FG Münster, Urteil vom 09.07.2010 - 4 K 4784/06 Kg
Fundstelle
openJur 2011, 74227
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 17.05.2006 und der Einspruchsentscheidung vom 11.10.2006 dem Kläger Kinder-geld für das Kind C., geb. am 15.07.1983, für das Kalenderjahr 2005 in Höhe von monatlich EUR 154 zu gewähren.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe

Die Klage, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO -), ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Kindergeld für seinen Sohn C. für das Jahr 2005. Der Ablehnungsbescheid vom 17.05.2006 und die hierauf ergangene Einspruchsentscheidung vom 11.10.2006 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 101 Satz 1 FGO).

Der Anspruch des Klägers auf Kindergeld für seinen Sohn C. für das Jahr 2005 ergibt sich aus §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Der Sohn des Klägers befand sich im Jahr 2005 durchgängig in Berufsausbildung. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

Der gesetzliche Jahresgrenzbetrag für eigene Einkünfte und Bezüge des Kindes war im Streitjahr nicht überschritten. Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der im Streitjahr 2005 geltenden Fassung wird ein Kind nur dann mit Kindergeld berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als EUR 7.680 im Kalenderjahr hat. Der Begriff der Einkünfte entspricht grundsätzlich dem in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen (BFH-Urteil vom 29.05. 2008 III R 33/06, BFH/NV 2008, 1664). Unter Berücksichtigung der erklärten - und in tatsächlicher Hinsicht auch nicht streitigen - Werbungskosten wird der Grenzbetrag im Streitfall unterschritten.

Bruttoarbeitslohn EUR 12.289,00

./. Werbungskosten

Arbeitsmittel EUR 419,74 Mitgliedsbeiträge zu

Gewerkschaften und Berufsverbänden EUR 52,08

Fahrtkosten EUR 3.501,00 Verpflegungsmehraufwendungen EUR 922,80 sonstige Werbungskosten EUR 356,32

= Einkünfte und Bezüge EUR 7.037,06

Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG). Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG gehören auch die Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu den abzugsfähigen Werbungskosten. Insofern erachtet der Gesetzgeber allerdings nicht die gesamten Fahrtkosten als steuerlich berücksichtigungsfähig, sondern begrenzt die Anerkennung pauschal mit EUR 0,30 für jeden vollen Kilometer der einfachen Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte je Arbeitstag (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG). Diese Begrenzung findet allerdings nur dann Anwendung, wenn es sich bei dem vom Arbeitnehmer angefahrenen Arbeitsort um die bzw. eine regelmäßige Arbeitsstätte handelt. Wird der Arbeitnehmer dagegen vorübergehend an einem Ort tätig, der sowohl von seiner Wohnung als auch dem Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit entfernt liegt (Dienstreise) oder wird der Arbeitnehmer typischerweise bei seiner individuellen beruflichen Tätigkeit nur an ständig wechselnden Einsatzstellen tätig (Einsatzwechseltätigkeit), sind die Mobilitätskosten in vollem Umfang als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG abzugsfähig.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, ist unter dem Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG jede ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers zu verstehen, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder aufsucht (z.B. BFH-Urteile vom 18.12.2008 VI R 39/07, BFHE 224, 111, BStBl II 2009, 475; VI R 47/07, BFH/NV 2009, 751; vom 22.10.2009 III R 101/07, BFH/NV 2010, 200). Liegt nämlich eine auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte - regelmäßige - Arbeitsstätte vor, kann sich der Arbeitnehmer auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken, z.B. durch Bildung von Fahrgemeinschaften und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie ggf. durch eine entsprechende Wohnsitznahme (vgl. BFH-Urteil vom 10.04.2008 VI R 66/05, BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825). Dies rechtfertigt einen bloß begrenzten Abzug der Fahrtaufwendungen.

Dagegen wird der Arbeitnehmer typischerweise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten tätig, wenn er im Betrieb seines Arbeitgebers keine regelmäßige Arbeitsstätte innehat, die für ihn den ortsgebundenen Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit darstellt (vgl. BFH-Urteil vom 11.05.2005 VI R 16/04, BFHE 209, 518, BStBl II 2005, 789). In diesem Fall ist gerade wegen des stetigen Wechsels des Arbeits- bzw. Einsatzortes eine Minderung der Wegekosten nicht bzw. nur schwer möglich. Die erforderliche Flexibilität des Arbeitnehmers und die jeweilige Kurzfristigkeit der Einsätze gebietet es, die (im Regelfall) höheren Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsort durch einen unbegrenzten steuerlichen Abzug gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zu berücksichtigen. Ohne Einzelnachweis ist eine pauschale Anerkennung von EUR 0,30 je gefahrenen Kilometer möglich.

Die vorgenannten Rechtsgrundsätze gelten auch bei Berufsausbildungsverhältnissen. Dementsprechend sind zur Überzeugung des Senats nicht nur die Fahrten des Sohnes des Klägers zur FHöV sowie zum Institut für Aus- und Fortbildung der Polizei Nordrhein-Westfalen in I. als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in Höhe der tatsächlich gefahrenen Kilometer abzugsfähig, sondern ebenso die Fahrten zu den wechselnden Ausbildungsstellen im Rahmen der fachpraktischen Studienzeit. Der Sohn des Klägers verfügte während der Zeit seiner Fachpraktika nicht über eine regelmäßige Arbeitsstätte. Zwar war er ausweislich der Bescheinigung vom 09.10.2006 dem Polizeipräsidium .. als Stammdienststelle zugewiesen (Bl. 128 der Kindergeldakte). Hieraus kann allerdings nicht geschlossen werden, dass es sich hierbei für den Sohn des Klägers um dessen ortsgebundenen Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit gehandelt hat. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass der Sohn des Klägers diese Dienststelle im Streitjahr nachhaltig und regelmäßig aufgesucht hat. Vielmehr war der Sohn des Klägers - wie in § 12 VAPPol II i.V.m. Anlage 2 zum RdErl. des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 22.12.2000 - 46 -- 4102 vorgesehen - nach Ende des fachwissenschaftlichen Seminars S 3.2 an der FHöV zunächst für 15 Wochen fachpraktisch im Wach- und Wechseldienst und sodann ebenfalls für 15 Wochen fachpraktisch im Ermittlungsdienst tätig. Diese Praktika konnten nicht an der "Stammdienststelle" im Polizeipräsidium .... stattfinden; vielmehr wurde der Sohn des Klägers jeweils zeitlich befristet an die insofern zuständigen Polizeihauptwachen bzw. Kriminal-/Verkehrskommissariate zugewiesen (§ 15 Abs. 1 Unterabs. 3 Satz 2 der VAPPol II). In Anbetracht der jeweiligen Kurzfristigkeit der Zuweisungen im Rahmen seines Fachpraktikums war es dem Kläger bei typisierender Betrachtung nicht möglich, seine Wegekosten zu minimieren. Gleiches gilt für die im Rahmen des Projektstudiums durchgeführten (einzelnen) Fahrten zu den Polizeihauptwachen E. und J..

Der Senat setzt sich mit seiner Entscheidung nicht in Widerspruch zum BFH-Urteil vom 22.10.2009 III R 101/07, BFH/NV 2010, 200. Dort hat der BFH entschieden, dass eine Rechtspflegeranwärterin, die im Rahmen ihres ebenfalls drei Jahre andauernden Vorbereitungsdienstes zum ersten Teil ihrer Berufspraxis für den Zeitraum von 13 Monaten einem Amtsgericht zugewiesen wird, dort eine regelmäßige Arbeitsstätte inne habe. Für den BFH war im dortigen Entscheidungsfall neben dem Zeitfaktor von 13 Monaten - in Abgrenzung zur Einsatzwechseltätigkeit - von Bedeutung, dass die dortige Klägerin nicht damit rechnen musste, dass sie ihre Arbeitsleistung an stets wechselnden Arbeitsstellen zu erbringen hatte, sondern sich auf das Amtsgericht als regelmäßige Arbeitsstelle einstellen konnte. Im vorliegenden Streitfall waren die Zeitintervalle der jeweiligen Zuweisung dagegen erheblich kürzer. Ebenso waren die Dienststellen, die im Rahmen des Projektstudiums angefahren werden mussten, nicht von vornherein absehbar. Die vom Sohn des Klägers eingeforderte Flexibilität hinsichtlich seiner Dienstorte rechtfertigt es nach Auffassung des Senats, die Aufwendungen für die Wegestrecken - pauschaliert mit EUR 0,30 je gefahrenen Kilometer - in vollem Umfang als Werbungskosten zu berücksichtigen.

Hiernach ergibt sich folgendes Bild:

1. Fahrten zur FHöV:

67 Tage x .... km x 2 x EUR 0,30 = EUR .......

2. Fahrten zum Institut für Aus- und Fortbildung der Polizei Nordrhein-Westfalen

5 Tage x .... km x 2 x EUR 0,30 = EUR .........

3. Fahrten zur Polizeihauptwache E.

5 Tage x .... km x 2 x EUR 0,30 = EUR ........

4. Fahrten zur Polizeihauptwache G.

58 Tage x .... km x 2 x EUR 0,30 = EUR ........

5. Fahrten zum Kriminalkommissariat H.

54 Tage x .... km x 2 x EUR 0,30 = EUR ........

6. Fahrten zur Polizeihauptwache J.

1 Tag x .... km x 2 x EUR 0,30 = EUR ..........

7. Summe Fahrtkosten = EUR 3.501,00

Ob die Beiträge des Sohnes des Klägers zu einer privaten Krankenzusatzversicherung in Höhe von monatlich EUR ..... (vgl. Bl. 66 ff. der Gerichtsakte) bei der Ermittlung der eigenen Einkünfte und Bezüge in Abzug zu bringen sind (verneinend BFH-Urteil vom 26.09.2007 III R 4/07, BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738 bei einem sozialversicherungspflichtig beschäftigten Kind), bedarf angesichts der deutlichen Unterschreitung des Jahresgrenzbetrags durch den Abzug von Werbungskosten keiner Entscheidung des Senats.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Gründe für eine Revisionszulassung i.S. des § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor. Der Senat folgt mit seiner Entscheidung höchstrichterlichen Rechtsprechungsgrundsätzen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

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