OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.08.2010 - 6 B 540/10
Fundstelle
openJur 2011, 74737
  • Rkr:

Erfolglose Beschwerde eines Polizeikommissars in einem Konkurrentenstreitverfahren.

Die von einem Qualifikationsgleichstand ausgehende Gleichstellungsregelung des § 20 Abs. 6 Satz 2 LBG NRW stellt eine zulässige Ergänzung des § 9 BeamtStG dar.

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses.

Der Antragsteller hat auch mit der Beschwerde die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO. Rechtsfehler der getroffenen Auswahlentscheidung zugunsten der Beigeladenen sind mit der Beschwerde nicht dargetan.

Der Antragsgegner hat seine Auswahlentscheidung hinsichtlich der streitigen Beförderungsstelle in rechtlich zulässiger Weise auf die Anwendung sogenannter Hilfskriterien gestützt. Voraussetzung für die Heranziehung von Hilfskriterien wie hier der (vom Antragsgegner so bezeichneten) Frauenförderung gemäß § 20 Abs. 6 Satz 2 LBG NRW ist wegen des Grundsatzes der Bestenauslese (§ 9 BeamtStG, § 20 Abs. 6 Satz 1 LBG NRW, Art. 33 Abs. 2 GG) ein Qualifikationsgleichstand zwischen den konkurrierenden Bewerbern. Sind Beamte als im Wesentlichen gleich beurteilt anzusehen, so dass anhand der allein unmittelbar leistungsbezogenen Erkenntnisgrundlagen kein Vorsprung eines Bewerbers festzustellen ist, darf auf sachliche Hilfskriterien zurückgegriffen werden.

Vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 14. Mai 1996 - 2 B 73.96 -, Buchholz 232 § 8 BBG Nr. 52 mit weiteren Nachweisen; OVG NRW, Beschluss vom 27. November 2007 - 6 B 1493/07 -, juris.

Dass eine solche Situation hier gegeben ist, wird mit der Beschwerde nicht in Abrede gestellt. Der Dienstherr hatte insofern die Auswahl nach weiteren sachgerechten Merkmalen zu treffen. Hierbei steht ihm ein weites Ermessen hinsichtlich der Bestimmung des Auswahlkriteriums zu.

Der Antragsgegner durfte insoweit auf § 20 Abs. 6 Satz 2 1. Halbsatz LBG NRW abstellen, wonach Frauen bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bevorzugt zu befördern sind, sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen, soweit im Bereich der für die Beförderung zuständigen Behörde im jeweiligen Beförderungsamt der Laufbahn weniger Frauen als Männer sind. Diese landesrechtliche, von einem Qualifikationsgleichstand ausgehende Gleichstellungsregelung stellt eine zulässige Ergänzung des § 9 BeamtStG dar, wonach Ernennungen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Abstammung, Rasse oder ethnische Herkunft, Behinderung, Religion oder Weltanschauung, politische Anschauungen, Herkunft, Beziehungen oder sexuelle Identität vorzunehmen sind.

Vgl. von Roetteken/Rothländer, Loseblatt, § 9 BeamtStG Rn. 67; keine Bedenken insoweit auch bei OVG LSA, Beschluss vom 24. Februar 2010 - 1 M 36/10 -, juris, sowie Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Loseblatt, § 9 BeamtStG Rn. 9 f.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt (und näher ausgeführt), dass von einer erschöpfenden und damit abschließenden bundesrechtlichen Regelung durch die Vorschrift des § 9 BeamtStG, für deren Erlass eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG besteht, insoweit nicht auszugehen ist. Der Gesetzgeber hat durch diese Norm die - soweit hier interessierend - gleichlautende Bestimmung des § 7 BRRG unverändert fortgeschrieben, wobei er sowohl die bundes- und landesrechtlichen Gleichstellungsbestimmungen der vorliegenden Art als auch die derartige Regelungen akzeptierende Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft vorgefunden hatte. Als Ergebnis der jahrzehntelangen Diskussion um kompensatorische gesetzliche Regelungen, die mit dem Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern an das eigentlich unzulässige Kriterium des Geschlechts anknüpfen, bestanden bei Verabschiedung des § 9 BeamtStG zudem weitere europarechtliche Vorgaben, durch die derartige positive Maßnahmen akzeptiert werden (vgl. nunmehr auch Art. 6 Abs. 1 EUV i.V.m. Art. 23 Satz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union; Art. 141 Abs. 4 EGV; RL 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006, ABl. L 204/23). Um annehmen zu können, dass § 9 BeamtStG gegenüber Gleichstellungsregelungen in Form von Entscheidungsquoten bei Qualifikationsgleichstand Sperrwirkung entfalten sollte, wäre in der Tat eine klare Äußerung des Gesetzgebers erforderlich gewesen. Da die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz den Ländern gemäß Art. 72 Abs. 1 GG die Befugnis zur Gesetzgebung verleiht, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat, bedarf es auch nicht der vom Antragsteller geforderten Öffnungsklausel.

Dieser Befund wird entgegen der Auffassung der Beschwerde durch die Gesetzesbegründung zu § 9 BeamtStG (BT-Drs. 16/4027, S. 23) nicht in Frage gestellt, sondern bestätigt. Darin heißt es, die Neuregelung entspreche den Regelungen des § 11 i.V.m. § 1 AGG für den Bereich des Arbeitsrechts. Nach § 11 AGG darf ein Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 ausgeschrieben werden. Gemäß § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden. § 1 AGG schließlich bestimmt, dass Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Bei alldem ist indessen zu berücksichtigen, dass gemäß § 5 AGG ungeachtet der in den §§ 8 bis 10 sowie in § 20 benannten Gründe eine unterschiedliche Behandlung - wie sie in § 20 Abs. 6 Satz 2 LBG NRW vorgesehen ist - auch zulässig ist, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines in § 1 genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen werden sollen. Es kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber diese dem AGG selbst immanente Präzisierung der Regelungen der §§ 11, 1 AGG für das Verständnis des BeamtStG unbeachtet lassen wollte.

Entsprechendes gilt für die Bezugnahme auf "Art. 3 GG" in der Gesetzesbegründung. Die Bezugnahme ist nicht etwa beschränkt auf das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG, sondern schließt Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG und damit den Verfassungsauftrag ein, staatlicherseits für die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu sorgen. Dies kann eine bevorzugende Ungleichbehandlung von Frauen rechtfertigen.

Vgl. näher Osterloh in Sachs, Grundgesetz Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 3 Rn. 264 ff.; Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz Kommentar, 10. Auflage 2009, Art. 3 Rn. 97; Heun in Dreier, Grundgesetz Kommentar Band I, 2. Auflage 2004, Art. 3 Rn. 112, 126.

Soweit die Beschwerde auf die gegenüber § 7 BRRG erweiterte Fassung des § 9 BeamtStG verweist, ist das für die hier aufgeworfene Frage unergiebig. Mit dieser Erweiterung sind weitere im Grundsatz unzulässige Gesichtspunkte (ethnische Herkunft, Behinderung, sexuelle Identität) aufgenommen worden.

Ein Hinweis für das bezeichnete nicht abschließende Verständnis des § 9 BeamtStG ist auch aus §§ 9 BBG, 8 Satz 1 BGleiG zu gewinnen. Hierbei handelt es sich ebenfalls um bundesrechtliche, wenn auch aufgrund der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG erlassene Vorschriften. § 9 BBG ist in seinem ersten Satz annähernd wortgleich mit § 9 BeamtStG; in seinem zweiten Satz ist jedoch ausdrücklich bestimmt, dass dem gesetzliche Maßnahmen zur Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung im Erwerbsleben, insbesondere Quotenregelungen mit Einzelfallprüfung sowie zur Förderung schwerbehinderter Menschen nicht entgegen stehen. Dazu sieht § 8 Satz 1 BGleiG vor, dass, soweit Frauen in einzelnen Bereichen unterrepräsentiert sind, die Dienststelle sie bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen, Einstellung, Anstellung und beruflichem Aufstieg bei Vorliegen von gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (Qualifikation) bevorzugt zu berücksichtigen hat, sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen. Dies gilt nach § 8 Satz 2 BGleiG für die Besetzung von Beamten-, Angestellten- und Arbeiterstellen, auch mit Vorgesetzten- und Leitungsaufgaben, von Stellen für die Berufsausbildung sowie für Richterstellen, soweit nicht für die Berufung eine Wahl oder die Mitwirkung eines Wahlausschusses vorgeschrieben ist, sowie für die Beförderung, Höhergruppierung, Höherreihung und Übertragung höher bewerteter Dienstposten und Arbeitsplätze auch in Funktionen mit Vorgesetzten- und Leitungsaufgaben. Es leuchtete nicht ein, dass und warum der Bundesgesetzgeber derartige Gleichstellungsregelungen für den Bereich des Bundes ausdrücklich hätte anordnen, für den Bereich der Länder aber selbst als Möglichkeit hätte ausschließen sollen.

Zu den Motiven des Gesetzgebers im Hinblick auf § 8 BGleiG BT-Drs. 14/5679, S. 15 f., 22.

Das Argument der Beschwerde, bei § 20 Abs. 6 Satz 2 LBG NRW handele es sich nicht um eine Gleichstellungs-, sondern eine Ungleichstellungsregelung, verkennt den Ansatz derartiger Bestimmungen grundlegend. Diese sehen positive Gleichstellungsmaßnahmen vor ausgehend von der Annahme struktureller Benachteiligung der Angehörigen einer bestimmten Gruppe, die sich durch bloße Gleichbehandlungsgebote nicht beheben lässt. Solche Maßnahmen zur Kompensation gesellschaftlicher Ungleichheit können von ihrem Ansatz her nicht merkmalsblind sein.

Entgegen der Auffassung der Beschwerde greift schließlich die Öffnungsklausel des § 20 Abs. 6 Satz 2 1. Halbsatz LBG NRW nicht zugunsten des Antragstellers ein.

Ob die in der Person des männlichen Mitbewerbers liegenden Gründe im Sinne dieser Vorschrift überwiegen, ist eine Rechtsfrage, die im Grundsatz uneingeschränkter Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte unterliegt. Dieser Ansatz wird allerdings relativiert durch die Entscheidungsfreiheit des Dienstherrn bei der Bestimmung des oder der maßgeblichen Hilfskriterien, die der konkreten Personalentscheidung vorausgehen. Der Dienstherr ist in den Grenzen des Willkürverbotes und des Leistungsprinzips darin frei, welchen zusätzlichen Gesichtspunkten er bei im Wesentlichen gleicher Qualifikation der Konkurrenten größere Bedeutung beimisst.

Vgl. näher OVG NRW, Beschluss vom 27. November 2007 - 6 B 1493/07 -, juris, mit weiteren Nachweisen.

Ausgehend von diesen Maßgaben sind die Unterschiede hier nicht derart gewichtig, dass ein Überwiegen der in der Person des Antragstellers liegenden Gründe anzunehmen wäre. Wie das Verwaltungsgericht dargetan hat, beträgt der Vorsprung des Antragstellers im vom Antragsgegner für maßgeblich erachteten Merkmal der Dauer der Zugehörigkeit zum derzeitigen Statusamt (A 9 g.D.) ca. 2 Jahre und 4 Monate, was noch keinen überwiegenden Grund im Sinne der Öffnungsklausel darstellt. Auch der vom Antragsteller betonte Umstand seiner um vier Jahre längeren Zugehörigkeit zur Laufbahn des gehobenen Dienstes ist dafür nicht hinreichend gewichtig. Zudem weist die Beigeladene gegenüber dem Antragsteller eine um knapp sechs Jahre und damit deutlich höhere Gesamtdienstzeit sowie ein um etwa 1 ½ Jahre höheres Lebensalter auf. Warum es zwingend sein soll, dies außer Acht zu lassen und statt dessen darauf abzuheben, dass der Antragsteller vier Jahre vor ihr die Fachprüfung für den gehobenen Dienst bestanden und ein um eine Note besseres Fachprüfungsergebnis erzielt hat, macht die Beschwerde nicht ersichtlich. Sie setzt sich auch nicht mit den Ausführungen der angegriffenen Entscheidung auseinander, dass die Examensnote des Antragstellers eine Verkürzung der Probezeit zur Folge hatte, sich also bereits bei dem vorrangigen Hilfskriterium "Standzeit" positiv ausgewirkt hat.

Der Frage, ob die Auswahlerwägungen ausreichend dokumentiert sind, ist im Streitfall nicht nachzugehen, weil sie mit der Beschwerde nicht aufgeworfen ist, § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO. Angemerkt sei, dass sich die Gegebenheiten im Streitfall aufgrund der hier zusätzlich vorliegenden Unterlagen auch von denen im Verfahren 6 B 868/10 unterscheiden, in dem der Antragsteller beigeladen war.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.