VG Gelsenkirchen, Urteil vom 25.05.2010 - 9 K 3406/09
Fundstelle
openJur 2011, 75393
  • Rkr:

Die Kammer folgt der ganz überwiegend vertretenen Auffassung in der Rechtsprechung, dass die Fahruntauglichkeit bereits bei einer Fahrt mit einer Konzentration von 1,0 ng/ml THC im Blutserum nicht ausgeschlossen werden kann, mit der Folge, dass in diesem Fall ein Verstoß gegen das Trennungsgebot anzunehmen ist.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger war seit dem 1. April 2009 Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse B auf Probe. Am 2. April 2009 gegen 1.00 Uhr wurde er als Führer eines Kraftfahrzeugs auf einem Parkplatz von der Polizei kontrolliert. Dabei stellten die Polizeibeamten fest, dass sich im Portemonnaie des Klägers Blättchen befanden, die nach Erkenntnissen der Polizei üblicherweise zur Herstellung eines Marihuana-Joints verwendet werden, und dass die Augen auffällig glasig waren. Ein mit Einverständnis des Klägers durchgeführter Drogenschnelltest verlief positiv auf Marihuana. Nach den Angaben im Polizeibericht erklärte der Kläger hierzu zunächst, "dass er letztmalig vor zwei Tagen Marihuana konsumiert habe", und auf Vorhalt, dass er " am Vormittag (gegen 11 Uhr) einige Züge an einem Joint genommen" habe. Hinsichtlich der Konsumgewohnheiten ist im Polizeibericht festgehalten, dass der Kläger "keine konkreten Angaben" gemacht habe, sondern angegeben habe, gelegentlich zu konsumieren. Nach Einschätzung des Arztes, der die polizeilich angeordnete Blutprobe am 2. April um 1.43 Uhr entnahm, war nach äußerlichem Anschein der Einfluss von Drogen leicht bemerkbar.

Die toxikologische Untersuchung vom 5. Mai durch Prof. Dr. N. , Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Universität C. erbrachte für die Blutprobe folgenden Befund:

THC-Gehalt: 1,1 ng/ml,

11-OH-THC Wert: 0,9 ng/ml

THC-COOH-Wert: 19,1 ng/ml, jeweils gemessen im Blutserum.

Der Beklagte gab dem Kläger mit Schreiben vom 3. Juli 2009 Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Fahrerlaubnisentziehung. Der Kläger führte aus: Er habe gegenüber der Polizei zu seinen Konsumgewohnheiten keine konkreten Angaben gemacht. Keinesfalls habe er den Ausdruck "gelegentlich" benutzt. Der Satz im Polizeibericht, "nach eigenen Angaben kiffe er gelegentlich", sei offensichtlich durch die Polizeibeamten eingefügt worden, weil von zweimaligem Konsum die Rede gewesen sei. Der festgestellte Wert von 1,1 ng/ml überschreite den Grenzwert von 1 ng/ml THC kaum, so dass nicht ohne weiteres von gelegentlichem Konsum ausgegangen werden könne.

Unter dem 27. Juli 2009 entzog der Beklagte die Fahrerlaubnis. Zur Begründung wurde ausgeführt: Der Befund der Blutprobe spräche dafür, dass der Kläger im Zeitpunkt der Blutentnahme unter der Wirkung von Cannabis gestanden habe. Auffällig sei, dass nach dem im Rahmen der Blutentnahme erstellten ärztlichen Bericht beim Kläger keine wesentlichen Ausfallerscheinungen feststellbar gewesen seien, was für eine Drogengewöhnung spreche. Bei der Polizeikontrolle habe er glasige Augen gehabt und auf Nachfrage eingeräumt, gelegentlich Cannabis zu rauchen. Wegen Nichteignung sei dem Kläger die Fahrerlaubnis zu entziehen.

Am 11. August 2009 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt er sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren und erklärt auf Befragen des Gerichts: Er räume ein, dass es am Vortag der Verkehrskontrolle auch ein wenig mehr als zwei oder drei Züge an einem Joint gewesen sein könnten. Es sei auch nicht sein erster Haschisch-Konsum gewesen. Er konsumiere allerdings nicht regelmäßig. Am Vortag der Verkehrskontrolle habe er zudem gegen Mittag mit seiner Mutter auf die bestandene Fahrerlaubnisprüfung mit einem kleinen Schluck Sekt angestoßen.

Der Kläger beantragt,

die Ordnungsverfügung vom 27. Juli 2009 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er führt aus: Der Kläger habe ein Fahrzeug unter dem Einfluss berauschender Mittel geführt. Bei der Polizeikontrolle habe er eingeräumt, gelegentlich Cannabis zu rauchen. Nach seinen Angaben bei der ärztlichen Untersuchung habe der Kläger etwa zwei Stunden nach dem Cannabiskonsum auch Sekt getrunken. Das Fehlen wesentlicher Ausfallerscheinungen spreche für eine Drogengewöhnung des Klägers.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

Die Entziehung der Fahrerlaubnis findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz - StVG - in Verbindung mit § 46 Abs. 1 der Fahrerlaubnisverordnung - FeV -. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn der Inhaber einer Fahrerlaubnis sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Ungeeignet ist u. a. derjenige, der die notwendigen körperlichen oder geistigen Voraussetzungen nicht erfüllt (vgl. § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG). Dies ist insbesondere der Fall, wenn Erkrankungen oder Mängel nach der Anlage 4 zur FeV vorliegen.

Gemäß Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 ist die Eignung oder bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu verneinen, wenn der Fahrerlaubnisinhaber gelegentlich Cannabis konsumiert und zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Fahren mit einem Kraftfahrzeug nicht trennen kann. Dies ist zu bejahen.

Der Kläger ist ein gelegentlicher Cannabiskonsument im Sinne dieser Vorschrift. Gelegentlicher Cannabiskonsument ist, wer jedenfalls zweimal Cannabisprodukte konsumiert hat,

vgl. nur OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. Juni 2009 - 16 B 55/09 -.

Dass der Kläger einmalig Cannabis konsumierte, steht aufgrund der ihm am 2. April 2009 um 1.43 Uhr entnommenen Blutprobe fest. Das rechtsmedizinische Gutachten vom 5. Mai 2009 kommt zu dem Ergebnis, dass der Kläger Cannabis konsumiert hatte. Ein zweimaliger Konsum steht fest, weil der Kläger sowohl gegenüber der Polizei als auch in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, dass der nachgewiesene Cannabiskonsum nicht sein erster war.

Der Kläger kann auch nicht sicher zwischen dem Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeuges trennen.

Dies folgt jedoch nicht aus hinreichenden Anhaltspunkten für eine seinerzeit bestehende akute "relative Fahruntüchtigkeit",

vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2007 - 16 B 907/07 -.

Diese liegen nicht in hinreichendem Ausmaß vor. In nahem zeitlichen Zusammenhang mit dem Führen des Kraftfahrzeuges sind zwar drogenbedingte Auffälligkeiten (glasige Augen; aufgrund äußerlichen Anscheins leicht bemerkbarer Einfluss von Drogen) festgestellt worden. Dass diese aber Auswirkung auf die aktuelle Fahrtüchtigkeit des Klägers hatten, ist nicht feststellbar. Auch der Vortrag des Klägers, am Mittag des Vortages einen Schluck Sekt getrunken zu haben, lässt nicht auf die Kraftfahrungeeignetheit des Klägers schließen. Zwar ist die Kraftfahreignung dann zu verneinen, wenn zum gelegentlichen Konsum von Cannabis ein Beikonsum von Alkohol hinzutritt (vgl. Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV). Davon kann hier aber aufgrund der zeitlichen Trennung des Konsums beider Suchtstoffe und auch der eingeräumten geringen Menge des konsumierten Alkohols nicht ausgegangen werden.

Unzureichende Trennungsbereitschaft als Ausdruck eines charakterlichsittlichen Mangels besteht ferner, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber ungeachtet einer im Einzelfall anzunehmenden oder jedenfalls nicht auszuschließenden drogenkonsumbedingten Fahruntüchtigkeit nicht bereit ist, vom Führen eines Kraftfahrzeuges im öffentlichen Straßenverkehr abzusehen,

BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Juni 2002 - 1 BvR 2062/96 -.

Nach dieser Maßgabe fehlt dem Kläger das erforderliche Trennungsvermögen, weil bei der gemessenen Konzentration des psychoaktiven Wirkstoffes Tetrahydrocannabinol (THC) von 1,1 ng/ml im Blutserum nicht ausgeschlossen werden kann, dass zum Zeitpunkt der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr eine drogenkonsumbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers bestand.

Die Kammer folgt der ganz überwiegend vertretenen Auffassung in der Rechtsprechung, dass die Fahruntauglichkeit bereits bei einer Fahrt mit einer Konzentration von 1,0 ng/ml THC im Blutserum nicht ausgeschlossen werden kann, mit der Folge, dass in diesem Fall ein Verstoß gegen das Trennungsverbot anzunehmen ist,

vgl. u. a. VGH Mannheim, Beschluss vom 27. März 2006 - 10 S 2519/05 -; HambOVG, Beschluss vom 15. Dezember 2005 - 3 Bs 214/05 -; Schl.-H. OVG, Beschluss vom 7. Juni 2005 - 4 MB 49/05 -; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 4. November 2009 - 6 K 1704/09 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 4. März 2010 - 14 L 139/10 -; VG Bremen, Urteil vom 26. April 2010 - 5 K 126/10 -; wohl auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Juni 2009 - 1 S 17.09 -; zusätzliche cannabisbedingte Beeinträchtigungen verlangt OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13. Januar 2004 - 7 A 10206/03.OVG -; offen gelassen von OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2007 - 16 B 907/07 -.

Nach den der Kammer zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Studien zur Frage der Kraftfahreignung unter Cannabiseinfluss besteht auch bei Werten ab 1,0 ng/ml THC im Blutserum die Möglichkeit, dass Beeinträchtigungen der Fahreignung auftreten können:

Zu diesem Ergebnis kommt zunächst die erste Maastricht-Studie,

vgl. dazu Hettenbach/Kalus/Möller/Uhle, Drogen im Straßenverkehr, 2. Auflage 2010, S. 372 ff.

Im Rahmen dieser Studie wurden 20 Probanden, allesamt gelegentliche Konsumenten von Cannabis, über einen Zeitraum von sechs Stunden nach dem Konsum einer Cannabis-Zigarette untersucht. Dabei wurden unter anderem Tests zur Überprüfung der Feinmotorik, der Impulskontrolle und der kognitiven Leistungen vorgenommen. Obwohl die THC-Konzentrationen im Blutserum bei 80 % der Probanden nach sechs Stunden den Wert von 1,0 ng/ml unterschritten, blieben zumindest die feinmotorischen Leistungen nahezu über den gesamten Zeitraum von sechs Stunden beeinträchtigt,

vgl. die Auseinandersetzung mit der 1. Maastricht-Studie bei VGH Mannheim, Beschluss vom 27. März 2006 - 10 S 2519/05 -; VGH Mannheim, Urteil vom 15. November 2007 - 10 S 1272/07 -.

Die Untersuchung von Drasch/Meyer/Roider/Jägernhuber, Absolute Fahruntüchtigkeit unter der Wirkung von Cannabis - Vorschlag für einen Grenzwert,

Drasch/Meyer/Roider/Jägernhuber, Blutalkohol 40 (2003), S. 269 ff.,

kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass niedrige THC-Konzentrationen die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigende Ausfallerscheinungen hervorrufen. Die Analyse legt nicht den THC-Wert im Blutserum, sondern den von Daldrup/Meininger vorgeschlagenen "Cannabis Influence Factor" (CIF) als maßgebliche Bezugsgröße zugrunde. Der CIF berechnet sich aus dem THC-, dem THC-OH- und dem THC-COOH-Wert. Aus der Berechnungsformel,

vgl. Drasch/Meyer/Roider/Jägernhuber, Blutalkohol 40 (2003), S. 269 (275),

folgt für den Kläger folgender CIF:

1,1 THC (ng/ml) + 0,9 THC-OH (ng/ml)

314,5 330,5 * 100

CIF = 19,1 THC - COOH (ng/ml)

344,5

= 0,112201685 * 100 = 11,2201685.

In der Untersuchung zeigten selbst Probanden mit einem CIF zwischen 0 und 10 in über 6 % der untersuchten Fälle Konzentrationsmängel, in 10 % der Fälle Unsicherheiten beim Finger-Nase-Test sowie in 21,2 % der Fälle beim Einbeinstand,

Drasch/Meyer/Roider/Jägernhuber, Blutalkohol 40 (2003), S. 269 (277 Abbildung 3), S. 278 Tabelle 3.

Außerdem wurde festgestellt, dass bei einem CIF von 10 ein deutlicher Sprung von niedriger zu hoher Häufigkeit von Ausfallerscheinungen auszumachen ist. Dieser Befund hat Daldrup/Meininger veranlasst, in einer Studie mit 114 Teilnehmern einen CIF-Wert von 10 - den der Kläger vorliegend überschritten hat - als Grenzwert für eine absolute Fahruntüchtigkeit vorzuschlagen,

vgl. Drasch/Meyer/Roider/Jägernhuber, Blutalkohol 40 (2003), S. 269 (284).

Eine Untersuchung aus dem Jahre 2007,

Berr/Krause/Sachs, Drogen im Straßenverkehrsrecht, Heidelberg 2007, Rn. 517,

hat ergeben, dass das subjektive Einflussempfinden ("High-Gefühl") eines Kraftfahrzeugführers noch vorhanden sein kann und damit verbunden relativ deutliche Ausfallerscheinungen auftreten können, obwohl nur noch eine sehr geringe (oder möglicherweise sogar überhaupt keine) THC-Konzentration mehr im Blut nachweisbar ist.

Auf den Umstand, dass gelegentliche Cannabiskonsumenten fahrungeeignet sein können, weist auch Gehrmann hin. Nach seiner Interpretation der einschlägigen Studien zeigen sich bei gelegentlichen Konsumenten genauso starke Verhaltensdefizite wie bei regelmäßigen Konsumenten,

vgl. Gehrmann, NZV 2008, 377 (380) m. w. N.

Berghaus/Krüger beschäftigen sich mit den Langzeitwirkungen von Cannabis. Sie konstatieren einerseits, dass das vorhandene Datenmaterial nur vorsichtige Schlüsse zur Beantwortung der Frage zulasse, ob mehr als 2 1/2 Stunden nach dem Konsum von Cannabis noch Wirkungen vorhanden seien. Hinsichtlich der Einnahme hoher THC-Dosen von über 18 mg konnten sie jedoch Langzeitwirkungen messen und führen hierzu aus: "Selbst wenn man die Leistungen an Flugsimulatoren, die wegen der Notwendigkeit der Orientierung im Dreidimensionalen noch deutlichere Leistungseinbußen aufweisen, unberücksichtigt lässt, verbleiben nicht zu vernachlässigende Leistungsbeschränkungen",

vgl. Cannabis im Straßenverkehr, 1. Auflage 1998, S. 93 f.

Professor Krüger stellt in seinem Gutachten vom 15. August 2001 im Rahmen einer Analyse der Studie von Longo et al. (2000) allerdings fest, dass Konzentrationen bis 2 ng/ml eine Risikominderung bewirkten.

vgl. Gutachten Krüger a. a. O., S. 10; vgl. auch BayVGH, Beschluss vom 25. Januar 2006 - 11 CS 05.1711 -.

Im Weiteren führt er aus: "Für Cannabis (THC) ist zumindest für Konzentrationen unter 2 ng/ml davon auszugehen, dass keine Risikoerhöhung stattfindet,"

vgl. Gutachten zu dem Fragenkatalog 1 BvR 2026/96, 1 BvR 1143/98, Prof. Dr. Hans-Peter Krüger, Interdisziplinäres Zentrum für Verkehrswissenschaften (IZVW) der Universität Würzburg, S. 11.

Diese Aussage wird aber in einer hieran anschließenden - umfassenderen - Auswertung von Studien im Rahmen einer Metaanalyse wieder relativiert,

vgl. Gutachten Krüger, a. a. O., S. 12 Abbildung 4.

Danach nimmt die Leistungsfähigkeit bei Cannabiskonsum schon bei niedrigen THC-Konzentrationen stetig ab. Wenn aber die Leistungsfähigkeit eines Fahrzeugführers auch bei geringen Konzentrationen kontinuierlich abnimmt, ist es nicht plausibel, dass das Unfallrisiko sinken soll.

Kommt danach die überwiegende Anzahl der Studien zu einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit jedenfalls ab einer Konzentration von 1,0 ng/ml THC im Blutserum, ist es aus gefahrenabwehrrechtlichen Gründen gerechtfertigt, bei Nachweis einer solchen THC-Konzentration im Blutserum die Fahrerlaubnis zu entziehen.

Die Kammer setzt sich damit nicht in Widerspruch zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der nicht zwischen Blut und Blutserum unterschieden wird. In den Richtlinien der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie zur Qualitätssicherung bei forensischtoxikologischen Untersuchungen,

vgl. Hettenbach/Kalus/Möller/Uhle, Drogen im Straßenverkehr, § 3 Rn. 195a,

wird darauf hingewiesen, dass sich bei der Untersuchung von Vollblut und Serum aus der gleichen Blutprobe unterschiedliche Ergebnisse für den THC-Wert ergeben. Es handelt sich um den Faktor zwei, d. h. die Konzentration im Vollblut liegt nur ca. halb so hoch wie im Serum.

Da jedenfalls seit Festlegung des Grenzwertes von 1,0 ng/ml THC durch die Grenzwertkommission im Jahre 2002 die Konzentrationen im Blutserum gemessen werden, geht die Kammer davon aus, dass sich die in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts,

vgl. Beschluss vom 21. Dezember 2004, - 1 BvR 2652/03 -,

vorgegebenen Konzentrationen auf Messungen im Blutserum beziehen.

Der gelegentlich Cannabis konsumierende Autofahrer kann nicht zwischen Konsum und Fahren hinreichend trennen, wenn er ein Kraftfahrzeug mit einer THC-Konzentration oberhalb eines Wertes von 1 ng/ml führt. Dies gilt selbst dann, wenn zwischen dem Konsum und der Fahrt bereits mehrere Stunden lagen, die die Annahme nahelegen könnten, dass die Wirkungsdauer des Konsumierten nicht mehr fortbesteht.

Unklarheiten zur Frage, wie sich die Leistungsbeeinträchtigungen im Einzelfall auf die Fahreignung auswirken, können nach der gebotenen ordnungsrechtlichen Betrachtung nicht dazu führen, dass von einer Fahrtauglichkeit des Cannabiskonsumenten auszugehen wäre. Etwaige Unsicherheiten gehen zu Lasten des Fahrerlaubnisinhabers. Die Entziehung der Fahrerlaubnis dient als Maßnahme der Gefahrenabwehr dem Zweck, den fahrungeeigneten Erlaubnisinhaber davon abzuhalten, aktiv mit einem Kraftfahrzeug am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen, indem von ihm ausgehende - konkrete - Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs und damit verbundene Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Bürger abgewendet werden,

BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Juni 2002 - 1 BvR 2062/96 -.

Bei der gefahrenabwehrrechtlichen Betrachtung der Fahrtauglichkeit dürfen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts umso geringere Anforderungen gestellt werden, je gewichtiger die bedrohten Rechtsgüter sind. Hier fällt ins Gewicht, dass im Jahre 2009 im bundesdeutschen Straßenverkehr 310.667 Personenschäden polizeilich erfasst wurden und 4154 Personen ihr Leben verloren haben,

vgl. Angaben des statistischen Bundesamtes vom 27. Mai 2010, Artikelnummer: 2080700101014, Ziffer 1.1.

Im Januar 2010 wurden bei Unfällen mit Personenschäden 62 Personen als unter dem Einfluss berauschender Mittel fahruntüchtig stehend statistisch erfasst,

vgl. Angaben des statistischen Bundesamtes vom 27. Mai 2010, Artikelnummer: 2080700101014, Ziffer 4.1.

Es ist zudem anerkannt,

vgl. Karrer, Cannabis im Straßenverkehr, Aachen 1995, S. 67,

dass die Dunkelziffer von Fahrzeugführern unter Cannabiseinfluss und damit auch das für die gefahrenabwehrrechtliche Betrachtung relevante Gefährdungspotential erheblich höher liegt.

Hier kommt hinzu, dass die Polizeibeamten bei der allgemeinen Verkehrskontrolle - allerdings ohne Feststellung von Fahrverhaltensauffälligkeiten oder körperliche Beeinträchtigungen, die solche Auffälligkeiten nahelegen - bemerkt haben, dass der Kläger glasige Augen hatte, die bei ihnen neben anderen Merkmalen den Verdacht auf Drogenkonsum auslösten. Auch der das Blut abnehmende Arzt vermerkte: "Äußerlicher Anschein des Einflusses von Drogen leicht bemerkbar". Beides hätte der Kläger vor Fahrtantritt auch selbst feststellen und daraus die Konsequenz (noch) bestehender eigener Kraftfahruntauglichkeit ziehen können.

Wegen einer möglichen Beeinträchtigung der Fahreignung ab Konzentrationen von 1 ng/ml hält es die Kammer auch nicht für unverhältnismäßig, wenn bereits ab diesem Grenzwert die Fahrerlaubnis unter Zurückstellung der Interessen des Bürgers am Erhalt seiner Fahrerlaubnis entzogen wird. Die abweichende Rechtsauffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs,

vgl. BayVGH, Beschluss vom 11. November 2004 - 11 CS 04.2348 -; Beschluss vom 25. Januar 2006 - 11 CS 05.1711 -; so auch Gehrmann, NZV 2008, 377 (382),

der zufolge eine sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis erst ab einem Schwellenwert von 2 ng/ml THC mangels Trennungsvermögens zulässig sein und im Bereich von 1 bis 2 ng/ml THC eine medizinischpsychologische Untersuchung Aufklärung über das Trennungsvermögen beim Cannabis konsumierenden Fahrerlaubnisinhaber bringen soll, erweist sich nicht als gleich geeignetes milderes Mittel zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs.

Denn bei der Anordnung einer medizinischpsychologischen Untersuchung wird dem Betroffenen die Fahrerlaubnis zunächst nicht entzogen. Bei ihm liegen jedoch - wie dargelegt - Anhaltspunkte dafür vor, dass er nicht zwischen Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeuges trennen kann. Seine zwischenzeitliche Teilnahme stellt folglich eine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs dar, die mit der Anordnung einer medizinischpsychologischen Untersuchung nicht gleich wirksam abgewendet werden kann.

Die Gegenansicht, die eine medizinischpsychologische Untersuchung des Trennungsvermögens bei 2 ng/ml fordert, berücksichtigt nicht, dass der Schwellenwert von 2 ng/ml nicht subjektiv erfahrbar ist. Nur dann könne der Konsument sein Verhalten darauf einstellen. Ohne vorherige Blutprobe ist dem Betroffenen nach einem Konsum die genaue THC-Konzentration jedoch unbekannt. Er kennt seine individuelle von körperlicher Konstitution und Konsumgewohnheiten beeinflusste Abbaurate von THC nicht. Besonders erschwert wird eine Einschätzung durch die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen THC und seinen Metaboliten und der Tatsache, dass der Wirkstoffgehalt des konsumierten Cannabis oft nicht erkennbar ist,

vgl. dazu VGH Mannheim, Urteil vom 15. November 2007 - 10 S 1272/07 -.

Die Kammer kann in der vorgenommenen Auslegung des Merkmals "Trennungsvermögen" auch keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG erkennen. Dabei bleibt offen, ob Alkohol und Cannabis als sogenannte "weiche Drogen" überhaupt wesentlich gleich sind. Soweit in der strikten Anwendung des Trennungsgebotes eine Ungleichbehandlung zwischen Alkohol- einerseits und gelegentlichen Cannabiskonsumenten andererseits liegen mag, bestehen Gründe solcher Art und solchem Gewicht, die die unterschiedlichen Rechtsfolgen für den Betroffenen rechtfertigen können,

vgl. BVerfGE 90, 145 (185); vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2004 - 1 BvR 2652/03 -.

Denn die Auswirkungen von THC auf die Fahrtüchtigkeit sind wesentlich uneinheitlicher und unvorhersehbarer als die Folgen von Alkoholkonsum, bei dem eher eine "lineare Dosis-Wirkung-Beziehung" feststellbar ist,

vgl. etwa Gehrmann, NZV 2008, 377 (380).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 711, 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung.