LG Hagen, Urteil vom 11.08.2010 - 2 O 170/10
Fundstelle
openJur 2011, 73788
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von dem Beklagten, seinem behandelnden Arzt, die Herausgabe von Krankenunterlagen zur Vorbereitung eines Arzthaftungsprozesses.

Der Kläger war beim Beklagten in der Zeit vom 24.08.2004 bis 31.05.2007 in urologisch/andrologischer Behandlung. Er beabsichtigt, wegen eines vom Beklagten nicht erkannten Prostatakarzinoms Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten geltend zu machen. Hierfür benötigt der Kläger die Behandlungsunterlagen des Beklagten. Mit Anwaltsschreiben vom 22.03.2010 bat er den Beklagten um Übersendung von Kopien der Behandlungsunterlagen, Arztberichte, Röntgenaufnahmen u. a. gegen Erstattung der Kosten für die Anfertigung von Fotokopien unter Setzung einer Frist bis zum 06.04.2010. Mit Schreiben vom 23.03.2010 übersandte der Beklagte dem Kläger Befundberichte, Ultraschall-Prints u. a.. Mit Anwaltsschreiben vom 26.03.2010 wies der Kläger den Beklagten auf die Unvollständigkeit der übersandten Unterlagen hin und bat ihn, ihm auch seine eigene Behandlungskartei in Kopie zur Verfügung zu stellen. Die Röntgenbilder werde er, der Kläger, selbst abholen. Mit Anwaltsschreiben vom 17.05.2010 bat der Kläger seinen Rechtsschutzversicherer, die T GmbH in E2, ihm eine Deckungszusage für die Klage auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen zu erteilen.

Der Kläger behauptet, die ihm vom Beklagten überlassenen Krankenunterlagen seien noch nicht vollständig. Es fehlten noch Behandlungsunterlagen von den Terminen am 24.08., 14.09., 04.10., 21.12.2004 sowie 21.08., 30.08., 04.09.2006 und 08.01.2007, an denen er sich in der Behandlung des Beklagten befunden habe.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn über die mit Schreiben vom 23.03.2010 (Schreiben vom 28.03.2008; Ultraschall-Print vom 04.07.2006, 17:22.40; Ultraschall-Print vom 04.07.2006, 17:42:54; Uroflowprotokoll vom 23.04.2007; Befundbericht Dres. F2 vom 28.09.2004) und 06.04.2010 (Karteikarte mit Einträgen vom 31.05.2007, 23.04.2007, 11.07.2006, 04.07.2006) hinaus - Zug um Zug gegen Erstattung der von dem Beklagten zu errechnenden Kosten - gefertigten Behandlungsunterlagen in Kopie herauszugeben, und zwar für den Zeitraum vom 24.08.2004 bis 31.05.2007;

festzustellen, dass der Beklagte sich mit der Berechnung der für die Erstattung nötigen Kosten gemäß Ziffer 1 der Klage in Verzug befinde;

den Beklagten zu verurteilen, eine Versicherung abzugeben, dass die von ihm herauszugebenden Fotokopien eine vollständige Kopie der im Klageantrag zu Ziffer 1.) dargestellten Behandlungsunterlagen beinhalten;

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 546,69 Euro außergerichtliche Kosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 272,87 Euro an außergerichtlichen Kosten für die Einholung der Deckungszusage nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, er habe dem Kläger alle Krankenunterlagen zur Verfügung gestellt, die er in Besitz habe. Bei den vom Kläger aufgezählten Terminen habe es sich teilweise um Patientengespräche gehandelt, über die keine besonderen Aufzeichnungen erstellt worden seien. Teilweise habe es an den Tagen keinen Kontakt zwischen Patient und Arzt gegeben, möglicherweise sei ihm ein Rezept ausgestellt worden.

In der mündlichen Verhandlung am 11.8.2010 hat der Beklagte die Versicherung, die Gegenstand des Klageantrages zu Ziffer 3 ist, zu Protokoll des Gerichts abgegeben.

Daraufhin haben die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich Ziffer 3 des Klageantrages übereinstimmt für erledigt erklärt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Dem Kläger stand gegen den Beklagten zwar ursprünglich ein Anspruch auf Herausgabe der ihn betreffenden Krankenunterlagen aus §§ 810, 611, 242 BGB zu. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Patient vom Arzt Einsichtnahme in bzw. Herausgabe von sämtlichen ihn betreffenden Behandlungsunterlagen verlangen kann, ohne dass er diesbezüglich ein besondere rechtliches Interesse nachweise muss. Dies ergibt sich bereits aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Jeder Patient hat das Recht, über seinen gesundheitlichen Zustand genau informiert zu werden. Ferner ist anerkannt, dass der Patient anstelle einer Einsichtnahme in die Originalunterlagen auch die Herausgabe von Kopien der Krankenunterlagen verlangen kann (BGH NJW 1983, 328; Amtsgericht I NJW-RR 1998, 262).

Der Anspruch des Klägers auf Herausgabe von Kopien der Krankenunterlagen ist jedoch insoweit durch Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB untergegangen, als der Beklagte ihm Kopien der Krankenakten, der Karteikarte, Röntgenbilder etc. zur Verfügung gestellt hat.

Soweit der Kläger behauptet, der Beklagte habe noch weitere Krankenunterlagen in Besitz, in die er ihm bislang keine Einsicht gewährt habe, ist er beweisfällig geblieben. Herausgegeben werden können nur solche Unterlagen, die der Verpflichtete tatsächlich in Besitz hat. Dass der in Anspruch genommene Arzt die Krankenunterlagen, in die der Patient Einsicht begehrt, besitzt, ist daher anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal. Ebenso wie bei einem Herausgabeanspruch nach § 985 BGB (vgl. Palandt/Bassenge, 69. Auflage, § 985 BGB, Rnr. 16), ist daher der Patient als Anspruchssteller für den Besitz des in Anspruch genommenen Arztes beweispflichtig, sofern dieser behauptet, keine weiteren Unterlagen zu besitzen. Der Kläger hat für seine Behauptung, auch hinsichtlich der von ihm aufgeführten Termine, über die nach Angabe des Beklagten keine Aufzeichnungen gefertigt worden seien, müsse es noch Unterlagen geben, keinen Beweis angetreten. Sofern er sich für seine Behauptung, sich an allen von ihm genannten Terminen in die Behandlung des Beklagten begeben zu haben, Beweis antritt durch Zeugnis der Frau N, erstreckt sich dieser Beweisantritt nicht auf die entscheidungserhebliche Tatsache, ob der Beklagte an diesen Terminen auch Aufzeichnungen, etwa Einträge in seine Karteikarte, gemacht hat. Soweit der Beklagte vorgetragen hat, die am 30.08.2006 gefertigten Röntgenbilder nicht mehr in Besitz zu haben, da er sie dem Kläger bzw. einer von ihm beauftragten dritten Person ausgehändigt habe, ist der Kläger dem nicht entgegengetreten, so dass dieser Vortrag unstreitig ist (§ 138 Abs. 2, 3 ZPO). Der Klageantrag zu Ziffer 1.) war daher abzuweisen.

Der Klageantrag zu Ziffer 2.) ist bereits mangels Feststellungsinteresses unzulässig. Der Beklagte hat die Überlassung von Fotokopien der Krankenunterlagen nicht von einer Kostenerstattung des Klägers abhängig gemacht. Er hat diesbezüglich insbesondere kein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 811 Abs. 2 Satz 2 BGB geltend gemacht. Der Kläger hätte daher seinen Antrag auf Herausgabe der Unterlagen ohne die formulierte Einschränkung Zug um Zug gegen Erstattung der Fotokopiekosten stellen können.

Über den Klageantrag zu Ziffer 3.) war nicht mehr zu entscheiden, da die Parteien den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt haben.

Die Klageanträge zu Ziffern 4.) und 5.) auf Erstattung außergerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten waren abzuweisen.

Ein diesbezüglicher Anspruch scheitert bereits daran, dass der rechtsschutzversicherte Kläger nicht dargelegt hat, von seinem Prozessbevollmächtigten auf Zahlung der betreffenden Beträge in Anspruch genommen worden zu sein und diese auch ausgeglichen zu haben.

Zudem liegen hinsichtlich der Klageforderung vom 546,69 Euro die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Anspruchgrundlage aus §§ 611, 810, 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1 BGB nicht vor. Die außergerichtliche Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist nicht kausal auf einen Verzug des Beklagten mit der Erfüllung seiner nebenvertraglichen Pflicht auf Herausgabe der Krankenunterlagen zurückzuführen. Der Beklagte kann mit der Erfüllung dieser Verpflichtung frühestens am 06.04.2010, der ihm mit Anwaltsschreiben vom 22.03.2010 gesetzten Frist, in Verzug geraten sein. Zu diesem Zeitpunkt war der Prozessbevollmächtigte des Klägers aber bereits, wie sein Schreiben vom 22.03.2010 zeigt, mit der außergerichtlichen Wahrnehmung seiner Rechte beauftragt.

Ein Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Einholung der Deckungszusage in Höhe von 272,87 Euro steht dem Beklagten nicht zu. Zwar wird ein solcher Anspruch von der Rechtsprechung teilweise zuerkennt (Landgericht E, Urteil vom 03.05.2010, 2 O 229/09; AG N2, Urteil vom 26.01.2010, 5 C 142/09; LG C, Urteil vom 09.12.2009, 42 O 162/09). Diese Entscheidungen überzeugen jedoch nicht. Ihre Begründung erschöpft sich darin, die Einholung der Deckungszusage stelle eine besondere Angelegenheit dar, die auf einem selbstständigen Auftrag beruhe, so dass die hierdurch entstehenden Kosten erforderlich im Sinne von § 249 BGB seien. Dem vermag das Gericht nicht zu folgen. Es schließt sich vielmehr der Gegensauffassung an, dass die Anwaltskosten für die Einholung einer Deckungszusage beim Rechtschutzversicherer nicht zu erstatten sind (Landgericht F, Urteil vom 27.11.2009, 9 O ......#/......). Es fehlt bereits an einer adäquaten Kausalität des Schadensereignisses für die Beauftragung des Rechtsanwalts. Der Grund für die Rechtschutzanfrage liegt allein darin, dass der Kläger nicht auf eigenes Kostenrisiko klagen möchte, sondern nur dann, wenn das Kostenrisiko durch die Rechtschutzversicherung gedeckt ist. Insoweit handelt der Kläger bei Einholung der Deckungszusage allein im eigenen Interesse. Der Kläger selbst entscheidet darüber, ob er eine Deckungsanfrage stellt oder nicht. Ihre Kosten fallen daher nicht in den Schutzbereich des § 249 BGB. Jedenfalls sind diese Kosten nicht zur Herstellung des geschuldeten Zustandes gemäß § 249 BGB erforderlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 91 a, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Soweit die Klage abgewiesen worden ist, hat der Kläger als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Soweit die Parteien hinsichtlich des Klageantrages zu 3.) den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war gemäß § 91 a ZPO über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Die Klage auf Abgabe der Versicherung der Vollständigkeit der überreichten Fotokopien wäre allerdings bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Beklagte diese Versicherung zu Protokoll erklärt hat, begründet gewesen. Die Rechtsprechung billigt dem Patienten, der Anspruch auf Einsicht in die Krankenunterlagen hat, auch den Anspruch zu, von dem beklagten Arzt die Versicherung über die Vollständigkeit der ausgehändigten Urkunden verlangen zu können. Hergeleitet wird ein solcher Anspruch aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 259 bis 261 BGB (Amtsgericht I NJW RR- 1998, 262). Dieser Anspruch des Klägers gegen den Beklagten ist erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit durch Erfüllung untergegangen. Ein entsprechender Feststellungsantrag des Klägers auf Erledigung der Hauptsache wäre daher begründet gewesen. Gleichwohl entsprach es billigem Ermessen, dem Kläger die gesamten Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Das Obsiegen des Kläger wäre, wenn über den betreffenden Antrag streitig entschieden worden wäre, im Vergleich zu den Anträgen, hinsichtlich derer der Kläger den Rechtsstreit verloren hat, verhältnismäßig geringfügig im Sinne von § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO gewesen. Das Gericht hat den Streitwert mit Beschluss vom 11.08.2010 auf insgesamt 14.750,00 Euro festgesetzt, wovon auf den Klageantrag zu 1.) 13.750,00 Euro und auf die Klageanträge zu 2.) und 3.) jeweils 500,00 Euro entfallen. Bei der Bemessung des Wertes des Klageantrages zu 1.) ist das Gericht von einem Viertel des voraussichtlichen Wertes des Hauptsacheverfahrens, dessen Vorbereitung die Herausgabe der Krankenunterlagen dienen soll, ausgegangen. Der Kläger beabsichtigt, ein Schmerzensgeld von mindestens 55.000,00 Euro geltend zu machen, so dass 1/4 13.750,00 Euro ergibt. Der auf den Klageantrag zu 3.) entfallende Streitwertanteil entspricht mit 500,00 Euro lediglich einer Quote von 3,39 % des Gesamtstreitwertes. Er ist damit verhältnismäßig geringfügig und verursacht keine höheren Kosten.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit Folgt aus § 709 ZPO.