OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.08.2010 - 19 A 1211/09
Fundstelle
openJur 2011, 73049
  • Rkr:
Verfahrensgang

1. Die Schule kann einem Befreiungsanspruch vom koedukativen Schwimmunterricht einen Verstoß gegen Treu und Glauben entgegenhalten, wenn sich die Eltern bei der Schulanmeldung mit diesem Unterricht einverstanden erklärt haben und nach Abgabe dieser Erklärung kein beachtlicher Sinneswandel oder sonst eine relevante Änderung der Verhältnisse eingetreten ist.

2. Die Willenserklärung eines Elternteils gegenüber der Schule bindet nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht auch den anderen Elternteil, sofern die Schule keine konkreten Anhaltspunkte dafür hat, dass die Eltern getrennt leben, geschieden sind oder das Sorgerecht im Einzelfall nicht einverständlich ausüben.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsver-fahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in ent-sprechender Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die am 5. 6. 1997 geborene Klägerin ist islamischen Glaubens und besucht seit dem Schuljahr 2007/2008 die vom Beklagten geleitete Gesamtschule. Auf dem Anmeldebogen unterschrieb die Mutter der Klägerin im Februar 2007: "Mit meiner Unterschrift erkläre ich mich ausdrücklich mit dem Schulprogramm der Gesamtschule E. -Mitte einverstanden (u. a. Klassenfahrten in den Jahrgängen 6, 8, 10, 12; Teilnahme an Berufspraktika; gemeinsamer Sport- und Schwimmunterricht von Mädchen und Jungen)."

Zu Beginn des 6. Schuljahres im August 2008 beantragte der Vater der Klägerin beim Beklagten, sie vom koedukativen Schwimmunterricht freizustellen. Nach Gesprächen mit der Klägerin und ihrem Vater teilte der Beklagte den Eltern der Klägerin mit Schreiben vom 3. 9. 2008 und 24. 9. 2008 mit, sie sei verpflichtet, am koedukativen Schwimmunterricht teilzunehmen. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Bezirksregierung E1. durch Widerspruchsbescheid vom 15. 12. 2008 zurück.

Die Klägerin hat am 19. 1. 2009 Klage erhoben. Sie hat im Einzelnen vorgetragen, aus welchen religiösen Gründen sie am gemeinsamen Schwimmunterricht nicht teilnehmen könne.

Während des Schuljahrs 2008/2009 ist die Klägerin im Schwimmbad in Sportkleidung anwesend gewesen, ohne mit zu schwimmen. Im Zeugnis für das 2. Halbjahr im Schuljahr 2008/2009 hat die Klägerin für das Fach Sport die Note "ausreichend" erhalten. Das Notenwiderspruchsverfahren ruht bis zum Abschluss des vorliegenden Gerichtsverfahrens.

Die Klägerin hat beantragt,

die Bescheide des Beklagten vom 3. 9. 2008 und 24. 9. 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E1. vom 15. 12. 2008 aufzuheben und ihn zu verpflichten, der Klägerin für das Schuljahr 2008/2009 die Befreiung vom koedukativen Schwimmunterricht zu erteilen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat im Wesentlichen auf die Begründung des angefochtenen Bescheides Bezug genommen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Es liege kein wichtiger Grund für die Befreiung der Klägerin vom koedukativen Schwimmunterricht im Sinne von § 43 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW vor. Die Glaubensfreiheit der Klägerin und ihrer Eltern müsse bei der gebotenen Abwägung mit dem staatlichen Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG zurücktreten. Schwimmunterricht sei aus mehreren Gründen wichtig. Der Beklagte habe nachvollziehbar dargelegt, dass ein nach Geschlechtern getrennter Unterricht organisatorisch nicht möglich sei. Der schonende Ausgleich mit den Interessen der Klägerin sei dadurch herbeizuführen, dass sie in spezieller Badebekleidung am Schwimmunterricht im Wasser oder mit einem weiten Bademantel außerhalb des Wassers teilnehme.

Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung vertieft und ergänzt die Klägerin ihren bisherigen Vortrag. Sie hält koedukativen Schwimmunterricht für verzichtbar und bezweifelt, dass der Beklagte alle zu Gebote stehenden, zumutbaren organisatorischen Möglichkeiten ausgeschöpft habe, um einen nach Geschlechtern getrennten Unterricht anzubieten. Das Verwaltungsgericht dürfe ihr nicht vorschreiben, was ihr Glauben zulasse. Ihre Glaubensüberzeugung ließe sich mit einem getrennten Schwimmunterricht noch vereinbaren, auch wenn dabei die anderen Mädchen nicht nach den islamischen Bekleidungsvorschriften gekleidet seien. Beim Anblick von Jungen sei ihre Gewissensnot erheblich größer. Ihre Mutter habe sich bei der Schulanmeldung nicht ausdrücklich mit einem koedukativen Schwimmunterricht einverstanden erklärt. Darüber sei bei der Anmeldung nicht gesprochen worden. Den Klammerzusatz auf dem Schulanmeldebogen hätten ihre Eltern überlesen. Außerdem habe der Beklagte ihre ältere Schwester einige Jahre vorher unproblematisch vom Schwimmunterricht befreit, so dass ihre Eltern davon hätten ausgehen dürfen, dass dies bei ihr entsprechend gehandhabt werde. Abgesehen davon sei es für sie unzumutbar geworden, sie an der damaligen Einverständniserklärung festzuhalten. Ihre Mutter habe sie im Februar 2007 angemeldet, während sie nun selbst begonnen habe, ihr Leben nach ihrem Glauben auszurichten. Der Rechtsstreit habe sich mit dem Ende des Schuljahres erledigt, weil gegenwärtig kein Schwimmunterricht mehr stattfinde. Allerdings habe sie ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides wegen einer Wiederholungsgefahr und eines Rehabilitationsinteresses. Von der Entscheidung dieses Verfahrens hänge ihre Note im Fach Sport für das Schuljahr 2008/2009 ab.

Nachdem die Klägerin zunächst beantragt hat,

das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen,

beantragt sie nunmehr,

das angefochtene Urteil zu ändern und festzustellen, dass das Ablehnungsschreiben des Beklagten vom 24. 9. 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E1. vom 15. 12. 2008 rechtswidrig ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er nimmt im Wesentlichen Bezug auf den angefochtenen Bescheid und das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend trägt er vor: Die Klägerin habe kein berechtigtes Feststellungsinteresse. Die Note im Fach Sport entfalte keine diskriminierende Wirkung. Eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht, weil nach dem Lehrplan der Schule Schwimmunterricht nur in der 6. Klasse stattfinde. Der Beklagte führt im Einzelnen aus, aus welchen Gründen ein nach Geschlechtern getrennter Schwimmunterricht in dieser Gesamtschule organisatorisch unmöglich sei. Schließlich weist er darauf hin, dass die Klägerin sich bei der Schulanmeldung ausdrücklich mit dem gemeinsamen Sport- und Schwimmunterricht einverstanden erklärt habe. Es seien keine Gründe für einen späteren Sinneswandel ersichtlich. Daher sei ein Befreiungsanspruch nach Treu und Glauben ausgeschlossen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen Dr. T. . Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18. 8. 2010 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen nimmt der Senat auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Sie ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.).

I. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig. Der geltend gemachte Befreiungsanspruch für das Schuljahr 2008/2009 hat sich mit Ablauf dieses Schuljahres durch Zeitablauf erledigt. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung dieses Befreiungsanspruchs. Für die Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO genügt jedes nach vernünftigen Erwägungen schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art.

BVerwG, Beschluss vom 24. 10. 2006 6 B 61.06 −, juris, Rdn. 3, zur Nichtversetzung.

Die Klägerin hat ein solches berechtigtes Interesse an der von ihr begehrten Feststellung, weil diese sich auf die angefochtene Note im Fach Sport für das Schuljahr 2008/2009 positiv auswirken kann.

II. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist unbegründet. Das Ablehnungsschreiben des Beklagten vom 24. 9. 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E1. vom 15. 12. 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hatte im Schuljahr 2008/2009 keinen Anspruch gegen den Beklagten, sie von der Teilnahme am Schwimmunterricht zu befreien.

1. Rechtsgrundlage für einen solchen Anspruch ist § 43 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW. Nach dieser Vorschrift kann der Schulleiter Schüler auf Antrag der Eltern aus wichtigem Grund bis zur Dauer eines Schuljahres von der Teilnahme an einzelnen Unterrichts- oder Schulveranstaltungen befreien. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 43 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW liegt u. a. vor, wenn sowohl die Schule als auch die Eltern und ihr Kind den Konflikt zwischen dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG einerseits und dem Elternrecht auf religiöse Kindererziehung aus Art. 6 Abs. 2, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG andererseits im konkreten Einzelfall auch durch zumutbare Maßnahmen nicht zu einem schonenden Ausgleich führen können (Grundsatz der praktischen Konkordanz).

2. Ob in diesem Sinne hier ein wichtiger Grund vorlag, kann dahinstehen. Denn der Klägerin war es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt, einen Befreiungsanspruch geltend zu machen. Dieser Grundsatz gilt auch im hier maßgeblichen Landesrecht (a). Die Eltern der Klägerin haben der Teilnahme ihrer Tochter am koedukativen Schwimmunterricht bei der Schulanmeldung zugestimmt (b). Daran muss die Klägerin sich nach Treu und Glauben festhalten lassen (c).

a) Die Geltendmachung eines Befreiungsanspruchs kann materiellrechtlich gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen, der als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch im öffentlichen Recht gilt.

BVerwG, Urteil vom 24. 2. 2010 − 9 C 1.09 −, juris, Rdn. 38 m. w. N.

Dieser ist im hier maßgeblichen nordrheinwestfälischen Schulrecht Ausfluss der Verpflichtung zum partnerschaftlichen und vertrauensvollen Zusammenwirken von Schule und Eltern (§ 2 Abs. 3 Satz 2, § 42 Abs. 1 Satz 3 SchulG NRW), die sich, insofern zeitlich vorwirkend, auch bereits auf das Schulaufnahmeverfahren nach § 46 SchulG NRW erstreckt.

In diesem Aufnahmeverfahren darf die Schulleitung für die in ihrem Ermessen stehenden Aufnahme von Schülern (§ 46 Abs. 1 Satz 1 SchulG NRW) nach dem Einverständnis mit koedukativem Schwimmunterricht fragen und die Aufnahme vom Einverständnis der Eltern damit abhängig machen. Die Einholung einer solchen Einverständniserklärung ist insbesondere dann nicht zu beanstanden, wenn sie dem Zweck dient, im Interesse der Verpflichtung zur partnerschaftlichen und vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Schule und Eltern (§ 2 Abs. 3 Satz 2, § 42 Abs. 1 Satz 3 SchulG NRW) und einer störungsfreien Erziehung und Bildung in der Schule die Eltern und ihr minderjähriges Kind bereits bei der Aufnahme des Kindes auf die Einhaltung des im Schulprogramm oder sonstigen Unterrichtsplanungen vorgesehenen koedukativen Schwimmunterrichts zu verpflichten. Die Schule legt nach ministeriellen Unterrichtsvorgaben (§ 29 Abs. 1 SchulG NRW) die Unterrichtsveranstaltungen fest und kann etwa im Rahmen ihres von der Schulkonferenz (§ 65 Abs. 2 Nr. 1 SchulG NRW) zu beschließenden Schulprogramms (§ 3 Abs. 2 SchulG NRW) schuleigene Unterrichtsvorgaben bestimmen (§ 29 Abs. 2 SchulG NRW). In diesem Rahmen kann sie auch einen für alle Schülerinnen und Schüler verbindlichen koedukativen Schwimmunterricht vorsehen. Auch wenn der koedukative Schwimmunterricht nicht Bestandteil der verbindlichen schuleigenen Unterrichtsvorgaben im Schulprogramm ist, ist die Einholung einer solchen Einverständniserklärung nicht zu beanstanden. Nach § 42 Abs. 5 SchulG NRW sollen sich Schule, Schülerinnen und Schüler und Eltern auf gemeinsame Erziehungsziele und grundsätze verständigen und wechselseitige Rechte und Pflichten in Erziehungsfragen festlegen. Eine solche Verständigung zwischen der Schule und den Eltern minderjähriger Schüler bereits bei der Entscheidung über die Aufnahme in eine weiterführende Schule ist unter Ermessensgesichtspunkten und auch sonst nicht zu beanstanden. Denn sie schafft für die am Schulverhältnis Beteiligten Klarheit über die Erziehungsziele und grundsätze in der Schule sowie (auch) über konkrete Pflichten von Eltern und Schülern und entlastet dadurch die schulische Erziehungs- und Bildungsarbeit von möglichen künftigen (Rechts-) Streitigkeiten.

OVG NRW, Beschluss vom 30. 6. 2009 19 B 801/09 −, juris, Rdn. 4 f.

Wenn sich die Eltern einer minderjährigen Schülerin bei der Anmeldung zu einer weiterführenden Schule damit einverstanden erklärt haben, dass ihr Kind am koedukativen Schwimmunterricht teilnimmt, und nach Abgabe dieser Erklärung kein beachtlicher Sinneswandel oder sonst eine relevante Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, die ein Festhalten an der Einverständniserklärung als unzumutbar erscheinen lässt, verhalten sie sich treuwidrig, wenn sie anschließend einen Befreiungsanspruch vom koedukativen Schwimmunterricht geltend machen. Diese Treuwidrigkeit kann die Schule einem später geltend gemachten Befreiungsanspruch mit Erfolg entgegenhalten.

OVG NRW, Beschluss vom 30. 6. 2009 19 B 801/09 −, juris, Rdn. 2.

b) Dies ist hier der Fall. Beide Eltern der Klägerin haben sich bei deren Anmeldung zur Gesamtschule E. -Mitte im Februar 2007 damit einverstanden erklärt, ihre Tochter am koedukativen Schwimmunterricht teilnehmen zu lassen (aa). Jedenfalls war es treuwidrig, diese Erklärung aufrecht zu erhalten, auch nachdem ihnen bewusst wurde, dass sie eine Erklärung unterschrieben hatten, die sie nicht bereit waren vollständig einzuhalten (bb).

aa) Die Eltern der Klägerin waren bei der Anmeldung der Klägerin damit einverstanden, dass diese am koedukativen Schwimmunterricht teilnimmt. Die entsprechende Erklärung der Mutter (aaa) ist dem Vater der Klägerin nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht zuzurechnen (bbb).

aaa) Die Mutter der Klägerin hat auf dem standardisierten Anmeldebogen der Schule unterschrieben, sie sei "ausdrücklich" mit dem Schulprogramm der Gesamtschule E. -Mitte einverstanden (u. a. gemeinsamer Schwimmunterricht von Mädchen und Jungen). Der auf dem Anmeldebogen vorgedruckte Text war beim Unterschreiben des Anmeldebogens leicht zu erkennen. Er umfasste auf dem insgesamt übersichtlich gestalteten Blatt insgesamt dreieinhalb Zeilen direkt über den Kästchen, in denen Namen und Vornamen des anzumeldenden Kindes einzutragen waren.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der zweitinstanzlichen mündlichen Verhandlung ist der Senat davon überzeugt, dass der Mutter der Klägerin die inhaltliche Bedeutung und Tragweite ihres schriftlichen Einverständnisses schon im Zeitpunkt der Unterschriftsleistung bewusst war. Denn der Senat geht davon aus, dass während des Aufnahmegesprächs über die verpflichtende Teilnahme am koedukativen Schwimmunterricht gesprochen wurde. So hat der Zeuge Dr. T. , der das Aufnahmegespräch mit der Mutter der Klägerin geführt hat, in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und glaubhaft bekundet, er spreche bei muslimischen Kindern immer die Klassenfahrten und den Schwimmunterricht an, um spätere Schwierigkeiten auszuschließen. Der Zeuge gab weiter an, dass er, wenn er bei der Rubrik "Schwimmer" im Aufnahmebogen etwas angekreuzt habe, sich hundertprozentig sicher sei, den Schwimmunterricht angesprochen zu haben. Auf dem standardisierten Schulanmeldebogen der Klägerin, den der Zeuge selbst abgezeichnet hat, ist zur Rubrik "Schwimmer" ein "nein" angekreuzt. Insofern spricht auch der Anmeldebogen im Zusammenhang mit der Zeugenaussage dafür, dass der Schwimmunterricht Gesprächsthema war. Der Zeuge schloss außerdem ausdrücklich aus, nur die Klassenfahrten, nicht aber den Schwimmunterricht angesprochen zu haben. Seine Aussage ist nicht deswegen unglaubhaft, weil er sich nach eigenen Angaben an das konkrete Aufnahmegespräch mit der Klägerin und ihrer Mutter nicht genau erinnern konnte. Dies leuchtet unmittelbar ein, weil der Zeuge nach seinen Angaben seit elf Jahren zusammen mit etwa fünf oder sechs Kollegen jährlich etwa 240 Aufnahmegespräche führt und das in Rede stehende Gespräch dreieinhalb Jahre zurückliegt. Für die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen spricht vor allem, das er sichtlich bemüht war, aus der Erinnerung nur dasjenige zu berichten, was er definitiv noch wusste. So hat er insbesondere auch Einschränkungen gemacht, wenn seine Erinnerung verblasst war ("Ich weiß es nicht mehr genau."). Schließlich sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Zeuge ein eigenes Interesse am Ausgang dieses Verfahrens haben und deswegen oder aus anderen Gründen falsche Angaben machen könnte.

Demgegenüber sind die Angaben der Mutter der Klägerin nicht gleichermaßen stimmig und überzeugend. Diese hat zunächst angegeben, sie habe während des Aufnahmegesprächs auf das Schwimmen gar nicht so geachtet, weil der Beklagte ihre ältere Tochter einige Jahre zuvor vom Schwimmunterricht befreit und sie daher das Schwimmen nicht als Problem angesehen habe. Anschließend erklärte sie, sie wisse genau, dass über den Schwimmunterricht nicht konkret gesprochen worden sei, wohl aber über Klassenfahrten.

bbb) Diese Einverständniserklärung wirkt nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht zugleich für den Vater der Klägerin und damit auch für diese selbst. Nach diesen Grundsätzen wird eine Willenserklärung auch mit Wirkung für den Vertretenen abgegeben, wenn dieser das Handeln des als Vertreter auftretenden oder angesehenen Erklärenden bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können und wenn der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben annehmen durfte, der Vertretene dulde und billige dieses Handeln.

BVerwG, Urteil vom 25. 2. 1994 − 8 C 2.92 −, juris, Rdn. 10; Diederichsen, in: Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 172 Rdn. 11.

In der alltäglichen Schulwirklichkeit entspricht es allgemeiner Lebenserfahrung, dass einer von zwei Eltern im Sinne des § 123 Abs. 1 SchulG NRW, der in Schulangelegenheiten ihres Kindes in der Schule tätig wird, in Vertretung für den anderen Elternteil handelt und rechtserhebliche Erklärungen kraft Bevollmächtigung auch mit Wirkung für diesen abgibt, sofern die Schule keine konkreten Anhaltspunkte dafür hat, dass die Eltern getrennt leben, geschieden sind oder das Sorgerecht im Einzelfall nicht einverständlich ausüben.

Dies zugrunde gelegt, war dem Vater der Klägerin, der von der konkreten Schulanmeldung seiner Tochter wusste und damit einverstanden war, bekannt, dass seine Ehefrau die bei der Schulanmeldung üblichen Erklärungen einschließlich der zur Teilnahme an Schulveranstaltungen auch für ihn abgeben werde. Da seine ältere Tochter bereits einige Jahre zuvor bei derselben Schule angemeldet worden war, die nach der Aussage des Zeugen Dr. T. damals schon dieselben Schulanmeldeformulare verwendete, hätte dem Vater der Klägerin bekannt sein können, dass die Schulanmeldung eine Einverständniserklärung mit dem koedukativen Schwimmunterricht erfordert und dass seine Ehefrau diese Erklärung möglicherweise unterschreiben würde. Dies hätte er durch Rücksprache mit seiner Ehefrau vor der Anmeldung verhindern können. Auf der Seite des Beklagten durfte dieser mangels konkreter gegenteiliger Anhaltspunkte davon ausgehen, dass die Mutter der Klägerin diese Einverständniserklärung mit dem gemeinsamen Schwimmunterricht auch als Vertreterin für ihren Ehemann abgab.

bb) Abgesehen von dem ausdrücklich erklärten Einverständnis verstößt das Verhalten der Eltern der Klägerin jedenfalls deswegen gegen den oben genannten Grundsatz von Treu und Glauben, weil sie sich nicht nach der Schulanmeldung wegen des von ihnen abgelehnten Schwimmunterrichts an den Beklagten gewandt haben. Hierzu waren sie aufgrund der vorwirkenden Verpflichtung zur vertrauensvollen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit der Schule (§ 2 Abs. 3 Satz 2, § 42 Abs. 1 Satz 3 SchulG NRW) spätestens in dem Zeitpunkt gehalten, als ihnen zu Hause ihr schriftlich erklärtes Einverständnis mit dem gemeinsamen Schwimmunterricht bewusst wurde. Die Mutter der Klägerin hat erklärt, sie habe den Schulanmeldebogen erst zu Hause vollständig durchgelesen. Nach ihrer Aussage dachte sie seinerzeit, die Klägerin werde vielleicht ebenso wie ihre ältere Schwester vom Schwimmen befreit werden. Darauf durfte sie sich allerdings nicht ohne Rücksprache mit dem Beklagten verlassen. Dem steht nicht entgegen, dass ihre ältere Tochter einige Jahre vorher trotz eines identischen unterschriebenen Schulanmeldebogens vom Schwimmunterricht befreit worden war. Unabhängig davon, wie damals der Befreiungsantrag der Schwester der Klägerin im Einzelnen behandelt worden ist, brachte die Schule hinreichend deutlich zum Ausdruck, welchen Stellenwert sie dem koedukativen Schwimmunterricht im Jahrgang der Klägerin beimaß. Er war als einer von wenigen Punkten ausdrücklich in der Schulanmeldung erwähnt, so dass seine Bedeutung für das Schulverhältnis besonders herausgehoben wurde.

c) Die Klägerin muss sich nach Treu und Glauben an der Einverständniserklärung ihrer Eltern festhalten lassen. Dies ist weder unzumutbar (aa), noch liegt darin ein unzulässiger Eingriff in die Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG (bb).

aa) Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, ein Festhalten an der Einverständniserklärung ihrer Eltern sei ihr unzumutbar, weil sie im August 2008, eineinhalb Jahre nach der Anmeldung im Februar 2007, selbst begonnen habe, ihr Leben nach ihrem Glauben auszurichten. Dies war nämlich bereits zum Zeitpunkt der Schulanmeldung voraussehbar. Es stellt keinen beachtlichen Sinneswandel oder sonst eine relevante Änderung der Verhältnisse dar. Die Klägerin hat angegeben, ihre Eltern und sie seien gläubige Muslime, die fünfmal täglich beteten und die Fastenzeiten einhielten. Ihre Eltern seien bereits auf einer Pilgerfahrt gewesen. Ihre ältere Schwester sei wenige Jahre zuvor unter Berufung auf ihren Glauben antragsgemäß vom koedukativen Schwimmunterricht befreit worden. Vor diesem Hintergrund war das Verhalten der Klägerin, ihr Leben nach den islamischen Bekleidungsvorschriften auszurichten und ebenfalls nicht am gemeinsamen Schwimmunterricht teilnehmen zu wollen, konsequent und schon bei der Schulanmeldung im Februar 2007 absehbar.

bb) Das Festhalten der Klägerin am Einverständnis ihrer Eltern mit gemeinsamem Schwimmunterricht stellt jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff in ihre Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG dar. Es liegt bereits kein Eingriff vor (aaa). Aber selbst wenn es sich um einen Eingriff handeln sollte, wäre dieser hier gerechtfertigt (bbb).

aaa) Das Festhalten der Klägerin am Einverständnis ihrer Eltern ist kein Eingriff in ihre Glaubensfreiheit. Der Inhalt der Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG wird maßgeblich vom Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft und von den konkreten Überzeugungen des einzelnen Gläubigen bestimmt.

BVerfG, Urteile vom 15. 1. 2002 1 BvR 1783/99 , BVerfGE 104, 337 (354 f.) = juris, Rdn. 57, und vom 16. 10. 1968 1 BvR 241/66 , BVerfGE 24, 236 (247 f.) = juris, Rdn. 25.

Da der Umgang von muslimischen Gläubigen mit der Teilnahme am koedukativen Schwimmunterricht nicht einheitlich ist, ist das schriftliche Einverständnis der Eltern der Klägerin mit koedukativem Schwimmunterricht als verbindliche Erklärung zu verstehen, die Teilnahme sei mit ihrer individuellen Glaubensüberzeugung zu vereinbaren.

bbb) Aber selbst dann, wenn die Eltern der Klägerin diese Erklärung nur mit einem inneren Vorbehalt abgegeben oder aufrecht erhalten hätten und wenn das Festhalten an der Teilnahmepflicht einen Eingriff in Art. 4 Abs. 1 GG bedeutete, wäre dieser gerechtfertigt.

Ein solcher Eingriff kann im Rahmen praktischer Konkordanz mit Rücksicht auf andere vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte oder andere verfassungsrechtlich geschützte Güter gerechtfertigt sein. Dazu kann der Grundrechtsberechtigte auf seine Grundrechtsausübung teilweise verzichten. Ein Grundrechtsverzicht kann zulässig sein, wenn es sich um eine rechtlich verbindliche, freiwillige, ausreichend konkrete Einwilligung eines Einwilligungsfähigen in eine bestimmte Maßnahme handelt, die einzelne, sich aus einem Grundrecht ergebende Befugnisse einschränkt, soweit das Grundrecht nicht aus Gründen höherwertiger Interessen unverfügbar ist und keine anderen Verfassungsrechtsgüter entgegenstehen. Insbesondere bei Grundrechten wie der Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG, die personale Rechtsgüter schützen und die persönliche Entfaltungsfreiheit des Menschen gewährleisten, sind spezifische, sachlich und zeitlich begrenzte Ausübungsformen unter den oben genannten Voraussetzungen grundsätzlich verzichtbar.

Hillgruber, in: Epping/Hillgruber, GG, 2009, Art. 1 Rdn. 73 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl. 2009, Vorb. vor Art. 1 Rdn. 36; Sachs, in: ders., GG, 5. Aufl. 2009, Vor Art. 1 Rdn. 52 ff.; v. Münch, in: ders./Kunig, GG, Bd. 1, 5. Aufl. 2000; Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, § 86, jeweils m. w. N.

Gemessen daran ist das Einverständnis der Eltern in Bezug auf die gegebene Konfliktsituation widerstreitender Interessen als Zugeständnis im Rahmen einer im Wege praktischer Konkordanz zu findenden Lösung des Konfliktes zwischen ihrem Recht zur Kindererziehung in religiöser Hinsicht (Art. 4 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und der Glaubensfreiheit ihrer Tochter (Art. 4 Abs. 1 GG) sowie dem Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates (Art. 7 Abs. 1 GG) anzusehen. Sie haben damit erklärt, sie nähmen die mit der Teilnahme am koedukativen Schwimmunterricht verbundenen Einschränkungen der Glaubensfreiheit und ihres Erziehungsrechts hin, und haben insoweit auf die Ausübung der Grundrechte verzichtet, um der aus dem staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag erwachsenden Teilnahmepflicht zu genügen. Die Eltern der Klägerin vertraten sie bei der Schulanmeldung auch in den Angelegenheiten, die ihre Glaubensausübung betreffen. Das Einverständnis bezog sich auf einen konkreten, zeitlich begrenzten Sachverhalt, nämlich auf den koedukativen Schwimmunterricht während der Schulzeit der Klägerin. An der Freiwilligkeit der Erklärung bestehen schon deswegen keine Bedenken, weil nach den Angaben der Mutter der Klägerin die Möglichkeit bestanden hätte, sie auch an einer Realschule anzumelden, die auch ihr Sohn besuchte. Außerdem war die Anmeldung an der vom Beklagten geleiteten Schule maßgeblich dadurch bestimmt, dass die Klägerin "unbedingt" auf diese Schule wollte.

Selbst wenn ein Grundrechtsverzicht grundsätzlich jederzeit widerruflich sein sollte,

Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, § 86, S. 916,

gilt dies zumindest dann nicht, wenn sich die Abkehr von dem Verzicht und von der dadurch herbeigeführten praktischen Konkordanz wie hier im Verhältnis zur Schule im Einzelfall als treuwidrig darstellt. Dies gilt erst recht in dem hier vorliegenden Fall, in dem die Klägerin ihren Glaubenskonflikt an einer anderen Schule vollständig hätte vermeiden können. Nach den Angaben der Mutter der Klägerin hätte sie ihre Tochter stattdessen an einer Realschule anmelden können, in der gemeinsamer Schwimmunterricht nur in der 5. Klasse stattfand. Das gemeinsame Schwimmen in der 5. Klasse wäre für sie unproblematisch gewesen, weil die Klägerin damals noch jünger und körperlich weniger weit entwickelt war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat lässt die Revision nicht zu, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.