OLG Hamm, Beschluss vom 01.03.2010 - 8 U 237/07
Fundstelle
openJur 2011, 75323
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 12 O 374/05
Tenor

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1.), 2.) und 4.) wird gem. § 33 Abs. 1 RVG selbstständig auf insgesamt 60 Mio. € festgesetzt;

in diesem Rahmen ist der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für den Beklagten zu 1.) und für die Beklagte zu 2.) auf jeweils 30 Mio. € und derjenige für den Beklagten zu 4.) auf 5 Mio. € zu bemessen.

Gründe

I.

Die Klägerin hat erstinstanzlich die Beklagten zu 1.) - 3.) als Mitgesellschafter der G-Familiengesellschaft wegen ihrer Auffassung nach unwirksamer Ausschüttungsbeschlüsse in verschiedenen X-Gesellschaften auf Rückzahlung an die betreffenden Gesellschaften in Anspruch genommen und weitergehende Anträge gestellt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Mit ihrer Berufung hat die Klägerin ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt, u.a. beantragt, abändernd die Beklagten zu 1.) bis 3.) in jeweils bestimmter Höhe zu Zahlungen an die betreffenden X-Gesellschaften zu verurteilen. Die Summe der verlangten Zahlungen belief sich bei den Beklagten zu 1.) und 2.) auf jeweils rund 32,25 Mio. € und bei der Beklagten zu 3.) auf 64,5 Mio. €. Des Weiteren hat die Klägerin die Feststellung beantragt, die Beklagten zu 1.) und 4.) seien gesamtschuldnerisch verpflichtet, der G-Familiengesellschaft und ihr "sämtliche aus der Unterzeichnung und Durchführung der … genannten Beschlüsse entstandenen und noch entstehenden Schäden zu ersetzen".

Mit Beschluss vom 26.08.2009 hat der Senat den Streitwert für die Berufung der Klägerin auf 30 Mio. € festgesetzt.

Mit Antrag vom 17.12.2009 haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1.), 2.) und 4.) beantragt, den Wert des Gegenstandes ihrer anwaltlichen Tätigkeit in der Berufungsinstanz selbstständig auf 90 Mio. € festzusetzen. Dazu vertreten sie die Auffassung, § 32 Abs. 1 RVG, wonach der für die Gerichtsgebühren gerichtlicherseits festgesetzte Wert auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend sei, sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Der in § 39 Abs. 2 GKG vorgesehene Höchstwert von 30 Mio. € sei für die Anwaltsgebühren nicht maßgeblich, wenn der Wert der anwaltlichen Tätigkeit nach § 22 RVG anders zu bemessen sei. Hier sei § 22 Abs. 2 S. 2 RVG einschlägig, wonach für den Fall, dass in derselben Angelegenheit mehrere Personen Auftraggeber seien, der Wert für jede Person höchstens 30 Mio. €, insgesamt nicht mehr als 100 Mio. €, betrage. Der gebührenrechtlich zu verstehende Begriff derselben Angelegenheit setze nicht voraus, dass es sich um mehrere Gegenstände (anwaltlicher Tätigkeit) handele. Abgesehen davon lägen auch verschiedene Gegenstände vor, denn es sei ein Sachverhalt gegeben, in dem jeden Beklagten selbstständig zu erbringende Verpflichtungen träfen.

Die Klägerin beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Die Addition gem. § 22 Abs. 2 S. 2 RVG sei ausgeschlossen, wenn zwischen den zu addierenden Gegenstandswerten verschiedener Auftraggeber wirtschaftliche Identität bestehe. Das sei hier der Fall, da es ihr darauf angekommen sei, den "status quo ante" der Vermögensverhältnisse insgesamt wiederherzustellen.

II.

Der Antrag der Prozessbevollmächtigten auf Festsetzung des Gegenstandswertes ist gem. § 33 Abs. 1 RVG zulässig.

In der Sache ist eine Festsetzung des Gegenstandswerts auf je 30 Mio. € für die Beklagten zu 1.) und 2.), mithin auf insgesamt 60 Mio. € vorzunehmen.

Der für die Bemessung der Gerichtskosten maßgebliche Streitwert, der gem. § 39 Abs. 2 GKG auf 30 Mio. € begrenzt ist, bestimmt im vorliegenden Fall nicht zugleich den Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit. Denn gem. § 23 Abs. 1 S. 1 und 4 RVG bleibt die Vorschrift des § 22 Abs. 2 S. 2 RVG zu berücksichtigen. Sind danach in derselben Angelegenheit mehrere Personen Auftraggeber, beträgt der Wert für jede Person höchstens 30 Mio. €, insgesamt jedoch nicht mehr als 100 Mio. €.

§ 22 Abs. 2 S. 2 RVG ist im vorliegenden Fall anwendbar. Die Streitfrage, ob die Vorschrift lediglich dann zum Zuge kommt, wenn keine "wirtschaftliche Identität" gegeben ist, sondern der anwaltlichen Tätigkeit für die mehreren Auftraggeber verschiedene Gegenstände zugrunde liegen (ablehnend z.B. OLG Köln NJW 2009, S. 3586), bedarf, soweit es um die Beklagten zu 1.) und 2.) geht, keiner Beantwortung. Denn eine wirtschaftliche Identität besteht jedenfalls nicht bezüglich der gegen diese Beklagten geltend gemachten Zahlungsansprüche. Verschiedene Gegenstände, die eine wirtschaftliche Identität ausschließen, liegen beispielsweise dann vor, wenn es um Verpflichtungen von Streitgenossen geht, die jeder für sich selbst zu erfüllen hat, wobei es maßgeblich auf die Antragstellung ankommt (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 18. Aufl., VV 1008 Rn. 146, 148).

Anders liegt es bei der Frage, ob auch bezüglich der Tätigkeit für den Beklagten zu 4.) die Vorschrift des § 22 Abs. 2 S. 2 RVG zur Anwendung kommt. Der Beklagte zu 4.) wird lediglich gesamtschuldnerisch mit dem Beklagten zu 1.) auf Feststellung seiner Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen. Insoweit besteht eine wirtschaftliche Identität mit der Inanspruchnahme des Beklagten zu 1.). Nach Auffassung des Senats kommt eine Addition der Gegenstandswerte im Rahmen des § 22 Abs. 2 S. 2 RVG unter diesen Voraussetzungen nicht in Betracht (so im Ergebnis auch Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O., Nr. 1008 VV Rn. 134; Schneider/Wolf, AnwaltKommentar, 4. Aufl., § 22 Rn. 28; Mayer/Kroiß, RVG, 4. Aufl., § 22 Rn. 17). Die einheitliche Auslegung des § 22 RVG einerseits und der Nr. 1008 des Vergütungsverzeichnisses (Anl. 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) andererseits legt es nahe, die Anwendung auch des § 22 Abs. 2 S. 2 RVG auf Fälle zu beschränken, in denen der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit nicht derselbe im Sinne von Nr. 1008 des Vergütungsverzeichnisses ist, also keine wirtschaftliche Identität vorliegt. Eine Auslegung des § 22 Abs. 2 S. 2 RVG dahingehend, dass es für seine Anwendung nicht darauf ankommt, ob es sich um verschiedene Gegenstände handelt oder nicht, ist im Übrigen nicht zwingend. Aus Sicht des Senats spricht mehr dafür, dass der Grundsatz des § 22 Abs. 1 RVG, der eine Wertaddition (nur) für den Fall des Vorliegens verschiedener Gegenstände anordnet, durch die Bestimmungen in Abs. 2 nicht außer Kraft gesetzt, sondern durch die Festsetzung von Höchstgrenzen für die Wertaddition lediglich modifiziert wird. Dies hat zur Folge, dass die anwaltliche Tätigkeit für den Beklagten zu 4.) nicht zu einer weiteren Erhöhung des Gegenstandswertes gem. § 22 Abs. 2 S. 2 RVG führt.