OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.07.2010 - 19 B 884/10
Fundstelle
openJur 2011, 73058
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 25 L 1720/09

Ein Rechtsanwalt, dem das Gericht ein Schriftstück nach § 174 ZPO gegen Empfangsbekenntnis zustellt, ist nicht befugt, die mit der Zustellung beginnende Rechtsmittelfrist durch Vordatierung oder Rückdatierung des Eingangsdatums willkürlich zu verlängern oder zu verkürzen.

Tenor

Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Rügeverfahrens.

Gründe

Der Senat versteht den am 1. 4. 2010 gestellten Antrag in Anwendung von § 88 VwGO analog in der Hauptsache als Anhörungsrüge nach § 152a VwGO, für die keine Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO erforderlich ist. Denn die Antragstellerin macht sinngemäß in erster Linie geltend, dass diese Frist nicht versäumt sei, es also keiner Wiedereinsetzung bedarf. Nur hilfsweise für den Fall der Fristversäumung begehrt sie die Wiedereinsetzung.

Mit der Anhörungsrüge dringt die Antragstellerin nicht durch. Der Senat hält auch unter Berücksichtigung der hiergegen erhobenen Einwände der Antragstellerin an seiner Annahme im Beschluss vom 25. 3. 2010 fest, Zustellungsdatum des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts sei der 8. 1. 2010 gewesen. Bei der Zustellung eines Schriftstücks gegen Empfangsbekenntnis nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 174 ZPO ist Zustellungszeitpunkt derjenige Zeitpunkt, in dem der sachbearbeitende Rechtsanwalt persönlich Kenntnis von seinem Gewahrsam an dem zustellungshalber übersandten Schriftstück erhält und durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses den Willen äußert, das Schriftstück als zugestellt gegen sich gelten zu lassen.

BGH, Beschluss vom 12. 1. 2010 VI ZB 64/09 , juris, Rdn. 9; Urteil vom 18. 1. 2006 VIII ZR 114/05 , juris, Rdn. 8; Beschluss vom 16. 4. 1996 VI ZR 362/95 , juris, Rdn. 5; Beschluss vom 10. 10. 1991 VII ZB 4/91 , juris, Rdn. 7; Urteil vom 17. 10. 1986 V ZR 8/86 , juris, Rdn. 7; Urteil vom 31. 5. 1979 VII ZR 290/78 , juris, Rdn. 11; LAG Düsseldorf, Urteil vom 24. 4. 2006 14 Sa 57/06 , juris, Rdn. 9.

Das von einem Rechtsanwalt gemäß § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO unterzeichnete Empfangsbekenntnis begründet als öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 Abs. 1 ZPO vollen Beweis des darin bescheinigten Zeitpunktes der Zustellung. Diese gesetzliche Beweisregelung findet jedoch dann keine Anwendung, wenn die Urkunde u.a. äußere Mängel aufweist (§ 419 ZPO). Außerdem ist der Gegenbeweis der Unrichtigkeit dieses Datums zulässig.

BGH, Urteil vom 25. 5. 1987 II ZR 297/86 , juris, Rdn. 8; Urteil vom 17. 10. 1986 V ZR 8/86 , juris, Rdn. 4.

Nach diesen Maßstäben war Zustellungszeitpunkt hier der 8. 1. 2010, denn an diesem Tag hat eine Beschäftigte aus der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten das von diesem unterschriebene Empfangsbekenntnis per Telefax an das Verwaltungsgericht übermittelt. Das ergibt sich aus den Fax-Aufdrucken in Kopf- und Fußzeile des Empfangsbekenntnisses, die nahezu identische Uhrzeiten am Nachmittag des 8. 1. 2010 als Sende- und Empfangszeiten aufweisen. Die Übermittlung des Empfangsbekenntnisses zu diesem Zeitpunkt hat der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin auch nicht bestritten, sondern im Gegenteil mit dem Hinweis bestätigt, dass die Übermittlung "versehentlich" zu diesem Zeitpunkt erfolgt sei, wie aus dem ausgedruckten Fax-Journal vom 9. 1. 2010 entnommen werden könne.

Mit diesen unstreitigen Tatsachen ist im vorliegenden Fall jedenfalls der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des im Empfangsbekenntnis genannten Zustellungsdatums 18. 1. 2010 erbracht. Insbesondere steht danach fest, dass der Prozessbevollmächtigte bereits am 8. 1. 2010 persönlich Kenntnis von seinem Gewahrsam an dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts genommen hat, denn er hat das Empfangsbekenntnis an diesem Tag bereits unterschrieben. Unter diesen Umständen kann der Senat offen lassen, ob äußere Mängel im Sinne des § 419 ZPO die Beweiskraft des Empfangsbekenntnisses ohnehin aufheben oder mindern. Ein solcher äußerer Mangel könnte hier darin liegen, dass das äußere Erscheinungsbild der "1" von einer anderen Handschrift herzurühren scheint als die nachfolgenden Ziffern "8. 1. 10". Dieser Umstand lässt es als möglich erscheinen, dass eine Änderung des Datums nach der Unterschriftsleistung vorgenommen worden ist.

Dazu BGH, Urteil vom 25. 5. 1987 II ZR 297/86 , juris, Rdn. 8.

Der Prozessbevollmächtigte hat am 8. 1. 2010 auch den notwendigen Annahmewillen für die Entgegennahme des Beschlusses des Verwaltungsgerichts gehabt. Das ergibt sich daraus, dass er nachweislich an diesem Tag seine Unterschrift unter das zugehörige Empfangsbekenntnis gesetzt hat. Mit dieser Unterschrift bringt der Rechtsanwalt im Rechtsverkehr zum Ausdruck, dass er den Annahmewillen hat, dass er also das Schriftstück mit dem Willen entgegennimmt, die Zustellung als bewirkt gelten zu lassen.

BGH, Urteil vom 25. 5. 1987 II ZR 297/86 , juris, Rdn. 11.

Eine beim Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin etwa vorhanden gewesene irrige Rechtsauffassung, er dürfe seinen Annahmewillen erst für einen beliebigen späteren Zeitpunkt erklären und damit die Annahme des Schriftstücks zeitlich hinausschieben, kann es nicht rechtfertigen, den Beschluss des Verwaltungsgerichts als erst am 18. 1. 2010 zugestellt anzusehen. Denn der die Zustellung annehmende Prozessbevollmächtigte ist nicht befugt, die mit der Zustellung beginnende Rechtsmittelfrist durch Vordatierung oder Rückdatierung des Eingangs im Empfangsbekenntnis willkürlich zu verlängern oder zu verkürzen; allenfalls kann er die Zustellung zeitweilig ablehnen.

BGH, Urteil vom 31. 5. 1979 VII ZR 290/78 , juris, Rdn. 15.

Letzteres hat der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin nicht getan. Denn er hat das Empfangsbekenntnis nachweislich am 8. 1. 2010 unterschrieben. Unter diesen Umständen ist der Antragstellerin auch die hilfsweise geltend gemachte Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist nicht zu gewähren. Sie hat insbesondere nicht glaubhaft gemacht, unverschuldet an der Einhaltung dieser Frist gehindert gewesen zu sein. Ihr ist das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zuzurechnen (§ 173 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO), das darin besteht, dass er nachweislich am 8. 1. 2010 das Empfangsbekenntnis unterzeichnet hat, das an diesem Tag mit einer Datierung auf den 18. 1. 2010 an das Verwaltungsgericht gelangt ist. Angesichts dieser Unterschrift kann er sich nicht mit der Begründung entschuldigen, die Übermittlung des Empfangsbekenntnisses sei "von meiner Seite nicht autorisiert" gewesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).