Vorschlag legte er einen Terminplan bei, der sicherstellten sollte, dass die Nachtragssatzung noch im laufenden Haushaltsjahr erlassen werden konnte. Diese Unterlagen wurden der Zeugin übermittelt.

Ausweislich eines von der Zeugin unter dem 11. August 2009 gefertigten Aktenvermerks fand am selben Tag ein Gespräch zwischen ihr, dem Zeugen sowie dem Leiter der Kämmerei statt. Gegenstand der Besprechung war die Bewirtschaftung des Haushaltes 2009, dem die Prognosen der Fachbereiche ( Stand Juli 2009 ) zugrunde lagen. Danach sei der Zeuge ihrem Vorschlag sowie dem des Leiters der Kämmerei, eine Nachtragssatzung für 2009 auf den Weg zu bringen, nicht gefolgt, da aus seiner Sicht die Prognosequalität angesichts der Erfahrungen aus den letzten Jahren miserabel sei. Zudem sei eine belastbare Prognose hinsichtlich der Gewerbesteuererträge erst im 4. Quartal möglich. Dies gelte auch für die übrigen Erträge der Stadt. Erforderlich seien Bewirtschaftungsmaßnahmen, die ab 1. September 2009 greifen sollten. Die Mehrbedarfe im Sozialund Jugendbereich, beim zahlungswirksamen Personalaufwand sowie bei der Hochund Tiefbauverwaltung seien gemäß § 83 der Gemeindeordnung NRW ( GO ) zu decken.

Unter dem 14. August 2009 bat die Ratsfrau Dr. M. namens der Fraktion FDP/Bürgerliste die Zeugin um Auskunft, wie sich die Haushaltslage zum Stichtag 30. Juni 2009 ( mit den wichtigsten Erträgen und Aufwendungen ) weiterentwickelt habe.

Diese Auskunft erteilte der Zeuge mit Schreiben vom 26. August 2009, gerichtet an die Mitglieder des Hauptund Finanzausschusses. Nach Darstellung der Ist-Buchungen im Bereich der Erträge sowie Aufwendungen zum 30. Juni 2009 führte er aus:

"Nach wie vor ist anhand der Auswertungen zu den Gesamterträgen und Gesamtaufwendungen derzeit nicht erkennbar, dass die Stadt E. mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht auskommen wird. Der Vorjahresvergleich lässt noch keine Auffälligkeiten erkennen. Leicht höheren Aufwendungen stehen auch höhere Erträge gegenüber".

Am 30. August 2009 fanden auch im Stadtgebiet der Stadt E. die landesweiten Kommunalwahlen statt. Thema des Wahlkampfes war ausweislich verschiedener örtlicher Presseberichte u.a. die Finanzsituation der Stadt.

Bei einer Pressekonferenz am 31. August 2009 erklärten die Zeugen, dass ab 1. September 2009 eine Haushaltssperre greife.

In der Sitzung des Wahlausschusses vom 4. September 2009 wurde das Ergebnis der Kommunalwahlen festgestellt.

Diese Feststellung nahm u.a. die Bezirksregierung B. als Aufsichtsbehörde zum Anlass, am 16. Oktober 2009 Einspruch gegen die Feststellung des Wahlergebnisses zu erheben, da Unregelmäßigkeiten gemäß § 40 Abs. 1 lit b des Kommunalwahlgesetzes NRW ( KWahlG ) vorlägen. Die Dortmunder Verwaltungsspitze habe in der Verheimlichung der Fehlbetragsüberschreitung von über 130 Mio. EUR im frühen Vorfeld und auch noch unmittelbar vor der Wahl den Tatbestand der Unregelmäßigkeit erfüllt.

Der Zeuge gab unter dem 2. November 2009 gegenüber der Verwaltung eine chronologisch geordnete Stellungnahme ab zu der Frage, welche Informationen und Unterlagen ihm zu den jeweiligen Daten vorlagen.

Der Beklagte beauftragte Herrn Prof. Dr. C. mit der Fertigung eines Rechtsgutachtens über die Frage des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale des § 40 Abs. 1 lit b KWahlG, das zusammenfassend zu dem Ergebnis gelangte, die Wahl des Rates der Stadt zu wiederholen.

Diesem Vorschlag schloss sich der Beklagte in seiner Sitzung vom 10. Dezember 2009 an und beschloss, den Einsprüchen insoweit stattzugeben, die Ratswahl für ungültig zu erklären und deren Wiederholung anzuordnen.

Diese Entscheidung wurde den Klägern mit Schreiben des Oberbürgermeisters vom 11. Dezember 2009 mitgeteilt, das ihnen am 15. Dezember 2009 zugestellt wurde.

Daraufhin haben die Kläger am 11. Januar 2010 die vorliegende Klage erhoben.

Die Kläger sind der Auffassung, dass der Ratsbeschluss vom 10. Dezember 2009

nicht ordnungsgemäß bekannt gegeben worden sei. Zudem sei er nicht hinreichend bestimmt. In dem Vorgehen des Zeugen als früherem Oberbürgermeister sowie der Zeugin als früherer Kämmerin im Zusammenhang mit der Ratswahl liege keine Unregelmäßigkeit im Sinn des § 40 KWahlG vor. Darüber hinaus sei das Erfordernis der Ergebnisrelevanz nicht gegeben.

Die Kläger beantragen,

den Beschluss des Beklagten vom 10. Dezember 2009 hinsichtlich der Ungültigkeitserklärung der Wahl des Rates der Stadt E. und der Anordnung der Wiederholungswahl aufzuheben,

hilfsweise,

festzustellen, dass der Beschluss des Beklagten vom 10. Dezember 2009 gegenüber den Klägern mangels wirksamer Bekanntgabe keine rechtliche Wirkung erzeugt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft er die Ausführungen des Rechtsgutachtens von Herrn Prof. Dr. C. .

In der mündlichen Verhandlung vom 2. März 2011 ist Beweis erhoben worden über die näheren Umstände, die am 31. August 2009 dazu geführt haben, dass zum 1. September 2009 eine Haushaltssperre bei der Stadt E. angeordnet wurde, durch Vernehmung der früheren Kämmerin und des früheren Oberbürgermeisters der Stadt E. als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Beiakten Hefte 1-18) Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Die Klage ist mit dem Hauptantrag zulässig und begründet.

Die als Anfechtungsklage ( § 42 der Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO- ) erhobene Klage ist die richtige Klageart.

Bei dem Beschluss des Rates vom 10. Dezember 2009 über die Feststellung der Ungültigkeit der Ratswahl und die Anordnung einer Wiederholungswahl handelt es sich um einen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt,

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen ( OVG NRW ), Urteil vom 22. Februar 1991- 15 A 1518/90 -, OVGE 42, 152.

Die Klagebefugnis der Kläger folgt aus § 42 Abs. 2 VwGO, da sie durch den Beschluss des Rates unmittelbar in ihrer Rechtsstellung als Direktgewählte des Rates der Stadt E. betroffen sind. Denn sie verlieren ihre Rechtsstellung und müssen sich einer Wiederholungswahl stellen, um diese Rechtsstellung als Ratsmitglied wiederzuerlangen.

Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 KWahlG bedarf es nicht der Durchführung eines Vorverfahrens.

Die Klagen sind zutreffend gegen den Rat der Stadt E. gerichtet. Klagen im Organstreitverfahren, d.h. Streitigkeiten zwischen Organen oder Organteilen über organschaftliche Rechte, sind gegen den sachlichen Funktionsträger zu richten, dem gegenüber die mit der Organklage beanspruchte Rechtsposition bestehen soll,

OVG NRW, Urteil vom 8. Oktober 2002 - 15 A 3691/01- DÖV 2003, 416.

Das ist vorliegend der Rat als dasjenige Organ, das durch den Beschluss vom 10. Dezember 2009 über die Unwirksamkeit der Wahl und deren Wiederholung entschieden hat.

Die Klage ist begründet.

Der Beschluss des Beklagten vom 10. Dezember 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger dadurch in ihren Rechten ( § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ).

Die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 lit b KWahlG liegen nicht vor.

Allerdings leidet der Verwaltungsakt nicht an formellen Mängeln. Dabei kann die von den Klägern aufgeworfene Frage, ob ihnen der streitgegenständliche Beschluss als vom Verlust des Sitzes betroffene Vertreter gemäß § 65 Abs. 1 Nr. 1 der Kommunalwahlordnung ( KWahlO ) ordnungsgemäß bekanntgegeben worden ist, hier dahinstehen. Denn ein etwaiger Fehler ist gemäß § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes NRW ( VwVfG ) geheilt. Danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Ein Nichtigkeitsgrund im Sinn des § 44 VwVfG ist nicht ersichtlich. Bei der Entscheidung gemäß § 40 Abs. 1 lit b KWahlG handelt es sich um eine gebundene. Darüber hinaus lag hier die Entscheidung ( Ratsbeschluss ) vor einer behaupteten Verletzung in der Bekanntgabe, so dass eine Kausalität eines vermeintlichen Fehlers auf die Entscheidung schon denknotwendig ausgeschlossen ist.

Der angefochtene Beschluss ist auch entgegen der Auffassung der Kläger nicht wegen fehlender Bestimmtheit rechtswidrig.

Gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das bedeutet, dass die getroffene Regelung für den Adressaten des Bescheides hinreichend klar, verständlich und in sich widerspruchsfrei sein muss,

damit er sein Verhalten danach ausrichten kann,

OVG NRW, Beschluss vom 4. Januar 2011 - 6 B 1448/10 -.

Diesen Anforderungen entspricht der Beschluss. Ausweislich dessen Begründung wird die Wahl des Rates für ungültig erklärt und deren Wiederholung angeordnet.

Das von den Klägern in diesem Zusammenhang ins Feld geführte Problem, es sei nicht ersichtlich, welche Unregelmäßigkeit überhaupt zur Diskussion steht, ist im Rahmen der Frage zu behandeln, von welchem Sachverhalt das Gericht bei seiner Entscheidung auszugehen hat.

Der Ratsbeschluss ist aber materiell rechtswidrig.

Gemäß § 40 Abs. 1 lit b KWahlG ist eine Wahl für ungültig zu erklären und eine Wiederholungswahl anzuordnen, wenn festgestellt wird, dass bei der Vorbereitung der Wahl oder der Wahlhandlung Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind, die im jeweils vorliegenden Einzelfall auf das Wahlergebnis im Wahlbezirk von entscheidendem Einfluss gewesen sein können.

Das Gericht ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu der Überzeugung gelangt ( vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ), dass eine derartige Unregelmäßigkeit nicht vorliegt.

Der Begriff der Unregelmäßigkeit der Wahl ( Wahlfehler ) ist im Interesse des Zwecks des Wahlprüfungsverfahrens, eine gesetzmäßige Zusammensetzung der Vertretungskörperschaft zu erzielen, weit zu verstehen,

OVG NRW, Urteil vom 19. Februar 1982- 15 A 1452/81 -,

DVBl 1983, 49.

Er erfasst alle Umstände, die dem Schutzzweck der wahlrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze zuwiderlaufen. Der Wahlfehler erfordert einen Verstoß gegen wahlrechtliche Bestimmungen oder sonstige wahlbezogene Normen. Es genügt aber auch ein Verstoß gegen nicht allein wahlrechtliche Bestimmungen, die jedoch im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Wahl oder der Wahlhandlung anzuwenden waren und unter Verstoß gegen Wahlrechtsgrundsätze angewandt wurden,

Schneider in : Kallerhoff u.a., Handbuch zum Kommunalwahlrecht

in Nordrhein-Westfalen, Köln 2008, S. 311 m.w.H..

Nach der Rechtsprechung liegt eine gesetzwidrige Wahlbeeinflussung insbesondere dann vor, wenn amtliche Stellen gegen das aus den Wahlrechtsgrundsätzen der freien Wahl und der Gleichheit der Wahl folgende Neutralitätsgebot verstoßen ( Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG ). Nach dem Grundsatz der Freiheit der Wahl muss der Wähler in einem freien und offenen Prozess der Meinungsbildung ohne jede unzulässige Beeinflussung von staatlicher, kommunaler oder nichtstaatlicher Seite zu seiner Wahlentscheidung finden können,

Bundesverwaltungsgericht ( BVerwG ), Urteil vom 18. April 1997 - 8 C 5/96-, juris .

Staatlichen und gemeindlichen Organen, die nach Art. 20 Abs. 3 GG als vollziehende Gewalt dem Gebot der Freiheit der Wahl unterworfen, also zu seiner Gewährleistung verpflichtet sind, ist es demzufolge untersagt, sich in amtlicher Funktion vor Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie als Amtsträger zu unterstützen oder zu bekämpfen. Nur Wahlen, die ohne Verstoß gegen das Gebot strikter staatlicher und gemeindlicher Neutralität und ohne Verletzung der Integrität der Willensbildung des Volkes und der Wahlbürger erfolgt sind, können demokratische Legitimation verleihen. Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl fordert die Chancengleichheit der Wahlbewerber; diese kann verletzt werden, wenn etwa Amtsträger in einen Kommunalwahlkampf in amtlicher Funktion zugunsten oder zulasten eines Bewerbers eingreifen,

OVG NRW, Urteil vom 18. März 1997 - 15 A 6240/96 -,

NWVBl 1997, 395.

Eine amtliche Wahlbeeinflussung liegt nicht nur dann vor, wenn von amtlicher Stelle durch Wahlwerbung für einen bestimmten Kandidaten oder eine Partei auf den Wählerwillen Einfluss genommen wird, sondern auch dann, wenn diese durch Fehlinformation oder Unterdrücken von Tatsachen über wahlrelevante Themen geschieht,

Hessischer Verwaltungsgerichtshof (Hess.VGH), Urteil

vom 29. November 2001 8 UE 3800/00 -, juris; bestätigt

durch BVerwG, Urteil vom 8. April 2003 - 8 C 14/ 02 -,

NVwZ 2003,983.

Diese vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof aufgestellten und vom Bundesverwaltungsgericht bestätigten Grundsätze gelten auch für das KWahlG NRW, da die diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Normen des zum damaligen Zeitpunkt geltenden hessischen KWahlG im wesentlichen wortgleich sind mit denen des KWahlG NRW.

Allerdings ist mit dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof zu fordern, dass die amtliche Wahlbeeinflussung einer ordnungs- und pflichtgemäßen Amtsführung nicht entspricht, d.h. eine Offenbarungspflicht bestand,

so auch Rauber, NJW 2003,3609; Oebbecke, NVwZ

2007, 30; Kallerhoff in : Kallerhoff u.a., S.74 f.

Diese Einschränkung ist notwendig, um nicht jede im Wahlkampf gegen das Wahrheitsgebot verstoßende Äußerung bzw. Unterlassung bezüglich wahlkampfrelevanter Themen mit der Sanktion einer Wahlaufhebung zu belegen.

Rechtlich unerheblich ist dabei, ob die Wahlbeeinflussung vom Amtsträger beabsichtigt oder bezweckt ist. Entscheidend ist allein, ob die Erklärung objektiv geeignet ist, den Wählerwillen zu beeinflussen,

Kallerhoff, a.a.O..

Darüber hinaus muss ein zeitlicher und räumlicher Zusammenhang mit der Wahl sowie ein sachlicher Bezug bestehen.

Der verwaltungsgerichtliche Prüfungsumfangs des Vorliegens etwaiger Unregelmäßigkeiten ist begrenzt auf den in den Einsprüchen gerügten Sachverhalt. Dem Gericht ist es verwehrt, eigene Ungültigkeitsgründe seiner Entscheidung zugrunde zulegen,

OVG NRW, Urteil vom 15. Dezember 1971 - 3 A 35/71 -,

OVGE 27, 209.

Diese Begrenzung des Prüfungsumfangs gilt nicht nur im Einspruchsverfahren, sondern auch dann, wenn - wie vorliegend - Klagen gegen einen Ratsbeschluss erhoben werden, mit dem eine Kommunalwahl für ungültig erklärt wird,

Verwaltungsgericht ( VG ) Aachen, Urteil vom 13. Mai 2004

- 4 K 1143/02 -, juris m.w.N..

Nur so lässt sich der Zweck des Wahlprüfungsrechts erreichen, in absehbarer Zeit Klarheit über die Tatsachen zu schaffen, die gegen die Gültigkeit der Wahl eingewandt werden.

Entgegen der Auffassung der Kläger muss der zur Wahlaufhebung führende Sachverhalt nicht in dem angefochtenen Beschluss festgestellt werden. Es reicht, wenn sich im Wege der Auslegung entnehmen lässt, auf welche Ungültigkeitsgründe die Ungültigkeitsfeststellung gestützt wird,

VG Aachen, Urteil vom 13. Mai 2004 - 4 K 1142/02-, juris.

Das ist vorliegend durch die Bezugnahme auf die Einsprüche Nr. 11-354 in der Beschlussvorlage Drucksache Nr.16329-09, die der Ratssitzung vom 10. Dezember 2009 unstreitig zugrunde lag, möglich. Hier wird insbesondere Bezug genommen auf den umfangreichen, die übrigen Einsprüche mit umfassenden Einspruch der Aufsichtsbehörde. In diesem wird gegenüber dem Zeugen als früherem Oberbürgermeister der Stadt und gegenüber der Zeugin als früherer Kämmerin der Vorwurf erhoben, dass diese durch Fehlinformationen über ein Defizit im Haushalt 2009 Wählertäuschung begangen hätten. Zudem war ausweislich der Niederschrift über die 3. Sitzung des Beklagten am 10. Dezember 2009 Grundlage der dortigen Diskussion das von dem Beklagten in Auftrag gegebene Rechtsgutachten von Herrn Prof. Dr. C. , dem ausweislich seines Inhalts der von der Aufsichtsbehörde ins Feld geführte Sachverhalt zugrunde lag.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt in dem Verhalten des Zeugen und der Zeugin keine die vorgenannten Kriterien erfüllende amtliche Wahlbeeinflussung vor.

Die mit den Einsprüchen behaupteten Verstöße gegen die Wahrheitspflicht,

begangen durch Täuschung und Desinformation des Hauptund Finanzausschusses mit (1) Schreiben vom 12. Juni 2009 ,

(2) Schreiben vom 26. August 2009

und durch (3) Verschweigen wahlrelevanter Tatsachen gegenüber dem Rat,

liegen nach Überzeugung der Kammer nicht vor.

(1) Von einer Unregelmäßigkeit bei der Vorbereitung der Wahl im Sinn des § 40 Abs. 1 lit b KWahlG in Form des aktiven Tuns kann nur ausgegangen werden, wenn der Inhalt des Schreibens vom 12. Juni 2009 objektiv falsch war und damit das Wahrheitsgebot tatsächlich verletzt war.

Eine derart objektive Unrichtigkeit stellt das Schreiben vom 12. Juni 2009 nicht dar.

Die schriftliche Beantwortung der Anfrage der Ratsfrau Dr. M. vom 3. Juni 2009 ( Drucksache Nr. 15089-09 ) enthält zum einen eine Aussage zu der Einnahme/Ausgabesituation der Stadt zum abgefragten Stichtag 31.Mai 2009, zum anderen eine Prognose zu der Frage, ob die Stadt E. mit den zur Verfügung stehenden Mitteln auskommen wird.

Ausweislich der Auswertung des Gewerbesteueraufkommens im Jahre 2009 im Verhältnis zum Jahr 2008 ist der Hinweis auf Mindererträge zum Stichtag von rund 13 Mio. EUR objektiv zutreffend. Darauf hat der Zeuge in seiner Stellungnahme vom 12. Juni 2009 ausdrücklich hingewiesen, zugleich verbunden mit der Einschränkung, dass mit diesen Mindereinnahmen aber ein geringerer Aufwand an Gewerbesteuerumlage für die Stadt einhergeht. Die Richtigkeit der Stellungnahme hinsichtlich der Aufwendungen, die bis Mai 2009 um 2,1 % höher lagen als im Vorjahr, wird von den Beteiligten nicht in Abrede gestellt.

Auch die nachfolgenden Ausführungen zur Ergebnisrechnung sind nicht als Täuschung zu qualifizieren. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei diesen lediglich um Prognosen unter Berücksichtigung der Entwicklung der weiteren Einnahmen und Ausgaben bis zum Jahresende handelt, die zum Zeitpunkt der Abgabe dieser Erklärung nicht valide sein konnten, da nicht einmal die erste Jahreshälfte verstrichen war. Die getroffene Feststellung: "Der Vorjahresvergleich lässt noch keine Auffälligkeiten erkennen. Leicht höheren Aufwendungen stehen auch höhere Erträge gegenüber", ist unter Berücksichtigung der in diesem Schreiben gegenübergestellten Zahlen von Einnahmen und Ausgaben objektiv nicht falsch, weil der Vorjahresvergleich zeigt, dass die Gewerbesteuer gerade im 4. Quartal des Jahres 2008 stark anstieg.

Mit diesem Schreiben ist auch nicht ein Unterfall der aktiven Täuschung, nämlich der Desinformation, erfüllt. Bei der Desinformation wird durch aktives Tun ein bestehender Sachverhalt bewusst unvollständig dargestellt,

vgl. BVerwG, Urteil vom 8. April 2003, a.a.O..

Vorliegend ist schon kein Unterdrücken objektiver oder überprüfbarer Fakten oder ein Verschweigen oder Ablenken von der Wahrheit durch Nichtangabe der von der Kämmerei unter dem 29. Mai 2009 prognostizierten Fehlbedarfe, u.a. für das Jahr 2009 in Höhe von 158 Mio. EUR , gegeben. Denn diese Angaben waren für eine Aussage über etwaige Haushaltsdefizite nicht tragfähig und damit nicht aussagekräftig.

Zwar lagen dem Zeugen unstreitig am 12. Juni 2009 die von der Kämmerei gefertigten Unterlagen vor. Bei dem dem Zeugen zur Verfügung gestellten Zahlenwerk handelte es sich aber um Zusammenstellungen von prognostizierten, nicht überprüften Mehraufwendungen durch die Fachämter. Wie die Zeugin auf Befragen in der mündlichen Verhandlung vortrug, gelangten sie und der Zeuge im Rahmen des Eckwertegespräches vom 5. Juni 2009 zu dem Ergebnis, dass die Zusammenstellungen vom 29. Mai 2009 nicht auf validen Zahlen fußten. Den von der Kämmerei prognostizierten Fehlbedarfen seien die von den Fachämtern gemeldeten Zahlen zugrundegelegt worden, ohne dass diese von der Kämmerei bewertet, d.h. auf Validität und etwaige Einsparpotentiale überprüft worden seien. Diese Ausführungen der Zeugin sind glaubhaft, da sie im Rahmen ihrer Vernehmung anschaulich, nachvollziehbar und widerspruchsfrei die Entwicklung des Gespräches vom 5. Juni 2009 schilderte und einräumte, dass sie zunächst bei der Zusammenstellung der Gesprächsunterlagen dem Prinzip der Vorsicht gefolgt sei, im Verlaufe der Besprechung vom 5. Juni 2009 allerdings im Hinblick auf die Erfahrungen mit der Prognosequalität aus dem Vorjahr die Auffassung des Zeugen teilte, dass die Zusammenstellungen nicht auf validen Zahlen basierten.

Die Richtigkeit des von der glaubwürdigen Zeugin dargestellten Gesprächsergebnisses folgt zum einen aus dem Umstand, dass tatsächlich weitere Gespräche mit den Fachbereichen geführt wurden, zum anderen aus der Tatsache, dass das Schreiben vom 12. Juni 2009 nach den Bekundungen der Zeugen nicht von dem Zeugen, sondern von der Kämmerei verfasst, von der Zeugin abgezeichnet und vom Zeugen ohne Änderung an die Mitglieder des Haupt -und Finanzausschusses weitergeleitet worden war. Wie die Zeugin bei ihrer Vernehmung schilderte, entsprach der Inhalt dieses Schreiben auch ihrer Auffassung.

Die Zweifel der Zeugen an der Validität der Zahlen finden ihre Berechtigung in dem Geschehensverlauf des Vorjahres. Für das Haushaltsjahr 2008 war ein Fehlbedarf von 67,9 Mio. EUR ausgewiesen worden. Über diesen Fehlbedarf hinaus war im Mai 2008 für die Ergebnisrechnung 2008 von den einzelnen Fachbereichen eine gesamtstädtische Budgetüberschreitung von insgesamt 89,1 Mio. EUR prognostiziert worden. Im August 2008 sollte sich diese sogar auf 99,4 Mio. EUR belaufen. Der tatsächliche Jahresabschluss für das Haushaltsjahr 2008 lag aber um 10,5 Mio. EUR unterhalb des ausgewiesenen ( 57,4 Mio. EUR ) und damit um 42 Mio. EUR unterhalb des im August 2008 prognostizierten.

(2) Auch durch den Inhalt des Schreibens vom 26. August 2009 ist selbst unter Berücksichtigung der unter dem 29.Juli 2009 zusammengestellten Unterlagen durch die Kämmerei und des Gesprächs vom 11. August 2009, das zwischen den Zeugen und dem Amtsleiter der Kämmerei stattfand, nicht der Tatbestand der Täuschung oder Desinformation erfüllt.

Zwar hat die Kämmerei unter dem 29. Juli 2009 unter Zugrundelegung der Prognose des Jahresergebnisses im Prognoselauf Juli 2009 durch die Fachämter eine Einschätzung dahingehend getroffen, dass ein Fehlbetrag von rund 163 Mio. EUR zu erwarten sei und die Auffassung vertreten, dass umgehend eine Nachtragssatzung zu erlassen sei.

Hierbei handelt es sich aber nicht um einen feststehenden Sachverhalt, der in dem Schreiben vom 26. August 2009 den Mitgliedern des Hauptund Finanzausschusses hätte mitgeteilt werden müssen.

Dass der Zeuge auch zu diesem Zeitpunkt vertretbar von nicht validen Zahlen ausgehen konnte, ergibt sich aus dem Umstand, dass die Zeugin schon am 10. August 2009 Mehreinnahmen ermittelte, die die noch Ende Juli 2009 prognostizierten, nicht gedeckten Mehraufwendungen von 86 Mio. EUR auf 23,4 Mio. EUR reduzierten. Ausweislich der Anlage 4 der Unterlagen zum Gespräch am 11. August 2009 errechnete die Zeugin Einsparpotentiale und Verbesserungen in den Einnahmen, die zu ungedeckten Mehraufwendungen von nur noch 23,4 Mio. EUR führten. Dass die Zeugin von der Validität der von ihr eruierten Zahlen überzeugt war, ergeben ihre diesbezüglichen Ausführungen in der Zeugenvernehmung. Danach lag bereits der Bescheid bezüglich der erhöhten Schlüsselzuweisungen vor. Die Situation am Kapitalmarkt zeigte, dass Verbesserungen beim Zinsaufwand tatsächlich eingetreten waren. Durch Aufhebung der Sperre im Stadtamt 16 konnten weitere 4,5 Mio. EUR eingespart werden.

Selbst wenn die Zeugin in der mündlichen Verhandlung ausführte, sie sei zum Zeitpunkt des Gespräches der Auffassung gewesen, der Zeuge hätte den Rat über die Haushaltssituation informieren müssen, nachdem ihm die Zahlen von Ende Juli 2009 vorlagen, räumte sie dann im weiteren Verlauf ihrer Vernehmung ein, dass sie den Inhalt des Schreibens vom 26. August 2009 damals für zutreffend hielt. Denn die Verhältnisse hatten sich nach der Bekundung der Zeugin von Ende Juli 2009 bis Ende August 2009 verbessert. So stand für die Zeugin etwa am 25./26. August 2009 fest, dass trotz Aufforderung der Bezirksregierung vom 20. August 2009, eine Nachtragssatzung wegen der Übernahme der Altschulden des Klinikums zu erlassen, eine solche nicht erforderlich war, weil investive Mittel aus dem Finanzplan zur Deckung zur Verfügung standen.

Auch wenn der Zeuge den ihm von der Zeugin in diesem Zusammenhang erteilten Hinweis, der Erlass einer Nachtragssatzung sei nicht erforderlich, damals insofern missverstanden hatte, als er diese Ausführungen nicht nur auf die Frage einer Nachtragssatzung hinsichtlich der Altschulden des Klinikums bezog, sondern, wie er in seiner Vernehmung ausführte, so aufgefasst hatte, dass auch im Übrigen eine Nachtragssatzung nicht erforderlich sei, konnte er sich in seiner Interpretation bestätigt sehen durch den Inhalt des Schreibens vom 26. August 2009, das er - wie beide Zeugen widerspruchsfrei bekundeten - nicht selbst verfasst hatte, sondern dieses wiederum von der Kämmerei gefertigt worden war. Für die Richtigkeit dieser Aussagen spricht der identische Wortlaut der Schreiben vom 12. Juni 2009 und 26. August 2009 hinsichtlich der abschließenden Bemerkungen.

Der Zeuge war auch nicht gehalten, in dem Schreiben vom 26. August 2009 auf den zwischen ihm und der Zeugin vereinbarten Erlass einer Haushaltssperre hinzuweisen. Wie die Zeugin in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erläuterte, ist das Ziel einer Haushaltssperre, Einsparungen zu erreichen, dann gefährdet, wenn vorzeitig bekannt ist, dass mit deren Erlass zu rechnen ist.

(3) Nach Überzeugung des Gerichts kann der Zeugin und dem Zeugen auch keine Unregelmäßigkeit im Sinn des § 40 Abs. 1 lit b KWahlG durch Unterlassen vorgeworfen werden.

Eine amtliche Wahlbeeinflussung kann nicht nur in Form des aktiven Tuns, sondern auch durch Unterlassen erfolgen.

Eine unzulässige amtliche Wahlbeeinflussung durch Unterlassen liegt dann vor, wenn wahlrelevante Umstände unter Verstoß gegen kommunalrechtliche Vorschriften trotz Offenbarungspflicht verschwiegen werden. Diese Wahlbeeinflussung muss inhaltlich geeignet sein, die Wählerwillensbildung parteiergreifend zu beeinflussen,

Hess.VGH, Urteil vom 29. November 2001 - 8 UE 3800/00 - a.a.O.;

BVerwG, Urteil vom 8. April 2003, a.a.O..

a) Ein Verstoß gegen kommunalrechtliche Vorschriften

aa) § 24 der Gemeindehaushaltsverordnung ( GemHVO ),

bb) §§ 55 Abs. 1 Satz 1, 62 Abs. 4 GO,

cc) § 55 Abs. 1 Satz 2 GO,

kann nach Überzeugung des Gerichts nicht festgestellt werden.

b) Eine darüber hinausgehende Offenbarungspflicht gegenüber der Wählerschaft kommt nicht in Betracht.

aa) Gemäß § 24 Abs. 2 GemHVO ist der Rat unverzüglich zu unterrichten, wenn nach Absatz 1 Satz 1 eine haushaltswirtschaftliche Sperre ausgesprochen worden ist oder wenn sich abzeichnet, dass der Haushaltsausgleich gefährdet ist.

Der Haushaltsausgleich ist dann gefährdet, wenn in der Ergebnisrechnung die Erträge nicht ausreichen werden, die Aufwendungen zu decken, und gleichzeitig dieser Fehlbetrag nicht durch die Ausgleichsrücklage ausgeglichen werden kann. Verfügt -wie hier- die Gemeinde über eine Ausgleichsrücklage, ist der Rat spätestens dann unverzüglich zu unterrichten, wenn sich abzeichnet, dass der voraussichtliche Fehlbedarf aus dem Saldo der Erträge und Aufwendungen den Wert des in der Schlussbilanz des letzten Jahres in der Ausgleichsrücklage ausgewiesenen Betrages übersteigen wird,

Siemonsmeier, Rettler und andere, Gemeindehaushaltsrecht NRW, Kommentar, Stand: 6.2010, § 24 Erläuterungen 2.

In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Entscheidung, ob der Haushalt gefährdet ist, um eine prognostische Einschätzung tatsächlicher Entwicklungen handelt. Da gesetzlich nicht geregelt ist, wen die Unterrichtungspflicht trifft, ist auf die allgemeinen Regeln der Gemeindeordnung abzustellen, wonach gemäß § 62 Abs. 4 GO der Bürgermeister die Gemeindevertretung über alle wichtigen Gemeindeangelegenheiten zu unterrichten hat. Daher ist auf die Prognoseentscheidung des Zeugen abzustellen.

Prognoseentscheidungen sind gerichtlich nur eingeschränkt auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Zu prüfen ist jedoch, ob der Zeuge den Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt, die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte erkannt und den möglichen Verlauf der Entwicklung nicht offensichtlich fehlerhaft eingeschätzt hat,

vgl zur Überprüfbarkeit von Prognoseentscheidungen, Wysk, Kommentar zur VwGO, München 2011, § 114 Rdn. 14.

Nach Überzeugung der Kammer ist die von dem Zeugen auf der Grundlage der ihm vorliegenden Informationen getroffene Prognose, der Haushalt sei nicht gefährdet, vertretbar und damit nicht zu beanstanden.

Dies ergibt sich für den Zeitraum bis Ende Juni 2009 zum einen aus dem Umstand, dass - wie bereits oben ausgeführt worden ist - keine validen Zahlen vorlagen, die den Schluss zuließen, dass der Haushalt gefährdet war. Auch wenn der Beklagte die bei der Stadt angewandte, besonders detaillierte Erhebungsmethodik hervorhebt, steht dieser Behauptung die unwidersprochene Tatsache entgegen, dass der prognostizierte Fehlbedarf für das Vorjahr 2008 nicht eingetreten war. Vielmehr wurde ein Ergebnis erzielt, das mit einem Fehlbedarf unter dem Haushaltsansatz endete. Zum anderen lagen bis dahin keine gesicherten Erkenntnisse über tatsächliche Mindereinnahmen bei der Gewerbesteuer vor. Ausweislich der Übersicht über die Auswertung des Gewerbesteueraufkommens war erstmals für die Monate April und Mai 2009 ein leichter Rückgang in den Einnahmen im Vergleich zum Vorjahr zu erkennen, der allerdings durch die höheren Einnahmen aus den Vormonaten komfortabel ausgeglichen werden konnte.

Soweit der Beklagte darauf hinweist, dass sich die Prognose der Haushaltsverschlechterung danach Monat für Monat bewahrheitet habe, ist es einer Prognose immanent, dass sie sich erst im Laufe der Zeit bewahrheitet oder nicht. Das macht aber die vom Zeugen im Juni 2009 getroffene Entscheidung, es liege keine Gefährdung des Haushalts vor, nicht fehlerhaft.

Wie die Zeugin im Rahmen ihrer Vernehmung vermutet hat, war der neuerliche Prognoselauf vom 24. Juni 2009 dem Zeugen wahrscheinlich nicht vorgelegt worden. Dafür, dass ihm dieser tatsächlich unbekannt war, spricht seine Stellungnahme vom 2. November 2009, in der er die ihm vorliegenden Unterlagen und Informationen zeitlich auflistete, den Prognoselauf vom 24. Juni 2009 darin aber nicht aufführte.

Auch wenn eine unverzügliche Unterrichtung des Rates bereits dann erforderlich ist, wenn erste Anzeichen für die Gefährdung des Haushaltsausgleichs erkennbar werden,

vgl. Siemonsmeier a.a.O.,

konnte der Zeuge auf Grund seiner Sachkenntnis als früherer Kämmerer der Stadt und seiner Erfahrungen aus dem Vorjahr vertretbar davon ausgehen, dass eine Unterrichtungspflicht gegenüber dem Rat zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestand.

Die Zeugin als ehemalige Kämmerin bekundete in diesem Zusammenhang, dass sie nach dem Gespräch vom 5. Juni 2009 selbst zu der Auffassung gelangt sei, dass zunächst weitere Gespräche zu führen seien. Sie persönlich hielt Maßnahmen zur Konsolidierung des Haushalts - wie etwa den Erlass einer Haushaltssperre - zu diesem Zeitpunkt für nicht erforderlich. Die Richtigkeit ihrer diesbezüglichen Angaben wird bestätigt durch den nachfolgenden zeitlichen Ablauf, da sie nach übereinstimmenden Bekundungen der Zeugen eine Haushaltssperre erstmals im Gespräch vom 11. August 2009 ankündigte.

Mit der Zusammenstellung der neuerlichen Daten vom 29. Juli 2009, die dem Zeugen frühestens am 10. August 2009 vorgelegen haben können, da die Anlage 4 als Teil der Unterlagen für das Gespräch am 11. August 2009 unstreitig erst am 10. August 2009 gefertigt worden war, sah dann aber der Zeuge ausweislich seiner Stellungnahme vom 2. November 2009 Handlungsbedarf, den Rat über die aktuelle Entwicklung des Haushalts zu informieren.

Ob diese Unterrichtung im Rahmen des § 24 GemHVO erfolgen sollte, kann vorliegend dahinstehen. Dagegen spricht, dass der Zeuge mit einem Fehlbedarf von lediglich 23,4 Mio. EUR rechnete, dem er allerdings weitere höhere Einnahmen gegenrechnete, wie etwa die Erstattung des Soli-Beitrags durch das Land, und so von einem ausgeglichenen Haushalt ausging.

Sofern die zwischen ihm und der Zeugin beschlossene Unterrichtung des Rates im Rahmen des § 24 GemHVO erfolgen sollte, ist diese nach Überzeugung der Kammer mit der Information in der Ratssitzung vom 17. September 2009 unverzüglich geschehen. In welcher Form der Rat zu unterrichten ist, ergibt sich weder aus der Norm noch aus §§ 55 Abs. 1, 62 Abs. 4 GO, so dass eine schriftliche oder mündliche Unterrichtung in Betracht kommt,

Articus/Schneider, Gemeindeordnung NRW, Stuttgart 2009,

§ 55 Anm. 2.

Unstreitig war die nächste, bislang nur fakultativ geplante Sitzung des Rates am 17. September 2009. Soweit der Beklagte meint, dass angesichts der bevorstehenden Wahlen der Rat früher, und zwar schriftlich, hätte informiert werden müssen, ist dem entgegenzuhalten, dass wegen der Neutralitätspflicht der Amtsinhaber diese in Wahlkampfzeiten nicht anders agieren dürfen als in wahlkampffreien Zeiten,

vgl. OVG Greifswald, Beschluss vom 29.2.2008 - 2 O 141/07 -.

Die Verfahrensweise der Zeugen hielt sich aber im Rahmen ihres Vorgehens des Vorjahres. Ausweislich der Sitzungsunterlagen aus dem Jahre 2008 war am 29. August 2008 eine Haushaltssperre ausgesprochen worden. Die Information darüber und über die Haushaltslage erfolgte in der Sitzung des Rates vom 4. September 2008.

Gegen eine schriftliche Information spricht der Umstand, dass

diese eine Reihe von Fragen aufgeworfen hätte, z.B. hinsichtlich etwaiger Ausgleichsmöglichkeiten der prognostizierten Defizite, Ursachen der erhöhten Ausgaben, Rückgang der Gewerbesteuer, die der Zeuge bei nur schriftlicher Unterrichtung nur wieder schriftlich hätte beantworten können oder die wegen der Kürze der Zeit unbeantwortet geblieben wären, und so ein unvollständiges Bild über die Haushaltssituation in der durch den Rat repräsentierten Öffentlichkeit entstanden wäre.

bb) Nach Überzeugung der Kammer liegt auch kein Verstoß gegen §§ 62 Abs. 4, 55 Abs. 1 Satz 1 GO vor.

Danach hat der Bürgermeister die Gemeindevertretung über alle wichtigen Gemeindeangelegenheiten zu unterrichten. Mit dieser Aufgabe des Bürgermeisters korrespondiert der in § 55 Abs. 1 Satz 1 GO normierte Anspruch des Rates, durch den Bürgermeister über alle wichtigen Angelegenheiten der Gemeindeverwaltung informiert zu werden.

Was "wichtige Gemeindeangelegenheiten" im Sinn der Vorschriften sind, definiert das Gesetz nicht.

Hier steht dem Bürgermeister ein sachlich begrenzter Einschätzungsspielraum zur Verfügung, bei dessen Ausübung er einerseits die entscheidenden gemeindespezifischen Kriterien wie Größe, Finanzkraft, politische Bedeutung zu berücksichtigen hat und andererseits dem Umstand Rechnung tragen muss, dass die gebotenen sachlichen Informationen wesentliche Grundlage dafür sind, dass der Rat seinem Kontrollrecht gegenüber der hauptberuflich tätigen Verwaltung genügen kann,

Articus/Schneider, § 62 Anm. 7.

Unstreitig war die Haushaltslage der Stadt eine Angelegenheit von politischer Bedeutung. Mit der Unterrichtung des Rates am 17. September 2009 ist der Zeuge aber dieser Pflicht nachgekommen. Wenn schon ein Verstoß gegen § 24 Abs. 2 GemHVO nicht festgestellt werden kann, dann erst Recht kein solcher gegen

§§ 62 Abs. 4, 55 Abs. 1 Satz 1 GO, die nicht einmal das Tatbestandsmerkmal der "Unverzüglichkeit" der Unterrichtung verlangen.

cc) Ein Verstoß gegen § 55 Abs. 1 Satz 2 GO liegt ebenfalls nicht vor. Gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 GO ist der Bürgermeister verpflichtet, einem Ratsmitglied auf Verlangen Auskunft zu erteilen oder zu einem Tagesordnungspunkt Stellung zu nehmen. Satz 2 ist durch das Änderungsgesetz vom 9. Oktober 2007 ( GV. NRW. S. 380 ) eingefügt worden, so dass es eines Rückgriffs auf § 43 Abs. 1 GO nicht mehr bedarf und die in diesem Zusammenhang vom Beklagten ins Feld geführte Entscheidung des OVG NRW vom 5. Februar 2002 - 15 A 2604/99 - insoweit überholt ist. Die Anfragen der Ratsfrau Dr. M. sind von dem Zeugen beantwortet worden und - wie oben ausgeführt - aus seiner damaligen Sicht vollständig und zutreffend.

b) Eine darüber hinausgehende allgemeine Informationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit besteht nach der Rechtsauffassung der Kammer nicht.

Von dem Vorliegen einer solchen geht auch das Bundesverwaltungsgericht nicht aus. Seiner Entscheidung vom 8. April 2003 ist kein allgemeiner Anspruch der Öffentlichkeit auf "Wahrheit" im Wahlkampf zu entnehmen. In dem dort entschiedenen Verfahren war ein Verstoß gegen kommunalrechtliche Vorschriften, die eine Offenbarungspflicht postulierten, festgestellt worden, weil Tatsachen verschwiegen und Unwahrheiten behauptet worden waren. In diesem Rahmen war über die Frage zu entscheiden, ob ein solcher Verstoß eine Wahlwiederholung rechtfertigt. Eine Wahrheitspflicht im Wahlkampf besteht überall dort, wo eine Rechtspflicht zur Offenbarung von Tatsachen besteht,

Rauber, NJW 2003,3609.

Nur ein solches Verständnis schafft eine Kongruenz zwischen rechtlicher Bindung im Vorfeld der Wahl und der Reichweite der rechtlichen Überprüfbarkeit der stattgefundenen Wahl. Denn nicht jede Nichtoffenbarung von Wahrheit, für die eine Offenbarungspflicht nicht besteht, kann zur Wahlwiederholung führen,

Berghäuser, NVwZ 2003,1085.

Zudem kann der Anspruch des Wählers nicht über den Anspruch des Rates hinausgehen, da dieser vom Rat repräsentiert wird,

OVG NRW, Urteil vom 5. Februar 2002 - 15 A 2604/99 -

NWVBl 2002,381; Dreßler, Hessische Städteund Gemeinde-Zeitung, 2003,198.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO,

§§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.

Gemäß §§ 124 a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Berufung zuzulassen, da die Rechtssache im Hinblick auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 40 Abs. 1 lit b KWahlG grundsätzliche Bedeutung hat.