LG Dortmund, Beschluss vom 21.06.2010 - 9 T 212/10
Fundstelle
openJur 2011, 75501
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 257 IN 22/04
Tenor

Auf die Beschwerde des Schuldners vom 08.03.2010 wird der Beschluss des Amtsgerichts Dortmund vom 04.03.2010 aufgehoben.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.200,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Auf einen Eigenantrag des Schuldners wurde mit Beschluss vom 05.03.2004 das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet.

Im Ergänzungsblatt II zu Ziff. 25 des Vermögensverzeichnisses hatte der Schuldner bei der Antragstellung angegeben, Eigentümer eines mit einer abgetretenen Grundschuld belasteten Reihenhauses in I, C- Str. ...#, zu sein. Im Bericht des Treuhänders vom 27.05.2004 wurde das Objekt beschrieben als unbewohntes Reihenhaus, bei dem offensichtlich ein erheblicher Reparaturstau vorhanden sei und das im derzeitigen Zustand entweder überhaupt nicht oder nur zu einem Veräußerungswert deutlich unter 60.000,00 € verwertet werden könnte; das freie Vermögen hieraus wurde auf 0,00 € beziffert. Auf dem Grundstück lastete eine Eigentümergrundschuld über 65.189,71 €, die der Schuldner im Zusammenhang mit einem Schuldanerkenntnis durch Urkunde vom 01.02.2002 an einen Gläubiger abgetreten hatte, dem eine Forderung i.H.v. 114.966,06 € gegen den Schuldner zustand. Mit Schreiben vom 18.07.2005 gab der Treuhänder den Grundbesitz aus dem Insolvenzbeschlag frei, da dieser wertausschöpfend belastet sei.

Durch Beschluss des Amtsgerichts Dortmund vom 10.08.2007 wurde dem Schuldner die Restschuldbefreiung angekündigt; mit Beschluss vom 06.09.2007 wurde das Insolvenzverfahren mangels Masse ohne Schlussverteilung aufgehoben.

Im Februar 2008 schloss der Schuldner mit seinem Gläubiger, zu dessen Gunsten die abgetretene Grundschuld auf dem freigegebenen Grundstück lastete, einen Vergleich, mit dem er gegen Zahlung von 10.000,00 € Forderung und Grundschuld ablösen konnte. Die Zahlung erfolgte am 25.02.2008.

Unter dem 21.12.2009 beantragte der Treuhänder daraufhin, gem. § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO die Nachtragsverteilung hinsichtlich des Grundbesitzes des Schuldners in der C- Str. ...# in I anzuordnen. Zur Begründung führte er an, dass er jetzt Kenntnis davon erlangt habe, dass die Forderung des Grundpfandrechtsgläubigers durch eine vergleichsweise Zahlung von 10.000,00 € erledigt worden sei. Der zum Zeitpunkt der Freigabe wertausschöpfend belastete Vermögensgegenstand sei damit wieder werthaltig geworden, da anderweitige Belastungen nicht bestünden; ein Betrag von 42.000,00 € könnte der Masse noch zufließen.

Mit Beschluss vom 04.03.2010 hat das Amtsgericht Dortmund antragsgemäß die Nachtragsverteilung angeordnet.

Gegen diesen Beschluss, der ihm am 04.03.2010 zugestellt worden ist, hat der Schuldner am 08.03.2010 sofortige Beschwerde eingelegt. Die Freigabe des Grundstücks sei unwiderruflich erfolgt; der einmal freigegebene Vermögenswert könne nicht mehr Gegenstand der Nachtragsverteilung sein. Die Werthaltigkeit des freigegebenen Grundstücks habe sich auch nicht unvorhersehbarer Weise erst nachträglich herausgestellt, sondern sie sei überhaupt erst nachträglich durch geschicktes Verhandeln des Schuldners mit dem Grundschuldgläubiger hergestellt worden. Wegen der Begründung im einzelnen wird auf die Schriftsätze vom 11.03. und 20.05.2010 verwiesen.

Der Treuhänder hat zu dem Beschwerdevorbringen Stellung genommen und ausgeführt, dass nicht die Freigabe widerrufen, sondern der wieder werthaltig gewordene Vermögensgegenstand zur Masse gezogen werden solle. Die Freigabe schließe die Nachtragsverteilung nicht per se aus; es widerspreche der Verpflichtung des Schuldners, für die bestmögliche Befriedigung seiner Gläubiger zu sorgen, wenn er den Verwertungserlös behalten könnte.

Das Amtsgericht Dortmund hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist gem. §§ 204 Abs. 2 S. 2, 6 Abs. 1 und Abs. 2, 4 InsO, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO statthaft und zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.

Sie ist auch begründet, weil die Voraussetzungen des § 203 Abs. 1 InsO für die Anordnung einer Nachtragsverteilung nicht vorliegen.

Gem. § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO kann die Nachtragsverteilung angeordnet werden, wenn nach dem Schlusstermin Gegenstände der Masse ermittelt werden.

Hierunter sind auch Gegenstände zu subsumieren, von deren Existenz oder Aufbewahrungsort der Insolvenzverwalter keine Kenntnis hatte. Ansprüche, die der Insolvenzverwalter bei der Verwertung fälschlich als nicht werthaltig angesehen hatte, bzw. Gegenstände, die der Verwalter zunächst nicht für verwertbar hielt und deshalb nicht zur Masse gezogen hat, fallen ebenso hierunter (vgl. Braun, InsO, 4. Aufl. 2010, § 203 Rdnr. 12, 14; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2010, § 203 Rdnr. 10; BGH NJW-RR 2008, 428; BGH NJW-RR 2006, 262).

Der Insolvenzverwalter hatte im vorliegenden Fall jedoch Kenntnis von der Existenz des Grundstücks, von seinem ungefähren Wert sowie von der auf ihm lastenden Grundschuld. Er hat das Grundstück insoweit auch nicht fälschlich als nicht werthaltig angesehen, da es zum Zeitpunkt seiner Freigabe und auch zum Zeitpunkt der Aufhebung des Insolvenzverfahrens tatsächlich nicht werthaltig war. Denn durch die seinerzeit auf ihm lastende, an einen Gläubiger abgetretene Eigentümergrundschuld sowie angesichts der Höhe der dadurch gesicherten Forderung war das Grundstück in der Tat wertausschöpfend belastet und damit für die Insolvenzmasse nicht gewinnbringend verwertbar.

Aber auch, wenn es für die Anordnung der Nachtragsverteilung letztlich keine Rolle spielen soll, aus welchem Grund die Verwertung unterblieben ist - z.B. aus einer Nachlässigkeit des Insolvenzverwalters heraus (BGH NJW-RR 2008, 428) -, kommt es hierauf vorliegend nicht an.

Denn aufgrund der bereits vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens erfolgten Freigabe des Grundstücks war dieses wieder in das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners übergegangen (vgl. BGH NJW-RR 2007, 845). Es können aber nur zur Masse gehörende Gegenstände, die vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht verwertet worden sind, gem. § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO der Nachtragsverteilung zugeführt werden (BGH NJW-RR 2008, 428). Demgemäß waren auch in den vom BGH - bereits zur Insolvenzordnung - entschiedenen Fällen, in denen die Nachtragsverteilung wegen eines versehentlich nicht verwerteten Grundstücks (BGH NJW-RR 2008, 428) sowie wegen eines aus der Verwertung von Sicherheiten nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens erzielten Übererlöses (BGH NJW-RR 2006, 262) für zulässig erklärt worden war, die jeweils betroffenen Gegenstände nicht zwischenzeitlich an den Schuldner freigegeben worden; in letzterem Fall hat der BGH diesen Umstand auch ausdrücklich als entscheidungserheblich erwähnt.

Insoweit kommt es wegen der erfolgten Freigabe auch nicht darauf an, dass das betroffene Grundstück als solches nach wie vor im Eigentum des Schuldners steht und gar nicht aufgrund einer von ihm getroffenen Verfügung aus seinem Vermögen ausgeschieden ist. Zwar wäre es dann bereits aus diesem Grunde für eine Nachtragsverteilung nicht mehr greifbar gewesen. Denn von der Nachtragsverteilung werden Gegenstände und Beträge nicht erfasst, über die der Schuldner nach Verfahrensaufhebung oder Freigabe aufgrund seiner wiedererlangten Verfügungsgewalt wirksam verfügt hat (Braun, InsO, 4. Aufl. 2010, § 203 Rdnr. 12, 14). Wenn sich also z.B. nachträglich herausstellt, dass ein für unverwertbar gehaltener und deshalb freigegebener Gegenstand doch verwertbar war, so kann der Gegenstand von dem Dritten, an den der Schuldner ihn veräußert hat, nicht zum Zwecke einer Nachtragsverteilung herausverlangt werden (Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2010, § 203 Rdnr. 11, 12).

Eine rechtswirksame Freigabe hindert eine spätere Anordnung der Nachtragsverteilung in jedem Fall. Etwas anderes gilt allenfalls für die sog. unechte Freigabe aufgrund eines Irrtums des Verwalters oder der Gläubigerversammlung (Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2010, § 203 Rdnr. 11, 12).

Ein solcher Irrtum ist vorliegend aber nicht ersichtlich. Etwas anderes hätte allenfalls gelten können, wenn Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, dass die Werthaltigkeit des Grundstücks entgegen der bestehenden Belastung zum Zeitpunkt der Freigabe doch gegeben war, etwa weil die später im Vergleichswege mit einer Zahlung in Höhe von weniger als einem Sechstel des eingetragenen Grundschuldbetrages und weniger als einem Zehntel der Gläubigerforderung abgelöste Grundschuld von Anfang an aufgrund kollusiven Zusammenwirkens von Schuldner und Gläubiger nicht ernst gemeint gewesen und das Grundstück daher nur zum Schein belastet worden wäre. Solche Anhaltspunkte sind aber weder ermittelt noch von dem Treuhänder geltend gemacht worden.

Auch der Umstand, dass der Schuldner 10.000,00 € zur Verfügung hatte (die bzw. deren durch ihren Einsatz erlangtes Surrogat in Form der wiedererlangten Werthaltigkeit des Grundstücks gar nicht Gegenstand der angeordneten Nachtragsverteilung sind), führt zu keiner anderen Beurteilung.

Denn seit dem Beginn der Wohlverhaltsperiode durfte der Schuldner grundsätzlich wieder Vermögen aufbauen und daher sowohl die 10.000,00 € für die Vergleichszahlung besitzen als auch den dadurch eingetretenen Wertzuwachs des Grundstücks C- Str. ...# für sich vereinnahmen. Denn in der Wohlverhaltsphase hat der Schuldner nach den bestehenden gesetzlichen Vorgaben allein die pfändbaren Teile seines Einkommens oder entsprechender Zahlungen gem. § 287 Abs. 2 InsO sowie gem. § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO einen Erwerb von Todes zur Hälfte des Werts an die Gläubiger abzuführen. Anhaltspunkte dafür, dass die 10.000,00 € sich bereits vor der Aufhebung des Insolvenzverfahrens im Vermögen des Schuldners befanden, damit eigentlich zur Insolvenzmasse gehört hätten, aber dem Insolvenzverwalter verheimlicht worden wären (mit der Folge, dass sie bzw. ihr Surrogat gem. § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO der Nachtragsverteilung unterlegen hätten), bestehen nicht.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil eine Kostenerstattung für den im Beschwerdeverfahren obsiegenden Schuldner nicht in Betracht kommt. Denn weder der Treuhänder noch die Staatskasse waren in dem Beschwerdeverfahren "Gegner" der Schuldnerin i.S.d. §§ 91 ff. ZPO. Es findet daher keine Erstattung der außergerichtlichen Kosten, insbesondere keine Auferlegung auf die Staatskasse statt. Damit ist auch eine Kostenentscheidung entbehrlich (vgl. Münchner Kommentar/ Ganter, InsO, 2. Aufl. 2007, § 6 Rdnr. 83; OLG Köln NZI 2001, 301 zu Ziff. 2. c).

Der Gegenstandswert richtete sich nach dem Interesse des Schuldners an der Abwendung der Nachtragsverteilung, das mit 10% des von dem Treuhänder geschätzten Betrages, welcher der Masse zugeflossen wäre, angemessen berücksichtigt erschien.