LG Krefeld, Urteil vom 09.07.2010 - 1 S 8/10
Fundstelle
openJur 2011, 73273
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 7 C 48/08
Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 02.12.2009 verkün-dete Urteil des Amtsgerichts Krefeld insoweit abgeändert, als die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz der Klägerin zu 17 % und dem Beklagten zu 83 % auferlegt werden.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien sind durch einen Gaslieferungsvertrag miteinander verbunden, der durch die Entnahme von Gas aus dem Netz der Klägerin seitens des Beklagten faktisch zustande kam. Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die vollständige Bezahlung der Verbrauchsabrechnungen der Jahre 2006, 2007 und 2008 sowie der von November 2008 bis einschließlich Mai 2009 geleisteten Abschlagszahlungen. Insoweit nahm der Beklagte jeweils Kürzungen vor unter Berufung darauf, dass die Klägerin nicht zu den erfolgten Preiserhöhungen befugt gewesen sei. Ergänzend beruft er sich darauf, dass die Klägerin, sofern ihr überhaupt ein Ermessen bei der Preiserhöhung zugestanden habe, dieses Ermessen unbillig ausgeübt habe.

Die Klägerin hat ihre Klage, die sich zwischenzeitlich auf 824,64 € belief, noch in erster Instanz teilweise zurückgenommen und zuletzt eine Hauptforderung in Höhe von 684,87 € geltend gemacht.

Wegen der weiteren Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Amtsgericht Krefeld hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt und ihm die gesamten Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der seinen Antrag aus erster Instanz weiter verfolgt.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat nur insoweit Erfolg, als das Amtsgericht dem Beklagten rechtsfehlerhaft die gesamten Kosten des Rechtsstreits auferlegt hat.

Im Einzelnen:

1.

Soweit der Beklagte erstinstanzlich mehrfach die Zuständigkeit des Amtsgerichts verneint hat, kommt es hierauf nach § 513 Abs. 2 ZPO nicht mehr an. Im Übrigen hat der Beklagte seine Zuständigkeitsrügen in zweiter Instanz - zu Recht - nicht mehr aufrechterhalten:

Zunächst war eine ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf nicht gegeben, weil die Voraussetzungen weder des § 87 (i.V.m. § 89) GWB noch des § 102 (i.V.m. § 103) EnWG gegeben sind: Voraussetzung einer Zuständigkeit gemäß § 87 GWB ist, dass eine Spruchreife nur unter Beantwortung einer kartellrechtlichen Frage erreicht werden kann. Dies ist hier nicht der Fall. Denn streitentscheidend ist vorliegend die Frage des § 315 Abs. 3 BGB, insbesondere dahingehend, ob die Gaspreiserhöhungen durch gestiegene Bezugskosten gerechtfertigt werden können oder nicht. Eine inhaltliche Prüfung etwa des § 19 GWB ist daher nicht notwendig: Sind die beanstandeten Gaspreiserhöhungen billig, können sie nicht auf einem Missbrauch im kartellrechtlichen Sinne beruhen. Umgekehrt kann bei einer unbilligen Preiserhöhung die kartellrechtliche Frage des Missbrauchs einer wettbewerbsbeherrschenden Stellung dahinstehen. Eine sachliche Unzuständigkeit des Amtsgerichts konnte auch nicht nach § 102 EnWG angenommen werden, weil Gegenstand des Energiewirtschaftsgesetzes in erster Linie das "Ob" der Versorgung ist; demgegenüber beurteilt sich die Frage der Billigkeit der Gaspreiserhöhungen nach bürgerlichem Recht (vgl. insoweit auch LG Hagen, Urteil vom 25.03.2009 - 7 S 84/08).

Soweit der Beklagte überdies erstinstanzlich die Auffassung vertreten hat, die Kammer für Handelssachen sei zuständig, ist dies insbesondere im Hinblick auf § 95 GVG nicht nachvollziehbar.

2.

Die Klage ist auch begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch gegen den Beklagten zu:

a)

Zunächst hat die Klägerin ihre Klageforderung hinreichend substantiiert und die ihr zugrunde liegenden einzelnen Positionen aufgeschlüsselt. Ausweislich ihres Schriftsatzes vom 25.09.2009 verlangt die Klägerin von dem Beklagten die Zahlung von

235,84 € aus der gekürzten Jahresverbrauchsabrechnung 2006, 123,68 € aus der gekürzten Jahresverbrauchsabrechnung 2007, 136,56 € aus der gekürzten Jahresverbrauchsabrechnung 2008 sowie insgesamt 188,79 € aus den seit November 2008 bis einschließlich Mai 2009 gekürzten 7 Abschlagszahlungen.

Dies ergibt insgesamt die noch streitgegenständliche Klageforderung in Höhe von 684,87 €.

Soweit der Beklagte in zweiter Instanz die schlüssige Darlegung der Klageforderung - die sich entgegen der Berufungsbegründung vom 10.03.2010 im Übrigen auch nicht mehr auf 824,64 € beläuft - rügt, ist er hiermit präkludiert, nachdem er auf die Schriftsätze der Klägerin vom 25.09.2009 und vom 30.09.2009, denen zwei Forderungsaufstellungen beigefügt waren, mit Schriftsatz vom 09.10.2009 mitgeteilt hat, dass "die Rechenschritte der Klägerin nunmehr nachvollziehbar sind." Hat der Beklagte also noch in erster Instanz sein anfängliches Bestreiten insoweit nicht mehr aufrechterhalten, ist ihm das erneute Bestreiten in zweiter Instanz verwehrt.

b)

Die Klägerin kann von dem Beklagten die vollständige Zahlung der gekürzten 3 Jahresverbrauchsabrechnungen und 7 Abschlagsforderungen verlangen. Denn sie war zur Erhöhung ihrer Gaspreise in dem vorgenommenen Umfang berechtigt:

aa)

Allerdings greift der Einwand der Klägerin, der Beklagte könne ihr die etwaige Unbilligkeit der Gaspreiserhöhungen überhaupt nicht entgegenhalten und er sei ihr gegenüber schon deshalb zur Zahlung verpflichtet, nicht durch. Denn der Beklagte musste die von ihm angenommene Unbilligkeit der Preiserhöhungen nicht selbstständig im Wege der Feststellungsklage klären lassen, sondern er kann seinen Einwand auch gegenüber der Leistungsklage der bestimmungsberechtigten Klägerin einredeweise geltend machen (vgl. Palandt-Grüneberg, 69. Aufl., § 315 Rdnr. 17).

Die insoweit erhobene Einrede ist auch nicht unbeachtlich, weil der Beklagte etwa sein insoweit bestehendes Recht verwirkt hätte: § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB bestimmt für die Erhebung der dort vorgesehenen Klage keine besondere Frist; allerdings kann der Betroffene sein Klagerecht verwirken (vgl. dazu BGH, Urteil vom 06.03.1986 - III ZR 195/84, Rz. 36). Ein Recht ist verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Beides ist hier nicht der Fall:

Der Beklagte wandte sich gegen die Gaspreiserhöhungen erstmals mit Schreiben vom 08.02.2006. Aus den weiteren als Anlagenkonvolut K2 vorgelegten wechselseitigen Schreiben ergibt sich, dass die Parteien stets ihre konträren Rechtsansichten beibehielten und die später anwaltlich vertretene Klägerin dem Beklagten eine umgehende Beschreitung des Klageweges in Aussicht stellte. Mit Schreiben vom 13.08.2007 forderte die Klägerin den Beklagten sodann zur Zahlung auf; nach weiterer Korrespondenz erwirkte sie am 05.12.2007 einen Mahnbescheid. Der Beklagte musste in dem kurz bemessenen Zeitraum nicht noch zuvor eine gerichtliche Überprüfung der Tariferhöhungen beantragen.

bb)

Die Berechtigung der Klägerin zur Erhöhung ihrer Gaspreise findet ihre Grundlage in § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV (galt bis zum 07.11.2006) bzw. § 5 Abs. 2 GasGVV (seit dem 08.11.2006). In § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV war bestimmt, dass das Gasversorgungsunternehmen zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung stellt und dass Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam werden. Nach der Begründung des Verordnungsgebers sollte durch die Einfügung des Wortes "jeweiligen" klargestellt werden, dass das Versorgungsunternehmen die Möglichkeit hat, die allgemeinen Tarife durch öffentliche Bekanntgabe gleitend, mit anderen Worten ohne Kündigung zu ändern (BR-Dr. 77/79, S. 34). Daraus leitet die höchstrichterliche Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, her, dass § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV den Gasversorgungsunternehmen im Bereich der Versorgung von Tarifkunden ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gewährt. Diese Vorschriften sind durch § 5 Abs. 2 GasGVV ersetzt worden, ohne dass sich hierdurch in der Sache etwas ändern sollte (BGH, Urteil vom 15.07.2009 - VIII ZR 56/08, Rz. 19 f.).

cc)

Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten finden die § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV, § 5 Abs. 2 GasGVV vorliegend auch Anwendung:

Soweit der Beklagte zunächst die Ansicht vertritt, die Vorschriften der AVBGasV bzw. der GasGVV seien wegen des Fehlens der Voraussetzungen der §§ 305 ff. BGB nicht wirksam in den Vertrag einbezogen worden, verkennt er, dass es sich bei beiden Verordnungen nicht um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, sondern um eine auf Vorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) beruhende Verordnung im Sinne des Art. 80 GG, die unmittelbar für die in ihren jeweiligen § 1 genannten Verträge gilt. Einer Einbeziehung nach den AGB-rechtlichen Vorschriften der §§ 305 ff. BGB bedurfte es deshalb nicht.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist dieser auch Tarifkunde im Sinne von § 1 Abs. 2 AVBGasV. Für die Beurteilung, ob es sich bei - wie hier - öffentlich bekannt gemachten Vertragsmustern und Preisen um Tarif- bzw. Grundversorgungsverträge mit allgemeinen Tarifpreisen, Allgemeinen Tarifen oder Allgemeinen Preisen im Sinne der §§ 6 Abs. 1, 10 Abs. 1 oder 36 Abs. 1 EnWG handelt, kommt es darauf an, ob das betreffende Versorgungsunternehmen die Versorgung zu den öffentlich bekannt gemachten Bedingungen und Preisen aus der Sicht eines durchschnittlichen Abnehmers im Rahmen seiner Versorgungspflicht nach den vorbezeichneten Vorschriften oder unabhängig davon im Rahmen seiner allgemeinen Vertragsfreiheit anbietet (BGH, Urteil vom 15.07.2009 - VIII ZR 225/07, Rz. 14). Ersteres ist hier der Fall: Unstreitig kam der Gaslieferungsvertrag zwischen den Parteien dadurch zustande, dass der Beklagte Gas aus dem Netz der Klägerin bezog. Durch diesen faktischen Vertragsschluss wird aber gerade kein Sondervertrag begründet. Es handelt sich vielmehr um den klassischen Fall eines Tarifkundenvertrags im Sinne des § 1 Abs. 2 AVBGasV. Die von der Klägerin praktizierte Best-Preis-Abrechnung, die allen ihrer Tarifkunden zugutekommt, weil sie dem einzelnen Kunden entsprechend seinem jeweiligen Verbrauch den für ihn jeweils günstigsten Tarif zuweist, ändert hieran nichts.

Nach dem Vorgenannten handelt es sich bei dem Beklagten auch um einen Haushaltskunden im Sinne des § 1 Abs. 2 GasGVV.

dd)

Soweit sich der Beklagte zunächst gegen die Gaspreiserhöhung zum 01.01.2005 wendet, dringt er mit seinem Einwand schon aus dem Grunde nicht durch, als eine Billigkeitskontrolle insoweit nicht stattfindet. Denn vertraglich vereinbarte Preise für die Lieferung von Gas unterfallen weder in unmittelbarer noch in analoger Anwendung des § 315 BGB einer Billigkeitskontrolle. Insoweit ist das Amtsgericht in seinem angefochtenen Urteil zutreffend davon ausgegangen, dass der seit dem 01.01.2005 geltende Arbeitspreis zwischen den Parteien konkludent dadurch vereinbart wurde, dass sich der Beklagte vorprozessual lediglich gegen die Erhöhungen ab dem 01.10.2005 gewandt und auf der Grundlage der seit dem 01.01.2005 geltenden Preise eine Kürzung seiner Zahlungsverpflichtungen vorgenommen hat. Denn wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein Tarif (schon dann) zum vereinbarten Tarif, wenn der Kunde eine Jahresabrechnung auf der Grundlage dieses erhöhten Tarifs hinnimmt, ohne diese Tariferhöhung binnen angemessener Zeit als unbillig zu beanstanden, liegt eine Tarifvereinbarung erst recht dann vor, wenn der Kunde sich lediglich gegen spätere Tariferhöhungen wendet und eine frühere Tariferhöhung dadurch als berechtigt anerkennt.

ee)

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist das Amtsgericht auch zutreffend davon ausgegangen, dass die seit dem 01.10.2005 vorgenommenen Preiserhöhungen billig im Sinne von § 315 BGB sind:

(1)

Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass die Klägerin erhöhte Bezugskosten an ihre Kunden weitergibt. Denn Gasversorgungsunternehmen besitzen nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausdrücklich ein anerkennenswertes Interesse daran, Kostensteigerungen in adäquater Weise an ihre Kunden weiterzugeben (BGH, Urteil vom 24.03.2010 - VIII ZR 178/08, Rz. 32, 35). So liegt es hier:

Das Amtsgericht ist im Rahmen der Auswertung der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin die Erhöhung ihrer Bezugskosten - auf die sie die Erhöhung ihrer Abgabepreise gegenüber dem Beklagten stützt - im Einzelnen dargelegt hat. So ergeben sich aus der von ihr vorgelegten Anlage K27 einerseits die Preisveränderungen, die die Klägerin auf der Bezugsseite - hier gegenüber ihrer Vorlieferantin, der Firma X AG - treffen, sowie andererseits die Änderungen des Abgabepreises gegenüber den Kunden der Klägerin, mithin dem Beklagten. Aus der Anlage K27 ergibt sich insoweit beispielhaft, dass die Klägerin zum 01.04.2005 eine Erhöhung ihrer Bezugspreise um 0,1495 Ct/kWh, zum 01.07.2005 eine Erhöhung der Bezugspreise um 0,0005 Ct/kWh sowie zum 01.10.2005 eine Erhöhung der Bezugspreise um 0,2654 Ct/kWh, insgesamt also 0,4154 je Ct/kWh, hinnehmen musste. Diese Erhöhung hat sie zum 01.10.2005 an ihre Kunden in Form einer Preiserhöhung von (lediglich) 0,3000 je Ct/kWh weitergegeben hat. Mit anderen Worten hat die Klägerin 0,1154 Ct/kWh der sie auf Bezugsseite treffenden Preiserhöhungen nicht an ihre Kunden weitergegeben.

Insgesamt ergibt sich aus der Anlage K27 zum Einen, dass die Klägerin die sie auf der Bezugsseite treffenden Preiserhöhungen nicht vollständig an ihre Kunden weitergegeben hat, sie zum Anderen aber die ihr auf der Bezugsseite zu Gute kommenden Preissenkungen auch nicht stets im Verhältnis 1:1 an ihre Kunden weitergegeben hat. Letzteres betrifft insbesondere die Preisanpassungen in dem Zeitraum vom 01.07.2006 bis zum 01.07.2007. Dies ändert indes insgesamt nichts daran, dass die Klägerin in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum ab dem 01.10.2005 gerade nicht die insgesamt auf der Bezugsseite erfolgten Preissteigerungen an ihre Kunden weitergegeben hat: So stiegen die Abgabepreise der Klägerin im Zeitraum vom 01.10.2005 bis zum 01.04.2009 um insgesamt 0,2329 Ct/kWh weniger als die von der Klägerin an die X AG zu entrichtenden Bezugspreise.

Eine Unbilligkeit der Preiserhöhungen liegt nicht einmal im Hinblick auf den beschränkten Zeitraum vom 01.10.2005 bis zum 01.07.2007 einschließlich (in dem der Beklagte allenfalls einwenden könnte, die Abgabepreise der Klägerin hätten sich stärker erhöht als ihre Bezugspreise) vor: So hat die Klägerin ausweislich Anlage K27 zwar zum 01.10.2005 0,1154 Ct/kWh, zum 01.01.2006 0,0600 Ct/kWh und zum 01.04.2006 0,1479 Ct/kWh der sie auf Bezugsseite treffenden Preiserhöhungen nicht an ihre Kunden weitergegeben; sie hat andererseits zum 01.07.2006 0,0141 Ct/kWh, zum 01.10.2006 0,1071 Ct/kWh, zum 01.01.2007 0,0300 Ct/kWh, zum 01.04.2007 0,1022 Ct/kWh und zum 01.07.2007 0,0773 Ct/kWh (insoweit zu ihren Gunsten) nicht in die Veränderungen der Abgabepreise einfließen lassen, obwohl die Bezugspreise der Klägerin insoweit gesenkt bzw. weniger stark erhöht wurden. Addiert man die vorgenannten Zahlen, ergibt sich insoweit eine Differenz von 0,0074 Ct/kWh zu Gunsten des Beklagten; mit anderen Worten hat die Klägerin in dem vorgenannten Zeitraum ihre Abgabepreise insgesamt um 0,0074 Ct/kWh stärker erhöht als ihre Bezugspreise einer Preiserhöhung unterlegen haben. Eine Unbilligkeit der Preiserhöhungen insoweit vermag die Kammer allerdings aus zweierlei Gründen nicht zu erkennen:

Zum Einen hat die Klägerin die sie zunächst treffenden Preiserhöhungen zum 01.10.2005, 01.01.006 und 01.04.2006 nicht in vollem Umfang an ihre Kunden weitergegeben, so dass die insgesamt errechnete geringfügige Differenz von 0,0074 Ct/kWh wenigstens dem Zinsvorteil entspricht, den die Kunden dadurch gewonnen haben, dass die Klägerin die sie treffenden Preisaufschläge nicht sofort in vollem Umfang weitergegeben hat. Zum Anderen musste die Klägerin bereits am 01.10.2007 eine erneute Erhöhung ihrer Bezugspreise um 0,1528 Ct/kWh hinnehmen, die sie zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht an ihre Kunden weitergegeben hat. Gerade in Ansehung der zum Teil starken Preisschwankungen (so erhöhte sich beispielsweise der Bezugspreis zum 01.01.2006 um mehr als 14 %) ist es zur Überzeugung der Kammer grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Klägerin die Erhöhung der Bezugspreise zunächst nicht in vollem Umfang an ihre Kunden weitergibt und zur Kompensierung dieses Nachteils zu einem späteren Zeitpunkt Bezugspreissenkungen ebenfalls nicht vollständig in die Abgabepreise einfließen lässt, um starke Preisänderungen in die eine wie auch die andere Richtung zu vermeiden. Eine andere Beurteilung wäre gerechtfertigt, wenn die Klägerin Preisvorteile auf der Bezugsseite über einen nicht bloß kurzfristigen Zeitraum ihren Kunden vorenthalten hätte, insbesondere zur ungerechtfertigten Gewinnsteigerung; dies ist mit Blick auf den gesamten hier maßgeblichen Zeitraum indes gerade nicht der Fall.

(2)

Der Einwand des Beklagten, die Klägerin habe nicht ihre gesamte Kalkulation offengelegt und sie habe dem Gericht überdies geschwärzte Unterlagen vorgelegt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Klägerin hat nachvollziehbar vorgetragen, dass sie alle relevanten Unterlagen vorgelegt habe, aus denen sich die Erhöhung ihrer Bezugskosten ergebe. Soweit das Amtsgericht dem gefolgt ist und den Tatsachenvortrag der Klägerin für bewiesen erachtet hat, ist ein Rechtsfehler in dem angefochtenen Urteil nicht erkennbar. Insbesondere ergibt sich aus der vorgelegten Anlage K28 - deren Richtigkeit der Beklagte nicht substantiiert bestritten hat - die Richtigkeit der von der Klägerin in Anlage K27 aufgeführten Bezugspreisänderungen. Dem Beklagten kann überdies schon nicht darin gefolgt werden, dass die Klägerin schlechthin alle für eine Überprüfung erforderlichen Unterlagen und Kalkulationen uneingeschränkt offenlegen müsste, weil das für den Beklagten streitende Gebot des effektiven Rechtsschutzes nicht schrankenlos gilt, sondern mit dem nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Interesse des Gasversorgers - hier der Klägerin - an einer Geheimhaltung konkreter Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse abzuwägen und in Ausgleich zu bringen ist (BGH, Urteil vom 19.11.2008 - VIII ZR 138/07).

(3)

Die weitere Rüge des Beklagten, das Amtsgericht habe nicht alle Beweismittel ausgeschöpft, insbesondere hätte ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen, ist zur Überzeugung der Kammer nicht berechtigt. Denn der Beklagte hat erstinstanzlich die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen, soweit sie die zu den Tariferhöhungen führenden Kostenfaktoren betreffen, nicht mit der erforderlichen Substantiiertheit bestritten. Vielmehr ist er lediglich pauschal - insbesondere auch mit Schriftsatz vom 09.05.2009 - der Richtigkeit der vorgelegten Unterlagen entgegen getreten. Dies war angesichts des dezidierten Vorbringens der Klägerin nicht ausreichend. Gelangte das Amtsgericht bereits auf der Grundlage der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen - deren Inhalt nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestandenen gilt - zu dem Ergebnis, dass die Preiserhöhungen auf einer Erhöhung der Bezugskosten der Klägerin beruhten, war die Einholung eines Sachverständigengutachtens insoweit nicht erforderlich. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens wäre angesichts des pauschalen Bestreitens des Beklagten auf eine Ausforschung hinausgelaufen, weil es dem Beklagten so möglich gemacht worden wäre, etwaige für ihn günstige Tatsachen in Erfahrung bringen zu können, um hierdurch überhaupt erst sein pauschales Bestreiten substantiieren zu können.

(4)

Nach der Rechtsprechung des BGH darf ein Versorgungsunternehmen Steigerungen der Bezugskosten an seine Kunden weitergeben, sofern es diese nicht durch etwaig rückläufige Kosten in anderen Bereichen auffangen kann; andernfalls könnte das Unternehmen dies zur unzulässigen Gewinnsteigerung zum Nachteil seiner Kunden ausnutzen (vgl. BGH, Urteil vom 24.03.2010 - VII ZR 178/08, Rz. 36 ff.). Nach den aufgrund der Beweisaufnahme - hier der Vernehmung des Zeugen von Beckerath - getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts war dies hier indes nicht der Fall. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurfte es nach den vorstehenden Ausführungen auch insoweit nicht, zumal der Beklagte weder weitere Einsparpotenziale auf Seiten der Klägerin dargetan noch dem auch insoweit substantiierten Vorbringen der Klägerin entgegen getreten ist. Rechtsfehler zum Nachteil des Beklagten vermag die Kammer insgesamt nicht zu erkennen.

3.

Das Amtsgericht hat der Klage deshalb insgesamt zu Recht stattgegeben. Allerdings war das angefochtene Urteil hinsichtlich der erstinstanzlichen Kostenentscheidung wie aus dem Tenor ersichtlich abzuändern, weil die Klägerin ihre Klage von zwischenzeitlich 824,64 € teilweise zurückgenommen hat auf zuletzt 684,87 €, mithin um 17 %. Die Kostenentscheidung konnte daher entgegen dem angefochtenen Urteil nicht auf § 91 Abs. 1 ZPO gestützt werden. Auch eine Verpflichtung des Beklagten zur Tragung der gesamten Kosten des Rechtsstreits nach § 92 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO kommt im Hinblick auf § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO nicht in Betracht, weil die Geringfügigkeitsgrenze bei maximal 10 % des Streitwertes angenommen werden kann. Dies ist hier nicht der Fall.

4.

Der Kostenausspruch beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Danach hat der Beklagte die gesamten Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, nachdem er sich mit der Berufung letztlich ausschließlich gegen die noch rechtshängige Klageforderung und nicht lediglich gegen die Kostenentscheidung gewehrt hat; vgl. im Übrigen auch BGH, NJW 1992, 2969, 2970.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 713 ZPO.

5.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO, die der Prozessbevollmächtigte des Beklagten jedenfalls in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer in Aussicht gestellt hat, liegen nicht vor.

Streitwert: 684,87 €