OLG Köln, Beschluss vom 18.08.2010 - 17 W 181/10
Fundstelle
openJur 2011, 72967
  • Rkr:

Die volle 1,6fache Verfahrnesgebühr Nr. 3200 VV RVG ist vom Berufungsführer zu erstatten, wenn der Rechtsmittelgegner den Sachantrag auf Zurückweisung der Berufung nach Zustellung der Berufungsbegründung gestellt hat und das Berufungsgericht anschließend die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückweist, ohne dass der Berufungsbeklagte zuvor noch eine Berufungserwiderung eingereicht hat.

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin.

Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren: 5.531,12 Euro.

Gründe

Die gemäß § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO i. V. m. § 11 Abs. 1 RPflG statthafte und auch ansonsten verfahrensrechtlich unbedenkliche, insbesondere fristgerecht (§ 569 Abs. 1 ZPO) eingelegte sofortige Beschwerde der Klägerin ist nicht begründet. Aus im Kern zutreffenden Erwägungen, wie sie im Nichtabhilfebeschluss vom 10.08.2010 niedergelegt sind, hat der Rechtspfleger im Rahmen der angefochtenen Entscheidung die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 08.06.2010 angemeldeten zweitinstanzlichen Kosten in voller Höhe berücksichtigt, also insbesondere, wie von der Beklagten beantragt, eine 1,6 fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG in Ansatz gebracht. Das Rechtsmittel der Klägerin, mit dem sie stattdessen den Ansatz lediglich der ermäßigten 1,1 fachen Verfahrensgebühr Nr. 3201 VV RVG erstrebt, gibt zu einer abweichenden Entscheidung keinen Anlass.

Die Klägerin hatte gegen das landgerichtliche Urteil mit Schriftsatz vom 04.01.2010 Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel mit weiterem Schriftsatz vom 03.03.2010, der den Prozessbevollmächtigten der Beklagten ohne Bestimmung einer Erwiderungsfrist oder sonstige Auflagen zugestellt wurde und dort am 08.03.2010 zuging, begründet. Unter dem 09.03.2010 bestellten sich die Prozessbevollmächtigten der Beklagten auch für die zweite Instanz und stellten zugleich den Antrag, die Berufung zurückzuweisen; darüber hinaus heißt es in dem betreffenden Schriftsatz, eine Berufungserwiderung werde "auf ausdrückliche Aufforderung" des zuständigen Zivilsenats gefertigt, "sofern dies noch erforderlich sein sollte". Mit Beschluss vom 25.03.2010 (9 U 2/10) wies der Berufungssenat darauf hin, dass und aus welchen Gründen er beabsichtige, das Rechtsmittel der Klägerin nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Nachdem die Klägerin hierzu mit Schriftsatz vom 18.05.2010 Stellung genommen hatte, wurde die Berufung sodann durch einstimmigen Beschluss des zuständigen Berufungssenats vom 01.06.2010 (Az. wie vor) kostenpflichtig zurückgewiesen.

Bei dieser Sachlage ist die von der Beklagten für die Berufungsinstanz geltend gemachte volle 1,6 fache Verfahrensgebühr Nr. 3200 VV RVG entstanden und auch gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO erstattungsfähig:

Die Beschwerde stellt nicht substantiell in Abrede, dass der von den Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit Schriftsatz vom 09.03.2010 gestellte Antrag, "die Berufung zurückzuweisen", einen Sachantrag i. S. von Nrn. 3200, 3201 VV RVG darstellt, der gebührenrechtlich eine volle 1,6 fache Verfahrensgebühr entstehen ließ (vgl. AnwK-RVG/N. Schneider 5 Aufl. VV 3200 Rn. 13; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG 19. Aufl. VV 3201 Rn. 8). Die ermäßigte 1,1 fache Gebühr Nr. 3201 VV RVG bei vorzeitiger Beendigung des Auftrags fällt lediglich an, wenn der Auftrag des Anwalts endigt, bevor er - u. a. - einen Schriftsatz, der Sachanträge oder Sachvortrag enthält, bei Gericht eingereicht hat. Ein solcher Fall liegt hier nicht jedoch gerade nicht vor.

Die 1,6 fache Verfahrensgebühr ist auch nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO von der Klägerin zu erstatten. Die Erstattungsfähigkeit i. S. v. § 91 ZPO ist allerdings grundsätzlich von der Notwendigkeit der in Rede stehenden Maßnahmen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung abhängig. Die Erstattung von ihr aufgewandter Kosten kann eine Partei danach nur insoweit erwarten, als sie der ihr aus dem Prozessrechtsverhältnis obliegenden Pflicht nachgekommen ist, die Kosten möglichst gering zu halten. Insoweit kann den Beklagten indes erstattungsrechtlich zunächst nicht entgegen gehalten werden, die Einreichung eines Antrags auf Zurückweisung der Berufung sei nicht notwendig gewesen. Denn mit der Vorlage der Berufungsbegründung vom 03.03.2010 hatte die Klägerin ihre Absicht, das Rechtsmittelverfahren tatsächlich mit dem Ziel der Abänderung des ihr nachteiligen erstinstanzlichen Urteils streitig durchzuführen, eindeutig zu erkennen gegeben. Nach Eingang der Berufungsbegründung war die Beklagte deshalb in der Lage, durch einen entsprechenden Gegenantrag das Verfahren zu fördern. Die mit einem Sachantrag anfallende Verfahrensgebühr Nr. 3200 VV RVG war jedenfalls ab diesem Zeitpunkt notwendig i. S. von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO und damit kostenrechtlich erstattungsfähig (vgl. BGH NJW 2009, 2220, 2221 Tz. 11; OLG Stuttgart JurBüro 2007, 36).

Die Beklagte kann zudem auch nicht darauf verwiesen werden, sie könne nach Maßgabe von § 91 ZPO nur Erstattung der ermäßigten 1,1 fachen Verfahrensgebühr Nr. 3201 VV RVG verlangen, weil - worauf die Klägerin mit ihrer Beschwerde abstellt - der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln im Beschlusswege auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung hingewiesen und die Beklagte zudem über die Stellung des Antrags auf Zurückweisung der Berufung hinaus nicht in der Sache selbst Stellung genommen, insbesondere keine Berufungserwiderung vorgelegt hat.

Die Entscheidung des OLG Celle (OLGR 2008, 421), auf die die Beschwerde diesbezüglich abhebt, hilft der Klägerin nicht weiter. Zum einen unterscheidet sich der vorliegende Fall schon in wesentlichen Punkten von dem Sachverhalt, den seinerzeit das OLG Celle zu beurteilen hatte. Dort waren die Berufungsbegründung und der Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zugleich zugestellt worden; überdies hatte der Berufungsbeklagte den Sachabweisungsantrag schon vor Eingang der Berufungsbegründung gestellt. Zum anderen ist die vorgenannte Entscheidung des OLG Celle jedenfalls zum letztgenannten Gesichtspunkt ohnehin durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 01.04.2009 (NJW 2009, 2220) überholt, wonach eine 1,6 fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG - auch - dann erstattungsfähig ist, wenn der Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels bereits vor Zustellung der Rechtsmittelbegründung gestellt worden war, das Rechtsmittel dann aber begründet und durch das Gericht in der Sache entschieden wird. In dem vom BGH entschiedenen Fall war dabei die Zurückweisung des Rechtsmittels schon vor Ablauf der dem Rechtsmittelgegner dort gesetzten Stellungnahmefrist, mithin ohne dass - über den Zurückweisungsantrag hinaus - eine sachliche Stellungnahme des Gegners vorlag, erfolgt. Wenn aber schon der vor Eingang der Rechtsmittelbegründung gestellte Zurückweisungsantrag - für den Fall, dass die Begründung sodann noch nachfolgt und über das Rechtsmittel entschieden wird - die Erstattungsfähigkeit der vollen 1,6 fachen Verfahrensgebühr begründet, dann muss das im hier vorliegenden Fall, in dem der Sachantrag überhaupt erst nach Eingang der Berufungsbegründung gestellt wurde, erst recht gelten. Hieraus folgt zugleich, dass die Erstattungsfähigkeit der vollen 1,6 fachen Verfahrensgebühr in Prozesssituationen der vorliegenden Art nicht davon abhängen kann, ob der Rechtsmittelbeklagte über die Stellung des Zurückweisungsantrags hinaus noch eine Berufungserwiderung vorlegt. Löst nämlich allein der bereits vor Eingang der Rechtsmittelbegründung, also zu einem Zeitpunkt, zu dem eine Erwiderung noch gar nicht erfolgen kann, gestellte Zurückweisungsantrag - bei nachfolgender Einreichung der Rechtsmittelbegründung und Entscheidung in der Sache - die Erstattungsfähigkeit der vollen Gebühr aus (vgl. BGH NJW 2009, 2220), dann kann, wenn nach Eingang der Rechtsmittelbegründung - nur - der Zurückweisungsantrag gestellt wird, nichts anderes gelten. Dass allein schon der nach Vorlage der Berufungsbegründung gestellte, seinerseits nicht begründete Zurückweisungsantrag die Erstattungsfähigkeit der 1,6 fachen Verfahrensgebühr nach sich zieht, entspricht auch der herrschenden Kommentarliteratur (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe aaO VV 3200 Rn. 43; AnwK-RVG/N. Schneider aaO VV 3201 Rn. 62). Der Bundesgerichtshof geht im vorgenannten Beschluss vom 01.04.2009 ebenfalls ausdrücklich davon aus, dass die volle Gebühr "bei einer Antragstellung nach Eingang der Rechtsmittelbegründung zweifellos auch erstattungsfähig" ist (vgl. BGH NJW 2009, 2220, 2221 Tz. 11 a. E.).

Eine andere Betrachtungsweise ist hier nicht deshalb veranlasst, weil der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln - im Nachgang zu der am 04.03.2010 erfolgten Zustellung der Berufungsbegründung - mit Beschluss vom 25.03.2010 einen Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO erteilt hat. Nach der mit der herrschenden Auffassung im Schrifttum (vgl. AnwK-RVG/N. Schneider aaO VV 3201 Rn. 62; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe aaO VV 3200 Rn. 52) übereinstimmenden ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Beschlüsse vom 28.07.2008 - 17 W 163/08 - und vom 16.08.2010 - 17 W 161/10) hat der Berufungsbeklagte grundsätzlich auch in den Fällen des § 522 Abs. 2 ZPO ungeachtet der bereits vom Berufungsgericht erteilten Hinweise ein berechtigtes und auch erstattungsrechtlich anzuerkennendes Interesse, auf das Verfahren in seinem Sinne fördernd Einfluss zu nehmen. Im Streitfall kommt es hierauf freilich nicht einmal entscheidend an, weil sich für die Beklagte allein schon aufgrund der - zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit gerichtlichen Hinweisen versehenen - Zustellung der Berufungsbegründung und der hierdurch erkennbar werdenden Absicht der Klägerin, das Rechtsmittelverfahren streitig durchzuführen, ein Gegenantrag als notwendig i. S. von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO erweisen musste. Diese Notwendigkeit konnte nicht nachträglich dadurch, dass der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts drei Wochen nach Zustellung der Berufungsbegründung (und nach bereits erfolgter Stellung des Gegenantrags) auf die fehlende Erfolgsaussicht des Rechtsmittels hinwies, nachträglich wieder entfallen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren folgt aus der Differenz zwischen dem von der Beklagten geltend gemachten und vom Landgericht insoweit auch berücksichtigten Betrag für die zweitinstanzlichen außergerichtlichen Kosten (17.723,38 Euro) und der Summe, die sich bei dem mit der Beschwerde erstrebten Ansatz nur einer 1,1 fachen Verfahrensgebühr nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer als Erstattungsbetrag für die zweite Instanz ergeben würde (12.192,26 Euro).