OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.08.2010 - 7 A 749/09
Fundstelle
openJur 2011, 74961
  • Rkr:
Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert und wie folgt neu gefasst:

Ziffer 1, soweit sie sich auf die Wohnung im ers-ten Obergeschoss des Hinterhauses bezieht, Zif-fer 3 und die auf Ziffer 3 bezogene Zwangsgeld-androhung der Ordnungsverfügung des Beklag-ten vom 1. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Köln vom 18. Oktober 2007 werden aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreck-bar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Gemarkung N. , Flur 73, Flurstück 2392/43 (M.-------straße 39) in L. , das mit einem viergeschossigen Wohn- und Geschäftshaus bebaut ist. Das Haus besteht aus einem vorderen, an die M.-------straße grenzenden östlichen Gebäudeteil, und einem rückwärtigen südwestlichen Baukörper (im Folgenden: Hinterhaus) mit jeweils einer Wohnung im Erdgeschoss und den drei Obergeschossen. Diese Wohnungen im Hinterhaus sind von der Vorderseite des Hauses aus über das südlich im Gebäude gelegene Treppenhaus zugänglich; sie verfügen ausschließlich über Fenster zum Innenhof, welcher u.a. als Terrasse und Garten genutzt wird. Um von der M.-------straße zu diesen Fenstern zu gelangen, muss entweder das Treppenhaus oder das im Erdgeschoss des vorderen Gebäudeteils betriebene Bistro durchquert und anschließend zweimal im rechten Winkel abgebogen werden.

Unter dem 8. Februar 1988 hatte der Beklagte in Bezug auf das streitbetroffene Grundstück eine Baugenehmigung für bestimmte Nutzungsänderungen sowie Umbau- und Erweiterungsarbeiten erteilt. Die Baugenehmigung war mit der "Auflage" versehen, den zweiten Rettungsweg gemäß § 17 Abs. 3 BauO NRW für die zur Rückseite orientierten Wohnungen durch das Anbringen einer bis zur Hoffläche verlaufenden Notleiter mit Ausstiegspodesten sicherzustellen.

Nach einer Brandschau am 31. Oktober 2001 teilte die Berufsfeuerwehr des Beklagten dessen Bauaufsichtsamt mit, für das Hinterhaus könne der zweite Rettungsweg mit den Leitern der Feuerwehr nicht sichergestellt werden. Erforderlich sei eine Notleiter mit Austrittspodesten in jedem Obergeschoss, wie sie bereits 1987 (gemeint ist wohl 1988) gefordert worden sei.

Mit Schreiben vom 17. Juli 2003 forderte der Beklagte die Klägerin auf, zur Sicherstellung des zweiten Rettungswegs für die Wohnungen mit ausschließlicher Hoflage eine näher spezifizierte Spindeltreppe zu errichten, und hörte sie zu der Absicht, anderenfalls eine entsprechende Ordnungsverfügung zu erlassen, an.

Am 27. August 2003 fand auf dem Grundstück der Klägerin ein Ortstermin statt, an dem neben dem Architekten der Klägerin Mitarbeiter der Berufsfeuerwehr des Beklagten teilnahmen. In einem von der Berufsfeuerwehr unter dem 2. September 2003 bestätigten Vermerk über diesen Ortstermin wurde ausgeführt, zur Sicherstellung des zweiten Fluchtwegs für die besagten Wohnungen werde der Anbringung einer Notleiter ausnahmsweise der Vorzug gegenüber einer Spindeltreppe gegeben. Dies hätte den Vorteil der Anbindung der hinten liegenden Schlafräume und der Gewährleistung eines ausreichenden Abstands zum Treppenhaus. Zudem würde eine Wendeltreppe in ausreichenden Dimensionen aufgrund der geringen Größe des Hofbereichs etwaige Rettungs- und Löscharbeiten beeinträchtigen. Die Anbringung einer Notleiter bedürfe jedoch der Zustimmung des Bauaufsichtsamtes.

Unter Bezugnahme auf diese Feststellungen beantragte der Architekt der Klägerin unter dem 10. November 2003 beim Bauaufsichtsamt, eine Feuerleiter mit Rückenschutz und Podesten an Stelle einer Spindeltreppe zuzulassen. Die vom Bauaufsichtsamt um ergänzende Stellungnahme gebetene Berufsfeuerwehr erläuterte ihre im Ortstermin geäußerte Auffassung dahingehend, dass die für Rettungsarbeiten notwendige Bewegungsfläche "bedingt durch die im Bestand schon vorhandene architektonisch gestaltete Innenhoffläche (Bäume, Pflanzen und Wasserfläche) nicht vorhanden" sei und durch eine Spindeltreppe zusätzlich eingeschränkt würde. Der Beklagte lehnte daraufhin den Antrag vom 10. November 2003 unter dem 2. März 2004 mit der Begründung ab, dass die örtlichen Platzverhältnisse für das Aufstellen einer Spindeltreppe ausreichten. Die vorhandene Gartengestaltung müsse hinter den Sicherheitsaspekt zurücktreten.

Am 15. April 2004 teilte der Architekt der Klägerin dem Bauaufsichtsamt des Beklagten unter Vorbehalt eventueller Schadensersatzansprüche mit, derzeit würden Angebote zur Errichtung einer Spindeltreppe eingeholt. Mit Schreiben vom 28. Juni 2004 bat er darum, die Aufstellung einer Fluchtleiter an Stelle der geforderten Spindeltreppe "mit der vorgesetzten Dienststelle zu diskutieren". Im Rahmen einer erneuten internen Erörterung erklärte die Berufsfeuerwehr gegenüber dem Bauaufsichtsamt im August 2004, dass sie dessen Auffassung zur Notwendigkeit von Spindeltreppen akzeptiere. Das Bauaufsichtsamt hatte zuvor darauf hingewiesen, dass es entsprechend einer ministeriellen Anweisung von November 2001 gehalten sei, einen zweiten baulichen Rettungsweg in Form einer Spindeltreppe zu fordern.

Die Klägerin ließ im Oktober 2005 eine Notleiter mit Podesten errichten. Der Beklagte erhielt hiervon im Juni 2006 Kenntnis. Unter dem 6. Juli 2006 forderte er die Klägerin auf, die Forderungen aus dem Anhörungsschreiben vom 17. Juli 2003 zu erfüllen, und gab ihr erneut Gelegenheit, zum anderenfalls für erforderlich gehaltenen Erlass einer Ordnungsverfügung Stellung zu nehmen. Im Rahmen ihrer Anhörung führte die Klägerin aus, einer Notleiter sei aus den von der Berufsfeuerwehr angesprochenen Gründen der Vorzug gegenüber einer Spindeltreppe zu geben. Entgegen der in einem ergänzenden Schreiben des Beklagten vom 22. September 2006 geäußerten Auffassung sei der Innenhof von der Straße aus nicht allein über das Treppenhaus, sondern auch über das Bistro zugänglich. In vergleichbaren Fällen habe der Beklagte die Errichtung von Notleitern akzeptiert. Da der Beklagte auf das Schreiben vom 28. Juni 2004 nicht reagiert habe, sei ihr ein weiteres Zuwarten nicht zumutbar gewesen; deswegen habe sie sich dazu veranlasst gesehen, eine Notleiter in Auftrag zu geben.

Mit der streitgegenständlichen, für sofort vollziehbar erklärten Ordnungsverfügung vom 1. Dezember 2006 gab der Beklagte der Klägerin in Ziffer 1 auf, zur Sicherung des zweiten Rettungswegs für die Wohnungen im ersten, zweiten und dritten Obergeschoss des Hinterhauses innerhalb von drei Monaten nach Zustellung der Ordnungsverfügung eine näher bezeichneten Anforderungen genügende Spindeltreppe zu installieren, hierüber einen durch einen staatlich anerkannten Sachverständigen für die Prüfung der Standsicherheit zu prüfenden statischen Nachweis beizubringen und nach Abschluss der Arbeiten eine Bescheinigung des Sachverständigen über die sachgemäße Ausführung der Arbeiten entsprechend dem geprüften Standsicherheitsnachweis vorzulegen. Im Bereich des Einstiegs in die Spindeltreppe seien die vorhandenen Absturzsicherungen der Terrasse bzw. des Balkons im ersten und zweiten Obergeschoss zu entfernen. Unter Ziffer 2 forderte der Beklagte die Klägerin auf, innerhalb eines Monats nach Zustellung Auftragsbestätigungen einer Fachfirma über die Erstellung der Spindeltreppe sowie eines staatlich anerkannten Sachverständigen über die Prüfung eines Standsicherheitsnachweises vorzulegen. In Ziffer 3 wurde der Klägerin auferlegt, die vorhandene Notleiteranlage unmittelbar vor Beginn der Montagearbeiten zur Spindeltreppe zu demontieren. Unter Ziffer 4 enthielt die Ordnungsverfügung eine weitere Forderung, die nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Der Beklagte drohte der Klägerin Zwangsgelder in Höhe von 5.000,- Euro hinsichtlich der Forderung zu Ziffer 1, von jeweils 250,- Euro hinsichtlich der mit Ziffer 2 verlangten Auftragsbestätigungen und von 1.000,- Euro in Bezug auf das in Ziffer 3 enthaltene Gebot an.

Zur Begründung stützte sich der Beklagte auf die §§ 61 Abs. 1 und 87 Abs. 1 BauO NRW. Es fehle an dem gemäß § 17 Abs. 3 BauO NRW erforderlichen zweiten Rettungsweg, da ein geradliniger freier Zugang der Feuerwehr mit ihren Rettungsgeräten zu den Fenstern der Wohnungen mit ausschließlicher Hoflage ohne Kreuzung des ersten Rettungswegs nicht gegeben sei. Die Herstellung eines separaten Hofzugangs durch das im Erdgeschoss befindliche Bistro scheide aus, da ein solcher weder geradlinig sei noch einen jederzeit ungehinderten Durchgang der Einsatzkräfte der Feuerwehr gewährleiste. Ein Einschreiten sei in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens unerlässlich. Eine Notleiter als geringer belastendes Mittel könne nicht zugelassen werden, weil die rückwärtigen Wohneinheiten aus den genannten Gründen nicht zu einem offenen, frei zugänglichen Bereich ausgerichtet und die gefährdeten Personen daher auf eine Selbstrettung ohne fachkundige Hilfe angewiesen seien. Auch sonst sei die Maßnahme verhältnismäßig. Insbesondere wiege der Schutz von Gesundheit und Leben wesentlich schwerer als das entgegenstehende finanzielle Interesse der Klägerin. Einer Baugenehmigung für die Anbringung der Spindeltreppe bedürfe es ausnahmsweise nicht, weil sie im Rahmen eines ordnungsbehördlichen Verfahrens durch die Bauaufsicht gefordert werde.

Die Klägerin erhob am 2. Januar 2007 Widerspruch gegen die Ordnungsverfügung und beantragte unter demselben Datum, "unter Optimierung der vorhandenen Zugangswege durch das Bistro", hilfsweise nach Schaffung eines weiteren Zugangs über das Nachbargrundstück es an Stelle der geforderten Spindeltreppe bei der vorhandenen Notleiter zu belassen. Ferner beantragte sie beim Verwaltungsgericht, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs wiederherzustellen bzw. anzuordnen (2 L 3/07). Sie trug ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen vor, nur die Wohnung im dritten Obergeschoss des Hinterhauses bedürfe eines zweiten Rettungsweges. Für die Wohnung im zweiten Obergeschoss sei ein zweiter Rettungsweg über die Terrasse des ersten Obergeschosses, für diejenige im ersten Obergeschoss über eine zusätzliche ins Erdgeschoss führende interne Treppe gegeben. Entgegen der Auffassung des Beklagten bilde das Bistro einen ausreichenden Zugang der Feuerwehr zum Innenhof; insbesondere bestehe die Möglichkeit, die 5,65 m lange Handleiter für das dritte Obergeschoss durch zwei Fenster zwischen dem Bistro und dem Innenhof über eine ins Untergeschoss führende Treppe hinweg zu reichen.

Mit interner E-Mail vom 9. Januar 2007 bestätigte die Berufsfeuerwehr des Beklagten dem Bauaufsichtsamt, dass aus brandschutztechnischer Sicht keine Bedenken gegen die geforderte Spindeltreppe bestünden. Bei der durch den vorliegenden Grundrissplan ausgewiesenen Hoffläche von 10 x 5 m verbleibe ausreichender Platz für die Einsatzkräfte zur Durchführung der Rettungsarbeiten.

Der Beklagte setzte die Vollziehung der Ordnungsverfügung unter dem 7. Mai 2007 aus, nachdem die Klägerin einen Standsicherheitsnachweis über die vorhandene Notleiteranlage erbracht hatte. Grundlage hierfür war ein in dem Verfahren auf Regelung der Vollziehung beim Verwaltungsgericht geschlossener Vergleich gemäß § 106 S. 2 VwGO (2 L 3/07), der den Beklagten unter anderem dazu verpflichtete, den Widerspruch der Klägerin und ihren Antrag auf Annahme eines Austauschmittels vom 2. Januar 2007 unter Berücksichtigung ihres Vortrags und Beteiligung der Berufsfeuerwehr "eingehend" zu prüfen.

Ebenfalls unter dem 7. Mai 2007 gab der Beklagte den Widerspruch an die Bezirksregierung Köln ab. In seinem Widerspruchsbericht führte er insbesondere aus, die von der Klägerin angeführten Zugangsmöglichkeiten zum Hinterhof durch das Bistro seien ungeeignet, da sie durch weitere Nutzungseinheiten führten und mangels Geradlinigkeit keine tragbaren Leitern in den Hof transportiert werden könnten. Der zweite Rettungsweg könne daher nicht über eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle hergestellt werden. Er sei für die Wohnungen im ersten und zweiten Obergeschoss des Hinterhauses auch nicht in anderer Form gegeben, da es sich bei der behaupteten internen Verbindungstreppe, deren Existenz sich den vorliegenden Grundrissen nicht entnehmen lasse, nicht um eine notwendige Treppe handele. Wie die Berufsfeuerwehr in der E-Mail vom 9. Januar 2007 und in einer weiteren E-Mail vom 27. März 2007 erklärt habe, eröffne die Größe des Hofs auch bei Errichtung der Spindeltreppe ausreichende Bewegungsmöglichkeiten für deren Einsatzkräfte. Das Interesse an der pflanzlichen Gestaltung der Hoffläche müsse hinter dem Interesse an der Schaffung einer möglichst optimalen Rettungswegsituation weit zurückstehen.

Die Bezirksregierung Köln wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2007 im Wesentlichen aus den in der Ordnungsverfügung und dem Widerspruchsbericht genannten Gründen zurück. Die erheblichen Risiken für Leib und Leben im Falle eines Brandes rechtfertigten die Forderung solcher Schutzmaßnahmen, die in jeder Hinsicht auf der sicheren Seite lägen. Die Bauaufsichtsbehörde müsse sich nicht allein im finanziellen Interesse des Ordnungspflichtigen auf die Forderung einer Notleiter beschränken und wesentliche Abstriche an den zum Schutz von Leib und Leben sachgerechten Sicherheitserfordernissen hinnehmen.

Die Klägerin hat am 20. November 2007 Klage erhoben.

Sie hat ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren im Wesentlichen wiederholt und vertieft. Ergänzend hat sie vorgetragen, entgegen der Verpflichtung aus dem im erstinstanzlichen Eilverfahren geschlossenen Vergleich habe der Beklagte ihren Widerspruch nicht unter Berücksichtigung ihres Vortrags geprüft. Auch der Widerspruchsbescheid enthalte keinerlei Auseinandersetzung mit ihrer Argumentation und den Besonderheiten des konkreten Sachverhalts. Die angefochtene Entscheidung sei daher ermessensfehlerhaft.

Die Klägerin hat beantragt,

die Ordnungsverfügung des Beklagten vom

1. Dezember 2006 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Köln vom 18. Oktober 2007 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat auf seine bisherigen Ausführungen verwiesen und ergänzend vorgetragen, dass er seiner Verpflichtung zur eingehenden Prüfung des Widerspruchs der Klägerin nachgekommen sei.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Anordnungen in Ziffern 1 bis 3 der angefochtenen Ordnungsverfügung und die zugehörigen Zwangsgeldandrohungen aufgehoben. Der Beklagte habe sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Die Begründung der Ordnungsverfügung entspreche nicht dem Konzept, das der Beklagte in anderen Fällen verfolgt habe. Dem Gericht sei aus mehreren Verfahren, insbesondere dem Fall des Grundstücks B. Straße 21 in L. , bekannt, dass der Beklagte den zweiten Rettungsweg über bereits vorhandene Notleitern akzeptiere und allenfalls deren Nachrüstung fordere. Der Beklagte habe weder die in der Baugenehmigung vom 8. Februar 1988 enthaltene "Auflage" zur Errichtung einer Notleiter noch deren zwischenzeitliche Installation durch die Klägerin in der Ordnungsverfügung bei seinen Erwägungen hinreichend berücksichtigt. Schließlich habe er die mögliche Beeinträchtigung von Nachbarrechten aufgrund der durch die Spindeltreppe ausgelösten, teilweise auf das westliche Nachbargrundstück fallenden Abstandflächen nicht erkannt. Insoweit hätte es zumindest einer entsprechenden Duldungsverfügung gegenüber dem Nachbarn bedurft, um die Klägerin nicht der Gefahr einer Nachbarklage auszusetzen.

Der Senat hat die Berufung des Beklagten mit Beschluss vom 19. März 2010 zugelassen. Der Beklagte hat die Berufung am 14. April 2010 begründet:

Er vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und führt ergänzend aus, von den Abstandflächen habe nach § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW abgewichen werden dürfen und müssen. Das für die Abweichung streitende Interesse daran, die bestehende ältere Bausubstanz den heutigen Anforderungen des Bauordnungsrechts anzupassen, sei in einer grundstücksbezogenen Atypik begründet. Das durch § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW eingeräumte Ermessen sei auf die Zulassung der Abweichung reduziert. Einer Duldungsverfügung gegen den Nachbarn habe es mit Blick auf das in § 74 BauO NRW zur Wahrung seiner Rechte vorgesehene Instrumentarium nicht bedurft. Dass die dort vorgeschriebene Benachrichtigung des Nachbarn unterblieben sei, sei unschädlich, weil die Entscheidung in der Sache hierdurch nicht beeinflusst worden sei. Im Übrigen könne sich die Klägerin nicht auf diese Vorschrift berufen, da sie allein dem Schutz des Nachbarn diene. Mit der Ordnungsverfügung sei auch nicht von dem vom Verwaltungsgericht angesprochenen Konzept abgewichen worden. Verfüge das betroffene Gebäude nicht über einen vom Treppenraum unabhängigen Hofzugang und werde dieser auch nicht über ein benachbartes Grundstück hergestellt, sehe er, der Beklagte, aus Gründen des Bestandsschutzes nur dann von der Forderung einer Spindeltreppe ab, wenn eine Notleiter bei der Brandschau bereits vorhanden sei. Diese Voraussetzung sei im Fall des Grundstücks B. Straße 21 anders als im vorliegenden Fall erfüllt gewesen. Vertrauensschutz könne die Klägerin nicht beanspruchen, weil sie sich mit der Errichtung der Notleiter bewusst über die ihr bekannte ablehnende Entscheidung des Beklagten hinweggesetzt habe. Aus der zur Baugenehmigung vom 8. Februar 1988 gehörenden "Auflage" zur Errichtung einer Notleiter könne die Klägerin keine Rechte herleiten, weil sie sich durch Zeitablauf erledigt habe. Sie sei erloschen, weil die Bauausführung nach Abschluss des entsprechenden Verwaltungsvorgangs ein Jahr unterbrochen worden sei.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen. Ergänzend macht sie geltend, die genannte "Auflage" von 1988 stehe dem streitgegenständlichen Verlangen des Beklagten entgegen. Sie sei mangels Widerrufs wirksam und könne auch nicht mehr widerrufen werden. Die Ausführungen des Beklagten zum Konzept bei der Sicherung des zweiten Rettungswegs seien nicht nachvollziehbar und würden bestritten. Im Fall des Grundstücks B. Straße 21 lasse er eine Notleiter zu, obwohl der hintere Grundstücksteil nur durch eine Wohnung zugänglich sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen sowie der Gerichtsakte des Eilverfahrens Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg, im Übrigen hat sie keinen Erfolg. Die angefochtene Ordnungsverfügung ist nur insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, als sich das in Ziffer 1 der Ordnungsverfügung enthaltene Gebot auf die Wohnung im ersten Obergeschoss des Hinterhauses bezieht und der Klägerin unter Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1.000,- Euro die Demontage der Notleiter aufgegeben wird (Ziffer 3); im Übrigen ist die Ordnungsverfügung rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Ermächtigungsgrundlage für die in Ziffer 1 der Ordnungsverfügung enthaltene Forderung des Beklagten nach Errichtung der Spindeltreppe ist § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW.

Die in der Ordnungsverfügung außerdem genannte Ermächtigungsgrundlage des § 87 Abs. 1 BauO NRW ist allerdings nicht einschlägig. Danach können die Bauaufsichtsbehörden verlangen, dass rechtmäßig bestehende bauliche Anlagen, die nicht den Vorschriften der Bauordnung entsprechen, diesen Vorschriften angepasst werden, wenn dies im Einzelfall wegen der Sicherheit für Leben oder Gesundheit erforderlich ist. Die Vorschrift betrifft bestandsgeschützte Anlagen in jenen Fällen, in denen eine Verschärfung der Anforderungen an diese Anlagen im Verhältnis zu dem bei der Errichtung maßgeblichen Bauordnungsrecht eingetreten ist.

An dieser Stelle kann offen bleiben, ob das streitbetroffene Gebäude in seiner heutigen Gestalt und Nutzung bestandsgeschützt ist. Jedenfalls sind die im Hinblick auf die Möglichkeiten des Einsatzes von Löschgeräten sowie der Rettung von Personen durch die Feuerwehr an bauliche Anlagen gestellten Anforderungen gegenüber dem bei der Errichtung geltenden Bauordnungsrecht nicht verschärft worden. Zuletzt ist eine solche Verschärfung im Verhältnis zum bis dahin geltenden Recht mit der Einführung der Regelung in § 17 Abs. 3 Sätze 1 und 2, 2. Halbsatz BauO NRW durch die Bauordnung vom 26. Juni 1984 (GV. NW. S. 419) eingetreten.

Vgl. dazu im Einzelnen OVG NRW, Beschluss vom 22. Juli 2002 - 7 B 508/01 -, BRS 65 Nr. 140.

Das Gebäude der Klägerin ist in seiner heutigen Gestalt erst nach diesem Zeitpunkt errichtet worden. Erst im Jahr 1988 wurde es aufgrund der Baugenehmigung vom 8. Februar 1988 um die Wohnungen im ersten bis dritten Obergeschoss des Hinterhauses erweitert.

Die Ermächtigungsgrundlage des § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW wird hierdurch indes nicht gesperrt. § 87 Abs. 1 BauO NRW steht weder nach seinem Wortlaut noch nach seinem Sinn und Zweck generell Maßnahmen entgegen, die zur Gefahrenabwehr erforderlich sind, ohne dass sich die maßgeblichen Bauvorschriften geändert hätten. Die geltende Bauordnung ermöglicht es ebenso wenig wie es frühere baurechtliche Vorschriften vorgesehen haben, eine bauliche Anlage in einer Art zu nutzen, die mit entsprechenden Gefahren verbunden ist. Besteht eine solche Gefahr, ist daher jedenfalls eine auf Gefahrenbeseitigung gerichtete Ordnungsverfügung auf der Grundlage von § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW grundsätzlich möglich. Dies gilt in Sonderheit, wenn die Ordnungsverfügung - wie hier - dem Schutz von Leben und Gesundheit dient.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. Juli 2002

- 7 A 3098/01 -, juris.

Zwar spricht einiges dafür, dass gestützt auf § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW im Regelfall nur die Beseitigung der Gefahrensituation und damit nicht zwangsläufig die Anpassung an das gegenwärtige Recht verlangt werden kann. Etwas anderes hat aber dann zu gelten, wenn letztlich als geeignete Beseitigung der Gefahrenlage nur eine solche Maßnahme in Betracht kommt, welche im Ergebnis eine Anpassung an das gegenwärtige Recht bedeutet.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. August 2001

- 10 A 3051/99 -, a. a. O.

Wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt, treffen diese Voraussetzungen auf die streitgegenständliche Anordnung der Errichtung einer Spindeltreppe zu, soweit sie die Wohnungen im zweiten und dritten Obergeschoss des Hinterhauses betrifft.

Das Gebäude der Klägerin entspricht insoweit nicht den Anforderungen des § 17 Abs. 3 BauO NRW an einen zweiten Rettungsweg für jede Nutzungseinheit in jedem Geschoss mit einem Aufenthaltsraum. § 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz BauO NRW konkretisiert diese Anforderungen dahin, dass nur eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle oder eine weitere notwendige Treppe in Betracht kommen. Die Wohnungen im zweiten und dritten Obergeschoss des Hinterhauses auf dem Grundstück der Klägerin weisen derartige Stellen bzw. Vorrichtungen nicht auf.

Die zum Innenhof ausgerichteten Fenster und der Balkon dieser Wohneinheiten sind mit Rettungsgeräten der Feuerwehr nicht im Sinne der genannten Vorschrift erreichbar. Stellen, an denen die Feuerwehr mit Rettungsgeräten tätig werden soll, können nur dann als Rettungswege anerkannt werden, wenn der Rettungseinsatz nach Eintreffen der Feuerwehr ohne nennenswerten zusätzlichen Aufwand und ohne wesentliche Hindernisse innerhalb kurzer Zeit möglich ist. Zu dem erforderlichen Rettungsgerät gehören insbesondere tragbare Leitern von beträchtlicher - nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten bis zu 5,60 m - Länge, die einen geradlinigen (vgl. § 5 Abs. 1 BauO NRW), hindernisfreien und im Übrigen vom ersten Rettungsweg unabhängigen Zugang der Feuerwehr zu den fraglichen Stellen erfordern.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. April 1999 10 B 648/99 -, juris.

Diesen Anforderungen genügt der von der Klägerin behauptete Zugang durch das im Erdgeschoss des Vorderhauses befindliche Bistro in keiner Weise. Der Weg zu den Fenstern der rückwärtigen Wohneinheiten ist selbst nach dem von der Klägerin mit dem Widerspruch skizzierten Grundriss, welcher von dem von ihrem Architekten unter dem 31. Oktober 2003 gezeichneten Grundriss abweicht, nicht geradlinig, sondern verläuft unmittelbar nach Durchqueren des Bistros zweimal im rechten Winkel. Eine längere Leitereinheit kann schon deshalb nicht ohne Verzögerungen in den Innenhof getragen werden, sondern erfordert einen erheblichen Manövrieraufwand. Notwendig wäre ein mehrmaliges Verschwenken, Absenken und Heben der Leiter, bevor diese zum Einsatz gebracht werden könnte. Das Ansinnen der Klägerin, die Leiter durch die beiden das Bistro vom Hinterhof trennenden Fenster über die ins Untergeschoss führende Treppe hinweg zu reichen, wäre ebenfalls mit für die Bewohner der rückwärtigen Wohnungen gegebenenfalls lebensgefährdenden Zeitverzögerungen verbunden. Die Leiter müsste zunächst abgesetzt werden, bis sich ein Feuerwehrmann auf dem Innenhof in Position gebracht hat. Sodann müssten zunächst beide Fenster geöffnet und müsste angesichts der beengten Platzverhältnisse im hinteren Raum des Bistros von mehreren u. U. mit Atemschutzgeräten ausgerüsteten und daher in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkten Einsatzkräften wiederum ein erheblicher Manövrieraufwand betrieben werden. Hinzu kommt, dass das Bistro seiner Zweckbestimmung gemäß eine Einrichtung mit Tischen, Stühlen und weiteren Gegenständen erfordert, die im Brandfall den Durchgang mit Rettungsgerät gravierend erschweren können. Auch Behinderungen durch Gäste des Bistros sind in Rechnung zu stellen. Die Zugangsschwierigkeiten können dazu führen, dass der Beginn von Rettungsaktionen an den Fenstern der rückwärtigen Wohneinheiten im zweiten und dritten Obergeschoss mit auf der Hand liegenden Folgen für Leib und Leben der Bewohner entscheidend verzögert wird.

Diese Wohneinheiten verfügen auch nicht in Gestalt einer weiteren notwendigen Treppe über einen zweiten Rettungsweg. Die von der Klägerin zwischenzeitlich installierte Notleiter ist - wie noch auszuführen sein wird - keine Treppe, die den an einen zweiten Rettungsweg zu stellenden Anforderungen genügt.

Das erste Obergeschoss des Hinterhauses weist allerdings entgegen der Annahme des Beklagten einen zweiten Rettungsweg auf; soweit Ziffer 1 der angefochtenen Ordnungsverfügung, vornehmlich mit der Anordnung der Entfernung der vorhandenen Absturzsicherung (Geländer) der Terrasse im Bereich des Einstiegs in die Spindeltreppe, das erste Obergeschoss betrifft, fehlt es mithin an der hierfür erforderlichen Gefahr. Die das erste Obergeschoss mit dem Erdgeschoss des Hinterhauses zu einer Nutzungseinheit verbindende interne Treppe stellt eine weitere notwendige Treppe im Sinne der §§ 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz, 36 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz BauO NRW dar. Nutzer der Aufenthaltsräume im 1. Obergeschoss können über diese Treppe und die Türen und Fenster des Erdgeschosses in den Innenhof gelangen. Die Treppe genügt den Anforderungen der §§ 36 und 37 BauO NRW. Die vom Beklagten insoweit sinngemäß angesprochenen Absätze 3 und 7 des § 36 BauO NRW gelten nach Absatz 11 dieser Vorschrift nicht für Treppen innerhalb von Wohnungen. Nach § 37 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW sind für die Verbindung von Geschossen innerhalb derselben Nutzungseinheit notwendige Treppen ohne Treppenraum zulässig. Diese Bestimmungen sind vorliegend einschlägig, da das Erdgeschoss und das 1. Obergeschoss des Hinterhauses nach den - inzwischen - übereinstimmenden Angaben der Beteiligten zu einer Maisonette-Wohnung verbunden sind. Entgegen der vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung ist dieser zweite Rettungsweg auch vom ersten Rettungsweg über das im südlichen Gebäudebereich befindliche Treppenhaus unabhängig. Überschneidungen der Wege bestehen nicht. Der Einwand des Beklagten, bei einem Brandereignis im Erdgeschoss des Hinterhauses könne die interne Treppe unpassierbar sein, besagt lediglich, dass auch der zweite Rettungsweg - unabhängig vom ersten Rettungsweg - im Einzelfall ausfallen kann. Die Argumentation läuft darauf hinaus, an den Rettungsweg über eine weitere notwendige Treppe weitergehende Anforderungen zu stellen als diejenigen, die sich aus den § 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz i. V. m. den §§ 36 und 37 BauO NRW ergeben. Mit diesen Vorschriften hat der Gesetzgeber jedoch eine abschließende Regelung zu den erforderlichen

- zwei - Rettungswegen getroffen. Im vorliegenden Zusammenhang unerheblich ist schließlich, dass die interne Treppe bauaufsichtlich nicht genehmigt ist, aber wohl genehmigungsfähig sein dürfte. § 17 BauO NRW beinhaltet materielle Anforderungen an die Beschaffenheit baulicher Anlagen. Zudem knüpft die Ordnungsverfügung des Beklagten nicht an formellrechtliche Gegebenheiten an.

Mit dem Fehlen eines zweiten Rettungswegs für die Wohnungen im zweiten und dritten Obergeschoss des Hinterhauses ist zugleich eine konkrete Gefahr für Leben oder Gesundheit der Bewohner und Besucher dieser Nutzungseinheiten gegeben. Eine solche Gefahr liegt vor, wenn aus einer tatsächlich vorhandenen Situation hinreichend wahrscheinlich eine Gefährdung der bedrohten Rechtsgüter folgt. Gerade im jeweiligen Einzelfall muss in überschaubarer Zukunft mit einem Schadenseintritt zu rechnen sein. Dabei hängen die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit von der Qualität des möglicherweise eintretenden Schadens ab. In Bezug auf Leben oder Gesundheit als geschützte Rechtsgüter sind an die Feststellung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen.

In der hier gegebenen Konstellation ist zu berücksichtigen, dass mit der Entstehung eines Brandes praktisch jederzeit gerechnet werden muss. Der Umstand, dass in vielen Gebäuden jahrzehntelang kein Brand ausgebrochen ist, beweist nicht, dass insofern keine Gefahr besteht, sondern stellt für die Betroffenen lediglich einen Glücksfall dar, mit dessen Ende jederzeit gerechnet werden muss.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 22. Februar 2010

7 A 1235/08 -, DVBl. 2010, 914, und vom 28. August 2001 - 10 A 3051/99 -, a. a. O., sowie Beschluss vom 22. Juli 2002 - 7 B 508/01 -,

a. a. O.

Kommt es zu einem solchen, jederzeit möglichen Brand, ist auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit einer Gefährdung von Leben und Gesundheit der Personen zu rechnen, die sich in den hier in Rede stehenden rückwärtigen Wohnungen aufhalten. Das folgt ohne weiteres aus der Erfahrung, dass ein Treppenhaus als Rettungsweg durch einen Brand oder durch Verqualmung versperrt sein kann und die Nutzer der Wohnungen dann auf einen anderen Rettungsweg angewiesen sind.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Stand: Juni 2010, § 17 Rdnr. 40.

Die in der angefochtenen Ordnungsverfügung in der maßgeblichen Gestalt des Widerspruchsbescheides enthaltene Ermessensentscheidung ist bezogen auf die Wohnungen im zweiten und dritten Obergeschoss des Hinterhauses nicht zu beanstanden. Insoweit überschreitet die Verpflichtung der Klägerin zur Errichtung einer Spindeltreppe weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens noch ist von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden (§ 114 Satz 1 VwGO).

Nach Ansicht des Senats kommt die Ermessensausübung des Beklagten in der Ordnungsverfügung hinreichend zum Ausdruck. Aus deren Begründung geht nicht nur hervor, dass er sich der zu treffenden Ermessensentscheidung bewusst war, sondern auch, dass er die Errichtung einer Notleiter als milderes Mittel zur Beseitigung der dargelegten Gefahr geprüft hat. Dass er dieses Mittel als ungeeignet und damit die Errichtung einer Spindeltreppe letztlich als alternativlos angesehen hat, ist kein Hinweis auf eine Nichtbetätigung des Ermessens, sondern Ergebnis der angestellten Ermessenserwägungen. Auch im Widerspruchsbescheid ist im Einzelnen dargelegt, aus welchen Gründen die Errichtung der Spindeltreppe trotz des von der Klägerin angebotenen Austauschmittels für erforderlich gehalten worden ist.

Der Beklagte ist auch seiner Verpflichtung aus dem in dem Verfahren 2 L 3/07 vor dem Verwaltungsgericht geschlossenen Vergleich nachgekommen, den Widerspruch der Klägerin unter den im Vergleich genannten Kautelen eingehend zu prüfen. Aus seinem Widerspruchsbericht an die Bezirksregierung Köln ergibt sich, dass der Beklagte sich ausführlich mit der Argumentation der Klägerin im Widerspruchsverfahren und im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auseinandergesetzt hat. Die Berufsfeuerwehr wurde dabei in Gestalt der E-Mails vom 9. Januar und 27. März 2007 beteiligt.

Die Ermessenserwägungen des Beklagten sind in der Sache nicht zu beanstanden. Die Forderung nach Errichtung einer Spindeltreppe ist auch mit Blick auf das von der Klägerin gemäß § 21 OBG NRW angebotene Austauschmittel der Notleiter verhältnismäßig.

Die Eignung der Spindeltreppe zur Sicherstellung des zweiten Rettungswegs ist vorliegend gegeben und wird insbesondere nicht durch die von der Klägerin behauptete Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Einsatzkräfte der Feuerwehr in Frage gestellt. Die Berufsfeuerwehr des Beklagten hat ihre ursprüngliche Einschätzung, eine Spindeltreppe würde aufgrund der geringen Größe des Hofbereichs etwaige Rettungs- und Löscharbeiten beeinträchtigen, zu Recht bei ihrer Beteiligung im Widerspruchsverfahren dahin korrigiert, bei der durch den vorliegenden Grundriss ausgewiesenen Hoffläche von 10 x 5 m verbleibe ausreichender Platz für die Einsatzkräfte. Die ursprüngliche Einschätzung beruhte auf der Annahme, die für Rettungsarbeiten notwendige Bewegungsfläche werde durch den im Innenhof vorhandenen Bestand an Bäumen, Pflanzen und Wasserfläche vorgegeben. Diese Annahme war unzutreffend, weil der Grundstückseigentümer für einen den brandschutzrechtlichen Anforderungen genügenden Zustand seiner baulichen Anlagen Sorge zu tragen hat. Sein Interesse an einer gartenarchitektonisch ansprechenden Gestaltung der für Rettungsarbeiten im Brandfall benötigten Hoffläche ist dieser bauordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit untergeordnet.

Die Errichtung einer Spindeltreppe ist zur Abwendung der dargelegten Gefahren auch erforderlich. Zutreffend ist der Beklagte davon ausgegangen, dass die von der Klägerin angebotene Notleiter zur Gefahrenabwehr nicht gleich geeignet ist. Die Argumentation der Klägerin, welche vornehmlich die - wie vorstehend ausgeführt, unschädliche - weitergehende Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Einsatzkräfte durch eine Spindeltreppe im Vergleich zu einer Notleiter in den Blick nimmt, geht an dem Hauptzweck der geforderten Spindeltreppe, die Selbstrettung von Menschen durch Flucht aus den gefährdeten Nutzungseinheiten zu ermöglichen, vorbei. Mangels eines ausreichenden Zugangs der Einsatzkräfte zu den Fenstern der Wohneinheiten im zweiten und dritten Obergeschoss des Hinterhauses ist - wie oben dargelegt - in Rechnung zu stellen, dass wirksame Rettungsmaßnahmen der Feuerwehr für die Nutzer dieser Wohneinheiten nicht in der erforderlichen zeitlichen Nähe in ausreichendem Umfang gewährleistet sind. Sind diese Personen damit gegebenenfalls auf eine Selbstrettung angewiesen, muss der zweite Rettungsweg so beschaffen sein, dass er auch von älteren und/oder gebrechlichen Personen sowie von Kindern gefahrfrei genutzt werden kann. Diesen Anforderungen genügt eine Notleiter nicht, weil ihre Nutzung ein gewisses Maß an körperlicher Beweglichkeit und Geschicklichkeit erfordert, dass bei dem genannten Personenkreis nicht vorausgesetzt werden kann.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 22. Februar 2010

7 A 1235/08 -, a. a. O., und vom 28. August 2001 10 A 3051/99 -, a. a. O., Beschluss vom 15. Dezember 2004 - 7 B 2142/04 -, BRS 67 Nr. 152.

Die erheblichen Risiken für Leib oder Leben Dritter im Falle eines Brandes rechtfertigen es auch bei nachträglichen Anforderungen an den Brandschutz, solche Schutzmaßnahmen zu fordern, die in jeder Hinsicht "auf der sicheren Seite" liegen. Die zuständige Behörde ist nicht gehalten, allein im finanziellen Interesse des Ordnungspflichtigen wesentliche Abstriche an den zum Schutz dieser Rechtsgüter sachgerechten Sicherheitserfordernissen hinzunehmen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 19. Juni 2006 7 B 676/06 -, juris, und vom 15. Dezember 2004 7 B 2142/04 -, BRS 67 Nr. 152.

Bei seiner Weigerung, eine Notleiter als geringer belastendes Mittel zuzulassen, ist der Beklagte nicht in einer gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Weise von seiner Verwaltungspraxis abgewichen. Zwar hat er in der Vergangenheit auch in Fällen wie hier, in denen ein ungehinderter Hofzugang der Feuerwehr nicht gewährleistet ist, die Installation von Notleitern noch als ausreichend erachtet und deshalb zugelassen. Diese Verwaltungspraxis hat der Beklagte jedoch vor einigen Jahren aus sachlich gerechtfertigten Gründen geändert. Wie sich aus dem Schreiben des Bauaufsichtsamts des Beklagten an dessen Berufsfeuerwehr vom 13. Juli 2004 ergibt, ist er aufgrund einer ministeriellen Weisung von November 2001 dazu übergegangen, generell nur noch Spindeltreppen als zweiten Rettungsweg zuzulassen, wenn die zu rettenden Nutzer mangels Gewährleistung einer zeitnahen Hilfe durch die Einsatzkräfte der Feuerwehr auf die Möglichkeit der Selbstrettung angewiesen sind. Diese Änderung der Verwaltungspraxis ist ausweislich einer aktuellen Entscheidung des Verwaltungsgerichts dort gerichtsbekannt,

vgl. VG Köln, Beschluss vom 28. Mai 2010

- 2 L 578/10 -,

und deckt sich mit Erkenntnissen, die der Senat aus Berufungs- und Beschwerdeverfahren mit vergleichbarem Streitgegenstand gewonnen hat.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Februar 2010

- 7 A 1235/08 -, a. a. O., Beschlüsse vom 6. August 2010 - 7 B 798/10 - und vom 19. Juni 2006

- 7 B 676/06 -, a. a. O.

Sachlich gerechtfertigt ist die Änderung der Verwaltungspraxis durch das vorstehend dargelegte Interesse an einer möglichst effektiven Abwehr von Gefahren für Leib oder Leben insbesondere von Kindern sowie älteren und/oder gebrechlichen Personen. Die zuständige Behörde ist nicht gehalten, an einer einen wirksamen Schutz von Leib oder Leben nicht hinreichend gewährleistenden Verwaltungspraxis entgegen besserer Erkenntnis festzuhalten.

Auf die der Baugenehmigung vom 8. Februar 1988 beigefügte "Auflage" der Errichtung einer Notleiter kann die Klägerin keinen der strittigen Anordnung entgegenstehenden Bestandsschutz stützen. Bei dieser "Auflage" handelt es sich nicht um eine Nebenbestimmung im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW, sondern um eine den Inhalt der Baugenehmigung bestimmende Regelung (sog. Inhaltsbestimmung). Dementsprechend ist die Baugenehmigung einschließlich dieser Inhaltsbestimmung gemäß § 77 Abs. 1 BauO NRW erloschen, weil die Bauausführung mehr als ein Jahr unterbrochen worden ist. Denn die Erweiterung des streitbetroffenen Gebäudes wurde bereits im Jahr 1988 abgeschlossen, die Notleiter jedoch erst im Oktober 2005 angebracht.

Bei der Abgrenzung zwischen Inhaltsbestimmung und Auflage ist maßgeblich darauf abzustellen, ob die Regelung Gestalt und Beschaffenheit der Anlage unmittelbar betrifft oder ob sie als zusätzlich zu der Genehmigung hinzutretendes, selbständiges Handlungs- oder Unterlassungsgebot verstanden werden muss. Die Qualifizierung als Auflage hat zur Voraussetzung, dass die Behörde die Selbständigkeit der auferlegten Maßnahme gegenüber dem hauptsächlichen Gegenstand der Regelung anstrebt und dies von der Sache her auch möglich ist. Der Bezeichnung der Regelung als "Auflage" kommt dabei keine entscheidende Bedeutung zu. Maßgeblich ist vielmehr deren objektiver Erklärungsinhalt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Februar 1992

- 7 C 11.91 -, BVerwGE 90, 42; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 8. Juni 1993 - 10 S 110/92 -, NVwZ 1994, 709.

Hiervon ausgehend erweist sich die in Rede stehende "Auflage" als Bestimmung des Inhalts der Baugenehmigung vom 8. Februar 1988. Nach dem objektiven Erklärungsgehalt diente die Anordnung der Errichtung einer Notleiter nicht dazu, dem Bauherrn eine zum genehmigten Vorhaben hinzutretende selbständige Verhaltenspflicht aufzuerlegen. Vielmehr betraf diese Anordnung unmittelbar die Beschaffenheit des genehmigten Vorhabens selbst. Wie schon der Wortlaut des § 17 Abs. 1 BauO NRW zum Ausdruck bringt, zählt zu der Beschaffenheit einer baulichen Anlage das Vorhandensein und die Anordnung von Rettungswegen. Mit der strittigen "Auflage" sollte den insoweit geltenden brandschutzrechtlichen Anforderungen entsprochen werden. Deren Erfüllung gehörte zu den unabdingbaren Voraussetzungen für die Genehmigung selbst; ohne Nachweis eines zweiten - damals noch in Gestalt einer Notleiter für ausreichend gehaltenen - Rettungswegs durfte die Genehmigung nicht erteilt werden.

Die Klägerin kann sich auch im Übrigen nicht darauf berufen, sie habe bei Errichtung der Notleiter auf deren Bestand vertrauen dürfen. Denn in diesem Zeitpunkt war ihr die entgegenstehende Auffassung des Beklagten hinlänglich bekannt. Der Beklagte hatte den Antrag der Klägerin vom 10. November 2003 auf Zulassung einer Feuerleiter an Stelle einer Spindeltreppe unter dem 2. März 2004 abgelehnt. Dass der Beklagte die Bitte um Überprüfung dieser Entscheidung vom 28. Juni 2004 nicht beantwortete, berechtigte die Klägerin keineswegs zu der Annahme, er habe seine ablehnende Haltung aufgegeben; es hätte ihr oblegen, an die erbetene Stellungnahme durch einfache Rückfrage zu erinnern. Bei dieser Sachlage teilt der Senat die Bewertung des Verwaltungsgerichts nicht, die Klägerin habe verständlicherweise die Gefahrenlage im Sinne der einen Dienststelle des Beklagten entschärft. Dass die Zuständigkeit insoweit beim Bauaufsichtsamt lag, wusste die Klägerin. Über dessen Entscheidung hat sie sich mit der Errichtung der Notleiter bewusst hinweggesetzt und damit auf eigenes Risiko gehandelt.

Vor diesem Hintergrund vermag sich der Senat auch nicht der Auffassung des Verwaltungsgerichts anzuschließen, die Ermessenserwägungen des Beklagten berücksichtigten nicht hinreichend die Besonderheiten des vorliegenden Falles. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass es sich weder bei der in diesem Zusammenhang angeführten "Auflage" zur Baugenehmigung vom 8. Februar 1988 noch bei der zwischenzeitlichen Installation der Notleiter um solche Umstände handelt, die es nahegelegt hätten, zugunsten der Klägerin ausnahmsweise eine Notleiter als zweiten Rettungsweg zu gestatten.

Der Klägerin wird mit der Anordnung der Errichtung der Spindeltreppe nichts rechtlich Unmögliches abverlangt. Zwar bedarf eine solche bauliche Maßnahme zu ihrer Legalisierung grundsätzlich nach § 63 Abs. 1 BauO NRW der Baugenehmigung. Die Legalisierungswirkung wird jedoch durch eine Ordnungsverfügung, mit der die auch für eine Baugenehmigung zuständige Bauaufsichtsbehörde - wie hier - die in Rede stehende bauliche Maßnahme hinreichend bestimmt anordnet, ersetzt. Die Anordnung impliziert die Feststellung, dass die geforderte Maßnahme mit dem geltenden öffentlichen Recht übereinstimmt.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Februar 2010

- 7 A 1235/08 -, a. a. O.

Die Errichtung der Spindeltreppe steht mit der Rechtsordnung auch insoweit in Einklang, als die nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW grundsätzlich erforderlichen Abstandflächen zu Lasten des westlich angrenzenden Flurstücks 2389/43 nicht eingehalten werden. Das in der angefochtenen Ordnungsverfügung enthaltene Gebot der Errichtung einer die Abstandflächen zu dem benachbarten Grundstück nicht wahrenden baulichen Anlage ersetzt hinsichtlich der oben angesprochenen Legalisierungswirkung auch die Zulassung einer Abweichung von den Abstandflächenvorschriften.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Februar 2010

- 7 A 1235/08 -, a. a. O.

Die Abweichung war nach § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW zulässig.

Diese Vorschrift setzt einen Sachverhalt voraus, der von dem der gesetzlichen Regelung der Abstandflächen zugrundeliegenden Normalfall in so deutlichem Maße abweicht, dass die strikte Anwendung des Gesetzes zu Ergebnissen führt, die der Zielrichtung der Norm nicht entsprechen. Ein solcher Sachverhalt kann sich nicht aus den Wünschen eines Eigentümers an einer stärkeren Ausnutzung seines Grundstücks ergeben, auch wenn diese allenfalls zu unwesentlich stärkeren Beeinträchtigungen nachbarlicher Interessen führen sollte. Die Regelungen des § 6 BauO NRW sollen nämlich dem Nachbarn ein angemessenes Maß an Schutz garantieren und zugleich den Standard dessen festlegen, was er an Bebauung in welchem Abstand hinzunehmen hat. Die Gewährleistung dieser Schutzziele erfordert grundsätzlich eine strikte Beachtung der vorgeschriebenen Abstandflächen. Demgemäß kann regelmäßig nur eine grundstücksbezogene Atypik eine Abweichung rechtfertigen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. Januar 2008

- 7 A 2761/06 -, juris, Beschluss vom 5. März 2007 10 B 274/07 -, BRS 71 Nr. 124.

Eine solche grundstücksbezogene Atypik ist vorliegend jedoch im Hinblick darauf zu bejahen, dass bei vorhandener älterer Bausubstanz aus Gründen des Brandschutzes nachträglich ein 2. Rettungsweg anzulegen ist, der bautechnisch nicht ohne Verstoß gegen abstandrechtliche Vorschriften realisierbar ist.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Februar 2010

- 7 A 1235/08 -, a. a. O., und Beschluss vom

1. Oktober 2008 - 7 B 1069/08 -, BRS 73 Nr. 126.

Bei einer solchen Fallgestaltung dennoch die strikte Einhaltung der Abstandflächen zu fordern, würde den berechtigten Interessen des Eigentümers an der Nutzung der vorhandenen Gebäudesubstanz nicht gerecht. Aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ergibt sich vielmehr die Verpflichtung des Gesetzgebers, eine sozial gerechte Eigentumsordnung zu gewährleisten, die die Nutzung einer vorhandenen und verwertbaren Gebäudesubstanz nicht verhindert, wenn dem berechtigte und mehr als nur geringfügige Belange des Allgemeinwohls oder eines Nachbarn nicht entgegenstehen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 8. März 2007

- 7 A 3782/05 -, BRS 71 Nr. 125, in Zusammenhang mit § 6 Abs. 15 BauO NRW.

Dass der Beklagte das ihm durch § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW eingeräumte Ermessen bei Erlass der angefochtenen Ordnungsverfügung nicht ausgeübt und die durch § 74 BauO NRW vorgeschriebene Beteiligung der Angrenzer nicht durchgeführt hat, ist im vorliegenden Zusammenhang nicht maßgeblich, weil § 74 BauO NRW nur dem Schutz des Nachbarn und nicht dem der Klägerin dient und weil das Ermessen des Beklagten auf die Zulassung der Abweichung von den Abstandflächenvorschriften reduziert war. Bei der im Rahmen von § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW vorzunehmenden Abwägung des Interesses des Grundstückseigentümers an der baulichen Maßnahme mit dem Interesse der Nachbarn an der Beachtung der Abstände und den öffentlichen Belangen bzw. den Belangen des Brandschutzes überwiegen nämlich hier die für die Errichtung der Spindeltreppe sprechenden Belange die entgegenstehenden nachbarlichen Belange so deutlich, dass ein Absehen von der Gestattung zu einem mit der Rechtsordnung, insbesondere mit Art. 14 Abs. 1 GG, nicht vereinbaren Ergebnis führen würde. Das öffentliche Interesse an der Vermeidung konkreter Gefahren für Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Personen lässt es nicht zu, die weitere Nutzung der Wohneinheiten im zweiten und dritten Obergeschoss des Hinterhauses der Klägerin ohne den erforderlichen 2. Rettungsweg hinzunehmen. Ohne eine Zulassung der Abweichung müsste der Beklagte daher in Erwägung ziehen, der Klägerin die weitere Nutzung dieser Wohneinheiten zu untersagen. Das damit betroffene, durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte - in einem objektiven Sinne zu verstehende - Interesse der Klägerin an einer weiteren Nutzung der verwertbaren Gebäudesubstanz wiegt so schwer, dass die Interessen des Eigentümers des Flurstücks 2389/43 an der Einhaltung von Abstandflächen dahinter zurücktreten müssen, zumal die durch die Abstandflächenvorschriften geschützten Belange durch die geforderte Spindeltreppe nur unwesentlich beeinträchtigt werden. Aufgrund ihrer Abmessungen und der für eine solche Außentreppe charakteristischen offenen Ausführungsart bei relativ geringer Baumasse wirkt sie sich nur geringfügig auf die Belichtung, Belüftung und Besonnung des Nachbargrundstücks aus. Auch der Zweck, einen ausreichenden Sozialabstand zur Nachbarschaft zu wahren, wird durch die Errichtung der Spindeltreppe kaum berührt, da sie nicht zum dauernden Aufenthalt von Menschen bestimmt ist. Die ferner mit den Abstandflächenvorschriften verfolgten Belange des Brandschutzes sprechen sogar - wie ausgeführt - durchgreifend für die Abweichung.

Einer Duldungsverfügung gegen den von der Abweichung von den Abstandflächen betroffenen Nachbarn bedurfte es schon deswegen nicht, weil die damit bewirkte Verkürzung der Abstandflächen zur Folge hat, dass keine Abstandflächen auf dessen Grundstück fallen. Die im Rahmen der gemäß den §§ 73 Abs. 1 Satz 1, 74 BauO NRW vorzunehmenden Abwägung und Beteiligung der Angrenzer zu würdigenden nachbarlichen Belange stellen, anders als etwa das Miteigentum an der den Brandschutzanforderungen anzupassenden baulichen Anlage, keine Rechte dar, in deren Substanz mit der Befolgung der Ordnungsverfügung unmittelbar eingegriffen würde.

Schließlich ist die Ermessensausübung des Beklagten unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten auch nicht im Hinblick auf den für die Spindeltreppe vorgesehenen Standort zu beanstanden. Dieser orientiert sich sachgerecht am Standort der vorhandenen Notleiter und gewährleistet im Interesse an einer möglichst effektiven Gefahrenabwehr einen unmittelbaren sicheren Einstieg vom Balkon der Wohnung im zweiten Obergeschoss. Die von dem Sondereigentümer der verbundenen Wohnungen im Erdgeschoss und ersten Obergeschoss vorgeschlagenen Alternativstandorte sind mangels vergleichbar sicherer Einstiegsmöglichkeiten nicht gleich geeignet und stellen auch keine milderen Mittel dar. Sie wären für die Klägerin, auf deren Betroffenheit als Adressatin in erster Linie abzustellen ist, mit höheren Kosten verbunden, da an Stelle des Balkons zusätzliche Einstiegspodeste hergestellt werden müssten. Der auf der gemeinschaftlichen Hoffläche zur Verfügung stehende Raum würde zudem stärker eingeschränkt. Diese Verengung der Hoffläche kann auch Behinderungen der Feuerwehr bei etwaigen Löscharbeiten zur Folge haben. Das Interesse des Sondereigentümers an der unbeeinträchtigten Nutzung seiner Terrasse und seines Gartens muss hinter dem weitaus gewichtigeren öffentlichen Interesse an der Abwendung von Gefahren für Leib und Gesundheit zurücktreten.

Die weitere in Ziffer 1 der angefochtenen Ordnungsverfügung enthaltene Forderung, einen durch einen staatlich anerkannten Sachverständigen geprüften Nachweis über die Standsicherheit zu erbringen und nach Abschluss der Arbeiten eine Bescheinigung des Sachverständigen über deren sachgemäße Ausführung entsprechend dem Standsicherheitsnachweis vorzulegen, hat der Beklagte zu Recht auf die §§ 68 Abs. 2 Nr. 2, 82 Abs. 4 Satz 1 BauO NRW gestützt. Diese das Baugenehmigungsverfahren betreffenden Vorschriften sind vorliegend wegen der hinsichtlich der Legalisierungswirkung baugenehmigungsersetzenden Funktion der angefochtenen Ordnungsverfügung anwendbar.

Das in Ziffer 2 der Ordnungsverfügung enthaltene Gebot, Auftragsbestätigungen über die Erstellung der Spindeltreppe und die Prüfung eines Standsicherheitsnachweises vorzulegen, ist ebenfalls durch § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW gedeckt. Die Ermächtigung, die Errichtung einer Spindeltreppe zu fordern, umfasst Maßnahmen, die zur Umsetzung dieses Anpassungsverlangens erforderlich sind. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Erst durch die Vorlage der Auftragsbestätigungen wird der Beklagte in die Lage versetzt, die fristgerechte Erfüllung des Anpassungsgebots nachvollziehen zu können. Mildere, gleich geeignete Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind nicht ersichtlich.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Februar 2010

- 7 A 1235/08 -, a. a. O.

Die Forderung in Ziffer 3 der Ordnungsverfügung, die vorhandene Notleiteranlage unmittelbar vor Beginn der Montagearbeiten zu demontieren, kann hingegen nicht auf den allein als Ermächtigungsgrundlage in Betracht zu ziehenden § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW gestützt werden. Zur Sicherstellung des zweiten Rettungswegs ist diese Maßnahme nicht erforderlich; dieses Ziel wird vielmehr schon vollständig durch die Anordnung der Errichtung der Spindeltreppe erreicht. Dass die Anbringung der Spindeltreppe an der Stelle, an der sich derzeit die Notleiter befindet, rein tatsächlich die vorherige Demontage der Notleiter erfordert, rechtfertigt kein hierauf gerichtetes - zwangsgeldbewehrtes - Handlungsgebot.

Unterliegt Ziffer 3 der Ordnungsverfügung mithin der Aufhebung, ist auch die hierauf bezogene Zwangsgeldandrohung mangels Grundverwaltungsakts rechtswidrig. Die übrigen Zwangsmittelandrohungen sind nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage hierfür sind die §§ 55 Abs. 1, 60 und 63 VwVG NRW. Die für die Erfüllung der in Ziffer 1 und 2 enthaltenen Forderungen gesetzten Fristen von drei Monaten bzw. einem Monat nach Zustellung der Ordnungsverfügung verstoßen insbesondere nicht gegen § 63 Abs. 1 Satz 3 VwVG NRW, obwohl der Beklagte die Vollziehung unter dem 7. Mai 2007 ausgesetzt hat. Dies hatte gemäß § 63 Abs. 1 Satz 4 VwVG NRW nur zur Folge, dass der Eintritt der Bestandskraft als Fristbeginn an die Stelle der Zustellung der Ordnungsverfügung getreten ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Beklagte ist nur zu einem geringen Teil unterlegen. Die Forderungen, die Absturzsicherung der Terrasse im ersten Obergeschoss im Bereich des Einstiegs in die Spindeltreppe zu entfernen sowie die vorhandene Notleiter zu demontieren, stellen einen deutlich untergeordneten Teil des Streitgegenstands dar. Wirtschaftlich fallen diese Anordnungen kaum ins Gewicht, zumal die Notleiter tatsächlich demontiert werden muss, um das Gebot der Errichtung der Spindeltreppe befolgen zu können.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.