LAG Köln, Beschluss vom 27.09.2010 - 2 TaBV 11/10
Fundstelle
openJur 2011, 73832
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 7 BV 173/09

Ein Unterlassungsanspruch zur Sicherung der Mitbestimmung ist dann nicht gegeben, wenn durch eine gesetzliche Regelung bereits ein Individualanspruch der Arbeitnehmer besteht. Mehrarbeit, die ausschließlich dadurch entsteht, dass Arbeitnehmer die gesetzliche Mindestpause nicht wahrnehmen/nicht wahrnehmen können, eröffnet keine Mitbestimmung durch den Betriebsrat, denn er könnte den Verzicht auf die Pause nicht regeln. Der Betriebsrat kann nur auf die Einhaltung der Vorschriften drängen und den Arbeitgeber dazu anhalten.

Tenor

Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 18.11.2009 – Az.: 7 BV 173/09 – abgeändert:

Der Antrag des Betriebsrats und der Hilfsantrag des Betriebsrats werden zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

Die Beteiligten streiten um die Unterlassung von Überstunden. Die Arbeitgeberin betreibt ein weltweit operierendes Luftverkehrsunternehmen. Antragsteller ist der in der Station Köln bestehende Betriebsrat. Dieser vertritt das auf dem Flughafen Köln/Bonn eingesetzte Bodenpersonal.

In der Station Köln gilt die Betriebsvereinbarung "Pausen" vom 07.05.2002. Diese Betriebsvereinbarung, die für alle Mitarbeiter/-innen gilt, die nach Schicht– und Dienstplänen arbeiten, regelt die Lage der Arbeitspausen. Hinsichtlich der Dauer der Pausen ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass sie nicht länger dauern dürfen, als im Manteltarifvertrag Nr. 14, § 10 beziehungsweise in § 4 S. 1 AZG festgelegt.

Vor Einleitung des vorliegenden Beschlussverfahrens kam es in der Vergangenheit zu mindestens 36 Überstundenmitteilungen, die darauf beruhten, dass Überstunden aufgrund der Nichteinhaltung der vorgegebenen Pause entstanden sind. Als Ursache für die Überarbeit wurde regelmäßig hohes Arbeitsaufkommen, fehlerhafte Dienstplanung oder zu geringer Personalbestand angegeben. Der Betriebsrat rügte am 16.04.2009, dass nicht genügend qualifiziertes Personal ausgebildet sei, um die Pausenablösung auf bestimmten Arbeitsplätzen zu garantieren. Während der Dauer des vorliegenden Verfahrens verbesserte sich die Personalsituation teilweise. Der Betriebsrat vertritt jedoch die Ansicht, dass die verbesserte Personalstruktur für die Zukunft nicht sichergestellt sei, da die Personalplanung jeweils nur befristet sei. Der angestrebte Unterlassungstitel sei deshalb erforderlich, um auf Dauer Schichteinteilungen/Personalbestand zu gewährleisten, die eine Pausenablösung ermöglichten.

Der Betriebsrat hat beantragt,

der Arbeitgeberin aufzugeben, es künftig zu unterlassen, Überstunden anzuordnen oder zu dulden, die dadurch entstehen, dass die Mitarbeiter/-innen, die nach Schicht- und Dienstplänen arbeiten, die dort vorgesehene Pause nicht in Anspruch nehmen, sondern durcharbeiten.

der Arbeitgeberin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen eine Entscheidung entsprechend dem Antrag zu 1. ein Ordnungsgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichtsgesetzwert anzudrohen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Sie hält den Antrag des Betriebsrat für einen unzulässigen jedenfalls unbegründeten Globalantrag, da nach dem Wortlaut auch sogenannte Notfälle miterfasst seien, in denen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates wegen einer Katastrophensituation zurück trete. Zudem sehe sie für einen Unterlassungsanspruch keine Wiederholungsgefahr, da sie durch Ausbildung von Personal und Veränderung des Schichtplanes nunmehr in der Lage sei, drei Personaldisponenten pro Tag einzusetzen. Hierdurch sei die Pausenname weitestgehend gewährleistet. Nur im Einzelfall sei es durch eine außergewöhnlich hohe Krankenquote noch dazu gekommen, dass die Pause durchgearbeitet wurde. Auch sei eine Wiederholungsgefahr deshalb nicht gegeben, weil die Arbeitgeberin am 06.10.2009 und 20.10.2009 ausdrückliche Anweisung erteilt habe, die Pausen unbedingt zu nehmen.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Antrag des Betriebsrates erkannt. Es hat den Globalantrag für begründet gehalten, ohne dass der Tenor wegen unstreitig nicht mitbestimmter Notsituationen eingeschränkt sein müsse. Im Übrigen hat es das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrAVG wegen der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung betriebsüblicher Arbeitszeiten hergeleitet. Die Arbeitgeberin habe dadurch, dass sie es geduldet habe, dass Mitarbeiter/-innen der Station Köln an verschiedenen Tagen die Pause durchgearbeitet haben, gegen die Bestimmungen der zwischen den Beteiligten abgeschossenen Betriebsvereinbarung "Pausen" verstoßen.

Die Arbeitgeberin begründet ihre Beschwerde zunächst damit, dass der vorliegende Globalantrag nur dann begründet sein könne, wenn kein einziger Fall denkbar sei, bei dem der Arbeitgeber kollektivbezogene Überstunden ohne die vorherige Zustimmung des Betriebsrats oder diese ersetzenden Beschluss der Einigungsstelle anordnen könne. Hierauf erwiderte der Betriebsrat, dass es ihm gar nicht möglich sei, Überstunden zu genehmigen, die durch das Durcharbeiten der Pause entstehen würden, denn der Betriebsrat könne den gesetzlichen bzw. tariflichen Pausenanspruch der einzelnen Arbeitnehmer nicht zu Fall bringen.

Die Parteien teilten ferner mit, dass sie im Rahmen einer allgemeinen Überstundenregelung damit befasst seien, einzelne Notfallsituationen zu definieren. Nach Ansicht des Betriebsrates ist hierdurch aber die Problematik des Durcharbeitens der Pause aufgrund zu geringer Personaldecke nicht erledigt.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 18.11.2009 Az.: 7 BV 173/09 abzuändern und die Anträge zurückzuweisen.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen und stellt hilfsweise die Anträge, der Antragsgegnerin aufzugeben, es künftig zu unterlassen, ohne Zustimmung des Betriebsrates oder einen die Zustimmung ersetzenden Spruch einer Einigungsstelle Überstunden anzuordnen oder zu dulden, die dadurch entstehen, dass die Mitarbeiter/-innen die nach Schicht- und Dienstplänen arbeiten, die dort vorgesehene Pause nicht in Anspruch nehmen, sonder durcharbeiten,

der Antragsgegnerin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen eine Entscheidung entsprechend dem Antrag zu 1. ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 10.000,00 € anzudrohen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

auch den Hilfsantrag zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstandes wird gemäß § 313 ZPO auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Die zulässige und fristgerechte Beschwerde der Arbeitgeberin führt zur Aufhebung des arbeitsgerichtlichen Beschlusses und zur Abweisung des Antrags sowie des Hilfsantrags.

Für den vorliegend eingeschränkt zur Beurteilung stehenden Fall, dass eine Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrAVG gerade nur dadurch eintritt, dass eine gesetzlich bzw. tarifvertraglich geschuldete Pause durch die Arbeitnehmer nicht genommen wird, sondern in der ursprünglich vorgesehenen Pausenzeit Arbeitsleistung erbracht wird, ist ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht gegeben, da die Gewährung der Pause, also ihre Dauer pro Arbeitstag und die Tatsache, dass sie zu nehmen ist, aufgrund gesetzlicher und tariflicher Regelung im Sinne des § 87 Abs. 1 S. 1 erster Halbsatz BetrVG beruht. Wie der Betriebsrat zu Recht hingewiesen hat ist es weder ihm noch der Einigungsstelle möglich, Sachverhalte zu definieren, die den gesetzlichen Anspruch des Arbeitnehmers auf Pausengewährung entfallen lassen könnten. Da unstreitig im Betrieb der Arbeitgeberin keine längeren, als die nach Gesetz und Tarifvertrag geschuldeten Mindestpausen gewährt werden, ist die Frage, ob diese im Schichtplan vorgesehenen Pausen tatsächlich durch Unterbrechung der Arbeit in Anspruch genommen werden oder in Anspruch genommen werden können, der Mitbestimmung durch den Betriebsrat entzogen. Weder der Arbeitgeber noch der Betriebsrat haben ein Gestaltungsrecht hinsichtlich der Mindestdauer und der tatsächlichen Inanspruchnahme der gesetzlichen Pausen.

Die Kammer hat sehr wohl gesehen, dass das Durcharbeiten während der vorgesehenen Pausenzeit letztlich dazu führt, dass die Gesamtmenge der Arbeitsleistung pro Arbeitstag innerhalb der unveränderten Beginn- und Endzeiten erhöht wird und dass dieser Sachverhalt auch unter den Tatbestand "Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit" zu subsumieren ist. Da aber bereits ein gesetzlicher und tarifvertraglicher Anspruch der einzelnen Arbeitnehmer auf Pausengewährung unabdingbar besteht, ist eine Mitbestimmung gleichwohl auf Grund des Gesetzesvorrangs aus § 87 Abs. 1 BetrVG nicht gegeben. Ein Unterlassungsanspruch zur Sicherung der Mitbestimmung scheitert hieran.

Auch soweit die Betriebsvereinbarung "Pausen" ausdrücklich festschreibt, dass der Arbeitgeber die Pausen zu gewähren hat, ergibt sich hieraus kein Durchführungsanspruch des Betriebsrats nach § 77 BetrAVG. Denn die Betriebsvereinbarung hat insoweit lediglich beschreibenden Charakter. Sie stellt die Gesetzes- und Tariflage dar. Auch ohne die Betriebsvereinbarung bestünden dieselben Individualrechte der Arbeitnehmer. Die Betriebsvereinbarung führt auch nicht dazu, dass der Betriebsrat nunmehr die Möglichkeit hätte über den Wegfall der Pause mitzubestimmen.

Ein Durchführungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 80 Abs. 1 BetrVG. Das Überwachungsrecht des Betriebsrats ist darauf beschränkt, eine Nichtbeachtung oder fehlerhafte Durchführung der Vorschriften beim Arbeitgeber zu beanstanden und auf Abhilfe zu Drängen (BAG vom 18.05.2010, 1 ABR 6/09).

Nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Frage, ob eine Verschiebung der tatsächlich genommenen Pause durch die Betriebsvereinbarung "Pausen" innerhalb des vorgegebenen Pausenrahmens durch den Arbeitgeber einseitig vorgenommen werden kann.

Die Kammer hält die Rechtsfrage, ob Mehrarbeit, die ausschließlich dadurch hervorgerufen wird, dass die gesetzlich geschuldete Pause durchgearbeitet wird, dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterliegt für hinreichend bedeutsam, um die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diesen Beschluss kann vom Betriebsrat

R E C H T S B E S C H W E R D E

eingelegt werden.

Für weitere Beteiligte ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Die Rechtsbeschwerde muss

innerhalb einer Notfrist* von einem Monat

nach der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses schriftlich beim

Bundesarbeitsgericht

Hugo-Preuß-Platz 1

99084 Erfurt

Fax: 0361 2636 2000

eingelegt werden.

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

Die Rechtsbeschwerdeschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:

Rechtsanwälte, Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder, Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Rechtsbeschwerdeschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.

Eine Partei die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.

* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.

Olesch Gerß Rath