OLG Hamm, Beschluss vom 04.05.2010 - 15 W 105/10
Fundstelle
openJur 2011, 72813
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 232 II 9/09
Tenor

Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.

Gründe

I.)

Die Antragstellerin hat am 09.09.2009 die Bewilligung von Beratungshilfe für "Verbraucherinsolvenz, aussergerichtliche Schuldenbereinigung" beantragt. Diesen Antrag hat der Rechtspfleger zurückgewiesen. Das hiergegen eingelegte "Rechtsmittel" hat der zuständige Abteilungsrichter als Erinnerung behandelt und diese mit Beschluss vom 30.09.2009 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich das "Rechtsmittel" der Antragstellerin.

II.)

Das Rechtsmittel ist gemäß § 6 Abs.2 BerHG unstatthaft.

Es entspricht gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung, dass § 6 Abs.2 BerHG nach Wortlaut und dem Willen des historischen Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 8/3695 S.9) die

Beschwerde gegen die Entscheidung des Amtsrichters über eine (ablehnende) Entscheidung des Rechtspflegers in Beratungshilfesachen ausschließt (Senat JurBüro 1984, 1746f; OLG Stuttgart RPfleger 2009, 462; MDR 1984, 153; BayObLGZ 1993, 253ff;

Beschluss vom 27.06.2003 -2Z BRH 2/03- in juris; OLG Schleswig, JurBüro 1984, 452; vgl. auch BVerfG NJW-RR 2007, 1369). Dieser Rechtsprechung folgt die Literatur ganz überwiegend (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs; Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4.Aufl., Rdn.991; Schoreit/Groß, Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe, 9.Aufl., § 6 BerHG Rdn.3; Liesner, RPfleger 2007, 448ff).

Die in Rechtsprechung und Literatur vereinzelt vertretene Auffassung, dass seit der Änderung des Rechtspflegergesetzes durch das Gesetz vom 06.08.1998 nach allgemeinen Regeln die Beschwerde gegen die Entscheidung des Rechtpflegers gegeben sei (LG Potsdam NJOZ 2010, 16ff; Landmann RPfleger 2000, 320ff; hiergegen schon LG Stendal NJW-RR 2010, 288; LG Berlin BeckRS 2010, 02934), kann sich der Senat aus den nachfolgenden Gründen nicht anschließen. Die Gegenauffassung weist im Kern auf einen

systematischen Widerspruch hin, der sich daraus ergibt, dass § 24a Abs.2 RPflG n.F. die Anwendung des § 11 Abs.2 S.1 RPflG n.F., also die Regelung über die "Restanwendungsfälle" der Rechtspflegererinnerung seinem Wortlaut nach ausschließt, während

§ 6 Abs.2 BerHG in seiner nach wie vor gültigen Fassung die Existenz eines Rechtsbehelfs der Erinnerung voraussetzt. Die Vertreter der h.A., soweit sie sich mit der

Problematik näher auseinandersetzen, gehen davon aus, dass der Widerspruch durch

eine reduzierende Auslegung dahingehend aufzulösen ist, dass § 24a Abs.2 RPflG sich nur auf die Fristenregelung des § 11 Abs.2 S.1 RPflG bezieht. Die Vertreter der Gegenauffassung gehen hingegen davon aus, der Widerspruch sei dadurch aufzulösen, dass man § 6 Abs.2 BerHG als gegenstandslos betrachte.

Der Senat hält nach Prüfung der widerstreitenden Argumente an der bisherigen Rechtsprechung fest. Nicht zu leugnen ist, dass die Neufassung des Rechtspflegergesetzes in 1998 einen systematischen Widerspruch zwischen § 6 Abs.2 BerHG und § 24a Abs. 2 RPflG geschaffen hat, der sich nur auflösen lässt, wenn man eine Norm entgegen ihrem Wortlaut ganz oder teilweise nicht anwendet. Dies wird auch von den Vertretern der

Gegenauffassung nicht in Abrede gestellt.

Nach Auffassung des Senats ist zunächst davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des BerHG ein möglichst einfaches und kurzes Verfahren schaffen und deswegen die Möglichkeit der Überprüfung der Rechtspflegerentscheidung auf eine Nachprüfung durch den Amtsrichter beschränken wollte (vgl. im Einzelnen Senat a.a.O.). Soweit die Gegenauffassung in § 6 Abs.2 BerHG in erster Linie eine Verweisungsnorm sieht, durch welche die Regelungen des RPflG in Bezug genommen werden, verkennt diese nach Auffassung des Senats den eigentlichen Regelungszweck. Die Statthaftigkeit der Rechtspflegererinnerung im Fall des Ausschlusses der Beschwerde verstand sich auch bei Erlass des BerHG nach den allgemeinen Regeln von selbst, was der Gesetzgeber auch so gesehen hat (vgl. BT-Drs. 8/3695 S.9). Von daher hätte es einer Verweisungsnorm nicht -jedenfalls nicht zwingend- bedurft. Der Gesetzgeber hat lediglich anstelle einer negativen Formulierung (denkbar etwa: Die Beschwerde gegen den

Beschluss ist ausgeschlossen.) eine für den rechtssuchenden Bürger leichter verständliche positive Formulierung gewählt, die ihm mit dem Ausschluss einer weitgehenden Beschwerdemöglichkeit ("nur") zugleich den Weg zu dem gleichwohl

gegebenen Rechtsbehelf der Erinnerung weist. Der wesentliche Regelungsgehalt des

§ 6 Abs.2 BerHG besteht daher in dem Ausschluss der Beschwerde gegen die

Erinnerungsentscheidung des Amtsrichters (ebenso LG Stendal NJW-RR 2010, 288).

Insoweit liegt § 6 Abs.2 BerHG auch mit der Neufassung des § 11 RPflG durchaus noch dergestalt auf einer gedanklichen Linie, dass die amtsrichterliche Entscheidung

unanfechtbar ist, mithin die Rechtspflegererinnerung statthaft (bleibt).

Für die Einschätzung, dass der Gesetzgeber die Beschränkung der Überprüfung auf eine richterliche Entscheidung mit der Reform des Rechtspflegergesetzes aufgeben wollte,

ergeben sich aus den Gesetzesmaterialien keinerlei Anhaltspunkte. Richtig ist zwar, dass sich der Gesetzesbegründung zu § 24a RPflG (BT-Drs.13/10244 S.8) nicht ausdrücklich entnehmen lässt, der Gesetzgeber habe im Bereich der Beratungshilfe keine Änderung herbeiführen wollen. Bemerkenswert erscheint dem Senat allerdings, dass die Begründung des Entwurfs hinsichtlich des Abhilferechts des Rechtspflegers auf § 11 Abs.2 S.2 RPflG in der Neufassung abhebt. Dies impliziert, dass im Bereich der Beratungshilfe

weiterhin der Rechtsbehelf der Erinnerung einschlägig sein sollte. Denn nur dann, also wenn man von der Fortgeltung des Ausschlusses der Beschwerde durch § 6 Abs. 2 BerHG und damit von der Statthaftigkeit der Erinnerung gemäß § 11 Abs.2 S.1 1.HS RPflG n.F. ausgeht, ergibt sich die Abhilfebefugnis aus § 11 Abs.2 S.2 RPflG.

Auf dieser Linie liegt es, dass die Gesetzesbegründung hinsichtlich § 24a RPflG in der Neufassung von einer bloßen Folgeänderung ausgeht. Nach Auffassung des Senats spricht diese Formulierung am ehesten dafür, dass man davon ausging, den Gehalt des § 24a Abs.2 RPflG lediglich gesetzestechnisch an die Umstellung des § 11 RPflG anpassen zu müssen. Hierbei mag übersehen worden sein, dass § 11 Abs.2 S.1 der Neufassung im Gegensatz zu § 11 Abs.1 S.1 und 2 RPflG der damals geltenden Fassung die Regelung der Statthaftigkeit und die Fristenregelung in einem Satz zusammenfasst.

In dieselbe Richtung weist der Umstand, dass die Begründung des Gesetzentwurfs, die von der Gegenauffassung postulierte Aufgabe des Ausschlusses der Beschwerde im

Bereich der Beratungshilfe an keiner Stelle thematisiert, obwohl hierdurch, worauf das LG Stendal (a.a.O.) zu Recht hinweist, nicht nur die Beschwerde, sondern nach § 27 FGG auch die weitere Beschwerde eröffnet worden wäre. Da die Entwurfsbegründung die

Folgebelastungen für die Justizhaushalte der Länder an anderer Stelle durchaus

thematisiert (BTDrs. 13/10244 S.7 r.Sp.), sich die dortigen Ausführungen aber auf

sofortige Befassung von Kammern mit der Beschwerde (anstelle des Amtsrichters mit der Erinnerung) beschränken, kann aus diesem Schweigen am ehesten geschlossen werden, dass man nicht davon ausging, mit der Neuregelung den damals unbestrittenen

Regelungsgehalt des § 6 Abs.2 BerHG im Sinne einer vollen Geltung des Instanzenzuges nach dem FGG abzuändern.

Das Argument des LG Potsdam (a.a.O. S.19f), weil dem Gesetzgeber mit dem Erlass des BerHG eine systematisch exakte Regelung gelungen sei, müsse dies auch für die Neuregelung des RPflG gelten, weshalb der Wortlaut des § 24a Abs.2 RPflG n.F. uneingeschränkt Anwendung finden müsse, ist schon in sich nicht tragfähig, da von dem Gang eines Gesetzgebungsverfahrens schlechthin nicht auf den eines anderen geschlossen werden kann. Hinzu kommt, dass zwischen § 24a Abs.2 RPflG und § 6 Abs.2 BerHG ein nicht ohne weiteres auflösbarer Widerspruch besteht, was auch die Gegenauffassung einräumt. Ist dem aber so, dann hat der Gesetzgeber anlässlich der Reform der RPflG die systematischen Zusammenhänge gerade nicht vollständig berücksichtigt.

Mit der ganz h.A. verbleibt es daher bei der Schlussfolgerung, dass in Beratungshilfesachen die Beschwerde durch § 6 Abs.2 BerHG nach wie vor ausgeschlossen wird, da sich für einen Willen des Gesetzgebers, dies abzuändern keine tragfähigen Ansatzpunkte finden. § 24a Abs.2 RPflG ist daher einschränkend dahingehend auszulegen, dass die

Erinnerung in Abweichung von § 11 Abs.2 S.1, 2.HS RPflG unbefristet ist.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 FamFG nicht vorliegen. Wie oben dargelegt, besteht hinsichtlich der hier zu entscheidenden Problemlage eine gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung, die durch das Bundesverfassungsgericht in verfassungsrechtlicher Hinsicht überprüft und bestätigt worden ist. Bei dieser Sachlage kann nicht von einer noch klärungsbedürftigen Rechtsfrage ausgegangen werden. Ganz vereinzelte abweichende Meinungen können hieran nichts ändern.